Ein Ogasnök aus Waldheim?

Zugegeben: Den Namen des Möbelstücks »Ogasnök« habe ich mir gerade ausgedacht. Ein solches Möbel gibt es nicht bei IKEA. Den Namen findet man auch noch nicht bei Google. Aber nach Medienrecherchen könnten in den DDR-Gefängnissen etliche Möbel — mit mehr oder weniger lustigen Namen — für die IKEA-Häuser im Westen gefertigt worden sein. Unter Bedingungen, die alles andere als lustig waren.


Der Autor dieses kleinen Blogs befand sich im Winter 1987/88 für eine Weile in der DDR-Haftanstalt Waldheim. Nein, ich saß nicht im Gefängnis. Ich habe damals als angelernte Aushilfskraft in den Werkstätten der Haftanstalt gearbeitet. Und das kam wie aus heiterem Himmel.

Die DDR-Führung hatte 1987 die größte Amnestie ihrer Geschichte erlassen. Mehr als 40.000 Häftlinge kamen in Freiheit — soweit man in der DDR von Freiheit sprechen konnte. Der SPIEGEL schrieb damals über die Probleme bei der Freilassung der Häftlinge:

Zahlreiche Betriebe sind auf sie angewiesen. So ist dem Gefängnis Brandenburg eine Möbelfabrik angegliedert, die durch die Amnestie den größten Teil ihrer Belegschaft verliert.

In der DDR wusste man auch ohne den SPIEGEL recht gut, dass in fast allen Strafanstalten kleine Betriebe eingerichtet waren, in denen die Häftlinge gearbeitet haben. Ich gehörte zu den jungen Grundwehrdienst-Soldaten, die es selbst miterlebt haben. Ich will mich in diesem Artikel so gut wie möglich an Waldheim erinnern.


Ich habe dort nicht in der Möbelproduktion gearbeitet und ich habe auch keine Möbelproduktion gesehen. Wir standen als junge Soldaten an Drehmaschinen, auf denen Bolzen und andere Teile für Textilmaschinen gefertigt wurden. In der Nachbarschaft wurden in einem anderen Betriebsteil aus elektronischen Bauteilen Schalter montiert.

Kaum einer von uns hatte einen Metallberuf gelernt, aber das war kein Problem: Erstens hatten wir alle in der Schule das Fach »Produktive Arbeit« absolviert. Und zweitens gab es ja erfahrene Facharbeiter, die uns die Maschinen eingerichtet haben. Es gab auch mehrere Ausbilder und Meister, die uns eingewiesen haben.


Diese Beschäftigten waren keine Strafgefangenen. Sie wurden von ihrem Textilmaschinenkombinat in den Strafvollzug delegiert, um dort die Häftlinge zur Arbeit anzuleiten. Ich habe sie als bodenständige, ruhige und sachliche Menschen kennengelernt. Bald kamen wir miteinander ins Gespräch.

Es gab natürlich Tabuthemen: Die Psychatrie gegenüber dem Gefängnis, aus der wir beim Aussteigen aus den Transportfahrzeugen manchmal verzweifelte Schreie von Insassinnen hörten. Die Politik. Und auch die Fluchtversuche und Selbstmorde einiger Häftlinge. Aber im Grunde sprachen die Facharbeiter und Ausbilder sehr offen mit uns — sogar über den Sinn oder Unsinn der Amnestie.

Sie zeigten uns die Artefakte, die man nach der Amnestie beim schrittweisen Renovieren der Latrinen, Waschräume und Aufenthaltsräume gefunden hatte: selbstgefertigte Messerklingen und Seile, aber auch abenteuerliche Vorrichtungen für die alkoholische Gärung.

Seitdem habe ich immer plastisch vor Augen, wozu Menschen fähig sind, wenn sie sich Freiheit — oder eine Illusion von Freiheit — verschaffen wollen.


Wir hatten in den Produktionsanlagen des Gefängnisses nur sehr wenig Freiraum, weil ein letztes Aufgebot an Häftlingen immer noch im Gefängnis verblieben war. Diese Häftlinge waren zu sehr langen Haftstrafen verurteilt worden und hatten davon noch nicht den erforderlichen Anteil verbüßt.

Aus Sicherheitsgründen haben wir also nicht im Gefängnis übernachtet. Wir schliefen in einem alten Tanzsaal in einem Landgasthof in der Nähe. Jeden Morgen wurden wir von dort auf großen Lastkraftwagen nach Waldheim gefahren. Jeden Morgen passierten wir schaudernd die Schleuse. Dahinter erwarteten uns erschreckende Zustände.

In einigen Räumen sah es so aus, wie man sich ein Zuchthaus der Kaiserzeit vorstellt. Hans Fallada hat diese Zustände in seinem Roman »Wer einmal aus dem Blechnapf frisst« beschrieben. Die Toiletten waren eigentlich Latrinen — ohne jeglichen Schutz der Privatsphäre. Die Waschräume waren sehr primitiv ausgestattet. In der ehemaligen Gefängniskirche befand sich eine kleine Turnhalle.


Wir waren Soldaten im Grundwehrdienst. Man konnte uns zwar befehlen, pünktlich zur Schicht anzutreten. Man konnte uns auch acht Stunden arbeiten lassen. Aber die Motivation fehlte. So hat man uns recht bald Sonderurlaub und Zulagen angeboten, wenn wir bestimmte Normen erfüllten. Natürlich war der Urlaub für die meisten von uns der einzig wirksame Anreiz.

Ich wollte zum Weihnachtsfest 1987 unbedingt meine damalige Freundin (und heutige Frau) sehen. Aber in der DDR-Armee hatte man nur Anspruch auf je einen Urlaub und einen Kurzurlaub pro Halbjahr. Insgesamt sind das wohl sechs Werktage und zwei Wochenenden gewesen. Durch Schikanen der Vorgesetzten konnte es geschehen, dass man mehrere Monate nicht nach Hause kam.


Also haben wir die Maschinen rotieren lassen. Wir waren sehr schnell eingearbeitet. Wir haben fast jede Woche einen neuen Rekord aufgestellt. Und dann haben wir die Fachkräfte eines Tages gefragt, was denn die Gefangenen so für Leistungen gebracht haben.

Die Ausbilder und Facharbeiter wollten keinen direkten Vergleich anstellen. Aber sie haben uns gesagt, dass wir die Leistungen der besten Häftlinge nie erreichen würden. Soweit ich mich an die Aussagen erinnern kann, gab es dort auch für die Häftlinge eine Art Anreizsystem. Es waren die Anreize, die im Gefängnis eines totalitär-repressiven Staates wirksam sein mussten: etwas besseres Essen, Tabak oder — interessantere Arbeit.

Nun war uns klar, warum die verbliebenen Häftlinge immer so müde aussahen, wenn sie einige Meter entfernt an uns vorbeitrotteten und doch unerreichbar waren. Wer würde unter Haftbedingungen nicht alles daransetzen, sich einen kleinen Vorteil oder Freiraum zu erarbeiten?

Man darf nicht vergessen: Die Anreize für kleine Vorteile und Freiräume, die man sich im Knast durch fleißige Arbeit verschaffen konnte, waren auf die Verhältnisse in den Gefängnissen des Staates DDR zugeschnitten — und nicht auf die Verhältnisse in den Gefängnissen eines Rechtsstaats.


Ähnlich war es ja auch in der Nationalen Volksarmee der DDR: Ein Soldat in der Bundeswehr hätte sich nicht mit der Aussicht auf ein paar Tage Weihnachtsurlaub zu hohen Leistungen an der Drehmaschine motivieren lassen. Er hätte seinen Weihnachtsurlaub als selbstverständlich hingenommen — widrigenfalls hätte er ihn eingeklagt …


Die meisten Häftlinge im Waldheim der 1980er Jahre haben (nach den Erzählungen der Zivilbeschäftigten) eine Strafe für eine wirklich schwere Straftat verbüßt: Mord, Vergewaltigung, schwerste Körperverletzung. Oft waren es Mehrfachtäter. Für solche Delikte wurde man auch im Westen zu langen Haftstrafen verurteilt.

Jeder Häftling leidet unter dem Freiheitsentzug — ob im Rechtsstaat oder in einem Staat ohne wirksame Rechtsmittel. Die Häftlinge in der DDR haben unter ihren Haftbedingungen vermutlich mehr gelitten als die Häftlinge in der BRD. Nach der Wiedervereinigung bekamen bestimmte Gruppen von Häftlingen Entschädigungen für inhumane Verhältnisse im Strafvollzug.

Sollte sich herausstellen, dass die DDR ihre [nicht politischen] Häftlinge ausgebeutet hat, müsste geprüft werden, ob der Rechtsnachfolger Bundesrepublik Deutschland in die Verantwortung genommen werden kann. Denn der Rechtsvorgänger DDR hat ja schließlich die Möbel bei IKEA in Rechnung gestellt und Geld dafür bekommen.

Für die Verhältnisse in Waldheim und anderen Gefängnissen kann nach meinem Verständnis nur die DDR verantwortlich gemacht werden — und nicht IKEA oder andere Unternehmen. Aber wenn eines Tages eine Entschädigung fließen sollte, müsste man im Grunde noch einen Schritt weiterdenken: An die Opfer der damals verurteilten Straftäter, die möglicherweise heute auch noch leben. Oder haben diese Opfer gar keine Rechte?


17 Responses to Ein Ogasnök aus Waldheim?

  1. Dank für diesen Artikel, ich habe ihn mit großem Interesse gelesen. Mich schaudert bei dieser Beschreibung, und der Satz über die Psychiatrie berührt mich mehr als manche allgemeine Abhandlungen zu dem Thema.

    • stefanolix sagt:

      Ich habe lange gegrübelt, wie ich die wenigen Schreie beschreiben soll, die wir damals mitbekommen haben, es ist ja vor etwa 25 Jahren gewesen. Es klang wie aus einer anderen Welt. — Es klang nicht so, als ob da jemand geschlagen oder bedroht worden wäre. Das hätte man in der DDR sicher nicht in die Öffentlichkeit dringen lassen. Vielleicht wurden morgens, wenn wir zur Schicht kamen, die Zellen gelüftet?

  2. Christian sagt:

    Interessant, wie die wirtschaftlich, sozial und politisch ach so fortschrittliche sozialistische DDR drauf angewiesen war, Billiglohnland für den Westen zu spielen, egal ob nun IKEA-Möbel, VW-Golf-Verkabelung oder viele, viele andere Dinge. Man lese nur mal „Der Erste“ von Landolf Scherzer, über den Kreissekretär der SED in Bad Salzungen – jedes zweite Wort in den Betrieben ist dort „Valutamark“ und „Export“. Mich packt die Wut, wenn ich dran denke, wielange der Westen den Osten alimentiert hat

    • stefanolix sagt:

      Diese Seite der DDR-Wirtschaft war ja Ende der 1980er Jahre kaum noch zu verbergen. Ich war zur Wende 22 Jahre alt und hatte damals schon von vielen Seiten etwas darüber erfahren.

      Hat man die DDR alimentiert? In den genannten Fällen hat man sie wohl eher als Billiglohnland gesehen — vielleicht auch unter dem Vorwand des Prinzips Wandel durch Annäherung und Handel.

      Man muss es mal ganz genau vergleichen: In anderen Ländern wird in den Gefängnissen auch gearbeitet. Soweit ich weiß, bekommen die Gefangenen dafür nirgends einen Lohn ausgezahlt wie normale Beschäftigte. Es werden jede Menge Kosten und auch Entschädigungen für die Opfer vom Lohn abgezogen.

      Ich würde politischen Gefangenen und Opfern von Justizirrtümern eine Sonderrolle einräumen. Sofern für sie noch nicht genügend getan wurde, sollte ihnen der Staat nachträglich Rentenansprüche und Nachzahlungen zuerkennen.

      Aber Gefangene, die unstrittig wegen schwerer Straftaten im Gefängnis gesessen haben, müssen auch an der Wiedergutmachung des gesellschaftlichen Schadens und an der Wiedergutmachung gegenüber den Opfern beteiligt werden. Dabei ist es gerechtfertigt, wenn die Arbeitsleistung dafür herangezogen wird.

      Wie ich am Ende meines Artikels geschrieben habe: Es sollte viel intensiver darüber nachgedacht werden, wie man noch etwas für die Opfer oder deren Hinterbliebene tun kann.

    • petermacheli sagt:

      Alimentieren: Macht der jetzige Westen, zu dem wir mit gehören, mit China usw. immer noch so. Eins hat nämlich immer gestimmt: Wenn es Profit bringt, gehen viele Menschen ziemlich weit, manche über Leichen.

      • stefanolix sagt:

        Ich weiß nicht, in welchem Sinne Ihr beiden das Wort »alimentieren« verwendet. Eigentlich beinhaltet der Begriff keine Gegenleistung des Empfängers der »Alimente«.

        Es ist selbstverständlich wichtig, mit wem man Handel treibt und mit wem nicht. Denn durch den Handel erhält man ja sich und seinen Handelspartner quasi auch am Leben.

        Aber es ist ein Unterschied, ob man ein Unrechtsregime alimentiert oder ob man mit ihm Handel treibt. Durch Handel können sich Bedingungen verbessern. In China ist die Verbesserung noch lange nicht bei allen Menschen angekommen, es gibt schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen und es gibt in ländlichen Gebieten teilweise große Armut. Aber besser als unter Mao ist es auf jeden Fall geworden.

        Stellen wir uns China als isolierte maoistisch geführte Weltmacht mit Atomwaffen und mit der militärischen Stärke der ehemaligen Sowjetunion vor: Wäre dieser Zustand besser für die Chinesen als der Zustand des heutigen China?

  3. Christiane sagt:

    Ich danke Dir für den Artikel. Gerade durch Deinen Standpunkt als „Von-innen-gesehen-und-erlebt“, aber doch nicht Häftling ermöglichst Du einen einzigartigen Einblick.

    • stefanolix sagt:

      Aber eben auch nur so weit, wie man uns einblicken ließ. Und so weit, dass ich nachvollziehen kann, was ein in seiner Freiheit eingeschränkter Mensch für Leistungen bringt, um ganz kleine Vergünstigungen zu haben.

      Dabei waren wir als Soldaten ja maximal für einige Monate ohne Unterbrechung in der Kaserne gefangen und nach 18 Monaten war es schon vorbei.

      In der Zeitung stand heute, dass der Stasi-Beauftragte des Freistaats nun doch davon ausgeht, dass es in Waldheim bis Mitte der 1980er Jahre wohl politische Gefangene gegeben haben soll. Wenn man dem SPIEGEL-Artikel von damals glaubt, waren sie aber zu meiner Zeit (1987) jedenfalls nicht mehr dort gefangen.


      Das traurige Ende der ganzen Sache: Die Gefängnisse der DDR füllten sich bald wieder. Auch damals gab es Straftäter, die immer wieder rückfällig wurden …


      Wir hatten in der Berufsschule einen Lehrmeister, der als Schöffe tätig war (ja, das gab es in der DDR auch). Wir durften mal eine Verhandlung besuchen. Der obdachlose Angeklagte wollte unbedingt im Winter wieder in den Knast (wobei es in dem Fall natürlich nicht um Waldheim ging). So hat er in seiner Bewährungsfrist viele Bagatelldelikte begangen …


      .

  4. Christiane sagt:

    Oh, Winter und Knastwunsch kenne ich auch aus meiner Ausbildung, das ist jetzt kein DDR-Phänomen, aber für mich immer noch unglaublich: für ein Dach über dem Kopf freiwillig ins Gefängnis zu gehen…

    • stefanolix sagt:

      Zum Zeitpunkt des Besuchs im Gericht war ich ja auch in der Ausbildung. Das prägt schon, wenn man so etwas sieht.

      Es waren nur die echten Pädagogen, die uns hinter die Ideologie schauen ließen. Der Besuch im Gericht war ja nicht der einzige Aha-Effekt.

      Ein anderer Berufsschullehrer hat uns für ein Projekt losgeschickt, damit wir Bauschäden infolge Feuchtigkeit fotografieren (und die Ursachen herausfinden).

      Unser Klassenlehrer in der 10. Klasse hat uns über den Erzgebirgskamm geführt. Damals durfte man über Sozialismus und Umweltschutz nicht reden, aber der Anschauungsunterricht reichte. Wirklich.

      Vielleicht fehlen heute solche Lehrer …

  5. Christiane sagt:

    Ach, irgendwo gibt es sie sicherlich. Ich bin da optimistische für unsere Kinder (muss ich ja auch sein), dass es Lehrer gibt, die mit uns an einem Strang ziehen und den Kindern nicht nur Wissen, sondern auch Werte vermitteln…

    • stefanolix sagt:

      Wie viele Kinder hast Du schon in der Schule? ;-)

      Nein, ich meinte jetzt nicht unbedingt die Werte. Dafür sind wir als Eltern, als Verwandte und in anderen Beziehungen zuerst verantwortlich.

      Ich meinte zum einen die Fakten, die von der offiziellen Seite ausgeblendet werden und die ein Lehrer trotzdem vermittelt. Und zum anderen die Vorbildwirkung der Lehrer zum Hinterfragen und zum kritischen Denken.


      Damals in der DDR war die Verwüstung des Erzgebirgskamms durch den giftigen Niederschlag aus den Bruderstaaten ein Tabu in der Schule und in den Medien. Der Lehrer durfte das im Unterricht nicht erwähnen.

      Also hat er im Landheim eine Exkursion zum Thema »Pultscholle« veranstaltet. Das war ein Thema aus der Geographie und somit zulässig. Für Neugierige: http://de.wikipedia.org/wiki/Pultscholle


      Trotz scheinbar unbeschränkter Meinungsfreiheit gibt es heute wieder solche kritischen Themen. Ich will jetzt keine aufzählen. Aber für die Vermittlung dieser Themen brauchen wir Lehrer mit Fachwissen und innerer Grundhaltung.

  6. Christiane sagt:

    Da stimme ich Dir zu… die Große geht voraussichtlich ab 2014 in die Schule, wird nächste Woche 4… bis dahin ist in den Schulen alles (noch) besser! :-)

  7. Hendrik sagt:

    Mensch, stefanolix, jetzt hast Du das ganze Kopfkino wieder angeschaltet. Diese Zeit in jungen Jahren werde ich nie vergessen.

    Und kann ich auch heute noch nicht vergeben. Ca. 25 Jahre sind vergangen. So viele Jahre habe ich damals noch nicht gelebt. Trotzdem ist noch soviel Hass in mir. Und obwohl ich die Existenz einer linken Partei befürworte (wenn auch nicht teile), kann ich die „Die Linke“ aus persönlichen Erlebnissen nicht akzeptieren. Die Vergangenheit lebt in der Gegenwart.

    • stefanolix sagt:

      Als ich den Artikel schrieb, hatte ich ja die alte SPIEGEL-Ausgabe mit dem Bericht über die Amnestie gefunden. Beim Schreiben war mir noch etwas in den Sinn gekommen, das ich letztlich nicht in den Artikel übernommen habe, damit er nicht zu lang wird.


      Manche DDR-Bürger sind in den ganz düsteren Jahren für die Weitergabe einer SPIEGEL-Ausgabe ins Gefängnis gekommen. Diese ganz düsteren Jahre habe ich selbst nicht erlebt.

      Später konnte man für dieses verabscheuungswürdige und staatsfeindliche Delikt seinen Studienplatz oder seine Lehrstelle verlieren. Dazu noch eine kleine Anekdote aus dem Jahr 1988(!).

      Damals hat die SED an meinem Studienort Weimar dafür gesorgt, dass drei Studenten wegen eines simplen Flugblatts für die sowjetische Perestroika-Zeitschrift »Sputnik« (ein Digest der sowjetischen Presse) von der Hochschule verwiesen wurden. Da war es also noch nicht mal der SPIEGEL, sondern eine ungeliebte Zeitschrift aus dem »Bruderland«.


      Und dann hatte ich im ursprünglichen Artikel noch den Satz: Es muss zuweilen an diese Repressalien erinnert werden, damit die alten Ehrenbonzen aus der SED/PDS/Linkspartei nichts in Vergessenheit geraten lassen können …

  8. E-Haller sagt:

    Schwieriges Thema – aber guter Artikel!
    Nur soviel: auch heute wird in deutschen Gefängnissen gearbeitet. Jeder kann geeignete Tätigkeiten dorthin „auslagern“. Paar Angaben aus Wikipedia: „Der durchschnittliche Stundenverdienst eines Gefangenen lag 2005 bei ungefähr 1,35 €.“ und „Über einen Teil seines Lohnes (3/7 in Deutschland, das sog. Hausgeld) kann der Gefangene frei verfügen, 4/7 (Überbrückungsgeld) dienen als Rücklage für die Zeit nach der Entlassung“.

    Es ist also kein Alleinstellungsmerkmal der DDR gewesen – es wird und wurde sogar als pädagogisch und sozial wertvoll angesehen, arbeiten zu lassen (mehr dazu auch hier: http://bit.ly/J9qZAb )

    Nun hat IKEA im Speziellen das Problem, dass in einem Gefängnis gefertigt wurde, in dem AUCH politische Gefangene saßen. Und es damit einen unangenehmen Beigeschmack bekommt. Zufall, dass dieses Unternehmen sehr viel Geld hat?

    • stefanolix sagt:

      Es ist ja auch prinzipiell sinnvoll, im Gefängnis zu arbeiten. Die Unternehmen bekommen die Arbeit ganz bestimmt nicht für 1.35 Euro. Die werden vermutlich den vollen Tariflohn an den Staat oder an ein staatliches Unternehmen überweisen.

      Ich würde gern mal eine Kalkulation sehen, wie dieser Lohn zustande kommt. Vermutlich werden vorher Kosten (anteilig) abgezogen, die der Gefangene verursacht. Die wirklichen Kosten wird er wohl nie erarbeiten können.

      Solche Kosten fielen aber in der DDR auch an. Wenn man die politischen Gefangenen und einige wenige Grenzfälle ausnimmt, finde ich es nicht unangemessen, dass Gefangene an diesen Kosten beteiligt werden.

      Politische Gefangene wurden aber nach der Wende eigentlich entschädigt. Man müsste genauer recherchieren, in welchem Maße und für welches Unrecht sie konkret entschädigt wurden. Solange es keine wirklich neuen Informationen gibt, sehe ich ausschließlich die DDR-Führung in der Verantwortung und nicht IKEA.

      Ja, aus dieser Sache lassen sich ziemlich heftige Schadensersatzsummen herleiten — verzinst über 25 Jahre. Ich habe nicht die Illusion, dass man diese Frage vor Gericht befriedigend lösen kann.

Hinterlasse eine Antwort zu Christiane Antwort abbrechen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..