Unter Beobachtung im ehemaligen Stasi-Knast

Gestern nacht hat hier ein Kommentator auf die Aktion eines ehemaligen Häftlings und einer Künstlerin hingewiesen: zwanzig Jahre nach der friedlichen Revolution will Carl-Wolfgang Holzapfel die Haft im Stasi-Knast nachstellen und Franziska Vu will die Aktion fotografieren.

Im Jahr 2009 wird der Insasse der Zelle nicht durch Stasi-Wärter beobachtet, sondern durch eine Webcam. Jeder kann sich die Bilder auf den Schirm holen. Ich habe den direkten Link gestern entfernt, weil er direkt auf einen schlafenden Menschen verwies und weil ich es nicht richtig finde, Menschen live beim Schlafen zu beobachten.

Die Sächsische Zeitung berichtet heute über die nicht unumstrittene Aktion. Dort gibt es auch Links zu Fotos und zu der Live-Webcam (so steht es zumindest in der gedruckten Ausgabe). Die SZ erwähnt aber online nur die Adresse, ohne die Seite direkt zu verlinken.

Umstritten ist das Projekt nicht nur wegen der Big-Brother-Überwachung, in die sich der ehemalige Häftling freiwillig begeben hat. Carl-Wolfgang Holzapfel wurde 1964 nach einer Demonstration für die Freilassung politischer Gefangener verhaftet, zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt und nach 13 Monaten freigekauft. Er lebte dann in der BRD und war zeitweise Mitglied der Republikaner.

Auch mit der Vergangenheit als Republikaner hat er das Recht, sich zu politischen Fragen zu äußern. Es haben sich einige bekannte deutsche Politiker aus extremistischen Gruppen gelöst und in demokratischen Parteien Karriere gemacht. Der Mensch kann sein ganzes Leben lang umdenken und neue Wege beschreiten. So muss es grundsätzlich möglich sein, dass ein ehemaliges Mitglied der Republikaner eine solche Aktion durchführt.

Auf einem anderen Blatt steht die Frage: dient es der Sache? Auf der einen Seite wird an das Unrecht in der DDR erinnert. Auf der anderen Seite wird die Angelegenheit im politischen Kampf instrumentalisiert und es wird vom eigentlichen Anliegen abgelehnt. Ich denke, dass man die Aktion in ein Fotoprojekt umwandeln sollte. Die Live-Kamera kann mir im Jahr 2009 keine neuen Erkenntnisse mehr verschaffen.

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One Response to Unter Beobachtung im ehemaligen Stasi-Knast

  1. Elbnymphe sagt:

    Da die Aktion noch nicht stattgefunden hat, ist es schwer, sich über sie ein Urteil zu bilden. Dennoch, ein paar Gedanken:

    1. im Reden über ein geplantes Kunstprojekt werden vielleicht nicht alle Ebenen sichtbar, die das Kunstwerk selbst erzeugen könnte. Anders gesagt: Man kann z. B. die Mona Lisa beschrieben – „Das Brustbild einer lächelnden Frau“ – aber ist ihre Aura damit hinreichend erklärt?

    2. Kunstprojekte über Schlafende gab es schon; sie müssen weder einschläfernd, noch voyeuristisch sein. (Ein Beispiel ist das Video der britischen Künstlerin Sam Taylor-Wood, das David Beckham im Schlaf zeigt.)

    3. In der Kunst gibt es den Spruch: „gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht“. Ich sehe hier die Gefahr, daß ein an sich ehrenhaftes Anliegen mittels Kunst kommuniziert werden soll, dabei aber die Kunst ihrer Vielschichtigkeit und Kontroverse beraubt. Wenn von vornherein klar ist, daß das Kunstwerk nur Betroffenheit erzeugen soll, schalte ich innerlich eigentlich schon ab.

    4. Dennoch sehe ich mehr als eine Ebene, und die, die ich neben dem Erinnern noch sehe, scheint mir viel prägnanter als das eigentliche Erinnern. Da kehrt ein Mensch, dem Schlimmes widerfahren ist, an den Ort seiner Demütigung zurück. Was ich also sehe, ist nicht der Schlaf eines Häftlings, sondern der Schlaf eines Ex-Häftlings, der sich seinen Dämonen stellt. Das kann heroisch, voyeuristisch, berührend sein. Es geht aber um ein Subjekt des Jahres 2009, und nicht der 70er, 80er. Insofern ist es ein gebrochenes Erinnern.

    5. Da ich dieser Tage über ein Gedicht darauf gestoßen bin, möchte ich Walter Kempowskis Erinnerungen an seine Haft in Bautzen empfehlen, die 1969 unter dem Titel Im Block erschienen. Ich habe den Eindruck, als könnten sie mir mehr über stattliche Willkür, Entmenschlichung und Menschsein erzählen, als eine Kunstaktion, die im medialen Trubel bald vergessen sein könnte.

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