Freie Meinung? Nur mit Nummer!

Die Verwaltung der Stadt Dresden hat an 10.000 Bürger einen Fragebogen mit einer Kommunalen Bürgerumfrage versandt. Der Fragebogen

besteht jeweils aus 16 Seiten mit 74 Fragen (Bogen A) und 73 Fragen (Bogen B). Der Aufwand für das Ausfüllen wird mit 45 bis 60 Minuten eingeschätzt.

In den Fragebögen geht es beispielsweise um Wohnverhältnisse und Umzugsvorhaben, um die Bewertung der Sicherheit, der Bildungsangebote, der Kulturangebote und des öffentlichen Personennahverkehrs. Die Stadt hat in ihren Pressemitteilungen auch verkündet, dass alle Fragebögen anonymisiert ausgewertet werden sollen.

Erst die Kenntnis der Wünsche und Einschätzungen der Dresdner Bürgerinnen und Bürger ermöglicht eine bürgernahe Arbeit der Stadtverwaltung.

Prima Idee. Doch aus der Presse konnte man heute erfahren, dass erst wenige Fragebögen zurückgegeben wurden. Die Sache hat nämlich einen Haken: alle Fragebögen sind mit einer eindeutigen Identifikationsnummer versehen und bei der Stadtverwaltung existiert eine Datenbank, in der Adresse und Nummer gespeichert sind.

Auf diese Weise kann jeder Fragebogen eindeutig einem Haushalt zugeordnet werden. Und außerdem kann die Stadt eindeutig dokumentieren, wer an der Umfrage nicht teilgenommen hat. Das ist Absicht. Man wolle auf diese Weise Portokosten sparen, wenn man die »säumigen« Empfänger in einem zweiten Schreiben an die Abgabe erinnert. Der zuständige Mitarbeiter wird heute in der DNN zitiert:

Diese Nummer brauchen wir für die automatische Erfassung der einzelnen Blätter. (…) Sobald ein ausgefüllter Fragebogen bei uns eintrifft, löschen wir umgehend die entsprechende Adresse aus unseren Computern.

Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich einen Fragebogen mit eindeutiger Identifikationsnummer auch nicht zurücksenden würde. Darauf stehen differenziertere Antworten als auf einem Wahlzettel. Wenn die Stadt Dresden insgesamt 30.000 Euro für die Kosten der Umfrage veranschlagt, dann ist der einzusparende Betrag im Vergleich zum Vertrauensverlust einfach lächerlich. Die Portokosten für solche Massendrucksendungen kann man im Vergleich mit den sonstigen Verwaltungskosten vernachlässigen.

Jeder angehende Fachwirt, Meister oder Betriebswirt lernt, dass man zuerst Kosten bei den Ausgaben spart, die einen hohen Anteil an der Gesamtsumme haben. Da lohnt sich der Aufwand am meisten. Ich denke dabei beispielsweise an die bisher ergebnislosen Planungsvorgänge für eine einzige Dresdner Straße, die nach Pressemeldungen insgesamt eine Million Euro gekostet haben …


Quelle der Meldung zu den Fragebögen: Lokalteil der DNN vom 16.09.2010.


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20 Responses to Freie Meinung? Nur mit Nummer!

  1. AntonLauner sagt:

    Mir erscheint die angestrebte Rücklaufquote von 40 bis 50 Prozent (lt. DNN) ohnehin ziemlich hoch.

    • stefanolix sagt:

      Bei einer wirklich anonym durchgeführten Umfrage würde ich 20 bis 25 Prozent Rücklaufquote annehmen.

      • Jane sagt:

        Also an sich hätte ich bei der Umfrage gerne mitgemacht. Aber mit der Pseudo-Anonymität hab auch ich so meine Probleme.

      • stefanolix sagt:

        Man könnte ja die Nummern abdecken, die Bögen kopieren, die kopierten Bögen ausfüllen und dann die Umfrage anonym einsenden ;-)

      • Jane sagt:

        Ich denke mal, gegen diese Möglichkeit wird die Behörde entsprechend gewappnet sein ;)
        Es wäre interessant, mal herauszufinden, wie hoch die Quote der als „ungültig“ qualifizierten eingesandten Bögen gewesen ist.

      • stefanolix sagt:

        Nach der (für die Öffentlichkeitsarbeit des Rathauses) verheerenden Meldung in der »DNN« wird man zu diesem Thema wohl kaum noch etwas hören.

  2. Antifa sagt:

    Da ist sie wieder, die Datenkrake.

    • stefanolix sagt:

      Ich will ja nicht immer Verschwörung unterstellen, wo Inkompetenz als Erklärung ausreichen könnte ;-)

      Es gibt einfach so viele gute Gründe für eine sichere anonyme Abwicklung des Verfahrens, dass das »Porto«-Argument dagegen einfach lächerlich ist.

    • Micha W. sagt:

      Hallo Antifa,
      kurze Frage: willst du staatliche Transparenz, also, dass der Staat, seine Strukturen und Handlungen transparenter werden?
      Danke im Voraus für deine Antwort
      Micha.

      • stefanolix sagt:

        Was hilft mir ein transparenter Datenkrake? ;-)

      • Micha W. sagt:

        Datenkrake mal hin oder her …

        Es geht den einen um die Daten, den anderen um die Angst. Auf allen Seiten (Staat, Wirtschaft, Bevölkerung) gibt’s da Befürworter und Gegner.

        Mir geht’s so, dass ich gewisse Teile meines Verhaltens ändere, wenn ich merke, dass mir etwas missfällt beim „Datenwahn“. Gesetze würden in den meisten Fällen nichts bringen, Datensicherheit existiert für mich nicht. Jeder Hacker weiß das, auch wenn ich keine Ahnung davon habe.

        Insofern finde ich es eher spannend, was sich wie verändern, inklusive meiner selbst.
        Ich habe auch weniger Angst als früher würde ich meinen, einfach weil ich gesehen habe, dass wenn dir wirklich jemand was weniger Nettes tun will, dann geht das meist ganz ohne Daten etc. … Mobbing etc. läuft meist viel simpler ab.
        Und was Firmen anbetrifft, so falle ich sowieso aus den meisten Kundenclustern raus … und das habe ich zu einem Großteil gerade der Datensammelwut (indirekt) zu verdanken ;)
        Und bei einer Frage nach einer PayBack-Karte beim dm-Markt, sage ich auch jedes Mal, dass ich daran kein Interesse habe, auch weil ich nicht weiß, wofür meine Daten verwendet werden. Da gibt’s einen Blick zwischen „Hmm, schon häufiger gehört“ und „ja, ich will das ja auch nicht fragen, doch die Geschäftsleitung …“ und dann geht das Leben weiter.

        Alles in allem spielen m.E. viele Überwachungsfanatiker durch ihre Radikalität gerade der Angstmaschinerie in die Hände. Plumpe Angstmache halte ich genauso für sinnlos und irreführend wie ein „geht-mich-alles-nichts-an“, wobei mir letztere Einstellung fast noch lieber ist – offen gestandne.

  3. Jane sagt:

    Hehe, ja, als das neulich auf der Redaktionskonferenz auf den Tisch kam, hatten einige schon einen Sturm der Entrüstung befürchtet ;)

  4. Muyserin sagt:

    Bei 30.000 € Kosten hätte eine kurze Konsultation mit einem Statistiker oder Datenschutzexperten (wer auch immer so etwas beruflich macht) zur Bewertung der Aktion doch sicher irgendetwas von 300 bis 1000 € gekostet. Das war wohl nicht drin.

    • stefanolix sagt:

      Es wäre natürlich wünschenswert, wenn sie auf externe Sachverständige hören würden. Aber eigentlich ist das doch ein Kommunikationsproblem.

      In der Stadtverwaltung mangelt es wahrscheinlich nicht an Statistikern. Einen Datenschutzbeauftragten hat die Stadt auch. Entweder reden die nicht miteinander oder sie verstehen einander nicht. Das ist Politik nach dem Vorbild der Schildbürger (und vielleicht tut man den Schildbürgern mit diesem Vergleich sogar Unrecht).

      • Micha W. sagt:

        {Zitat Stefan]“Entweder reden die nicht miteinander oder sie verstehen einander nicht.“

        Im Zweifelsfall meist beides ;)

        „Schildbürgertum“ kam mir auch als erstes in den Sinn, als ich das las.
        Prinzipiell ist auch gegen eine Erfassung der Personen nichts einzuwenden, nur sollte man das dann klar angeben.

        Vermutlich dürften diejenigen, die an dieser Umfrage teilgenommen haben und eigentlich anonym bleiben wollten, ihre letzte „anonyme Umfrage“ für die Stadt Dresden ausgefüllt haben ;)

        Ansonsten sind persönliche Gespräche eh besser als Umfragen. Das dauert vielleicht länger, doch andererseits auch wiederum nicht. Meinetwegen kann die Stadt Dresden da 20 Ein-Euro-Jobber mit beauftragen (mit Eignungstest würde ich vorschlagen). Die bekommen dann ein Mitschnittgerät mit und einen Mitarbeiter vom Dresden Fernsehen oder coloRadio (ja, klingt nach Witz, doch ich meine, das wirklich so … mal abgesehen von meiner persönlichen Meinung), der ihnen den Umgang mit dem Gerät zeigt und etwas Know-How mitgibt und dann kann man Gespräche sammeln, einfach fragen „Was wünsche Sie sich von der Dresdner Stadtverwaltung?“
        Da kann man dann gern auch Fernseh- und/oder Radiosendungen draus machen; wäre noch ein Nutzen mehr.

        Umfragen habe mitunter den Nachteil, dass sie nicht offen sind, sprich der Antworter bewegt sich auch nur im Rahmen der Auswahlmöglichkeiten. Neues kommt dabei meist nicht rum, sondern nur Probleme mit dem Ist-Zustand.
        Eine ARGE-Mitarbeiterin verwies mich mal auf einen anderen kuriosen Umstand. Wenn z.B. Deutschlandrussen eine Frage mit Notenangabe von 1 bis 5 beantworten sollen, sind – aufgrund des russischen Schulnotensystems (5 beste, 1 schlechteste) – Fehler nicht auszuschließen und auch gar nicht zu erkennen.
        Hmm, naja, okay, der „anonyme Erkennungsdienst“ der Stadt Dresden weiß sich da sicher zu helfen. Im Zweifelsfall rufen die an und fragen nochmals nach ;)

        Die angegebenen 30.000 Euro Kosten halte ich für zu gering. Das sieht eher danach aus, dass da die Fragebogenerstellung und die Auswertung noch nicht vollständig mit inbegriffen sind. Ich kann mich allerdings auch täuschen, gut möglich.

      • stefanolix sagt:

        Prinzipiell ist gegen eine Erfassung der Personen sehr viel einzuwenden. Oder wäre es Dir wirklich recht, wenn man Dir bestimmte Meinungen (vielleicht gar Wahlentscheidungen?) verbindlich zuordnen könnte?

        Freie Interviews sind IMHO bei einer Bürgerumfrage nicht zielführend. Man muss schon mit einem standardisierten Fragebogen arbeiten. Aber den muss dann auch nicht unbedingt jemand vorlesen ;-)

        Die Stadtverwaltung will ja offensichtlich etwas über die Probleme erfahren, die wir Bürger mit dem Ist-Zustand haben. Oder anders gesagt: sie tut so ;-)

      • Micha W. sagt:

        Bestimmte Meinungen kann man mir gern zuordnen, ich habe damit kein Problem mit … wer sich kommunikativ etwas umgeschaut hat, wird erfahren haben, dass 50-90% der Kommunikation sowieso aus Missverständnissen verstehen. Die Sprachwelt von Person A passt nicht immer mit jener von Person B.

        Insofern bin ich dazu übergegangen sowieso keine „Multiple-choice“-Fragebögen zu beantworten, es sei den ich „muss“ ;) … Ämter, Prüfungen, etc. etc.

        Multiple-Choice setzen dich entweder in die Gedankenwelt des Fragebogen-Ersztellers und lassen keine Freiräume oder du tendierst ab einer gewissen Zeit sowieso immer zu „Mittleren Antwort“ … und weil man „auch mal etwas Anerkennung zeigen“ möchte, macht man’s dann meist wie Lehrer wahrscheinlich „naja, ist schon gut, obwohl ich … naja … hmm, aber damit es richtig gut usw. usf. … also, gibt’s ne 2“
        Ich persönlich kann mit solchen Näherungen nicht anfangen.

        @ Thema „Stadtverwaltung“
        Ich glaube schon, dass die Verwaltung ein Interesse daran hat, dass sich etwas verbessert. Doch – wie häufig – kommt man dann bei den Umfragen und bei der evtl. Durchführung an Grenzen.
        Zudem kann man eine erfolgreiche Umfrage auch als Werbung nutzen … also dahinter stecken sicherlich viele Gründe.

        Andererseits ist es eine Umfrage, kein Bürgerbegehren. Insofern ist dein, „sie -die Stadtverw.“ – tut so als ob sie etwas über die Probleme der Bürger erfahren möchte, nicht unwahrscheinlich. Doch ich denke, dass die Absicht schon da ist, auch wenn man vorher schon ahnt oder gar weiß, dass der Hauptteil der Arbeit die Problemerfassung bleiben wird.

    • stefanolix sagt:

      Danke, dieser Dilbert ist (wie viele andere) sehr treffend. Ich habe in der ganzen Diskussion nur noch auf den Spruch gewartet: »Wer nichts zu verbergen hat, der kann doch den Fragebogen selbst mit seinem Namen versehen« ;-)

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