Aufmerksames Zeitunglesen lohnt sich: Die britische Frau kauft sich im Durchschnitt 24 Paar Schuhe im Jahr und geht in diesem Zeitraum 598 Stunden zum Shopping. Noch eine dritte Zahl: Sie gibt für Garderobe 1.000 Pfund im Jahr aus.
Auch wenn mir die Zahlen auf den ersten Blick merkwürdig vorkommen: sie werden von dpa aus einer Studie zitiert und dpa muss es ja schließlich wissen. Aber woher kommt diese Meldung? — Die Organisatoren einer Modemesse haben 3.000 britische Frauen befragt. Eine britische Boulevardzeitung schreibt dazu:
The poll of 3,000 women from around the country revealed that we spend 598 hours tracking down the latest clothes, shoes and must-have handbags – a figure that amounts to 37 days of the year. […]
‚Over their lifetime women spend the same amount of time shopping as they do at secondary school. ‚Women absolutely love to shop and spend over £1,000 a year on clothes, shoes and accessories.‘ (Quelle)
Leider kann ich die Studie nirgends im Original finden. Doch 3.000 Frauen: das klingt ja erst mal nach einer sehr guten Datenbasis. Wenn man in Deutschland 1.000 Wählerinnen und Wähler befragt, bekommt man ja auch ein ziemlich genaues Meinungsbild.
Trotzdem stimmen mich die Zahlen misstrauisch. 24 Paar Schuhe, 598 Stunden und insgesamt nur etwa 1.000 Pfund für Garderobe scheinen nicht so recht zusammenzupassen. Die britischen Frauen geben nur etwas mehr als anderthalb Pfund pro Stunde aus? Schwer vorstellbar. Und entweder sind die Schuhe ziemlich billiger Ramsch oder die Autoren der Studie haben eine Null vergessen ;-)
Wo ist der Haken? Aller Wahrscheinlichkeit nach ist die Umfrage nicht repräsentativ. Man erhält immer derart verzerrte Werte, wenn die Stichprobe vorsortiert ist. Vermutlich wurden die Leserinnen der Modezeitschriften oder die Käuferinnen in Modeboutiquen oder die Teilnehmerinnen eines Gewinnspiels befragt. Die verbringen natürlich viele Stunden beim Shopping und brauchen viele Schuhe. Und vermutlich wurden einige Unfragezahlen auch noch falsch ausgewertet oder veröffentlicht — anders können die 1.000 Pfund kaum zustandegekommen sein.
Aber diese Gedanken muss ich mir nicht als Leser machen. Diese Gedanken sollten sich JOURNALISTEN machen. Da wird in der deutschen Presse von Focus bis Stern und vom Weserkurier bis zur Sächsischen Zeitung noch nicht mal ansatzweise nachgefragt, ob diese Stichprobe vielleicht vorsortiert gewesen sein könnte und ob die Zahlen so stimmen können. Eine Google-Suche zeigt, wie deprimierend oft diese Meldung in der deutschen Presse ohne Hinterfragen kopiert wurde.
Von dem dutzendfach kopierten Foto eines guten Schuhs an einem schönen Fuß will ich gar nicht reden. Und von der abgedroschenen Metapher »auf großem Fuß leben« auch nicht.
In den Online-Ausgaben der englischsprachigen Presse scheint die Meldung viel weniger stark verbreitet als in den deutschen Zeitungen. Vielleicht haben sie im Vereinigten Königreich die besseren Bullshit-Detektoren?
Diese Meldung ist so billig wie ein Paar Schuhe aus dem hinterletzten Wühltisch. Aber für die Zeitungen, die mit diesem Ramsch gefüllt werden, bezahlen wir Geld. Und wir wundern uns vielleicht viel zu selten, wenn wir falsche Zahlen vorgesetzt bekommen … Beim Thema Shopping schmunzeln wir — aber sind denn die Zahlen zu Bildung, Migration oder Gesundheit besser?
Ergänzung: Hier ist der Artikel direkt verlinkt, so wie er in DNN und LVZ stand.