Posse um den Namen der Waldschlößchenbrücke

27. September 2011

Bei der Frau Muyserin habe ich gerade einen Beitrag gefunden, in dem die Namensgebung der Waldschlößchenbrücke aus sprachlicher Sicht betrachtet wird. Hier soll es um das Zustandekommen dieser merkwürdigen Befragung gehen.

Kungelei? Die Sächsische Zeitung hat sich mit dem Baubürgermeister Marx zusammengetan, um die Bürger nach ihrer Meinung zum Namen der neuen Brücke in der Nähe des Waldschlößchens zu fragen. Vermutlich sollte damit von Pleiten, Pech und Planungsfehlern beim Bau der Brücke abgelenkt werden. Die Bürger interessiert nicht, wie die Brücke mal heißen könnte. Die Bürger interessiert, wann sie fertig ist und wie sie an das Straßennetz angebunden sein wird. Diese Befragung der Leser war eigentlich eine Veralberung der Öffentlichkeit.

Irrelevanz? Bei der Konzeption der Umfrage wurde künstlich ein Bedarf geschaffen, den es gar nicht gibt. Es wurde erstens unterstellt, dass ein neuer Name gebraucht wird. Aber die Brücke hat ihren Namen längst. Es wurde zweitens unterstellt, dass die Umfrage irgendeine Relevanz für die Namensgebung haben könnte. Und es wurde drittens unterstellt, dass man diesen Namen ausgerechnet bei einer Abstimmung im Internet finden könnte.

Unbedarftheit? Solche Internet-Abstimmungen sind leicht manipulierbar. Man sieht es daran, dass vermutlich eine Gruppe von sehr humorvollen Leuten so oft auf die absurde Bezeichnung »Storch-Heinar-Brücke« geklickt hat, bis dieser Vorschlag vorn mit dabei war. Ich finde den Ansatz der Aktion »Storch Heinar« sehr interessant: die Ideologie des Rechtsextremismus wird wunderbar ins Lächerliche gezogen und Lachen kann bei vielen Problemen helfen. Aber mit der neuen Dresdner Brücke hat das nichts zu tun. Über dieses Trauerspiel kann keiner mehr lachen.


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Es herbstet …

27. September 2011

Distel (25.09.2011).


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Flasche!

26. September 2011

Flaschenkürbis (25.09.2011, Botanischer Garten Dresden).


Die gebackene Version

24. September 2011

des Bibelzitats »Ihr seid das Salz der Erde …«, gefunden im Leipziger Hauptbahnhof auf dem Tresen einer Fischrestaurant-Kette.

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Backwerk im Hauptbahnhof in Leipzig (23.09.2011).


Reaktionen auf den Papstbesuch

23. September 2011

Ich will in diesem Artikel überhaupt nicht auf die großen Themen des Papstbesuchs eingehen. Ich habe heute mehrere Reaktionen in der Öffentlichkeit wahrgenommen, die mich einigermaßen erstaunten, um nicht zu sagen: ratlos und schockiert zurückließen.

Ich steige auf einem großen Bahnhof aus dem ICE aus, gegenüber steht der ICE nach München. Ein Mann und eine Frau, vermutlich Kollegen, unterhalten sich über die Verbindung nach München. Sie hat vorher intensiv die BILD studiert …

Er (im normalen Ton): »Sieht sehr voll aus.«
Sie (laut): »Wahrscheinlich Pilger, die zum Papst wollen. Alles Idioten!«

Das trifft mich völlig unvorbereitet. Es bestand ja erstens gar kein Grund zu der Annahme, dass der Zug voller Katholiken auf dem Weg nach Erfurt oder ins Eichfeld sein könnte. Es bestand noch viel weniger Grund zu der Annahme, dass sich diese Menschen idiotisch verhalten würden.

Ich fahre ein Stück mit der Straßenbahn. Ich lese dabei in der F.A.Z. einen Artikel über den Besuch des Papstes. Der Artikel ist mit einem Bild illustriert. Hinter mir sieht ein Mann das Bild und ruft unvermittelt, so dass es wirklich jeder hören kann: »Schon wieder der Papst! Idiot!« (und Schlimmeres).

Ich treffe einen flüchtigen Bekannten aus der Läufer-Szene. Er sieht meine gefaltete Zeitung: »Was liest’n du für’n Mist?«

In Zettels Diskussionsforum werden grauenhaft schlechte Zeitungsartikel verlinkt, aus denen Unwissenheit und Verständnislosigkeit sprechen.

Was soll man dazu sagen? Wo bleibt der Respekt vor dem Gast und vor dem Glauben anderer Menschen?



Architekturmodelle und Entwürfe in Hellerau

21. September 2011

Inspiriert durch einen Artikel von Kathrin Muysers habe ich heute die Gelegenheit genutzt und noch einige Fotos aus der Ausstellung »Material Time« in der großen Halle der Deutschen Werkstätten Hellerau mitgebracht. Über Kathrins Artikel steht »Bauen für die Zukunft«. Die Ausstellung ist nach ihrem Namen, ihrem Thema und ihrem Bezug zum Raum sehr gut dort untergebracht: In Hellerau wird nur mit bestem Material für die Zukunft gebaut.

Bilder aus der Ausstellung in Hellerau (21.09.2011).


Berlin in Graustufen

20. September 2011

Einige Bilder aus Berlin vor der Wahl (16.09.2011).


Großer Bahnhof

18. September 2011

Berlin-Hauptbahnhof (16.09.2011), Klick vergrößert.


Ringen um den Euro

18. September 2011

Geliebt, gehasst, beschädigt: Euros im Zweikampf …



Inspizieren und Aufräumen am Freitagnachmittag

18. September 2011

Inspektion der Quadriga (16.09.2011).

Großes Aufräumen im Stadtviertel
für die Legislative und die Exekutive … (Klick vergrößert).


Eine Denksportaufgabe für die Sächsische Zeitung

17. September 2011

Die vierköpfige Familie Klein will im September 2011 auf das Auto verzichten. Nach der Berechnungsformel des »Stadtradelns« dürfen die Kleins dafür eine CO2-Einsparung von 4 x 144 Gramm pro Kilometer geltend machen. Das sind also 576 Gramm pro Kilometer. Das Auto möchte ich mal sehen.

Die vierköpfige Familie Meier hat gar kein Auto. Wie viele Gramm pro Kilometer dürfen Meiers als CO2-Einsparung geltend machen? Richtig: ebenfalls 576 Gramm pro Kilometer.

Die vierköpfige Familie Schulze fährt nur Auto. In der Familie gibt es gar keine Fahrräder. Aus Jux tragen sie sich als »Team S« beim Stadtradeln ein und denken sich ein paar schöne Kilometerzahlen aus. Wie viele Gramm pro Kilometer dürfen Schulzes als CO2-Einsparung geltend machen? Richtig: ebenfalls 576 Gramm pro Kilometer.

Wenn Kleins und Meiers insgesamt nur 500 Kilometer ehrlich abrechnen, dann stehen in der CO2-Einsparungs-Bilanz der Stadt Dresden 864 Kilogramm CO2. Ohne jede physikalische, chemische und mathematische Grundlage. So geht das heutzutage. So kommt man in die Sächsische Zeitung.


Nach einem Bericht der Sächsischen Zeitung im Lokalteil Dresden (nicht online verfügbar) sollen wir nämlich all diese Zahlen ernst nehmen. Der Bericht erfüllt leider die schlimmsten Erwartungen aus meinem Artikel über den Unsinn des Stadtradelns: Die Phantasiezahlen zur CO2-Einsparung werden kritiklos und ohne jegliches Hinterfragen als Tatsachen beschrieben.


Nein, lieber Konrad Krause vom ADFC, solche Zahlen will ich mir als denkender Fahrradfahrer nicht gefallen lassen, nur weil sie mit Werbung für den Radverkehr verbunden ein könnten. Es gibt nichts Richtiges im Falschen.

Jeder Handwerker weiß es, jede Buchhalterin und jedes Milchmädchen: Wenn die Grundlagen nicht stimmen, ist die ganze Rechnung wertlos.

Ich will nicht, dass Steuergeld und Arbeit für nutzlose Zahlenspiele eingesetzt werden. Ich kann diese gedankenlos geschriebenen und abgedruckten Jubelmeldungen nicht mehr hören. Erstens ist das Papier dafür zu schade und zweitens hat diese Stadt ganz andere Probleme.


Ergänzung zum Weiterlesen: Ein sachlicher Artikel in der F.A.Z. befasst sich mit »unserem CO2«.



Live-Blogging

16. September 2011

Experiment: Der Bericht von einem Tag, der viel Arbeit, viele spontane Gedanken und einige Wartezeiten bringen wird. Es beginnt um 05.55 Uhr. Die ersten Bilder kommen vermutlich am frühen Abend.


Wartezeit. Gestern abend habe ich mich in der Diskussion im Blog »Flurfunk« an den Begriff »Gatekeeper« erinnert. Die Wikipedia erklärt:

Mit dem Terminus Gatekeeping soll die publizistische Wirkungsweise der Massenmedien bestimmt werden. Mit dem Aufkommen des Internet, insbesondere dessen kollaborativer Anwendungen wie Blogs, Online-Foren und -Netzwerken, ist die Gatekeeper-Funktion der Massenmedien jedoch in ihrer Wirkung zunehmend eingeschränkt. (Quelle)

Ich habe einen Artikel aus der DNN vom Montag neben dem Rechner liegen, der dieses Prinzip ganz gut illustriert. Dieter Wonka schreibt über die Grundsatzwerkstat der FDP in Leipzig. Darüber hätte es sehr viel zu berichten gegeben. Es gab wohl einen lebhaften demokratischen Streit, wie man in diesem Bericht aus der »ZEIT« nachlesen kann.

Dieter Wonka titelt: »FDP präsentiert sich als Unternehmerpartei« und geht in seinem Artikel fast ausschließlich auf eine einzige Passage des Entwurfs ein. Dort heißt es laut DNN:

Dem Ideal unseres Wirtschaftsbürgers entspricht der Unternehmer, der Verantwortung für den langfristigen Unternehmenswert und das Wohl von Mitarbeitern und Vertragspartnern übernimmt, aber auch der Verbraucher, der emanzipiert und bewusst konsumiert.

Dieser Satz liest sich sehr merkwürdig, wenn man ihn aus dem Zusammenhang entnimmt. Im Original steht folgender Text:

Wir wollen eine Wirtschaftsordnung der verantworteten Freiheit, die neue Akzeptanz gewinnt. Der Staat als Ordnungskraft muss Risiken durch Haftung und Marktmacht durch funktionierenden Wettbewerb begrenzen. Wirtschaftliche Anreize für Innovation und Effizienz schonen die natürlichen Lebensgrundlagen besser als grünliche Detailvorgaben. Dem Ideal unseres Wirtschaftsbürgers entspricht der Unternehmer, der Verantwortung für den langfristigen Unternehmenswert und das Wohl von Mitarbeitern und Vertragspartnern übernimmt, aber auch der Verbraucher, der emanzipiert und bewusst konsumiert.

Aus dem verkürzten Zitat kann man eine FDP als Unternehmerpartei ableiten. Aus dem Absatz im Zusammenhang ganz sicher nicht mehr.

[06.48 Uhr]


Beim Live-Blogging werde ich den Artikel inhaltlich nicht rückwirkend ändern, aber ich werde sicher an der einen oder anderen Stelle die Lesbarkeit verbessern. Mir ist dieses Prinzip schon immer sehr wichtig gewesen. Zettel schreibt in seiner Richtlinie zum Kommentieren:

Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch „Edit“, „Nachtrag“ o.ä. gekennzeichnet werden.

In der letzten Woche bin ich (für meine Verhältnisse) relativ hart eingestiegen, als Rappelsnut seinen Artikel über die Pestalozzi-Schule in Pirna geändert hat. Für den Ton möchte ich ihn jetzt gern nachträglich um Verständnis bitten, aber inhaltlich bleibe ich dabei.

Ich gehe auf Beiträge aus Zeitungen, Blogs oder anderen Medien ein, weil ich meine Gegenposition, meine Kritik oder meine Zustimmung zeigen will. Das ist nicht mehr möglich, wenn Artikel geändert werden. Ich kann doch meine Meinung nicht immer wieder mit Zusätzen wie »X hat bis 12.00 Uhr noch geschrieben, dass …« ergänzen.

[07.09 Uhr]


Deshalb kommt hier noch die Quelle für das FDP-Zitat.

[07.13 Uhr]


Die ganz einfachen Grundsätze der Wirtschaft muss man in Erinnerung rufen, seit sogenannte Banker in wenigen Stunden zwei Milliarden sogenannte Euro in den Sand setzen können.

[07.55 Uhr]


Die F.A.Z. schreibt:

Bundeskanzlerin Merkel eröffnet die IAA, verweist auf die wichtige Rolle der Autoindustrie und verspricht: „Wir werden hilfreich zur Seite stehen.“ Doch den traditionellen Rundgang durch die Messehallen absolviert sie ohne erkennbare Freude.

Hilfreich zur Seite stehen? Rette sich, wer kann!

[07.58 Uhr]


Das Auto im Kopf des F.A.Z.-Berichts sieht fast so schön aus wie die Magic Mouse von Apple.

[08.02 Uhr]


Interessante Entwicklung der Zugriffe auf die Berichte über den skandalisierenden Artikel der Sächsischen Zeitung. Ich bekomme jetzt immer mehr Suchanfragen in der Art:

sächsische zeitung ronny zimmermann internet

Der Artikel ist immer noch im Netz. Vermutlich hat diese Zeitung nicht verstanden, worum es eigentlich geht. Die nächste Stufe wäre jetzt wohl eine lobende Erwähnung im BILD-Blog, so wie damals …

[08.20 Uhr]


Ab in die Arbeit …

[09.50 Uhr]


Pause. Lustige Fotos folgen am Abend.

Setzt Berlin seinem Regierenden Bürgermeister schon zur Amtszeit ein Denkmal?

[13.07 Uhr]


Fertig. Touristenrunde absolviert. Park, Schatten, Bloggen ;-)

Das tat gut: Ausruhen auf einer Bank neben dieser Skulptur im Tiergarten.

[15.34 Uhr]


Ja, mach nur einen Plan
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch ‘nen zweiten Plan
Geh‘n tun sie beide nicht.

Mit diesen Zeilen von Bertolt Brecht verabschiede ich mich vorerst. Der Akku ist gleich leer ;-(

[20.49 Uhr]



Piratenflagge

15. September 2011

Ich finde es interessant, auf welche Weise manche Vermieter Werbung für ihr Haus machen: Der Piratenflaggen-Prozess in Chemnitz geht weiter.

Jugendliche gehen ins Kino, finden einen Film klasse und hängen sich eine schwarze Fahne aus diesem Film ans Fenster. Was passiert dann normalerweise? Wenn niemand reagiert, wandert die Fahne nach einigen Tagen an die Kinderzimmerwand, unter das Bett oder in den Müll. Wenn aber jemand schimpft oder gar klagt — dann setzt der Nachwuchs seine ganze Kreativität ein.

Als Richter würde ich Kläger und Beklagte nach Hause schicken: Einigt euch oder einigt euch nicht. Aber lasst das Gericht mit dieser Lappalie in Ruhe.



Schöner die Statistik der Gemeinde – Mach mit!

13. September 2011

Wer in der DDR zur Schule gegangen ist und die ersten Jahre des Berufslebens erlebt hat, kennt noch viele Schlagworte und Parolen der sozialistischen Planwirtschaft. Da gab es den unfreiwilligen Arbeitseinsatz »Subbotnik«, die Initiative »Schöner unsere Städte und Gemeinden — Mach mit!« oder die Bewegung »Messe der Meister von morgen«.

In diesem Artikel geht es um Vorgänge, die mich immer mehr an die DDR erinnern.

Die DDR-Bürger hatten sich seit den 1970er Jahren auf das System eingestellt: Sie gaben dem Staat seine Zahlen und wollten in ihrer privaten Nische in Ruhe gelassen werden. Der Staat vereinnahmte dafür die Initiativen seiner Bürger.

Wenn z.B. ein paar Leute aus einem Mehrfamilienhaus die Gestaltung des eigenen Vorgartens in die Hand nahmen, wurde das als Beitrag zur Stärkung des Sozialismus im Rahmen der »Volkswirtschaftlichen Masseninitiative« abgerechnet. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durften natürlich nicht hinterfragt werden.


Heute sollen die Bürger wieder mit einer Initiative zu großen und schönen Zahlen beitragen. Die Stadt Dresden hat ihre Bürger dazu aufgerufen, das Fahrrad zu nutzen und die gefahrenen Kilometer bei der Stadt abzurechnen. Dabei wird natürlich nicht hinterfragt, ob in Dresden die Rahmenbedingungen für den Radverkehr gut sind.

Wenn man das hinterfragt, stellt man sehr schnell fest: Sie sind es nicht. Die Fahrradfahrer werden meist an den Rand gedrängt, die Radwege sind oft in einem schlechten Zustand und ausgerechnet die umweltbewussten Neustädter Radler werden an der Albertbrücke abkassiert, wenn sie auf den Rad/Fuß-Wegen die falsche Richtung einschlagen.

Die Dresdner Stadtverwaltung eröffnet aber gern eine Augustus-Radroute durch die schönste Fußgängerzone der Stadt. Das kostet nur ein paar Schilder und es ändert für den Radverkehr überhaupt nichts.


Die Zahlen der »Radlerischen Masseninitiative« im Jahr 2011 können natürlich genauso wenig überprüft werden wie die VMI-Zahlen des Jahres 1981. Jeder kann irgendwelche Werte melden und niemand fragt nach, wie sie entstanden sind. Allerdings gibt es 22 Jahre nach Ende der DDR einen großen Fortschritt: Mit dem Rechner können die Zahlen viel bunter dargestellt und noch schöner aufgebauscht werden.

Das geht so: Die Stadt hat eine Website zur Erfassung der gefahrenen Rad-Kilometer verlinkt. Alle Kilometer werden erfasst. Jeder Kilometer wird mit einem CO2-Wert von 144 Gramm multipliziert, um am Ende eine Einsparung von ganz vielen Tonnen Kohlenstoffdioxid melden zu können. Hier ist die Website zur Auswertung, die Zahlen stehen heute noch auf Null. Es ist völliger Humbug, aber es sieht schön aus.

Nachdem schon die erfassten Zahlen keiner Überprüfung standhalten, sind die daraus abgeleiteten Zahlen erst recht völlig aus der Luft gegriffen. 144 Gramm Kohlenstoffdioxid werden nur eingespart, wenn man vom Auto auf das Rad umsteigt. Ich fahre z.B. jede Woche etwa 200 Kilometer mit dem Rad und ich habe kein Auto. Aus meinen Kilometern würde sich eine Einsparung von 28.8kg Kohlenstoffdioxid ergeben, die aber überhaupt nicht existiert. Und vielen anderen geht es genauso.

Wen spricht man denn mit solchen Aktionen an? Es sind die Leute, die heute schon mit dem Rad, mit der Bahn oder mit dem Bus zur Arbeit fahren. Es sind die Leute, die sich in Fahrgemeinschaften organisieren, um Autokilometer zu sparen. Passenderweise lässt die Initiative ausgerechnet einen Fahrradkurier aus Dresden werben. Der junge Mann kann nun eine Woche lang seine tägliche Arbeit als CO2-Einsparung melden.

Wenn man sich die Zielgruppen genau anschaut, wird klar: Jede Zahl zur Einsparung von Kohlenstoffdioxid ist eine reine Luftnummer. In der DDR sprach man spöttisch von »Tonnenideologie«, wenn zentral irgendwelche Plankennziffern vorgegeben und abgerechnet wurden, die mit der Realität nichts zu tun hatten. Ende der 1980er Jahre waren viele Bürger der DDR so weit, dass sie sich nichts mehr vormachen ließen. Ich würde es gern erleben, dass auch in der heutigen Zeit wieder mehr hinterfragt wird.

Ich will mich mit meinen Rad-Kilometern nicht von der Stadtbürokratie vereinnahmen lassen. Ich will nicht, dass aus meinen gefahrenen Kilometern nutzlose Zahlen abgeleitet werden. Ich will endlich Taten sehen: Dresden soll eine Stadt werden, in der Radfahren Spaß macht und in der das Rad ein anerkanntes Fortbewegungsmittel ist. Auf CO2-Tonnenideologie kann ich sehr gut verzichten.


Ergänzungen: Hier ist die offizielle Seite der Stadtverwaltung zum Stadtradeln. Auch der Blogger randOM hat sich mit der Initiative beschäftigt. Natürlich hat die Initiative auch ein eigenes Blog mit Geschichten vom Radfahren. Wenn ich den Beginn des Gesprächs lese, muss ich unwillkürlich an den Otto-Sketch von der Mülltrennung denken.



Ausflug nach Pillnitz

11. September 2011

Schloß und Park Pillnitz (11.09.2011).


Musterbeispiel liberaler Politik?

10. September 2011

Vorab ein Bekenntnis: Ich bin insgesamt froh, dass meine Kinder in Sachsen zur Schule gehen und studieren. Mein jüngerer Sohn kommt seit Schuljahresbeginn jeden Tag guten Mutes aus dem Gymnasium nach Hause und man kann inzwischen sagen: Die Grundschule hat ihn gut vorbereitet.


Vom sächsischen FDP-Vorsitzenden Holger Zastrow hört man nun nach zwei Jahren Regierungszeit folgendes Eigenlob:

Der stellvertretende Bundesvorsitzende und sächsische Landeschef, Holger Zastrow, stellte Sachsen als Musterbeispiel gelebter liberaler Politik heraus. Die FDP sitzt im Freistaat mit der CDU in der Regierung. „Der Freistaat liefert“, sagte Zastrow in Anlehnung an eine Äußerung von Bundeschef Philipp Rösler. Die liberale Handschrift sei in der Landesregierung spürbar. Nicht ohne Grund liege Sachsen bei der Bildung vorn.

Die sächsische FDP hat ihre Regierungsbeteiligung einem perfekten Wahltermin zu verdanken. Zu diesem Zeitpunkt war die Unzufriedenheit mit der Großen Koalition am größten und viele Wähler hielten die FDP für eine gute Alternative. Heute wäre eine Landtagswahl für die FDP bestenfalls eine Zitterpartie.

Die FDP besetzt die beiden Ressorts Wirtschaft und Justiz. Eine wirklich liberale Handschrift wäre vor allem wünschenswert, wenn es um die Freiheit der Bürger und das Funktionieren des Rechtsstaats geht. Aber dazu später. Heute ist mir das Thema Bildung wichtig.


Ist der Spitzenplatz Sachsens in der Bildung ein Verdienst der FDP? — Die Bildung in Sachsen wird vor allem von den Lehrern und den Eltern getragen. Die Lehrer sind in ihrem Beruf seit der Wende durch Höhen und Tiefen gegangen. Sie müssen in vielen Schulen täglich improvisieren, um den Unterricht zu retten. Die Eltern arbeiten oft in Schulfördervereinen und in Trägervereinen mit, um die Schulen finanziell und durch Arbeitseinsätze zu unterstützen. Lehrer und Eltern haben meiner Meinung nach den größten Anteil an Sachsens Spitzenplatz.

Ist das Bildungswesen in Sachsen besonders liberal? — Liberal würde vor allem bedeuten, dass eine möglichst große Auswahl zwischen staatlichen und freien Schulträgern besteht. Liberal würde auch bedeuten, dass die Eigenverantwortung der Eltern gestärkt und gefördert wird. Davon ist relativ wenig zu spüren. Freie und private Schulen haben es in Sachsen ziemlich schwer, wenn sie nicht gerade zu den beiden Kirchen gehören oder bereits alteingesessen sind.

Die politischen Vorgaben in der sächsischen Bildungspolitik setzt seit 1990 immer die CDU. Der Freistaat hat in den letzten 20 Jahren viel Geld (der Bürger) in die Schulen investiert. Das war gut investiertes Geld.

Aber es gibt auch noch sehr viel zu tun. Dutzende Schulen in Dresden haben gravierende bauliche Mängel. In vielen Schulen Sachsens fehlen Lehrer. Oft wird die Schule zum Spielball der Sparpolitik und es gibt absurde Sparvorgaben, wenn etwa in Dresden die Grundreinigung der Schulen eingespart werden soll. Ehrenamtliches Engagement wird nicht ausreichend gefördert und respektiert, manches Mal sogar unterbunden.

Die Juniorpartner der CDU hatten (und haben) jedenfalls auf die Bildung einen eher marginalen Einfluss. Es bleibt offen, wo Holger Zastrow eine liberale Handschrift in der Bildungspolitik erkennt und warum er sich den guten Ruf Sachsens in der Bildung an die Brust heften möchte.



Ein Umfeld für Schüler?

9. September 2011

Bei meinen Recherchen über die umstrittene Mitgliedschaft eines Pirnaer Lehrers in einem sozialen Netzwerk konnte ich noch eine andere interessante Beobachtung machen. Auf dampfer.net wird unter anderem für ein Online-Kasino geworben. Beispiel für ein Werbebanner:

ausriss_werbung

Beispiel für ein Werbebanner. Ein Klick auf das Bild zeigt den Zusammenhang.

Man sieht diese Flash-Banner nicht, wenn man geeignete Filter einsetzt. Ich meine trotzdem nicht, dass man auf diese Weise ein günstiges Umfeld für Schüler schafft. Vielleicht sollte man über eine Community-Seite für Pirnaer Schüler nachdenken, die von seriösen Sponsoren getragen wird.



Eine Gegendarstellung und ihre Geschichte

9. September 2011

Ein Pirnaer Lehrer wehrt sich gegen die Darstellung der »Sächsischen Zeitung« über die mutmaßliche Bespitzelung von Schülern in Sozialen Netzwerken. Jörg Kuleßa macht folgendes geltend:

Im Artikel „Lehrer spähen Schüler aus“ in der Sächsischen Zeitung vom 03./04. September 2011 Seite 15 behauptet Ronny Zimmermann, dass die Lehrer der Pestalozzi-Schule Pirna ihre Schüler im Internet ausspionieren und sogar namentlich Daten erheben und verwerten. Dies ist nicht nur nicht richtig, sondern erlogen.

Unter der Gegendarstellung sind drei Adressen zu finden. Sie beziehen sich auf die Community »dampfer.net«. Hier findet man eine Crew gegen Mobbing.

Die letzten Einträge im Forum und im Gästebuch sind allerdings fast schon zwei Jahre alt. Hat die »Sächsische Zeitung« die Beteiligung des Lehrers an dieser Crew gemeint?

Er ist als »Kuli« angemeldet, aber er gibt auch seinen eigenen Namen an und hat ein eigenes Bild eingefügt. Jörg Kuleßa schreibt dort unter anderem:

(…) Sollte sich hier ein Dampfie finden, den ich seit meiner Anmeldung nachweisslich ausspioniert habe, werde ich den gleichen Strafantrag gegen mich selbst stellen.

Jörg Kuleßas Gegendarstellungen und Kommentare sind anscheinend in ziemlich großer Erregung geschrieben. Aus der Struktur der »Dampfer-Crew« und aus den verknüpften Bildern wird aber schnell deutlich, dass der Lehrer auch mit dem Namen »Kuli« deutlich als Lehrer Jörg Kuleßa erkannt werden konnte.

Es ist allerdings nicht ersichtlich, wann das Bild in das Profil des Lehrers eingefügt wurde. Das Logbuch hat auch schon lange keinen neuen Eintrag mehr gesehen. Im Gästebuch gibt es einige jüngere Einträge.


Wenn die Mitgliedschaft in dieser Crew Jörg Kuleßas typische Beteiligung an einem sozialen Netzwerk war, ist kein gravierender Verstoß gegen den Datenschutz ersichtlich. Und ein Vertrauensbruch scheint auch nicht vorzuliegen, da die Schüler ja alle freiwillig in der »Crew« mitgemacht haben.

Die Angelegenheit ist erneut zu prüfen, wenn andere Tatsachen bekannt werden. Bis dahin weise ich darauf hin, was ich schon in meinem ersten Artikel sagte: Es gilt die Unschuldsvermutung. Die Angelegenheit ist in Ruhe zu klären. Ohne Skandalisierung.


Nachdem ich diesen Hinweisen nachgegangen bin, steht für mich jedenfalls fest: Die Bewertung in der »Sächsischen Zeitung« lässt Ausgewogenheit vermissen. Wer dieses Profil und diese Crew betrachtet, kann nicht ernsthaft an Bespitzelung denken. Vielleicht sollten sich Journalisten und Blogger das Zitat eines Altmeisters in Erinnerung rufen:

Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache. [Hanns Joachim Friedrichs]

Als Blogger setzen wir unser Blog manchmal für Positionen ein, die uns wichtig sind: für Freiheit, Datenschutz, Nachhaltigkeit oder andere Werte. Man hat eine Meinung und das ist auch gut so.

Sich »mit etwas gemein machen« bedeutet aber: ohne Hinterfragen, Recherche und Kritik eine fremde Position zu übernehmen, sich diese Position zu eigen zu machen und damit in manchen Fällen Teil einer Manipulationskette zu werden.


Noch ein Hinweis für Informatik-Lehrer und ehrenamtliche Öffentlichkeitsarbeiter an Schulen: Man kann auf die Gegendarstellung auf der Website der Pestalozzi-Mittelschule keinen Link setzen, weil die gesamte Website mit »Flash« gestaltet wurde. Das ist sehr unglücklich gelöst. Wer diese Website mit einem Flash-Blocker aufruft, sieht gar nichts.

Text der Erklärung

Text der Erklärung des Pirnaer Lehrers. Duch Klick auf das Bild wird der komplette Screenshot sichtbar.


Ergänzung um 10.00 Uhr: Ich habe am 06.September einen Artikel aus einem anderen Blog verlinkt. Er ist inzwischen stillschweigend verändert worden. Wenn wir als Blogger ernst genommen werden wollen, sollten wir uns an gewisse Standards halten. In einer Zeitung bleibt das Gedruckte auch stehen. Aber das ist meine ganz private Meinung und andere mögen das anders sehen.



Wir berichten aus dem Schlachthof 5. Nicht.

8. September 2011

In Dresden fand bis zum letzten Wochenende an etwa 60 Tagen eine große Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst statt. Es kamen etwa 17.000 Besucher.

Unsere beiden lokalen Presseorgane DNN und SZ können sich zum Abschluss der Ausstellung keinen eigenen Artikel abringen, sondern drucken fast im gleichen Wortlaut eine dürre dpa-Meldung ab. Hier ist sie in der DNN-online-Ausgabe. Genauso gut kann es die BILD-Zeitung.

Diese Meldung ärgert mich, weil sie einfach nur flach ist. Sie enthält auch noch eine sachliche Ungenauigkeit: Der Roman »Schlachthof 5« spielt nicht »während der Bombardierung der Stadt 1945 auf dem heutigen Ostrale-Gelände«, sondern er spielt außerdem an vielen anderen Plätzen auf der Welt und sogar auf einem fiktiven Planeten. Auf den Schlachthof beziehen sich letztlich nur ein paar Seiten und das Hauptthema des Romans ist er wirklich nicht.

In der gedruckten SZ fehlt der Hinweis auf das Thema der Ostrale 2012. Im Netz findet man auf allen Webseiten, die auch die dpa-Meldung kopieren:

Unter dem Titel „homegrown“ beschäftigt sie sich mit der Frage der Verortung kreativer Impulse in zeitlichem, räumlichem und kulturellem Kontext.

Und das ärgert mich auch. Kurt Vonneguts Roman hatte wenigstens noch einen Bezug zur Stadt Dresden, zum Schlachthof und zum Ostragehege. Worauf nimmt dieses Thema Bezug? Man liest den Satz ein paar Mal und er gewinnt einfach nicht an Inhalt …



Bespitzelung oder Datenerhebung?

6. September 2011

Was ist geschehen? Nach Berichten des Pirnaer Bloggers Rappelsnut und der Sächsischen Zeitung haben sich Pirnaer Lehrer unter Pseudonym in sozialen Netzwerken angemeldet und dort nach öffentlich zugänglichen Äußerungen ihrer Schüler gesucht. Sie wollten damit Mobbing verhindern oder aufklären. [Bitte beachten Sie zum ersten Absatz diese Ergänzung am Ende des Artikels.]

Es geht hier um grundsätzliche Fragen des Umgangs der Lehrer mit den Schülern. Deshalb sollte das Problem weder bagatellisiert noch dramatisiert werden. In meinen Augen ist es eindeutig eine Frage der Pädagogik und keine Frage des Datenschutzes. Man kann soziale Probleme nicht mit technischen oder juristischen Mitteln lösen.


Staatliche Datenschutzbeauftragte erklären in solchen Fragen gern ihre Zuständigkeit. In der Aussage des Pressesprechers des Sächsischen Datenschutzbeauftragten ist sogar die Wendung »das grenzt an Bespitzelung« zu lesen. Damit wird aber die — eigentlich sehr wichtige — Aufgabe des Datenschutzes ins Unsachliche gezogen.

Es geht hier um öffentliche Äußerungen, die sich im Grunde nicht von öffentlichen Äußerungen auf dem Pirnaer Marktplatz unterscheiden. Deshalb ist es in keiner Weise angemessen, von Bespitzelung zu sprechen. Bespitzeln bedeutet z.B.:

  • jemand hört illegal vertrauliche Äußerungen ab
  • jemand öffnet heimlich Briefe, die nicht für ihn bestimmt sind
  • jemand verschafft sich rechtswidrig Zugang zu vertraulichen Daten

Bespitzeln bedeutet nicht: Jemand liest frei zugängliche Äußerungen oder nimmt öffentlich gesprochene Worte zur Kenntnis.


Die Zuständigkeit eines Datenschutzbeauftragten beginnt erst dann, wenn eine Erhebung von Daten geplant wird oder bereits erfolgt. Der Begriff Datenerhebung bedeutet, dass Daten mit dem Rechner erfasst und gespeichert werden. Für pädagogische und moralische Fragen ist ein Datenschutzbeauftragter nicht zuständig.


Die Pädagogik ist Sache der Schulleiter, Lehrer und der Beamten in den Schulbehörden. Mit ihnen muss über die Methoden diskutiert werden. Es ist nicht illegal, die öffentlichen Äußerungen der Schüler zu lesen. Es kann aber unangemessen sein.

Die Pressesprecherin der zuständigen Schulbehörde rechtfertigt das Vorgehen der Lehrer mit den Worten:

Jedem Nutzer dieser sozialen Netzwerke muss bekannt sein, dass seine veröffentlichten Angaben und Bemerkungen in der Regel weltweit für alle anderen Nutzer sichtbar sind.

Die Schüler bekommen hier in der Praxis vorgeführt, welche Folgen öffentliche Äußerungen im Internet haben können. Eine wirksamere Argumentation gegen die unbedachte Nutzung dieser sozialen Netzwerke kann es eigentlich nicht geben. Ich würde meinem Sohn im Zweifel immer raten: Finger weg von Facebook! Oder zumindest: Überlege Dir genau, was Du dort schreibst.

Aber auch die Lehrer müssen wissen: Irgendwo in den Tiefen der Datenbanken ist jeder einzelne Aufruf eines Profils gespeichert. Insider oder Hacker können unter Umständen sehr viele Schritte zurückverfolgen. Die Anonymität der Lehrer ist nicht wirklich gesichert.


Es muss grundsätzlich geregelt werden, ob sich Lehrer die öffentlichen Äußerungen ihrer Schüler ansehen dürfen. Wenn es dazu bisher keine Regelungen gibt, muss der Freistaat gut durchdachte Regelungen schaffen.

Eine pauschale öffentliche Vorverurteilung der Pirnaer Lehrer halte ich nicht für angemessen. Bisher weiß man überhaupt noch nicht, was sie konkret getan haben. Eine Datensammlung wäre nach Lage der Dinge illegal. Aber diese Datensammlung müsste nachgewiesen werden. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung.

Mit den sächsischen Lehrern muss diskutiert werden, ob ein solches Vorgehen pädagogisch angemessen ist. In den Kreis der Diskussion gehören auf jeden Fall Schulleiter, Vertreter der Schulbehörde, Elternvertreter und Schülervertreter. Aber die Diskussion sollte nicht durch Schnellschüsse übertönt werden …


  

Hinweis (09.09.2011): Der Pirnaer Blogger Rappelsnut legte in einem Kommentar Wert auf die Feststellung, dass er sich mit seinem mittlerweile geänderten Artikel auf den zwei Tage zuvor erschienenen Bericht der Sächsischen Zeitung bezog.



Was wird am 13. und 18. Februar 2012 geschehen?

5. September 2011

Im Rückblick auf die Terroranschläge am 11. September 2001 schreiben heute manche Kommentatoren: Wir haben uns als demokratische Staaten durch die Terroristen Maßnahmen aufzwingen lassen, die früher undenkbar waren. Der Journalist Heribert Prantl hat es vor einigen Jahren in einem Buchtitel zusammengefasst: »Der Terrorist als Gesetzgeber«.

Im Rückblick auf die Dresdner Ereignisse im Februar 2011 könnte man ein neues Buch schreiben: »Der Extremist als Taktgeber«. In diesem Buch sollte die Frage gestellt werden: Lassen wir uns von Extremisten aufzwingen, was wir im Februar zu tun haben?


Wichtiger Hinweis (13.02.2012): Dieser Artikel wurde heute vormittag schon über 500 Mal aufgerufen. Doch er stammt aus dem September 2011. Ich habe mich im Dezember 2011 an der Suche nach einem Motto für diesen Tag beteiligt und heute noch einmal einen aktuellen Beitrag geschrieben.


Michael und Frank haben in ihren Kommentaren unter einem Artikel zur »Demoskopie des 13. Februar« interessante Fragen aufgeworfen:

Michael: Ich meine, es wäre ja schon etwas irrwitzig, wenn der 13. Februar in Dresden eine mehr oder minder 100pro-Gegen-Rechts-Veranstaltung werden würde statt einer Gedenkfeier.

Frank: Aber im Ernst: Ich bezweifle auch sehr, dass die Dresdner beim Gedenken namhafte geschweige denn überhaupt Redner haben wollen.


Die Dresdner Bürger müssen sich bis zum 13. Februar 2012 bewusst werden, wofür sie stehen: Dresden ist (bis auf wenige Ausnahmen) eine offene und gastfreundliche Stadt. In Dresden leben viele ausländische Studenten, Wissenschaftler, Künstler und Mitarbeiter internationaler Unternehmen. Fast jedes Jahr kommen mehr ausländische Touristen in die Stadt als im Vorjahr — und ihnen gefällt, was sie sehen.

An einem Tag im Februar könnte man diese internationalen Verbindungen zeigen und vertiefen. Man könnte mit Gästen aus aller Welt offen darüber diskutieren, wo noch Verbesserungen möglich sind. Dresden könnte jedes Jahr ein Projekt in Angriff nehmen, dessen Ergebnisse im kommenden Jahr vorgestellt werden. Man kann gemeinsam bauen, pflanzen, musizieren, lesen und tausend andere Dinge tun. Keine Diskussionen über die Vergangenheit, sondern nachhaltig wirkende Aktionen für die Zukunft.

Das ist aber nur möglich, wenn wir als Dresdner ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln und ausstrahlen. Nur wer sich selbst respektiert, kann anderen Respekt entgegenbringen.

Am 19. Februar 2011 haben wir zwei Arten von Extremisten in der Stadt gehabt. Sie stehen exemplarisch für zwei Arten der Störung des Selbstbewusstseins: Selbstüberhöhung und Selbstverachtung. Die rechten Extremisten überhöhen die eigene Nation. Sie brüllen: »Deutschland über alles!« und »Ausländer raus!«. Die linken Extremisten versinken im Hass auf die eigene Nation. Sie skandieren: »Nie wieder Deutschland!« oder »Bomber-Harris, do it again!«.

Beide Arten des Extremismus müssen wir uns vom Hals halten. Wir wollen keinen Missbrauch des Gedenkens, keine rassistischen Parolen und keine nationalsozialistische Geschichtsverfälschung. Wir brauchen aber auf der anderen Seite auch keine Studien, die mit tendenziösen Fragestellungen den Beweis erbringen sollen, dass in der Mitte der Gesellschaft irgendein obskurer Nazi-Geist existiere.

In der Mitte der Dresdner Gesellschaft ist uns heute bewusst: Dresden ist international vernetzt. Die Dresdner haben Verbindungen zu Menschen aus der ganzen Welt. Wir sind von dieser Vernetzung und von diesen Verbindungen abhängig. Kultur, Wissenschaft, Kunst und Wirtschaft können nur in einem Klima des gegenseitigen Respekts gedeihen. Dieses Klima müssen wir erhalten.

In der Mitte der Gesellschaft muss auch ein wichtiges Element des Humanismus erhalten bleiben: Menschen betrauern die Toten. Menschen trauern auch, wenn die Toten mit Fehlern behaftet waren. Für die Trauer muss der 13. Februar reserviert sein. An diesem Tag soll es in der erweiterten Innenstadt keine Politik geben, sondern nur Ruhe und Gedenken.

Am Samstag oder Sonntag nach dem 13. Februar sollte sich ein Tag etablieren, an dem Dresden stolz und selbstbewusst zum Ausdruck bringt: Wir sind eine offene und gastfreundliche Stadt. Besser kann man sich gegen Extremisten von Rechts und Links nicht zur Wehr setzen.



Im Nachtschatten

4. September 2011

Dreiblütiger Nachtschatten (Botanischer Garten Dresden).