Die vierköpfige Familie Klein will im September 2011 auf das Auto verzichten. Nach der Berechnungsformel des »Stadtradelns« dürfen die Kleins dafür eine CO2-Einsparung von 4 x 144 Gramm pro Kilometer geltend machen. Das sind also 576 Gramm pro Kilometer. Das Auto möchte ich mal sehen.
Die vierköpfige Familie Meier hat gar kein Auto. Wie viele Gramm pro Kilometer dürfen Meiers als CO2-Einsparung geltend machen? Richtig: ebenfalls 576 Gramm pro Kilometer.
Die vierköpfige Familie Schulze fährt nur Auto. In der Familie gibt es gar keine Fahrräder. Aus Jux tragen sie sich als »Team S« beim Stadtradeln ein und denken sich ein paar schöne Kilometerzahlen aus. Wie viele Gramm pro Kilometer dürfen Schulzes als CO2-Einsparung geltend machen? Richtig: ebenfalls 576 Gramm pro Kilometer.
Wenn Kleins und Meiers insgesamt nur 500 Kilometer ehrlich abrechnen, dann stehen in der CO2-Einsparungs-Bilanz der Stadt Dresden 864 Kilogramm CO2. Ohne jede physikalische, chemische und mathematische Grundlage. So geht das heutzutage. So kommt man in die Sächsische Zeitung.
Nach einem Bericht der Sächsischen Zeitung im Lokalteil Dresden (nicht online verfügbar) sollen wir nämlich all diese Zahlen ernst nehmen. Der Bericht erfüllt leider die schlimmsten Erwartungen aus meinem Artikel über den Unsinn des Stadtradelns: Die Phantasiezahlen zur CO2-Einsparung werden kritiklos und ohne jegliches Hinterfragen als Tatsachen beschrieben.
Nein, lieber Konrad Krause vom ADFC, solche Zahlen will ich mir als denkender Fahrradfahrer nicht gefallen lassen, nur weil sie mit Werbung für den Radverkehr verbunden ein könnten. Es gibt nichts Richtiges im Falschen.
Jeder Handwerker weiß es, jede Buchhalterin und jedes Milchmädchen: Wenn die Grundlagen nicht stimmen, ist die ganze Rechnung wertlos.
Ich will nicht, dass Steuergeld und Arbeit für nutzlose Zahlenspiele eingesetzt werden. Ich kann diese gedankenlos geschriebenen und abgedruckten Jubelmeldungen nicht mehr hören. Erstens ist das Papier dafür zu schade und zweitens hat diese Stadt ganz andere Probleme.
Ergänzung zum Weiterlesen: Ein sachlicher Artikel in der F.A.Z. befasst sich mit »unserem CO2«.
Das ist Wehrkraftzersetzung!
Unsere andere Lokalzeitung berichtet ganz anders: Sie schreibt in der Ankündigung von Hobby-Radlern und zeigt ein großes Bild mit zwei Lokalpolitikern inmitten eines Pulks von Radfahrern. Diese Zeitung widmet dem Thema dann noch eine Bildunterschrift, in der lediglich von einer »Schätzung« der CO2-Einsparung die Rede ist.
Hoppla, da kam ich wohl etwas spät mit meiner Idee ;)
Obwohl ich es gut finden würde, allerdings ohne diese „Wir sparen soundso viel CO2“-Aktion …
Andere Rechenaufgabe: wieviel Kilometer muss eine Großfamilie aus dem Kongo pro Woche mit dem Rad fahren, um den CO2-Verbrauch eines „Durchschnittsdresdners“ abzuradeln? ;)
Oder … wieviele Dresdner benötigt man, um das gesamte CO2 in der Welt „wegzuradeln“?
Weitere Frage: darf man Bäume fällen, die den Fahrradfahrern das CO2 wegnehmen, welche dieses „wegradeln“ wollen? :)
Sorry, habe einen “ / “ vergessen …
Du willst doch damit nicht etwa andeuten, dass sich andere Menschen für uns abstrampeln sollen? Als Buße radelst Du fünf Mal die Grundstraße rauf! ;-)
Anmerkung am Rande: Bei uns in Dresden geben viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer (besonders aus den Ämtern) noch nicht mal ihren Namen an, sondern nur Kürzel oder Initialen. Was soll das denn bedeuten?
Betrachten wir die Sache mal ganz nüchtern: Jemand, der ehrlich an ein CO2-Problem glaubt und CO2 sparen will, muss sich durch die Berechnungsgrundlage und die Manipulationsmöglichkeiten schlichtweg veralbert vorkommen (um keine härteren Worte zu gebrauchen).
Warum machen überzeugte Fahrradfahrer dort mit, wenn sie doch gar kein CO2 mehr »einsparen« können? Merken die nicht, dass ihr Engagement für sinnlose Zahlenspielereien vereinnahmt wird?
Bei den Politikern gebe ich mir keiner Illusion hin: die machen aus Eigennutz mit: Ich und mein grünes Wahlkampfrad sind wieder mal in der Zeitung. Wenn ich ausgiebig fotografiert worden bin, steige ich ab.
Mal ehrlich: laut Stadtverwaltung haben sich 50(!) Menschen zur Eröffnung bequemt. Davon befanden sich wahrscheinlich etliche im Dauerwahlkrampf. 50 Menschen von über 500.000. Das ist doch wohl ein schlechter Witz.
PS: Nach dem Radeln auf der Grundstraße darfst Du Dir dann dieses professionell gemachte Motivationsvideo anschauen:
http://www.youtube.com/stadtradeln
;-)
Hmm, Stefan, ich radle die Grundstraße runter, okay … Kilometer ist Kilometer ;)
Politiker: mir geht es nicht um die Aktion, doch ich sehe das Problem. Und wenn Journalisten wirklich gut fragen, bekommen die auch raus, ob Politker A oder B nur für Show auf’s Rad steigt oder wirklich gern und häufig Rad fährt. Politker sind auch Entertainer, nur eben mit mehr Glaubwürdigkeit – idealerweise, versteht sich.
Ich habe ja nichts gegen Politiker-Eigennutz, ich muss sie ja nicht wählen ;) …
@ Youtube-Clip
Hmm, naja, also, nun … ;)
Wie hieß die Aktion nochmal? Stattradeln? Stadtratteln?
@Rayson
Ich bin jetzt das dritte mal bei deinem „Das ist Wehrkraftzersetzung!“ steckengeblieben … wäre da nicht ein “ ;) “ oder ein “ :) “ angebracht.
Oder lässt man so etwas als „bissiger Liberaler – ohne Gnade“ prinzipiell weg ;)
Mit dem Bus herauf und mit dem Rad herunter: das wären auch Kilometer, die man dort eintragen könnte. Aber das meiste CO2 wird gespart, wenn jemand seinen Browser öffnet, einige Kilometer einträgt und sich wieder ins Bett legt.
Journalisten wollen gar nichts hinterfragen, das siehst Du doch an dem Artikel in der »Sächsischen Zeitung«.
Ich habe auch lange überlegt, wie man mein Verhalten bezeichnen sollte. Das Wort »Umweltbewusstseinszersetzung« ist einfach zu lang und trifft es auch nicht ganz: Der Autor dieser Zeilen lebt seit 22 Jahren ohne Auto. Doch ich bekenne: Ich habe gelästert.
Erstaunlichg finde ich, dass es im Anmeldebereich bei Stadtradeln sogar eine extra Schaltfläche gibt: „Ich bin Mitglied im Kommunalparlament der oben ausgewählten Stadt/Gemeinde“.
Sind das dann wertvollere gefahrene Kilometer oder CO2-Mengen?
Nein, das sind keine wertvolleren Kilometer. Aber die Kommunalpolitiker suchen doch sonst nie das Licht der Öffentlichkeit, also gönnen wir es ihnen ;-)
@ Stefan
„Journalisten wollen gar nichts hinterfragen, das siehst Du doch an dem Artikel in der »Sächsischen Zeitung«.“
Ich bin auch meist Realist, doch mitunter auch Idealist ;) … ich glaube daran, dass es auch anders gehen könnte. Und wenn nicht, dann okay, kann ich mir immer noch sagen „Silly me, was hattest du auch anderes erwartet??“ ;)
@ Umweltbewusstsein & Lästern
War und ist eines meiner beruflichen/privaten Forschungsthemen … habe mal ne eigene Statistik angefertigt (siehe in diesem Artikel etwas weiter unten).
Hmm, gelästert oder nicht … Hinterfragen ist wichtig. Und ganz so trocken muss hinterfragende Kritik ja nicht sein. Du schreibst für keine wissenschaftliche Zeitung, sondern einen Blog, der verschiedene Stilelemente kombinieren kann. Insofern …
@ Kilometer von Politikern
Das ist eine Umrechnungsvariante … Kommunalpolitiker haben andere Fahrräder. Schon für die Farbe (rot, grün, gelb, schwarz) gibt es gemäß der Sitzverteilung im Stadtrat verschiedene Multiplikatoren ;)
Außerdem zählt ein Kilometer eines CDU-Abgeordneten mehr als von einem Grünen … man nennt das in der Politik auch „Anreize setzen“ :)
Noch eine Idee: Könnte es sein, dass mit solchen Aktionen der Schein- und Symbolpolitik auch von der Peinlichkeit abgelenkt werden soll, dass Deutschland gerade massiv die Importe von »Atomstrom« erhöht? Leider gibt der SPIEGEL diesen Artikel nur in Englisch frei:
http://www.spiegel.de/international/business/0,1518,786048,00.html
[…] in einem Gastbeitrag für »Zettels Raum« beschrieben. Die Unsinnigkeit der Auswertung habe ich in diesem Artikel aufs Korn genommen. Teilen Sie dies mit:StumbleUponGefällt mir:LikeSei der Erste, dem dieser post […]