Bisher gibt es zwei Arten von Software: Bei der kommerziellen Software ist der Quellcode unter Verschluss. Bei der OpenSource-Software ist der Quellcode frei. Beide Arten von Software existieren nebeneinander, für beide gibt es interessante Anwendungsfelder.
Die Piratenpartei neigt naturgemäß eher der OpenSource-Seite zu. OpenSource bedeutet: Der Quellcode wird freiwillig in genossenschaftlicher Form erstellt und kann weltweit von jedem Interessierten heruntergeladen werden.
Die Piratenpartei fordert nun, dass die kommerziellen Anbieter von Software ihre fertigen Produkte und ihren Quellcode nicht mehr schützen dürfen: Ist der Kopierschutz außer Kraft und der Quellcode vergesellschaftet, dann kann jeder kostenlos sein »eigenes« Photoshop, Excel oder AutoCAD haben.
Ich fasse dieses Prinzip in einen Satz zusammen. Die Position der Piraten läuft auf Folgendes hinaus:
Die Nutzung der Informationstechnologie beruht auf dem gesellschaftlichen Eigentum an der Software in zwei Formen: der vergesellschafteten Software und der genossenschaftlich erstellten Software.
Dieser Satz kommt mir merkwürdig bekannt vor. In der DDR galt ein ähnlicher Satz für alle Produktionsmittel:
Der Sozialismus beruht auf dem gesellschaftlichen Eigentum an den Produktionsmitteln in seinen beiden Formen, dem gesellschaftlichen Volkseigentum und dem genossenschaftlichen Gemeineigentum.
Er stammt aus dem Programm der SED von 1976.
OpenSource ist ein sehr sympathisches Prinzip, weil es auf Freiheit und Freiwilligkeit beruht. OpenSource-Software steht im Wettbewerb mit kommerziellen Produkten auf einigen Feldern sehr gut da. Aber es gibt für sehr viele Anwendungsgebiete keine OpenSource-Software auf dem aktuellen Stand der Technik: ein OpenSource-Ersatz für Photoshop, AutoCAD oder SPSS ist wirklich nirgends in Sicht.
Es wäre natürlich schön, wenn es als Ergänzung des erträumten bedingungslosen Grundeinkommens schon bald eine bedingungslose Nutzung der besten Software und der besten Computerspiele geben könnte. Die Piratenpartei löst das Problem auf ihre Weise:
Jeder Urheber soll selbst entscheiden, ob er sein Werk ins Internet stellt oder es nur einem begrenzten Empfängerkreis zugänglich macht. Veröffentlicht er es allerdings, dann soll jeder das Recht haben, es für nichtkommerzielle Zwecke zu nutzen und weiterzuverbreiten.
Im Klartext: Wenn ein Urheber eine Software [oder einen Film oder eine CD] auf den Markt bringt, soll jede Person das Recht haben, dieses Werk für »nichtkommerzielle Zwecke« zu nutzen. Aber eine saubere Grenze zwischen kommerzieller und nichtkommerzieller Nutzung kann bei Software niemand ziehen.
Die Position der Piratenpartei ist keine ausgleichende Position, sondern sie ist einseitig gegen die Hersteller von Software gerichtet. Man kann solche Positionen zum Gesetz machen. Man wird dann eine Weile von der Substanz leben, die unter dem Schutz des bisher geltenden Rechts entstanden ist.
Doch wenn ich an das Aufzehren der Substanz denke, dann kommt mir sofort wieder die DDR in den Sinn. Viele ursprünglich private Unternehmen wurden so stark behindert, dass ihre Eigentümer aufgeben mussten, andere wurden gleich zwangsweise vergesellschaftet. Eine Weile produzierten die Betriebe natürlich noch weiter. Aber dann war früher oder später alles verschlissen und es war keine Innovation mehr möglich.
Die Software ist nur der Anfang: Wer die Positionen der Piraten konsequent zu Ende denkt, kommt unweigerlich im Sozialismus oder im Kommunismus an. Ein eindeutiges Bekenntnis zur Marktwirtschaft habe ich von den Piraten noch nie gehört. Das Ende der »Visionen« vom Sozialismus und Kommunismus ist bekannt. Ich möchte es kein zweites Mal erleben.
Eine Ergänzung aus aktuellem Anlass: Genau vor 40 Jahren wurden in der DDR viele kleine und mittelständische Unternehmen enteignet. Die Dresdner Neuesten Nachrichten berichten heute auf Seite 3 über diese Aktion. Bereits kurz danach kam die Einsicht:
Das Fazit der Großaktion von 1972 fiel ernüchternd aus. Ein Dresdner Funktionär stellte fest: „Wir haben für den volkseigenen Sektor zwar 10 Prozent Produktionsvolumen gewonnen, dafür aber 35 Prozent Ideen und Initiativen eingebüßt.“
Wenn man allen privaten Software-Anbietern die Geschäftsgrundlage entziehen würde, dann würde ein ehrliches Fazit genauso ausfallen. Wir brauchen den Wettbewerb zwischen OpenSource und kommerzieller Software, wir brauchen die Ideen und wir brauchen die Innovation. Wenn die Piraten politische Innovation bieten, werde ich es respektieren. Ihre Vorstellungen von der Vergesellschaftung aller immateriellen Güter sind aber weder originell noch innovativ.