In der Presse schwappt gerade die nächste Empörungswelle hoch: Linkspartei und GEW machen Front gegen die Leiharbeit in Kindergärten. Wie üblich werden dabei Wahrheit und Propaganda miteinander verrührt. Am Ende kommt viel Propaganda und wenig Wahrheit auf den Teller.
Zunächst die bittere Wahrheit: Manche Erzieherinnen und Erzieher sind gemessen an ihrer hohen Verantwortung und am Stellenwert ihrer Arbeit unterbezahlt. Das gilt besonders für die Bundesländer im Osten. Aber daneben gibt es noch ein ganz anderes Problem.
Jedes Bundesland legt einen Betreuungsschlüssel fest: Eine Erzieherin oder ein Erzieher soll für eine bestimmte Anzahl Kinder zuständig sein. Die längerfristigen Ausfälle durch Weiterbildung, Krankheit, Schwangerschaft oder andere »unvorhersehbare« Ereignisse sind dabei meist nicht einkalkuliert.
Ein Kaufhaus oder ein produzierender Betrieb berücksichtigt die Ausfallquote bei der Ermittlung des Personalbedarfs in der Personalbedarfsplanung und in der Personaleinsatzplanung. In großen kommunalen Kita-Eigenbetrieben gibt es manchmal »Springer«. Aber die meisten kleinen und mittleren Träger können sich keine Springer leisten, weil die Fördergelder nach dem Betreuungsschlüssel verteilt werden.
Damit die Betreuungszeiten abgedeckt werden können, werden in vielen Kindertagesstätten unbezahlte Überstunden geleistet. Denn auch Erzieherinnen werden krank, müssen sich weiterbilden oder fallen unter das Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter. Eine schwangere Erzieherin darf oft schon am Beginn der Schwangerschaft nicht mehr bei Kindern arbeiten, weil das Risiko einer Ansteckung als sehr hoch eingeschätzt wird.
SPON und die Saarbrücker Zeitung haben nun eine Initiative der Linkspartei aufgegriffen. SPON schreibt (wie üblich sehr stark vereinfacht):
Die Leiharbeitsbranche boomt in Deutschland seit Jahren. Einem Bericht der „Saarbrücker Zeitung“ zufolge steigt selbst unter Sozialarbeitern und Kindergärtnerinnen nun der Anteil der Leiharbeiter. Ihre Zahl sei von 2009 bis 2011 um knapp ein Drittel gestiegen. Die Zeitung beruft sich auf eine Übersicht der Bundesagentur für Arbeit.
Wenn eine Zahl gestiegen ist, dann muss man immer die Bezugsgrößen kennen, sonst sagt die Information über die Steigerung überhaupt nichts aus. SPON nennt uns diesen Bezug nicht. In der Saarbrücker Zeitung kann man zwei Zahlen finden:
Nach einer Übersicht der Bundesagentur für Arbeit, die unserer Zeitung vorliegt, waren im Jahr 2009 bundesweit 5664 Sozialarbeiter, Sozialpädagogen sowie Kindergärtnerinnen und Kinderpflegerinnen in Zeitarbeitsunternehmen angestellt. Mitte des Vorjahres lag die Zahl schon bei 7338. Das ist eine Zunahme um 30 Prozent.
In Kindertagesstätten und ähnlichen Einrichtungen arbeiten in Deutschland etwa 480.000 Fachkräfte. Die Zahl der Arbeitskräfte aus Zeitarbeitsunternehmen ist also im Vergleich zur Gesamtzahl der Fachkräfte verschwindend gering. Das muss man wissen, um die Steigerung richtig einordnen zu können. Es gibt also keinen Grund zum Hyperventilieren:
Kaum eine Berufsgruppe bleibt mittlerweile von der Leiharbeit verschont. Selbst gefragte pädagogische Fachkräfte, wie Erzieherinnen und Erzieher, müssen sich als Leiharbeitskräfte verdingen und sich in vielen Fällen dem Lohndumping der Branche aussetzen. Die Gier nach Profit der Leiharbeitsbranche scheint vor keinem Berufsfeld Halt zu machen, noch nicht einmal vor dem hochsensiblen Bereich der Kindererziehung.
Linkspartei und Gewerkschaften sind aus Prinzip gegen Leiharbeit. Einige ihrer Gründe sind sogar nachvollziehbar. Aber hier wird die Leiharbeit völlig zu Unrecht kritisiert. Sie bietet nämlich die Möglichkeit, die oben beschriebenen Ausfälle auszugleichen. Leiharbeitskräfte können vor allem dort eingesetzt werden, wo es zu längeren Ausfällen kommt.
Die Auswirkungen auf die Kinder und Mitarbeiter in der betroffenen Kindertagesstätte halten sich dabei in Grenzen: Es kommt eine neue Fachkraft für eine begrenzte Zeit in ein eingespieltes Team. Natürlich brauchen die Kinder und Eltern ihre Bezugspersonen. Aber es ist allemal besser, wenn die gestressten und überarbeiteten Mitarbeiter einer Kita etwas Unterstützung bekommen, als wenn ihnen diese Unterstützung auch noch verwehrt bleibt.
Noch eine Ergänzung: Die statistisch erfasste Tatsache, dass
Sozialarbeiter, Sozialpädagogen sowie Kindergärtnerinnen und Kinderpflegerinnen
bei Zeitarbeitsfirmen angestellt waren, sagt noch lange nichts über ihren Einsatz aus. Jedenfalls gibt es keine belastbare Quelle dafür, dass diese Arbeitnehmer alle in Kindertagesstätten gearbeitet haben. Es gibt auch andere Einsatzfelder.