Stadtradeln: Absurde Zahlenspiele in der »Sächsischen Zeitung«

Ich fahre sehr gern Fahrrad und besitze keinen eigenen PKW. Ich wäre eigentlich der ideale Kandidat für das »Stadtradeln«. Aber ich gehe den Zahlen und Fakten auf den Grund und musste schon 2011 feststellen: Stadtradeln ist ein absurdes Spiel mit nicht nachprüfbaren Kilometer-Angaben und bloßen Spekulationen über CO2-»Einsparungen«.

Die »Sächsische Zeitung« berichtet am 19.06.2012 auf Seite 13 über folgende Zahlen aus der Bilanz des Stadtradelns 2011 für Dresden:

Nur jeder vierte Stadtrat beteiligte sich an der Aktion. Im Schnitt radelte jeder Dresdner gerade einmal rund 900 Meter weit. Zum Vergleich: Der Sieger, die nordrhein-westfälische Stadt Rheinberg, schaffte rund 7700 Kilometer pro Einwohner.

Diese Angabe stammt aus der Auswertung des Stadtradelns 2011 (PDF). Dort werden für jede Stadt die abgerechneten Kilometer und die Bevölkerungszahl ins Verhältnis gesetzt. Die Angabe über knapp 900 Meter pro Einwohner sagt aber überhaupt nichts darüber aus, wie weit »jeder Dresdner« in den drei Wochen des Jahres 2011 im Schnitt geradelt ist.

Diese Verhältniszahl ist nämlich völlig nutzlos: Die abgerechneten Fahrradkilometer von etwa 2.000 Aktiven werden auf mehr als 520.000 Einwohner bezogen. Das ist etwa so sinnvoll, als wollte man die Anzahl der EM-Tore auf die Anzahl der Einwohner eines Landes beziehen. Kann man machen. Bringt aber keinen Erkenntnisgewinn.

Zu der zweiten Angabe aus der »Sächsischen Zeitung«: Die Zahl aus Rheinberg ist natürlich genauso nutzlos wie die Zahl aus Dresden, aber noch nicht einmal richtig abgeschrieben. Für Rheinberg werden von den Organisatoren nämlich rund 7,7 Kilometer (oder 7.700 Meter) angegeben.


In einer offiziellen Verlautbarung der Stadtverwaltung wird Dresden im Rückblick als »fahrradaktivste Stadt« bezeichnet:

Gleich bei der ersten Teilnahme radelten die Dresdnerinnen und Dresdner grandios vornweg und belegten den ersten Platz als fahrradaktivste Stadt mit den meisten Radkilometern.

Diese Aussage ist ganz schön gewagt: Immerhin haben überhaupt nur 0,4 Prozent der Bevölkerung bei dieser Propaganda-Aktion mitgemacht. Grandios sind die Zahlenspiele, die um ein wenig Radfahren veranstaltet werden. Nicht.

Um uns als Dresdner zu neuen Höchstleistungen zu motivieren, hat die Oberbürgermeisterin anlässlich des Fahrradfestes der »Sächsischen Zeitung« ein Grußwort verfasst. Darin heißt es:

Gleich mit der ersten Teilnahme im vergangenen Jahr radelte Dresden vorneweg und gewann den deutschlandweiten Wettbewerb als „Fahrradaktivste Stadt mit den meisten Radkilometern“. Beteiligen Sie sich auch in diesem Jahr und sammeln Radkilometer für Gesundheit und Klimaschutz.

Ich freue mich, wenn Sie auf den Geschmack kommen und auch im Alltag öfter einmal den Drahtesel gegen die Benzinkutsche tauschen.

Drahtesel und Benzinkutsche. Ich fasse es nicht. Redet man so mit mündigen Bürgern?


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17 Responses to Stadtradeln: Absurde Zahlenspiele in der »Sächsischen Zeitung«

  1. Frank sagt:

    Ich bin ja auch ein kleiner Skeptiker, was solche Zahlenspiele betrifft. Aber was ist das Problem an den Wörtern „Drahtesel“ und „Benzinkutsche“?

    • stefanolix sagt:

      Dass sie aus dem Sprachschatz einer längst vergangenen Zeit stammen? »Benzinkutsche« war vermutlich kurz nach der Erfindung des Automobils ein origineller Ausdruck und »Drahtesel« entstand wohl, als der erste Mensch auf einem Laufrad unterwegs war …

      • Frank sagt:

        Naja, darin Probleme zu sehen, finde ich nun ein wenig übertrieben. Da hat sich unsere Oberbürgermeisterin halt mal ein wenig volkstümlich ausgedrückt … kann sie meinetwegen gern tun. Deshalb werden doch die angesprochenen Personen nicht gleich als unmündig bewertet.

        Übrigens habe ich heute noch eine Weile über das Thema „Kritik am Stadtradeln“ nachgedacht. Ich bin ja auch immer kritisch gegenüber CO2-Einsparung, die nur auf dem Papier stattfindet und gegenüber anderen Pseudo-Klimaschutzmaßnahmen. Aber vielleicht steigern wir uns hier ausgerechnet beim Stadtradeln in etwas hinein, was die ganze Aufregung doch nicht so wert ist. Immerhin wird dabei ja lediglich Fahrrad gefahren. Es passiert nichts schlimmes! Vielleicht gibt es da doch Themen, die mehr Aufregung wert sind. Und ein Argument für die Beteiligung am Stadtradeln wurde mir inzwischen noch als Argument geliefert: Eine hohe Beteiligung fördert vielleicht den Ausbau von Radwegen oder andere fahrradfreundliche Maßnahmen.

      • stefanolix sagt:

        Das ist ja gerade der Trugschluss: Es wird gar keine Verbesserungen für die Radfahrer geben.

        Nach den Maßstäben dieses merkwürdigen Wettbewerbs hat Dresden im Jahr 2011 alles erreicht, was man erreichen kann. Und was hat sich für die Radfahrer verbessert? Nichts. Es wird nur mehr heiße Luft erzeugt.

        Es wird eine Klima- und Radfahr-Bürokratie aufgebaut. Wie jede andere Bürokratie will auch diese nur eines: wachsen und an Einfluss gewinnen. Für das Wachstum nutzloser Bürokratie sind solche Aktionen wie ein warmer Regen. Wenn aber die Bürokratinnen und Bürokraten bezahlt werden müssen, bleibt natürlich noch weniger Geld für zielführende Maßnahmen.

        Das ist »Greenwashing« in Reinkultur. Man redet viel und tut wenig für die Umwelt.

        An dieser Maßnahme nehmen vorwiegend Aktive teil, die etwas Gutes tun wollen, aber auch ohne diese Aktion auf dem Fahrrad gesessen hätten. Die Größenordnung lag im Mittel bei 70 bis 80 Kilometern in der Woche. Bei vielen Teilnehmern ist stark zu vermuten, dass sie keine Auto-Kilometer ersetzt haben, sondern einfach normal Rad gefahren sind, wie z.B. bei Fahrradkurieren, ADFC-Aktivisten und Rad-Pendlern.

        Würde die Stadt ihr CO2-Ziel also ernst nehmen, dürfte sie sich nicht mit solchen mehr als zweifelhaften Zahlen schmücken. Dass sie es doch tut, zeigt ganz deutlich: Es geht nicht um Verbesserungen, sondern um Bürokratie-Aufbau.


  2. Krischan sagt:

    Kann man nicht einfach mal so Fahrradfahren? Ohne dabei das Klima retten zu wollen, den Rücken zu stärken, die Ausdauer zu trainieren und gefährlichen Krankheiten vorzubeugen? Einfach so, wie früher, aus Spaß? Weils schön ist, abends schön fertig macht und das Radler (!) danach super schmeckt?

    Oder ist das Streben nach individuellem Lustgewinn verboten und muss mit politisch-korrekten Mäntelchen verbrämt werden?

  3. Kann man nicht einfach mal so Fahrradfahren?
    Nein … es muss zu etwas nütze sein.

    Ohne dabei das Klima retten zu wollen, den Rücken zu stärken, die Ausdauer zu trainieren und gefährlichen Krankheiten vorzubeugen?
    Nein, weil’s sonst zu nix nütze wäre.

    Einfach so, wie früher, aus Spaß?
    Spaß-Gesellschaft is‘ voll 90s, voll Asbach, Mann! … das hat uns schon Peter „Schluss mit lustig“ Hahne gelehrt.

    Weils schön ist, abends schön fertig macht und das Radler (!) danach super schmeckt?
    Wer arbeitet, darf keinen Alkohol trinken … auch nich‘ Radler, und nicht nur weil da manchmal Aspartam drin ist. Außerdem ist nach dem Arbeitstag das zu machen, was man nicht bis Feierabend geschafft hat – so wie Schüler Hausaufgaben bekommen, hat der Arbeitnehmer seinem Chef gegenüber auch Fleißaufgaben zu machen. Logo. Außerdem kann man schon mal den nächsten Arbeistag vorbereiten.

    Oder ist das Streben nach individuellem Lustgewinn verboten und muss mit politisch-korrekten Mäntelchen verbrämt werden?
    Ja und ja und nochmals JAAAAA!!!
    Lustgewinn, ich glaub‘ ich spinne – du alter Hedonist ;)

    So und jetzt ab … auf’s Fahrrad gesetzt und 901 Meter für’s Stadtradeln gesammelt. Mit deinen Äußerungen hier, Krischan, bringst du Zersetzungsgefahren in die Stadtradel-Bewegung. Schäm dich … so etwas tut man nicht :)

    • Krischan sagt:

      Zersetzung? Gar Wehrkraftzersetzung? Bin ich etwas ein Schädling am Stamme des kerndeutsch-urgesunden Volkskörpers, ein Stachel im Fleische des Volksempfindens?

      Juchei!

      Den „alten“ Hedonisten empfinde ich allerdings als Zumutung und Altersdiskriminierung. Gemäß der Maxime „Man ist so alt wie man sich fühlt“ bin ich 15, mit Führerschein und geregeltem Einkommen. Also

      • Bin ich etwa ein Schädling am Stamme des kerndeutsch-urgesunden Volkskörpers, ein Stachel im Fleische des Volksempfindens?
        Besser hätte ich es auch nicht ausdrücken können, Krischan ;)

        Im Ernst … vermutlich hast du meine Ironie aus dem vorhergehenden Kommentar rauslesen können. Ist immer so ne Sache mit der Ironie im Schriftlichen – „Ironie – versteht der Leser nie“ soll ja eine Maxime/Binsenweisheit der Journalisten sein ;)

        Wie auch immer … ursprünglich entstand das Fahrrad ja sicher mal als Nutzfahrzeug, dann haben’s (Profi)Sportler entdeckt … und irgendwann wurde es als Freizeitobjekt erkannt – auch wenn man sich vermutlich aus der Sicht einiger in der Freizeit gefälligst wieder für die Arbeit fit machen sollte :)

        Letztlich kann sich wohl jeder glücklich schätzen, der einfach mal Fahrrad fahren kann – einfach des Fahrradfahren wegen … ob er dann nun hinterher richtig schön „fertig“ ist und/oder das Radler hinter super schmeckt, ist jedem selbst überlassen.

        Ich hatte auch mal ’ne Phase, in der ich vor jeder Fahrradbenutzung erst mal den Tacho angebracht habe, um zu sehen wieviel ich Kilometer fahre und welche Geschwindigkeiten ich erreichen kann. War auch interessant, um ein Gefühl für Entfernungen zu bekommen oder als Spielzeug, ob man den kürzesten Weg fährt.
        Nachdem ich dann irgendwann mal an den Punkt kam, an dem ich feststellte, dass ich a.) pro Jahr mehr Kilometer mit dem Fahrrad gefahren war als mit dem Auto (okay, war’n Trabi ;)) und b.) bergrunter auch mal fast 50 km/h schaffen kann, was letztlich doch nur ein kleiner Nervenkitzel war, habe ich a.) den Trabi abgemeldet (spart Geld und Stress und ist „mehr öko“) und b.) fahre seitdem gemütlicher und bestenfalls mal ’ne 30 bergab :)

        Und last but not least … ich habe das Gehen mehr zu schätzen gelernt, auch weil es weniger Konzentration auf die Umwelt erfordert – als Auto- oder Fahrradfahren.

  4. Der dahinter stehende Verein ist für mich das Äquivalent zum Unternehmensberater. Die schaffen sich ihren Markt selbst und baden dann in ihrer Wichtigkeit. Und Dresden fällt auch noch drauf rein. War aber zu erwarten bei unserem Stadtmarketing, und nichts anderes als (einfallsloses) Marketing ist das Stadtradeln.

    • @ „Unternehmensberater“
      Denkst du das die „Stadtradel AG“ mit MIFA, Diamant und/oder den Krankenkassen kooperiert? :)

    • stefanolix sagt:

      @Peter Macheli: Unternehmensberater gib es solche und solche, aber letztlich doch mehr solche als solche ;-)

      Was ich mit diesem kryptischen Satz sagen will: Du hast zum Teil Recht. Aber hier geht es um eine bestimmte Spezies: Den mit falschen Anreizen geförderten Umweltberater, dessen Existenz ohne ständig nachfließendes Fördergeld akut bedroht wäre.

      Diese Stadtradel-Berater haben mit manchen Unternehmensberatern anscheinend etwas Wichtiges gemeinsam: Sie schauen dem Auftraggeber auf den Mund und wiederholen mit eigenen Worten, was der Auftraggeber sagt und was er hören will.

      Die Geschäftsidee ist als solche genial: Man lässt andere strampeln, man lässt sich selbst fördern und man muss dafür nur gehörig heiße Luft in die Gegend blasen. Allerdings bringt das eingesetzte Steuergeld niemandem einen Nutzen, außer den wuchernden nachwachsenden Fahrrad- und Klimabürokratien.

  5. E-Haller sagt:

    Mein größtes Problem mit dieser Veranstaltung ist die Art und Weise, wie die vermeindlichen „Erfolge“ verkauft werden. Und dann auch noch dankbar und unreflektiert von der Presse widergekäut. Erinnert irgendwie an die Ernteerfolgsmeldungen aus der Aktuellen Kamera – nur mit dem Unterschied, dass damals wahrscheinlich wirklich etwas geerntet wurde ;)

    Du bist übrigens nicht der ideale Kandidat – denn Du sparst ja tatsächlich kein CO2 ein ;)

    • stefanolix sagt:

      Deshalb bin ich gerade der ideale Kandidat, denn das tun anscheinend mehr als die Hälfte der aktiv darüber berichtenden Teilnehmer auch nicht ;-)

    • Frank sagt:

      Im Prinzip wäre es ja kein großes Problem, einfach mal so zu ermitteln, wie viel in einer Stadt Rad gefahren wird. Einfach mal so als rein sportlicher Vergleich. Nur diese unsinnige Umrechnung in angeblich eingespartes CO2 sollte entfallen.

      Diese CO2-Umrechnung im Sinne einer geschönten Umweltbilanz ist auch deshalb schwachsinnig, wenn man sich einmal überlegt, was für geringe Werte da eigentlich entstehen: Ich habe z.B. am letzten Sonnabend 9,5 kg CO2 gespart! Zumindest wenn ich die Strecke (die ich mit Auto gar nicht hätte fahren können) beim Stadtradeln eingetragen hätte. Klingt viel, aber wenn man sich mal überlegt, wie viel Erdgas in derselben Zeit allein in Dresden verbrannt wird – da dürfte das Ergebnis schon etwas belangloser erscheinen.

  6. […] die in der Presse kritiklos veröffentlicht wurden. Vielleicht konnte ich in dem einen oder anderen Fall für ein wenig Aufklärung […]

  7. Es gibt auch Städte mit innovativeren Werbemaßnahmen fürs Fahrradfahren … z.B. in Kopenhagen – copenhagenize.eu – Filmportal.
    Scheint allerdings ne privatwirtschaftliche Initiative zu sein … „Copenhagenize Consulting is a leading consultancy and communications company specialising in bicycle promotion, research & marketing and liveable cities.“
    Tja, in Dresden gibt’s eben den ADFC …. und achja, das Stadtradeln :)

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