Der Medienexperte Peter Stawowy wird sich am kommenden Montag mit Thomas Bärsch über den Einfluss von Blogs und Social Media auf den lokalen Journalismus unterhalten. Die Ankündigung klingt sehr interessant. Man kann die Diskussion live via »Hangout on Air« verfolgen oder später auf Youtube die Aufzeichnung anschauen. Das Thema lautet:
Wie verändern Blogs und Social-Media den Journalismus in Dresden – sind wir wirklich Provinz?
Zwei wahrhaft große Fragen. Werden 30 Minuten dafür reichen? ;-)
Ich werde mich am Montag nicht live beteiligen können. Deshalb beschreibe ich in diesem Artikel aus meiner Sicht die Grundprobleme des Verhältnisses zwischen Dresdner Medien und Dresdner Bloggern.
Das Wahrnehmungsproblem
Peter Stawowy leitet seine erste Frage mit: »Wie verändern Blogs …« ein. Müsste die Frage nicht eher lauten: »Verändern Blogs und Social Media den lokalen Journalismus«? Ich beantworte sie provokativ mit Nein.
Die regelmäßigen Leser dieses Blogs wissen, dass ich als politischer Mensch aufmerksam Zeitung lese und dass ich in den letzten Jahren zu einigen Themen recherchiert habe, die mich beim Lesen stutzig werden ließen.
Einige meiner Themen wurden von überregionalen Blogs aufgegriffen. Aber verändert es etwas am Dresdner Journalismus, wenn beispielsweise das BILD-Blog einen Artikel der »Sächsischen Zeitung« oder der »DNN« auf der fachlichen Ebene kritisiert? Wird dadurch etwas besser?
Das BILD-Blog ist das medienkritische Blog mit der größten Reichweite in Deutschland. Wenn nicht einmal auf eine öffentlichkeitswirksame Kritik im BILD-Blog reagiert wird, darf man mit Fug und Recht die These aufstellen, dass Bloggen und Social Media bisher gar keinen Einfluss auf den Dresdner Journalismus haben. Ich lasse mich gern widerlegen.
Das Kommunikationsproblem
Es wird in Dresdner Blogs zwar über Dresdner Zeitungen geschrieben, aber nicht mit Dresdner Zeitungen kommuniziert. Umgekehrt sieht es noch schlechter aus: Mir sind aus den letzten beiden Jahren keine Artikel über Dresdner Blogger in Erinnerung.
In den Anfangszeiten des Bloggens wurden vor mehreren Jahren wohl einige Blogger in einer Art Homestory vorgestellt, aber es blieb immer an der Oberfläche. Einen Artikel zum Thema »Dresdner Medien und Dresdner Blogger« hat es nach meinen Informationen noch nie gegeben. Wurde schon mal eine Medienkritik von Dresdner Bloggern in einer Dresdner Zeitung aufgegriffen?
Dass es dieses Kommunikationsproblem gibt, liegt aus meiner Sicht an den Redaktionen der Dresdner Zeitungen, die mit Bloggern entweder keinen Dialog führen wollen oder keinen Dialog führen können. Die Verantwortlichen der Dresdner Zeitungen versuchen gerade, das Axiom Paul Watzlawicks zu widerlegen, nach dem man nicht nicht kommunizieren kann ;-)
Und andere Social-Media-Plattformen? Manchmal greift man wohl auf kosten- und harmloses Material von Twitter zurück, wenn in der Zeitung am Wochenende noch etwas Platz ist. Aber von einer ernsthaften Auseinandersetzung mit anderen Teilnehmern ist mir nichts bekannt.
Twitter wird offenbar fast nur als Verlautbarungsplattform verwendet, um auf Artikel aufmerksam zu machen. Die »Sächsische Zeitung« folgt ganzen neun anderen Twitterern, darunter DVB, Dampfschifffahrt und Volkshochschule. Eine Stichprobe zeigt, dass in den letzten 24 Stunden nur Teaser für eigene Artikel veröffentlicht wurden. Beispiel vom 23.08.2012 (kurz nach 14.00 Uhr):

Beiträge von @szonline bei Twitter.
Die »DNN« hat in den letzten 24 Stunden ebenfalls nur Verweise auf eigene Artikel getwittert. Sie folgt dafür über 900 anderen Twitterern, wobei nachvollziehbare Auswahlkriterien für mich nicht erkennbar sind.
Leider kann ich zur Rolle der beiden Dresdner Zeitungen bei Facebook nichts sagen, weil ich dort kein Mitglied bin. Eine Frage an die beiden Diskussionsteilnehmer und an Facebook-Mitglieder hätte ich also: Wie sieht die Kommunikation zwischen Redaktionen und Lesern bei Facebook aus?
Das Qualitätsproblem
Inzwischen schlage ich die »DNN« und die »Sächsische Zeitung« mit einem gewissen Grundmisstrauen auf. Man bekommt schnell ein Gespür dafür, welche Artikel aus Pressemitteilungen der Stadt Dresden, aus der PR von Unternehmen oder aus der Öffentlichkeitsarbeit von Organisationen übernommen wurden — nicht selten ohne korrekte Kennzeichnung der Quelle.
In einigen Fällen habe ich hier im Blog Artikel aus der Dresdner Presse aufgegriffen. Dabei habe ich Fakten gefunden, die Aussagen der Zeitungen widerlegten oder relativierten. Ein Tiefpunkt war die ungeprüfte Wiedergabe einer Aussage aus der Pressemitteilung des Grünen-Abgeordneten Lichdi im August 2012 in mehreren Dresdner Zeitungen. Was darüber zum Teil für ein Unsinn geschrieben wurde, kann man in der großen Zusammenfassung im Flurfunk nachlesen.
Was mich allerdings in meinem Sinn für Gerechtigkeit nach wie vor am tiefsten trifft: Der Artikel über die angebliche Bespitzelung von Pirnaer Schülern durch Lehrer der eigenen Schule ist immer noch online [mehr zu den Hintergründen beim Flurfunk]. Dieser Artikel hätte sofort gelöscht werden müssen, als die gravierenden handwerklichen Fehler offenkundig wurden.
Das wirtschaftliche Problem
Es ist eine banale Tatsache: Zeitungen müssen bezahlt werden. Dem Vernehmen nach sinkt der Anteil der Leser an der Finanzierung des Journalismus stetig. Warum kündigen viele Leser ihr Abonnement? Warum kommen zu wenige neue Leser hinzu?
Das könnte mit den bisher genannten Problemen zusammenhängen: Die Zeitungen nehmen die Kritik aus der Zielgruppe der Social-Media-Nutzer nicht wahr, die Qualität der Meldungen wird kritischer als früher hinterfragt, Fehler werden häufiger aufgedeckt und schlechte Kommunikation wurde von den Kunden noch nie belohnt.
Wenn die gedruckte Auflage sinkt, müssen die Zeitungen andere Finanzierungsquellen finden. Das kann aber die drei oben genannten Probleme nur verschärfen: Wenn sich die Presse den Unternehmen zur Verbreitung von PR andient, werden die Artikel natürlich nicht besser. Eine Kommunikation mit Kritikern aus sozialen Netzwerken und Blogs wird im Prinzip unmöglich: Welcher Seite will man sich zuwenden?
Wenn beispielsweise in einer lokalen Zeitung ein »Wettbewerb« um einen »Wirtschaftspreis« inszeniert wird, kann man davon ausgehen, dass die Artikel wesentlich die PR der Unternehmens oder die Aussagen der Geschäftsführer wiedergeben, was im Grunde auf dasselbe hinausläuft. Das ist kein Journalismus, sondern allenfalls eine Journalismus-Simulation.
Wer das traurige Ende der PlusSZ-Beilage verfolgt hat und die neue Beilage nicht ungelesen in den Papierkorb wirft, kennt ein Beispiel dafür, dass aus einem wirtschaftlichen Problem immer ein Qualitätsproblem wird: Vorzügliche Restaurant-Kritiken wurden durch seelenlose Restaurant-PR ersetzt. Ein Verlust für die Leser und ein Verlust für die Autoren.
Ich sehe es sehr kritisch, wenn immer mehr PR in den Zeitungen steht und wenn man sich beim Lesen fragen muss: Nutzt es mir als Leser oder nutzt es der Firma, über die nur Gutes berichtet wird? Wenn die Zeitungen diese Strategie verfolgen, können sie natürlich nicht gleichzeitig auf Kritik an dieser Strategie eingehen.
Versuch einer Zusammenfassung
Die genannten Probleme sind zweifellos eng miteinander verbunden. Vorausgesetzt, dass meine Beobachtungen stimmen, muss ich mir als Blogger die Frage stellen: Soll ich die Zeitungen in Zukunft boykottieren? Dann würde ich die Fehler nicht mehr wahrnehmen und auch keine Artikel mehr darüber schreiben. Dann wäre die Eingangsfrage mit Nein zu beantworten: Dresdner Blogger verändern die Dresdner Medien nicht.
Wenn es einen nennenswerten positiven Einfluss von Dresdner Bloggern und anderen Aktiven in sozialen Netzwerken auf Dresdner Zeitungen geben soll, müssen sich nicht die Netzbewohner, sondern die Zeitungen bewegen. Sie müssen ihre Verweigerungshaltung aufgeben. Sie müssen endlich bereit sein, Fehler einzugestehen und zu berichtigen. Und zwar in einer Art und Weise, dass es für alle Leser wahrnehmbar ist und dass der Urheber der Berichtigung genannt wird.
Um es kurz zu machen: Die Zeitungen müssen sich wieder den Lesern zuwenden und im Interesse der Leser auf die Leute aus den neuen Medien zugehen. Nur so werden sie mehr Leser gewinnen und von der Wirtschaft wieder unabhängiger werden. Dann gibt’s auch kein Problem mit uns Bloggern. Anderenfalls wird das eintreffen, was ihnen die unverbesserlichen Pessimisten zurufen: »Papiermedien — geht sterben!«. Ich gehöre bisher nicht zu diesen Pessimisten, aber ich muss mich sehr anstrengen …
Als PS eine kurze Antwort zur zweiten Frage von Peter Stawowy. Wenn man noch in den Kategorien »Provinz« und »Metropole« denkt, ist sie sehr leicht zu beantworten: Ja. Man muss sich keiner Illusion hingeben: Dresden ist kein Medienstandort und Dresden ist auch kein Social-Media-Standort (wenn man bei Social Media überhaupt noch von Standorten sprechen kann). Ich will aber nirgendwo anders leben und ich will auch nicht so tun, als ob ich irgendwo anders zu Hause sei.