Keine Sternstunden mehr

31. August 2012

Es war zweifellos eine Sternstunde der Menschheit, als im Jahre 1858 durch ein Transatlantik-Kabel das erste Wort über den Ozean übertragen wurde. Damals wurden zum ersten Mal mehr als 4.500 Kilometer Kabel durch den Ozean verlegt. 

Als die ersten Worte übertragen wurden, ahnte noch niemand, dass dieses Kabel nur eine Zwischenstation auf dem Weg bis zur wirklich funktionierenden Verbindung sein sollte. Es gab Probleme mit der Isolierung, mit der Verarbeitungsqualität und mit der Festigkeit. Erst mehrere Jahre später waren die Verbindungen wirklich stabil.

Stefan Zweig hat aus der Geschichte des ersten Transatlantik-Kabels eine wunderbare Novelle gemacht. Im Mittelpunkt steht der Unternehmer und Investor Cyrus West Field. Er hat viele Jahre seines Lebens und sein gesamtes Vermögen für das Ziel eingesetzt, eine schnelle Datenverbindung zwischen Europa und Amerika zu schaffen.

Die transatlantischen Verbindungen wurden möglich, weil die beteiligten Ingenieure und Wissenschaftler immer wieder aus Fehlern gelernt haben. Sie erfanden unter anderem neue Isolierungen und neue Kabelverlegemaschinen.

Die beteiligten Staaten haben sich damals kaum in die Projekte eingemischt. Die »Atlantic Telegraph Co.« hatte weitgehend freie Hand, trug aber auch das volle Risiko.

Die Investoren haben trotz aller Rückschläge immer wieder eigenes Geld in die Verlegung der Kabel gesteckt. Die Beteiligten haben sich zu keinem Zeitpunkt von ihrem Vorhaben abbringen lassen, weil sie vom Nutzen des Projekts zutiefst überzeugt waren. Übrigens geschah das damals auch in wirtschaftlich extrem schwierigen Zeiten.

Die Übertragung der ersten Worte über den Atlantik durch ein Seekabel war eine Sternstunde der Menschheit, weil wagemutige Menschen über Jahre hinweg alle Schwierigkeiten überwunden haben: Ingenieure, Investoren, Seeleute und Arbeiter haben es schließlich ermöglicht.


Im Jahr 2012 geht es um andere Kabel: Windparks auf offener See sollen an das Stromnetz angebunden werden. Man könnte daraus eine neue Sternstunde der Menschheit machen, wenn die notwendigen Speichersysteme und Übertragungsnetze eines Tages verfügbar sein werden. Doch mutige Investoren sind heute nicht mehr in Sicht:

Die neue Umlage für die Haftung von Risiken, die der Ausbau der Stromerzeugung auf hoher See mit sich bringt, wird die Verbraucher mindestens eine Milliarde Euro kosten. Das folgt aus dem Gesetzentwurf, den das Bundeskabinett an diesem Mittwoch beschließen will. In dem dieser Zeitung vorliegenden Text heißt es: »Für die Einbeziehung sich bereits abzeichnender Verzögerungsfälle sind Entschädigungszahlungen von etwa 1 Milliarde Euro zu erwarten.« (Quelle)

Die Entfernung zwischen Windpark und Festland liegt in der Größenordnung von 100 bis 200 Kilometern. Die Übertragung der Energie vom Windpark in der Nordsee bis zum Festland wird technisch beherrscht. Die wirtschaftlichen und technischen Risiken sind also objektiv wesentlich geringer als vor 150 Jahren.

Hätten die Investoren und Ingenieure damals so gedacht und gehandelt, dann gäbe es wohl bis heute keine transatlantischen Verbindungen. Wäre im Jahr 1858 ein Politiker auf die Idee gekommen, eine Zwangsabgabe auf die Nutzung von Morsetelegraphen zu erheben, hätten ihn die Unternehmer und Bürger vermutlich für verrückt gehalten.

Damals wurde durch privaten Wagemut eine Sternstunde der Menschheit möglich. Heute wird eine Sternstunde der Menschheit durch Lobbyismus, Risikoscheu und verkrustete bürokatische Strukturen verhindert: Murks auf unser aller Kosten.

Lassen wir die Windparks an Land …


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Kein Bezug zur Freiheit

30. August 2012

In einem Leitartikel der F.A.Z. wird heute mit kühnem Federstrich eine Verbindung zwischen Pressefreiheit und Leistungsschutzrecht hergestellt:

Das jetzt vom Kabinett beschlossene Leistungsschutzrecht für Presseverlage ist tatsächlich der Versuch, in der unendlichen Weite des Netzes ein paar Schranken zu errichten. Wenn dadurch aber die Macht eines Monopolisten gebrochen wird, so ist das ein guter Tag für die Freiheit. [Hervorhebung von mir: »Ein guter Tag für die Freiheit« ist die Überschrift des Artikels.]

Dem unvoreingenommenen und freiheitsliebenden Leser klingen die Ohren: Wer ist dieser Monopolist, der unsere Freiheit gefährdet? Worauf hat er ein Monopol? Wann hat er seine Macht missbraucht, um unsere Freiheit einzuschränken?

Mit dem Monopolisten ist Google gemeint. Google bietet seine Suchmaschine in vielen demokratischen Staaten an. Sie wird von den Kunden, den Werbepartnern und den meisten Seitenbetreibern geschätzt. Aber es gibt trotzdem Alternativen wie Bing und Yahoo. Google kann folglich gar kein Monopol haben.

Man darf davon ausgehen, dass in allen demokratischen Staaten mit Google-Anschluss Pressefreiheit herrscht. Ist die Freiheit der Presse und des Wortes in den USA gefährdet, weil Google den Zeitungen dort kein Geld für die winzigen Informationsschnipsel in den Suchergebnissen zahlt?

Gibt es überhaupt einen anderen Staat, in dem sich die Presse dafür bezahlen lässt, dass ihre Seiten bei Google gefunden werden? Man könnte das erste Zitat als ein Zeugnis des Überschwangs der Gefühle werten, aber es geht ja noch weiter:

Sogar in der Bundesregierung wurde gewarnt vor einem »Schonraum für Geschäftsmodelle, deren Zeit abgelaufen ist«. Wer so redet, muss sich fragen lassen, ob er auch den demokratischen Rechtsstaat für ein Auslaufmodell hält.


Kann sich noch jemand an die ersten Telefonbuch-CDROMs erinnern? Am Anfang gab es einen einzigen Anbieter, der alle Anschlussdaten erfasst hatte. Findige Geschäftsleute ließen aber bald alle deutschen Telefonbücher in China abtippen und boten eigene Datenträger an.

Es gab dann viele juristische Auseinandersetzungen zwischen den konkurrierenden Anbietern, doch heute besteht kaum noch Bedarf an CDROMs mit Anschlussdaten. Schließlich kann man jede eingetragene Telefonnummer kostenlos im Netz abfragen. Mit den Abfragen wird übrigens immer noch Umsatz generiert, aber auf völlig andere Weise als vor zwanzig Jahren.

Geschäftsmodelle kommen und gehen — aber der demokratische Rechtsstaat bleibt.


Bei allem Respekt vor der Arbeit der Redakteure und Journalisten der F.A.Z.: Die Verknüpfung zwischen Leistungsschutzrecht und Pressefreiheit ist maßlos überzogen. Zwischen Google und den Zeitungen gibt es ein Geben und Nehmen zum beiderseitigen Vorteil.

Google speichert winzige Informationsschnipsel für die Anzeige in den Suchergebnissen. Google bringt aber den Websites der Zeitungen mit Hilfe dieser winzigen Informationsschnipsel täglich auch hunderttausende Klicks, die es sonst nicht gegeben hätte. Damit könnten beide Seiten eigentlich gut leben. Und leben lassen.



Leistungsverhinderungsrecht

30. August 2012

Zwei Blogger schreiben über den letzten Entwurf für ein neues »Leistungsschutzrecht«: Thomas Knüwer sieht das Ende des Technikzeitalters in Deutschland gekommen und Frank fragt sich, ob die Verlage noch alle Tassen im Schrank haben. Angesichts des Entwurfs verwundert das nicht: Kaugummi-Paragraphen haben noch nie Rechtssicherheit gebracht.

Ich sehe in dem Entwurf vor allem ein Leistungsverhinderungsrecht für eine spezielle Leistung: Das Verknüpfen von Politik, Medien und Kommentaren. Es wäre dabei besonders schade um rivva.de — eine Website, die Trends im Netz erkennen und anzeigen will. Keine perfekte Website: An einigen (wenigen) Tagen wird sie mit SEO-Spam geradezu geflutet. Aber oft eine interessante Hilfe, wenn man die Reaktionen auf gesellschaftliche und politische Themen zurückverfolgen will.

Vermutlich wird Google nicht die Verweise auf alle deutschen Zeitungen und Zeitschriften aus seinen Datenbanken entfernen. Auf irgendeine Weise werden sich Google und die Zeitungsverleger einigen müssen, weil sie wechselseitig voneinander abhängig sind.

Aber ich sehe die Gefahr, dass Angebote wie rivva.de verschwinden könnten. Denn sie müssen notwendigerweise anzeigen, über welche Themen gerade geschrieben, gebloggt, getwittert und diskutiert wird. Und sie haben eben nicht die wirtschaftliche Macht von Google.

Parlamentarier sagen: Kein Gesetz kommt so aus dem Bundestag heraus, wie es hineingegangen ist. In diesem Fall wäre es gut, wenn der Bundestag sich durch kompetente Experten davon überzeugen ließe, das Gesetz nicht in dieser Form zu beschließen. Die Zeitungsverlage sollen sich selbst darum kümmern, wie sie ihre Leistungen am besten verkaufen.



Verbilligende Symbolpolitik an Frankreichs Zapfsäulen

29. August 2012

Die französische Regierung hat beschlossen, dass der Treibstoff an der Zapfsäule um 6 Cent billiger werden soll. Das ist zur einen Hälfte ein Eingriff in die Preisbildung am Markt und zur anderen Hälfte ein Verzicht auf Steuereinnahmen. Beides ist falsch.

Demokratisch gewählte Regierungen haben die Aufgabe, den Markt zu fördern und zu regulieren. Selbstverständlich müssen Kartellabsprachen der Mineralölkonzerne verhindert werden. Selbstverständlich müssen am Markt die Wettbewerbsregeln durchgesetzt werden, damit kleine Tankstellen und Autofahrer nicht durch multinationale Konzerne benachteiligt werden.

Dieser Eingriff in die Preisbildung ist aber schädlich und heuchlerisch. Schädlich: Weil er keine Preiserhöhung verhindert, sondern sie geradezu herausfordert – man nennt das Mitnahmeeffekt. Heuchlerisch: Weil der hohe Preis wesentlich vom Staatsanteil des Kraftstoffpreises abhängt. Im Wahlkampf hatte sich der heutige Präsident sogar noch viel weiter aus dem Fenster gelehnt: Damals wollte er Preiserhöhungen sogar von Staats wegen verbieten.

Man kann ja geteilter Meinung über die hohen Steuern auf Kraftstoffe sein, aber ich halte den kurzzeitigen Verzicht auf Steuereinnahmen für genauso falsch wie den Eingriff in den Markt. Es ist ganz gewiss keine verlässliche und nachhaltige Politik, wenn ein hochverschuldeter Staat die Steuer für ein Vierteljahr um etwa fünf Prozent senkt, um dann wieder um so heftiger in die Taschen der Autofahrer zu greifen.

Dann sollte man diese 300 Millionen Euro besser zur Schuldentilgung einsetzen und die Bürger darüber aufklären, wie die Schulden entstanden sind und wie sie zu vermeiden wären. Aber dafür müsste man ja das Feld der Symbolpolitik verlassen. Viel einfacher ist es, den Bürgern ein Bröckchen hinzuwerfen …



Wird über die Gleichstellung der homosexuellen Partnerschaften in Karlsruhe oder in Berlin entschieden?

27. August 2012

Anfang August konnte man in der Presse und sogar in der Tagesschau erfahren: 13 Bundestagsabgeordnete der CDU und Familienministerin Kristina Schröder wollen die homosexuellen Lebenspartnerschaften mit der Ehe steuerlich gleichstellen. In der Meldung hieß es:

Die 13 Abgeordneten verweisen darauf, dass die schwarz-gelbe Koalition sich in ihrem Koalitionsvertrag zur Ausgewogenheit von Rechten und Pflichten von eingetragenen Lebenspartnerschaften verpflichtet habe. »Lebenspartner wie Ehegatten tragen die gegenseitigen Unterhalts- und Einstandspflichten füreinander, insofern ist das Steuersplitting auch für Lebenspartnerschaften nur konsequent«, heißt es in dem Aufruf.

CDU-Vertreter erregen mit einer solchen Position immer noch Aufmerksamkeit, während man diese Haltung bei der FDP-Justizministerin als selbstverständlich hinnimmt. Zu erwarten war auch die Abwehrhaltung in konservativen Kreisen, vorgetragen durch Gerda Hasselfeldt (CSU):

Ehe und Familie haben in unserer Gesellschaft eine herausgehobene Stellung, denn sie tragen unsere Zukunft.

Das ist nicht ganz korrekt: Unsere Zukunft wird durch Familien und Kinder, aber nicht unbedingt durch die Ehe getragen. Es gibt viele unverheiratete Eltern. Es gibt viele Ehen ohne Kinder. Konsequent zu Ende gedacht: Es müsste in Zukunft mit den Geburtsurkunden einen höheren und mit den Trauscheinen einen niedrigeren Steuervorteil geben.


In einer aktuellen SPON-Meldung wird die Diskussion innerhalb der Regierungskoalition routinemäßig als »Streit« bezeichnet. Ohne Diskussion gibt es aber keine Entwicklung und das Zeitfenster für Entscheidungen wird sich bald schließen, weil der nächste Wahlkampf in Sicht kommt. Insofern ist es richtig, das Thema zu behandeln. Doch Angela Merkel scheint sich wie so oft in der Warteposition einzurichten: Nur nichts entscheiden, bevor in Karlsruhe ein Urteil formuliert und begründet wurde.

Damit gibt die Politik ein weiteres Mal Gestaltungsmöglichkeiten aus der Hand. Die Regierungskoalition hat bereits in der Koalitionsvereinbarung im Jahr 2009 beschlossen, dass man die Stellung der eingetragenen Lebenspartnerschaften verbessern will. Es ist aber nichts geschehen.

Warum wird das Ehegattensplitting nicht für alle auf Dauer angelegten Partnerschaften eingeführt und der Steuervorteil gleichzeitig leicht reduziert? Das könnte man aufkommensneutral gestalten und es entspräche der Forderung nach einer wirklichen Gleichstellung aller registrierten Partnerschaften mit gegenseitigen Verpflichtungen.

Aber dafür müsste man natürlich politisch handeln oder zumindest erst einmal eine gesellschaftliche Diskussion in Gang bringen. Was bekanntlich nicht gerade die Stärke dieser Koalitionspartner ist: Schon nach dem Wahlsieg 2009 wirkten sie wie paralysiert und haben bis zur Wahl in NRW kaum Politik gemacht. Zu welcher steuerlichen Besserstellung es trotzdem gerade noch gereicht hat, ist ja hinlänglich bekannt …



Empfehlung

25. August 2012

Wer noch nichts vorhat, dem sei eine Fernsehsendung empfohlen: Am heutigen Abend kommt (seit 20.15 Uhr) bei 3Sat »Der Turm« von Uwe Tellkamp in einer Inszenierung des Staatsschauspiels Dresden.



Offenbar »bis zu drei Milliarden« zu viel? Offenbar ist gar nichts.

25. August 2012

Seit ich den Artikel über die unglaubwürdige Pressemitteilung des sächsischen Grünen-Abgeordneten Lichdi geschrieben habe, geht mir das Wort »offenbar« nicht mehr aus dem Sinn. Lichdi hat damals in seiner Pressemitteilung verkündet:

Zur Verfügung stehen offenbar Mittel bis zu einer Höhe von 390.000 EUR aus dem Haushaltstitel ‚Presse- und Öffentlichkeitsarbeit‘ der Staatskanzlei.

Ich konnte nachweisen: Das war (und ist) Blödsinn.


Das Wort »offenbar« scheint mir bei den Grünen eine Art Codewort zu sein. Es signalisiert mir: Achtung! Jetzt kommt eine unbelegte Behauptung. Es soll durch Übertreibung und Überspitzung Aufmerksamkeit erregt werden. Es soll etwas skandalisiert werden.

Doch im Wortsinn »offenbar« können nur belegte Tatsachen sein: Wenn etwas offenbar ist, dann ist es klar ersichtlich und eindeutig erkennbar.


Jüngstes Beispiel: Eine Pressemitteilung der Bundestagsfraktion der Grünen über die Energiepreise, die unter anderem bei SPON und dem Schockwellenreiter wiedergegeben wird. Reflexartig werden die bösen Energiekonzerne für die hohen Strompreise verantwortlich gemacht. In der Pressemitteilung steht:

Die Energiekonzerne kassieren in diesem Jahr offenbar beim Strompreis bis zu drei Milliarden Euro zu viel von den Verbrauchern. Das zeigt eine neue Strompreis-Studie der Grünen-Bundestagsfraktion.
(…)
Ein Gutachten im Auftrag der grünen Bundestagsfraktion hat errechnet, dass den Verbrauchern im Jahr 2012 Preisnachlässe im Gesamtvolumen von 3 Mrd. Euro vorenthalten werden.

Es ist in der Pressemitteilung nicht vermerkt, ob die Studie wissenschaftlich zitierfähig ist. Es gibt in der Pressemitteilung auch keine nachprüfbaren Zahlen. Also scheint mir zunächst gar nichts offenbar zu sein. Aber es gibt ja einen Link zu der Studie (PDF) und es gibt inzwischen auch Stellungnahmen zur Methodik der »Studie«, die eigentlich nur ein Kurzgutachten ist. SPON zitiert:

Bestimmte Komponenten bei der Strombeschaffung seien nicht berücksichtigt worden, kritisierte der Bundesverband der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). „So kommen Beschaffungspreise von rund fünf Cent pro Kilowattstunde zustande, die in der Praxis für Stromvertriebe nicht zu erreichen sind“, hieß es. Außerdem seien Beschaffungskosten für Regel- und Ausgleichsenergie gar nicht berücksichtigt worden.

Also ist allein aus diesen nicht berücksichtigten Zahlen schon eine Relativierung des Ergebnisses zu erwarten.


Ein weiterer Punkt ist aus meiner Sicht methodisch völlig falsch: Der Gutachter rechnet mit dem gesamten Verbrauch aller Privathaushalte, um insgesamt auf möglichst große Zahlen zu kommen.

Aber es beziehen überhaupt nicht alle Privathaushalte ihre Energie von einem »bösen Energiekonzern«. Viele Stadtwerke erzeugen vor Ort selbst Elektroenergie. Die Hochrechnung auf bis zu drei Milliarden Euro zugunsten der Energiekonzerne ist also mit aller Kraft an den Haaren herbeigezogen.

Beispiel Dresden: Hier versorgt die DREWAG etwa 90% der Bürger. Dabei werden die Gewinne zum großen Teil direkt [über eine Holding] an die Verkehrsbetriebe weitergegeben, aber auch für die Subventionierung des Eintritts zum Schlosspark Pillnitz und viele andere kommunale Projekte genutzt. Unter dem Strich bleibt nach den notwendigen Investitionen und der Gewinnabführung an die Stadt Dresden eine schwarze Null. Und anderswo dürfte es ähnlich aussehen.

Apropos Investition: Das Gutachten verrät natürlich auch nicht, welcher Anteil des Gewinns von den Energieerzeugern re-investiert wird. Infolge der kaum verlässlichen Energiepolitik ist es verständlich, wenn Unternehmen Rücklagen bilden.


Nach einer Meldung der F.A.Z. zum selben Gutachten gibt es eigentlich auch aus dem Inhalt heraus keinen triftigen Grund für eine Polemik gegen die bösen Konzerne. Die F.A.Z. gibt eine Kernaussage wieder:

Den Grund sieht Harms im mangelnden Wettbewerb der Versorger bei den Privatkunden: Noch immer hat die Mehrheit der Stromkunden nie ihren Anbieter oder auch nur ihren Tarif gewechselt. Die meisten zahlen deshalb deutlich mehr als nötig. Anders sei das bei Großverbrauchern, denen die Versorger gute Angebote machten, um sie von einem Wechsel abzuhalten.

Also liegt bei näherer Betrachtung noch weniger Schuld bei den »bösen Energiekonzernen«. Als Kunde weiß man: Die hohen Steuern und die hohen Umlagen für die erneuerbaren Energien fallen sowieso überall an.


Die hohen Strompreise werden also wesentlich durch mangelnden Wettbewerb, durch extrem hohe Steuern und durch zwangsweise Zusatzabgaben bestimmt.

Man darf vermuten: Die Grünen wollen mit ihrer Auftragsstudie von ihren eigenen energiepolitischen Weichenstellungen ablenken. Es gibt ja auch plausible Gründe dafür: Waren die Grünen vor einigen Jahren noch glühende Verfechter der Energiegewinnung aus Lebensmitteln, tun sie heute so, als hätten sie damit nie etwas zu tun gehabt.

Dieses Beispiel für die Unglaubwürdigkeit der Grünen hat dankenswerterweise Jan Fleischhauer in seiner SPON-Kolumne beleuchtet:

Es ist nicht lange her, dass Jürgen Trittin den Biosprit als „Kraftstoff für unsere Zukunftsfähigkeit“ pries, da war er noch Bundesumweltminister und Herr über etliche Fördermillionen. „Der Acker wird zum Bohrloch des 21. Jahrhunderts, der Landwirt wird zum Energiewirt“, verkündete er im November 2005 auf dem Internationalen Fachkongress für Biokraftstoffe, unter dem Beifall der anwesenden Lobbyvertreter und sonstigen Nutznießer.


In den letzten Jahren haben die Grünen immer wieder tausende Wahlplakate mit der Aussage aufgehängt, auf denen viele Arbeitsplätze durch Sonnenenergie versprochen wurden — heute gehen die Solarfirmen reihenweise pleite, die Mitarbeiter werden entlassen und die Arbeitsplätze bei den Zulieferern verschwinden gleich mit. Aber die Zwangsabgaben für den Einsatz der ineffizienten Photovoltaik zahlen wir noch über Jahrzehnte.


Die Grünen waren für mich früher eine glaubwürdige Partei. Viele Bürgerrechtler aus der DDR des Jahres 1989 wurden vom Bündnis 90 aufgenommen. Jetzt sind sie für mich aufgrund ihrer rücksichtslosen Lobby-Politik zulasten der Verbraucher endgültig unwählbar geworden.

Der Abgeordnete Lichdi hat mit seiner Pressemitteilung dafür nur den letzten Anstoß gegeben.


Anmerkung: Wenn ich im Text etwas vom Erzeugen der Elektroenergie schreibe, ist selbstverständlich immer eine Energieumwandlung gemeint. »Energieerzeugung« ist ein vereinfachender Begriff aus der Umgangssprache.



Kampagnenkritik

24. August 2012

In »Zettels Raum« hat R. A. einen Artikel über die aktuelle Europa-Kampagne geschrieben. Ich kenne ihn schon lange als ökonomisch und politisch sehr kompetenten Beobachter. Seine spontane Reaktion: Ich will keine Geschichten erzählt bekommen. Ich will Fakten über die weitere Entwicklung der EU hören!

Fakten und Argumente werden verlangt, konkrete Zielbeschreibungen und Alternativen, zwischen denen entschieden werden muß. Eine Blubberblasenwerbung im Waschmittelstil ist da völlig deplaziert.
(…)
Für die weitere Entwicklung Europas wünscht man sich aber schon ein Mindestmaß an Kompetenz. Und da die politisch Agierenden gerade hier ein immer fragwürdigeres Bild abgeben, wird ihnen die Unterstützung von Florian Silbereisen und Co. nicht weiterhelfen.


Ich bin für ein »Europa der freien Vaterländer«: Ohne Grenzkontrollen, aber mit einem Kernbereich nationalstaatlicher Souveränität. Ohne Zollschranken, aber mit einem gemeinsamen Ordnungsrahmen für die Wirtschaft. Ohne jede militärische Rivalität, stattdessen mit einer koordinierten Außen- und Sicherheitspolitik. Ohne gemeinsame Schulden, aber gern mit gemeinsamen Haushaltsposten für Hochkultur und Spitzenforschung.

Ganz wichtig: Nationalismus und Nationalchauvinismus sollen für ewig gebannt sein. Frankreich und Deutschland, Deutschland und Polen sollen Erbfreunde sein. Doch ohne Nationalbewusstsein und nationale Identität wird sich kein Europa aufbauen lassen: Nicht mit den Polen, nicht mit den Franzosen, nicht mit den Deutschen.

Die Annäherung der Lebensverhältnisse ist ein sehr langfristiges Ziel: Jedes Land soll sein eigenes Tempo finden. Es bringt keinen Frieden, sondern nur Unfrieden, wenn im Süden Europas milliardenteure Investitionsruinen in Form von Brücken und Straßen ins Nichts stehen.

Eine gemeinsame Währung ist kein Muss, sondern ein Kann. Nur zur Erinnerung: Es gibt Staaten in der EU, die sehr gut ohne den Euro leben und die sich jetzt keine so großen Sorgen um die schwarzen Löcher im Haushalt Griechenlands machen müssen.

Ich gebe gern einen Teil meines Steuergeldes für die Rettung der Akropolis oder für die Hilfe beim Wiederaufbau nach einer Naturkatastrophe. Das ist Solidarität. Aber der Solidaritätsgedanke wird in den Schmutz gezogen, wenn man von uns die bedingungslose weitere Unterstützung eines Staates verlangt, der die anderen EU-Staaten jahrelang betrogen hat, in dem die Korruption uferlos ist, und in dem es bis heute kein funktionierendes Steuersystem gibt.


Jetzt kommen sie uns mit dieser Kampagne: Alle Probleme sollen übertüncht werden; die Tünche soll nach Friede, Freude und Eierkuchen schmecken. Aber Freude lässt sich nicht herbeireden und der Friede ist durch Heuchelei mehr gefährdet als durch Ehrlichkeit.

Wenn sie für das viele Geld wenigstens eine fundierte Aufklärung über die Staatsfinanzen durchführen würden, hätten sie sofort meine Zustimmung. Wer weiß schon auf der Straße, was sich hinter dem Subsidiaritätsprinzip verbirgt? Man kann es erklären. Man muss es erklären. Und dann darüber beratschlagen, wie man ihm wieder Geltung verschaffen kann …


Sehen Sie selbst: Kann man derart billig gemachte PR mit Florian Silbereisen ernst nehmen, der sogar den christlichen Glauben mit in die Propaganda hineinzieht? Ist denen denn überhaupt nichts heilig?

Wenn ich so billige Propaganda sehe, muss ich sofort an die DDR-Zeit denken. In der DDR gab es die Aktion »Mein Arbeitsplatz — mein Kampfplatz für den Frieden!«. Es war Neusprech in Reinkultur: Die Aufrüstung des Warschauer Pakts war gleichzeitig in vollem Gange.

Seitdem werde ich zutiefst misstrauisch, wenn solche Propaganda inszeniert wird, mag sie auch vordergründig gut gemeint sein. Ich fürchte, dass wir bald wieder auf dem geistigen Niveau der DDR-Propaganda ankommen.

Sarkastisch gesagt: Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, dass in allen öffentlichen Einrichtungen die Aktionen »Mein Arbeitsplatz — mein Kampfplatz für Europa!« und »Wählt die Kandidaten der Europäischen Front!« gestartet werden. — Die Slogans der aktuellen Kampagne sind in der Tat nicht aussagekräftiger als die Parolen der »Nationalen Front« der DDR.

Das macht mich alles wütend — aber noch nicht sprachlos.



Verändern Blogs und Social Media den lokalen Journalismus?

23. August 2012

Der Medienexperte Peter Stawowy wird sich am kommenden Montag mit Thomas Bärsch über den Einfluss von Blogs und Social Media auf den lokalen Journalismus unterhalten. Die Ankündigung klingt sehr interessant. Man kann die Diskussion live via »Hangout on Air« verfolgen oder später auf Youtube die Aufzeichnung anschauen. Das Thema lautet:

Wie verändern Blogs und Social-Media den Journalismus in Dresden – sind wir wirklich Provinz?

Zwei wahrhaft große Fragen. Werden 30 Minuten dafür reichen? ;-)


Ich werde mich am Montag nicht live beteiligen können. Deshalb beschreibe ich in diesem Artikel aus meiner Sicht die Grundprobleme des Verhältnisses zwischen Dresdner Medien und Dresdner Bloggern.


Das Wahrnehmungsproblem

Peter Stawowy leitet seine erste Frage mit: »Wie verändern Blogs …« ein. Müsste die Frage nicht eher lauten: »Verändern Blogs und Social Media den lokalen Journalismus«? Ich beantworte sie provokativ mit Nein.

Die regelmäßigen Leser dieses Blogs wissen, dass ich als politischer Mensch aufmerksam Zeitung lese und dass ich in den letzten Jahren zu einigen Themen recherchiert habe, die mich beim Lesen stutzig werden ließen.

Einige meiner Themen wurden von überregionalen Blogs aufgegriffen. Aber verändert es etwas am Dresdner Journalismus, wenn beispielsweise das BILD-Blog einen Artikel der »Sächsischen Zeitung« oder der »DNN« auf der fachlichen Ebene kritisiert? Wird dadurch etwas besser?

Das BILD-Blog ist das medienkritische Blog mit der größten Reichweite in Deutschland. Wenn nicht einmal auf eine öffentlichkeitswirksame Kritik im BILD-Blog reagiert wird, darf man mit Fug und Recht die These aufstellen, dass Bloggen und Social Media bisher gar keinen Einfluss auf den Dresdner Journalismus haben. Ich lasse mich gern widerlegen.


Das Kommunikationsproblem

Es wird in Dresdner Blogs zwar über Dresdner Zeitungen geschrieben, aber nicht mit Dresdner Zeitungen kommuniziert. Umgekehrt sieht es noch schlechter aus: Mir sind aus den letzten beiden Jahren keine Artikel über Dresdner Blogger in Erinnerung.

In den Anfangszeiten des Bloggens wurden vor mehreren Jahren wohl einige Blogger in einer Art Homestory vorgestellt, aber es blieb immer an der Oberfläche. Einen Artikel zum Thema »Dresdner Medien und Dresdner Blogger« hat es nach meinen Informationen noch nie gegeben. Wurde schon mal eine Medienkritik von Dresdner Bloggern in einer Dresdner Zeitung aufgegriffen?

Dass es dieses Kommunikationsproblem gibt, liegt aus meiner Sicht an den Redaktionen der Dresdner Zeitungen, die mit Bloggern entweder keinen Dialog führen wollen oder keinen Dialog führen können. Die Verantwortlichen der Dresdner Zeitungen versuchen gerade, das Axiom Paul Watzlawicks zu widerlegen, nach dem man nicht nicht kommunizieren kann ;-)

Und andere Social-Media-Plattformen? Manchmal greift man wohl auf kosten- und harmloses Material von Twitter zurück, wenn in der Zeitung am Wochenende noch etwas Platz ist. Aber von einer ernsthaften Auseinandersetzung mit anderen Teilnehmern ist mir nichts bekannt.

Twitter wird offenbar fast nur als Verlautbarungsplattform verwendet, um auf Artikel aufmerksam zu machen. Die »Sächsische Zeitung« folgt ganzen neun anderen Twitterern, darunter DVB, Dampfschifffahrt und Volkshochschule. Eine Stichprobe zeigt, dass in den letzten 24 Stunden nur Teaser für eigene Artikel veröffentlicht wurden. Beispiel vom 23.08.2012 (kurz nach 14.00 Uhr):

szonline_bei_twitter

Beiträge von @szonline bei Twitter.

Die »DNN« hat in den letzten 24 Stunden ebenfalls nur Verweise auf eigene Artikel getwittert. Sie folgt dafür über 900 anderen Twitterern, wobei nachvollziehbare Auswahlkriterien für mich nicht erkennbar sind.

Leider kann ich zur Rolle der beiden Dresdner Zeitungen bei Facebook nichts sagen, weil ich dort kein Mitglied bin. Eine Frage an die beiden Diskussionsteilnehmer und an Facebook-Mitglieder hätte ich also: Wie sieht die Kommunikation zwischen Redaktionen und Lesern bei Facebook aus?


Das Qualitätsproblem

Inzwischen schlage ich die »DNN« und die »Sächsische Zeitung« mit einem gewissen Grundmisstrauen auf. Man bekommt schnell ein Gespür dafür, welche Artikel aus Pressemitteilungen der Stadt Dresden, aus der PR von Unternehmen oder aus der Öffentlichkeitsarbeit von Organisationen übernommen wurden — nicht selten ohne korrekte Kennzeichnung der Quelle.

In einigen Fällen habe ich hier im Blog Artikel aus der Dresdner Presse aufgegriffen. Dabei habe ich Fakten gefunden, die Aussagen der Zeitungen widerlegten oder relativierten. Ein Tiefpunkt war die ungeprüfte Wiedergabe einer Aussage aus der Pressemitteilung des Grünen-Abgeordneten Lichdi im August 2012 in mehreren Dresdner Zeitungen. Was darüber zum Teil für ein Unsinn geschrieben wurde, kann man in der großen Zusammenfassung im Flurfunk nachlesen.

Was mich allerdings in meinem Sinn für Gerechtigkeit nach wie vor am tiefsten trifft: Der Artikel über die angebliche Bespitzelung von Pirnaer Schülern durch Lehrer der eigenen Schule ist immer noch online [mehr zu den Hintergründen beim Flurfunk]. Dieser Artikel hätte sofort gelöscht werden müssen, als die gravierenden handwerklichen Fehler offenkundig wurden.


Das wirtschaftliche Problem

Es ist eine banale Tatsache: Zeitungen müssen bezahlt werden. Dem Vernehmen nach sinkt der Anteil der Leser an der Finanzierung des Journalismus stetig. Warum kündigen viele Leser ihr Abonnement? Warum kommen zu wenige neue Leser hinzu?

Das könnte mit den bisher genannten Problemen zusammenhängen: Die Zeitungen nehmen die Kritik aus der Zielgruppe der Social-Media-Nutzer nicht wahr, die Qualität der Meldungen wird kritischer als früher hinterfragt, Fehler werden häufiger aufgedeckt und schlechte Kommunikation wurde von den Kunden noch nie belohnt.

Wenn die gedruckte Auflage sinkt, müssen die Zeitungen andere Finanzierungsquellen finden. Das kann aber die drei oben genannten Probleme nur verschärfen: Wenn sich die Presse den Unternehmen zur Verbreitung von PR andient, werden die Artikel natürlich nicht besser. Eine Kommunikation mit Kritikern aus sozialen Netzwerken und Blogs wird im Prinzip unmöglich: Welcher Seite will man sich zuwenden?

Wenn beispielsweise in einer lokalen Zeitung ein »Wettbewerb« um einen »Wirtschaftspreis« inszeniert wird, kann man davon ausgehen, dass die Artikel wesentlich die PR der Unternehmens oder die Aussagen der Geschäftsführer wiedergeben, was im Grunde auf dasselbe hinausläuft. Das ist kein Journalismus, sondern allenfalls eine Journalismus-Simulation.

Wer das traurige Ende der PlusSZ-Beilage verfolgt hat und die neue Beilage nicht ungelesen in den Papierkorb wirft, kennt ein Beispiel dafür, dass aus einem wirtschaftlichen Problem immer ein Qualitätsproblem wird: Vorzügliche Restaurant-Kritiken wurden durch seelenlose Restaurant-PR ersetzt. Ein Verlust für die Leser und ein Verlust für die Autoren.

Ich sehe es sehr kritisch, wenn immer mehr PR in den Zeitungen steht und wenn man sich beim Lesen fragen muss: Nutzt es mir als Leser oder nutzt es der Firma, über die nur Gutes berichtet wird? Wenn die Zeitungen diese Strategie verfolgen, können sie natürlich nicht gleichzeitig auf Kritik an dieser Strategie eingehen.


Versuch einer Zusammenfassung

Die genannten Probleme sind zweifellos eng miteinander verbunden. Vorausgesetzt, dass meine Beobachtungen stimmen, muss ich mir als Blogger die Frage stellen: Soll ich die Zeitungen in Zukunft boykottieren? Dann würde ich die Fehler nicht mehr wahrnehmen und auch keine Artikel mehr darüber schreiben. Dann wäre die Eingangsfrage mit Nein zu beantworten: Dresdner Blogger verändern die Dresdner Medien nicht.

Wenn es einen nennenswerten positiven Einfluss von Dresdner Bloggern und anderen Aktiven in sozialen Netzwerken auf Dresdner Zeitungen geben soll, müssen sich nicht die Netzbewohner, sondern die Zeitungen bewegen. Sie müssen ihre Verweigerungshaltung aufgeben. Sie müssen endlich bereit sein, Fehler einzugestehen und zu berichtigen. Und zwar in einer Art und Weise, dass es für alle Leser wahrnehmbar ist und dass der Urheber der Berichtigung genannt wird.

Um es kurz zu machen: Die Zeitungen müssen sich wieder den Lesern zuwenden und im Interesse der Leser auf die Leute aus den neuen Medien zugehen. Nur so werden sie mehr Leser gewinnen und von der Wirtschaft wieder unabhängiger werden. Dann gibt’s auch kein Problem mit uns Bloggern. Anderenfalls wird das eintreffen, was ihnen die unverbesserlichen Pessimisten zurufen: »Papiermedien — geht sterben!«. Ich gehöre bisher nicht zu diesen Pessimisten, aber ich muss mich sehr anstrengen …


Als PS eine kurze Antwort zur zweiten Frage von Peter Stawowy. Wenn man noch in den Kategorien »Provinz« und »Metropole« denkt, ist sie sehr leicht zu beantworten: Ja. Man muss sich keiner Illusion hingeben: Dresden ist kein Medienstandort und Dresden ist auch kein Social-Media-Standort (wenn man bei Social Media überhaupt noch von Standorten sprechen kann). Ich will aber nirgendwo anders leben und ich will auch nicht so tun, als ob ich irgendwo anders zu Hause sei.



Ein Hype um Gift im Sommerloch?

22. August 2012

Der Hype um die Meldungen zu den Giftspuren im modischen Bubble-Tea erinnern mich an eine drei Jahre alte Meldung, die damals für große Aufregung sorgte. Damals wurde Kokain in einem Getränk der Marke Red Bull gefunden. Aus einer sachlichen Zeitungsmeldung von damals:

0,4 Mikrogramm pro Liter Kokain wurde laut dem nordrhein-westfälischen Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit (LIGA) gefunden: „Das heißt, dass auf ein Mal jemand 100.000 Liter trinken muss, um eine Wirkung zu erzielen“ (…)

Und ein Experte sagte damals:

„Wir haben auch den Koffeingehalt gemessen. Auch er ist sehr variabel“, erläuterte er. „Wenn man andere Nahrungsmittel und Getränke auf diesem Level der Empfindlichkeit messen würde, wie jetzt Red Bull Cola, fände man vieles“.

Damit ist klar: Mit modernen Analyse-Methoden findet man vermutlich auch heute noch winzige Spuren von Kokain oder anderen Giften in unseren Getränken. Bevor man aber einen Skandal daraus macht, sollte man die Dosis der kritischen Stoffe kennen, die man mit einem solchen Getränk zu sich nimmt.

Im Fall der Cola lag der Gehalt an Kokain damals so niedrig, dass man davon knapp 55 Jahre jeden Tag 5 Liter trinken müsste, um eine Wirkung zu erzielen — vorausgesetzt, dass sich das Gift nicht abbaut oder auf natürlichem Wege ausgeschieden wird ;-)

Wie hoch war die Dosis eigentlich im aktuellen Fall? Weiß man schon Genaueres? Laut Rheinischer Post:

Allerdings haben die Aachener noch keine Ergebnisse über die Konzentration der gesundheitsgefährdenden Stoffe vorgelegt. Erst danach sind Aussagen über eine Gefährdung möglich. Ein Experte des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamts in Münster, das Lebensmittel im Auftrag des Landes analysiert, sagte, die Probemenge bei dem Fund in Mönchengladbach sei zu gering und damit nicht aussagekräftig.

Wetten, dass sich die Zeitungen in den nächsten Tagen trotzdem überschlagen werden?



… and others you may know

22. August 2012
anonymous bei facebook

Join Facebook to connect with Anonymous ;-)
Gefunden auf der Facebook-Seite der Piratenpartei.


Ein Plagiat oder ein gängiger Wortwitz?

21. August 2012

Der Aufreger des gestrigen Tages: Thomas Knüwer lehnt sich ganz weit aus dem Fenster und bezichtigt den ARD-Moderator Moor des Plagiats. Es geht um eine fiktive Zeitform (Futur III): Anders als beim Futur II ist die Handlung in der Zukunft eben nicht abgeschlossen. Ursprünglich soll die Satireseite Postillon diese Zeitform in die Welt gesetzt haben.


Anlass zu dieser satirischen Betrachtung: Die lächerlichen Aussagen der Landespolitiker zum Großflughafen Berlin/Brandenburg. Doch eine ähnliche sprachliche Notwehr gab es auch im politischen Witz der DDR.

In der DDR wurden oft große Projekte in die Welt gesetzt, die dem Großflughafen frappierend ähnelten. Entweder wurden sie viel später fertig, als geplant oder sie wurden kleinlaut auf Normalmaß zurückgestutzt, oder sie wurden stillschweigend begraben.

Wenn die Bezirksparteiführung 1986 in der Zeitung verkünden ließ:

»Wir werden die neue Straße zum 40. Jahrestag der DDR im Oktober 1989 fertiggestellt haben!«

dann wusste der Volksmund:

»Wir werden die neue Straße im Oktober 1989 nicht fertiggestellt haben, weil Beton, Baumaschinen und Bauarbeiter gefehlt haben werden.«

Das war das doppelte Futur II mit Verneinung.


Einen Tag später habe ich mal bei Google gesucht und überraschenderweise folgendes gefunden:

futur-ii

Screenshot der Google-Suche (22.08.2012) …



Kritik von Jungen Piraten

20. August 2012

Kann man es als eine Entwicklung hin zur Vernunft werten? Zwei führende Vertreter der Jungen Piraten haben Kritik am Gebaren des Bundesgeschäftsführers geübt.

Ich konnte es noch nie nachvollziehen, mit welcher Haltung Herr Ponader an sein Leben herangeht. Er ist hochintelligent und er hat einen Hochschulabschluss. Doch in einem Artikel bei SPON wird er zitiert:

»Ich bin ein Querkopf, ich tue mich mit Hierarchien schwer«, räumt Ponader ein. Er funktioniere am besten in flexiblen Arbeitsmodellen, mit Gelegenheitsjobs, Projekten und viel Raum für seine Kunst.

Was er nicht erwähnt: Es geht vielen anderen Menschen ganz genauso. Manche arrangieren sich mit den bestehenden Arbeitsbedingungen. Manche schaffen sich als Unternehmer oder Freiberufler ihre eigenen Arbeitsbedingungen. Manche verdienen einfach ihren Lebensunterhalt »in flexiblen Arbeitsmodellen, mit Gelegenheitsjobs und Projekten«.

Ich finde es offen gesagt inakzeptabel, wenn jemand bewusst aus seinen Möglichkeiten nicht genug macht, aber auf der anderen Seite beim ALG-2 die Hand aufhält. Es ist sozial ungerecht gegenüber denen, die wirklich dringend Unterstützung brauchen. Es ist ebenso ungerecht gegenüber allen, die täglich ihre Leistung bringen und damit das Geld für ALG-2 erwirtschaften.

In den Anfangszeiten der parlamentarischen Demokratie hat man Bürger mit einer grundsoliden Reputation und einer gewissen Lebensleistung als Kandidaten aufgestellt oder in die Spitzenpositionen der Parteien gewählt.

Viele andere Gepflogenheiten aus dieser Zeit haben wir ja nun überwunden — und das ist auch gut so: Frauen können wählen und jede Position in der Demokratie erreichen. Die Herkunft der Kandidaten für politische Ämter spielt eine wesentlich geringere Rolle als damals. Aber dass man eine gewisse Lebensleistung vorzeigen sollte, um in der Demokratie eine Spitzenposition zu erreichen — das fände ich schon richtig.



Bazooooooooka!

19. August 2012

Heute liest man in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, dass ein norddeutscher Provinzpolitiker den Einsatz der »Bazooka« gefordert habe. Die »Bazooka« soll wohl symbolisch für eine Waffe stehen, die aller Spekulation den Garaus machen und somit den Euro retten wird.

Bisher hat der Mensch aber für jede Angriffswaffe irgendein Gegenmittel gefunden: Entweder eine Vergeltungswaffe, die vom Einsatz der Angriffswaffe abschreckt oder eine Verteidigungswaffe, mit der die Angriffswaffe unschädlich gemacht wird.

Da bilde ich mir schon beim Lesen der Überschrift ein gepflegtes Vorurteil: Wenn ein Vorschlag mit einer derart blödsinnigen Analogie veranschaulicht werden muss: Kann der Vorschlag dann überhaupt etwas taugen? Und warum spielen Medien dieses Spiel mit?



Ein Schauprozess kann niemals zu einem rechtsstaatlichen Urteil führen

17. August 2012

In Moskau wird heute das Urteil in einem Schauprozess gesprochen. Diese Schauprozess ist durch eine völlig überzogene Anklage gekennzeichnet: Kunstaktionen und Meinungsäußerungen dürfen nicht wie ein schweres Verbrechen behandelt werden.

Die Missachtung der kulturellen oder religiösen Traditionen eines Landes in einer Aktion von wenigen Minuten kann nicht ernsthaft als Vorwand für eine mehrjährige Haftstrafe dienen. Das Delikt »Feindseligkeit« passt in gar keine rechtsstaatliche Kategorie.

Außerdem ist die Behandlung der Angeklagten menschenunwürdig: Sie müssen quasi im Käfig auf der Anklagebank sitzen und sie wurden viel zu lange in Untersuchungshaft gehalten.


Das Gericht muss über eine Anklageschrift entscheiden, die der Tat überhaupt nicht angemessen ist. Es kann den Argumenten der Anklage folgen: Dann kämen die Angeklagten längere Zeit in Haft. Es kann den Argumenten der Verteidigung folgen: Dann wären die Angeklagten entweder freizusprechen oder zu verurteilen und danach zu begnadigen.

In Zettels Forum hat sich dazu eine interessante Diskussion entwickelt, aus der ich einige Anregungen entnommen habe.


Rechtsstaatliche Urteile sollen der Spezialprävention und der Generalprävention dienen. Dieser Schauprozess kann aus meiner Sicht zu keinem rechtsstaatlichen Urteil kommen. Aufgrund des öffentlichen und politischen Drucks konnte die Aktion nicht so verhandelt werden, wie es in einem Rechtsstaat selbstverständlich sein sollte: als Hausfriedensbruch, als Ordnungswidrigkeit oder als Störung der Religionsausübung.

Manche Beobachter in Deutschland würden es vielleicht als »zivilen Ungehorsam« bezeichnen. Aber auch auf solche Handlungen muss der Rechtsstaat reagieren. In Hannover wurde z. B. eine Person wegen der Störung eines Adventskonzertes verurteilt. Dort wurde auf Hausfriedensbruch erkannt.


Die Emotionen haben sich aus mehreren Gründen hochgeschaukelt. Auf der einen Seite steht die orthodoxen Kirche. Für sie ist die Kathedrale mindestens so wichtig, wie für die Katholiken der Petersdom. Orthodoxe Fundamentalisten fordern vom russischen Staat deshalb extrem harte Strafen.

Auf der anderen Seite stehen die Verteidiger der Aktion und die Sympathisanten der Pussy Riot: Für sie ist die Kathedrale wie ein Rathaus oder irgendein sonstiges öffentliches Gebäude einzustufen.

Beides sind Extrempositionen, die den Rechtsfrieden gefährden: Würden sich die religiösen Fundamentalisten durchsetzen, gäbe es ein Gesinnungsstrafrecht und jeder könnte für eine abweichende Meinung hinter Gitter kommen. Würden sich die Sympathisanten solcher Aktionen durchsetzen, wäre die angemessene Ausübung der Religion gefährdet.


Eine Position der Mitte und ein rechtsstaatliches Urteil wäre aus meiner Sicht: Die drei Angeklagten werden auf Bewährung verurteilt. Sie leisten als Bewährungsauflage unter Ausschluss der Öffentlichkeit und unter rechtsstaatlich abgesicherten Bedingungen vier Wochen gemeinnützige Arbeit.

Dieses Urteil hätte in einem Prozess unter rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen gefällt werden müssen: vor allem ohne Untersuchungshaft und unter menschenwürdigen Bedingungen im Gerichtssaal. Dafür ist es jetzt zu spät — weil Putin und die orthodoxen Fundamentalisten unbedingt einen Schauprozess durchsetzen mussten. Es kann dabei nur Verlierer geben.


Ergänzung: In der ZEIT wird über die Rahmenbedingungen des Prozesses berichtet. Dass der öffentliche Friede jetzt gestört ist, geht aber vor allem auf das Konto der russischen Politik. Hätte man diese Aktion von vornherein »tiefer gehängt«, wären jetzt keine massiven Polizeieinsätze notwendig.



Gut getarnt

16. August 2012

Libelle in einem Busch im Botanischen Garten …
(Klick auf die Bilder vergrößert die Darstellung).


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Blutrot

15. August 2012

Blatt einer Zaubernuss.

Blutblume


Das Facebook-Meinungsbild und die Dresdner Presse: Eine bizarre Fortsetzung in Jena

14. August 2012

Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man darüber lachen: Nachdem Redakteure mehrerer Dresdner Zeitungen in der letzten Woche am Lesen, Verstehen und Wiedergeben eines einfachen Sachverhalts gescheitert sind, haben die Autoren einer Jenaer Website noch einen draufgesetzt. Unter dem Motto »Gute Nachrichten für Jena« schreibt jenanews.de:

Nach einem Bericht der »Leipziger Volkszeitung« plant die Bundesregierung offenbar die Anschaffung einer Software, mit der sich soziale Netzwerke wie zum Beispiel Facebook überwachen lassen. [Hervorhebung von mir.]

Angesichts dieser Glanzleistung gönne ich mir heute den Dreifachen und schlage den Jenaer Autor für ein Volontariat bei der »Dresdner Morgenpost« vor ;-)



Merkwürdige Empfehlungen

14. August 2012

Bei SPON gibt es (wieder einmal) einen Reisetipp zur Stadt Dresden. In bemüht origineller Form wird dazu ein Experte »befragt«. Schon zu Beginn zeigt sich, dass der Mann ein wenig die Orientierung verloren hat. Er wird gefragt, wo der Tag in Dresden am schönsten beginnt und wo man dann den besten Kaffee bekommt. Er antwortet auf die erste Frage:

Auf dem Elberadweg zwischen dem »Blauen Wunder« und der Augustusbrücke. Morgens blinkt der goldene Engel auf dem Dach der Hochschule für Bildende Künste besonders schön im Sonnenlicht – und man hat den Weg noch weitgehend für sich.

Auf dem Elberadweg ist es morgens wirklich schön. Aber auf dem Dach der Hochschule für Bildende Künste ist wirklich kein Engel zu sehen, sondern eine Fama. Und die Fama blinkt nicht, sondern sie glänzt. 

Die Fama aus Dresden.

Das ist eine Fama. Sieht sie aus wie ein Engel?

Im SPON-Interview ist der Spaziergänger oder Radler jedenfalls am Morgen bis zur Augustusbrücke gekommen und möchte nun gern einen Kaffee trinken. Auch dafür gibt es einen Tipp:

Wer nur eine Dosis Koffein will, der geht am besten ins Stehcafé der Dresdner Kaffee und Kakao Rösterei im Hauptbahnhof. Atmosphärischer schlürft es sich bei Charlottes Enkel, einer Espressobar am Schillerplatz: kaum Platz zum Umdrehen, dafür Mini-Cupcakes in Knallfarben und das Tässchen für 1,60 Euro. Früher hätte man vielleicht nach einem Schälchen Heeßen verlangt – heute bestellen die meisten Cappuccino oder Caffè Latte.

Die Empfehlungen sind prinzipiell richtig. An beiden Orten bekommt man sehr guten Kaffee, auch wenn ich mich am Sprachbild »atmosphärischer schlürft es sich« gerade gehörig verschluckt habe.

Aber die Wege bis zum Kaffee sind nicht gerade kurz: Zu »Charlottes Enkel« (in der Nähe des »Blauen Wunders«) müsste der Besucher von der Augustusbrücke den ganzen Weg wieder zurückfahren oder zurücklaufen. Das sind etwa sieben Kilometer. Zum Hauptbahnhof müsste er sich in die Straßenbahn setzen oder mindestens 25 Minuten laufen.

Bevor man solche Reisetipps in die Welt setzt, sollte man vielleicht mal einen Dresdner fragen. Am besten einen Dresdner, der verlockende Reiseverführungen schreiben kann …



Wem hilft dieses Meinungsbild?

13. August 2012

Viele Bürger sagen in Twitter, Facebook, Blogs und Foren ihre Meinung. In der vergangenen Woche gab es eine kleine Empörungswelle, als bekannt wurde, dass der Freistaat Sachsen sich aus diesen Meinungen ein Meinungsbild erstellen möchte.

Es ist ja kein Geheimnis: Große Konzerne und andere große Organisationen wenden diese Methode schon lange an. Im Blog Flurfunk betrachtet man die Angelegenheit kühl und professionell:

Social-Media-Monitoring ist – zumindest für Unternehmen (mit einem Blick ins Internet nachzulesen!) nicht nur absolut üblich – es wird in Fachkreisen sogar als Pflicht betrachtet, um die eigene Marke zu schützen. Der Kern der soeben mit großem Geschrei, viel Unwissenheit und noch größerem Skandalisierungsbedürfnis geführten (Nicht-)Debatte ist: Was darf der Staat mit öffentlich zugänglichen Daten?

Wäre es z. B. nicht legitim, wenn der Freistaat Sachsen einige studentische Hilfskräfte beschäftigte, um nach Kommentaren, Artikeln und Tweets über unser Bundesland zu suchen und sie in einem Meinungsbild zusammenzufassen?


Bevor der Freistaat ein solches Meinungsbild in Auftrag gibt, stellt sich aber eine ganz andere Frage: Was kann denn die Regierung des Freistaats überhaupt mit den Informationen anfangen, die sie aus Twitter, Facebook, Blogs und Foren gewinnen würde?


Im englischsprachigen Raum gibt es das sehr vereinfachte Modell der DIKW-Pyramide: Data, Information, Knowledge, Wisdom.

Wissenspyramide.

In wenigen Worten erklärt: Die Basis der Pyramide bilden die Daten. Aus Daten kann man Informationen gewinnen, aus Informationen wird anwendungsbereites Wissen extrahiert. Durch den Austausch mit anderen Wissenden und die effektive Anwendung des Wissens kommt man schließlich auf die Stufe der Weisheit.


Sollte der Freistaat also wirklich ein Dutzend Studenten mit dem Erfassen von Daten und dem Gewinnen von Informationen beschäftigen? Sollten sich Mitarbeiter des Ministeriums an den Schreibtisch setzen und daraus eine Vorlage mit neuem Wissen für den Innenminister extrahieren? Wird er dann mit größerer Weisheit regieren?


Ich habe seit Donnerstag mehr oder weniger aufmerksam verfolgt, welches Echo der Pseudo-Skandal um das geplante Monitoring hervorgerufen hat.

Das ungeschönte Meinungsbild aus Twitter, Facebook, Blogs und Foren zeigt eine Melange aus Stasi-Vorwürfen und Beleidigungen, Gedankenlosigkeit und Dummheit, Ressentiments und Demagogie. Ich habe mir einige Stichworte notiert und gebe sie hier mit aller gebotenen Distanzierung wieder:

Ungeschöntes Meinungsbild aus Twitter, Facebook, Blogs & Co.

Nun kann man es den Leuten nicht einmal verdenken: Sie wurden durch die Presse mit falschen Zahlen und falschen Fakten informiert — und in diesem Fall gab es leider kaum einen Unterschied zwischen »Qualitätspresse« und »Boulevardpresse«.

Ich habe mich am Donnerstag und Freitag oft gefragt: Warum verbreiten ausgerechnet sächsische Medien solch einen Unsinn über ihr eigenes Bundesland? Weil sie nicht in der Lage sind, die Antwort auf eine parlamentarische Anfrage zu lesen? Weil sie mit dem Skandal die Auflage steigern wollen? Oder aus purer Gedankenlosigkeit?

Aus einer skandalisierenden Pressemitteilung wird ein skandalisierender Zeitungsartikel. Aus dem skandalisierenden Zeitungsartikel werden tausende skandalisierende Tweets, Kommentare und Blog-Artikel. Die Rechner laufen heiß und die Nutzer hyperventilieren. Wenige Tage später ist alles vergessen — nur der schlechte Ruf bleibt an Sachsen hängen.


Man hätte sachlich über die Angelegenheit diskutieren können, aber es ist an den Mechanismen der Politik und der Medien gescheitert.

Der Abgeordnete Lichdi findet eine skandalisierende Formulierung, die ihm maximale Aufmerksamkeit bringen soll. Mehrere Redakteure schreiben gedankenlos aus der Pressemitteilung ab, ohne anhand einer zweiten Quelle den Informationsgehalt nachzuprüfen. Tausende Bürger lesen die Artikel, nehmen sie für bare Münze und regen sich sinnlos auf. Es entsteht ein Schaden für die Demokratie und den Freistaat Sachsen.

Der Freistaat könnte das Meinungsbild in Twitter, Facebook, Blogs und Foren täglich problemlos erfassen. Das wäre legal und legitim, solange keine personenbezogenen Angaben erfasst werden. Aber kann man daraus Wissen und Weisheit gewinnen?

Man kann es nicht beschönigen: Solange Politiker und Presse nicht verantwortungsbewusst agieren und solange die Bürger nicht kritischer mit den Informationen umgehen, muss man keine Software anschaffen und auch keine Studenten an den Rechner setzen — nur um aus viel Datenmüll ein verzerrtes Meinungsbild zu gewinnen.



Die »junge Welt« titelt mit der Mauer oder mit Fidel Castro — aber es ist doch eigentlich egal …

13. August 2012

Von der linken Tageszeitung »junge Welt« nimmt ja normalerweise kaum jemand Notiz. Viele dachten, dass das Blatt schon längst zu Staub zerfallen sei, als es vor einem Jahr zum 50. Jahrestag des Mauerbaus ein Dankeschön an die bewaffneten Organe der DDR veröffentlichte.

Ein Dankeschön für die Mauermorde, für die Selbstschussanlagen, den Stacheldraht und die Minenfelder. Das sagt viel über die Redaktion und die Zielgruppe dieser Zeitung aus …


Natürlich spielt die »junge welt« ein Jahr später auf diese Aktion an. Man dankt heute nicht den Sicherheitsorganen Honeckers und Mielkes, sondern man erinnert sich an einen alten Freund der beiden: Man gratuliert mit »Danke, Commandante« dem kubanischen Ex-Diktator Fidel Castro zum Geburtstag. In der Hommage der »jungen Welt« steht unter anderem:

Was bedeutete es für Kuba, Revolutionär zu sein? Es bedeutete, mit der Überzeugung, daß nur das Ethische nützlich sein kann, an die Wurzeln der sozialen Probleme zu gehen, an die Fähigkeiten des Volkes zu glauben, die verborgenen, unsichtbaren Möglichkeiten aufzudecken und möglich zu machen, was undurchführbar schien.

Nun haben sie auf Kuba etwa 50 Jahre Zeit gehabt, das wahrhaft Ethische in die Tat umzusetzen. Das Regime hat sein Volk mit Hilfe eines perfiden Systems permanent bespitzelt. Es hat viele Menschen eingekerkert, die es wagten, eine eigene Meinung zu vertreten. Zehntausende Kubaner sind beim Versuch einer Flucht aus dem Unrechtsstaat Kuba in die Freiheit gestorben.


Aber haben sie unter Castro wenigstens die »verborgenen und unsichtbaren Möglichkeiten des Volkes« aufgedeckt und genutzt? In den Zeitungen der vergangenen Woche konnte man Artikel über die Versorgung der Kubaner mit Lebensmitteln lesen. Illustriert waren sie mit dem Bild eines staatlichen sozialistischen Lebensmittelladens, in dem zwei lustlose Angestellte einige Kuba-Orangen beaufsichtigten.

Wer in der DDR zur Schule gegangen ist, müsste diese Früchte der Mangelwirtschaft noch kennen: Kuba-Orangen sind eine verunglückte Kreuzung aus grüner Orange, Stroh und Industriekautschuk. Kuba hat sie damals der DDR im Tausch gegen Maschinen und Industrieanlagen geliefert.

Jetzt will Kuba wieder einmal seine Wirtschaft »reformieren«: Es soll nun doch etwas Privatinitiative möglich sein. Die andere ewiggestrige Tageszeitung, das »neue deutschland«, berichtete in der letzten Woche aus Kuba:

Staatliche Unternehmen werden die Stützpfeiler der Wirtschaft bleiben, versicherte Parlamentspräsident Ricardo Alarcón. »Wir werden unseren Sozialismus aktualisieren, perfektionieren, aber keinen Deut von seinen Prinzipien aufgeben«, bekräftigte Raúl Castro. Bereits mit Sicht auf den 7. Parteitag im Jahr 2016 wird begonnen, den Parteiapparat zu verjüngen.


Vielleicht ist das der Beginn eines Wandels durch Wirtschaft. Vielleicht wird eines Tages der Parteiapparat nicht verjüngt, sondern davongejagt. — Ich bin sicher, dass sich dieses Volk nach der Befreiung von der kommunistischen Diktatur und nach der Einführung eines demokratischen Rechtsstaats binnen kurzer Zeit aufschwingen würde.

Es gäbe neben Fidel Castro und seiner Machtclique vermutlich auch in Deutschland einen Verlierer dieses Umschwungs: Die sozialistische Tageszeitung »junge Welt«. Aber das wäre wohl zu verschmerzen …



Gelandet und wachsam …

12. August 2012

Libelle im Botanischen Garten (12.08.2012).


Libelle im Botanischen Garten (12.08.2012).


Libelle im Botanischen Garten (12.08.2012).


Wildkräuterwiese

11. August 2012

Nachdem eine fundierte wissenschaftliche Studie der Leopoldina gezeigt hat, dass der Anbau von Pflanzen für BIO-Sprit unter ökologischen und sozialen Aspekten eigentlich nicht vertretbar ist, meldete sich bekanntlich die Grünen-Expertin Bärbel Höhn zu Wort und schlug allen Ernstes vor, die Energie in Zukunft von Wildkräuterwiesen zu gewinnen. Eine Wildkräuterwiese könnte etwa so aussehen:

wildkraut

Wildkräuter auf den Elbwiesen in Dresden im August 2012.

Das klingt ja prächtig. Aber grün-motivierte Umweltschützer können doch auf keinen Fall zulassen, dass diese blühende Wiese um des schnöden Profits willen mit der Maschine abgeerntet wird. Darin sind doch sicher vom Feldhamster bis zum Osterhasen jede Menge Tiere versteckt — und im Hintergrund paaren sich im Wald schon die Juchtenkäfer, die auf keinen Fall durch den Lärm verschreckt werden dürfen.

Ich kann mich dieses Alptraums nicht erwehren: Wenn die Grünen eines Tages an der Macht sind und ihren Plan durchsetzen, dann werden die Menschen auf der Wiese stehen und »Energiepflanzen« mit der Hand pflücken. Andererseits ist es wohl nur konsequent: Es wird dann genügend Beschäftigungslose geben, weil Industrie und Bau schon lange kaputt sind …



In einem stillgelegten Dresdner Wasserwerk …

10. August 2012

findet gerade die jährliche Ausstellung »ORNÖ« mit Werken bildender Künstler statt. Die Ausstellung ist viel kleiner als die Ostrale und ein Besuch in dem alten Gebäude an der Saloppe ist sowieso immer interessant. Einige (ungeordnete und kaum bearbeitete) Eindrücke:


Erste Eindrücke von der Ausstellung ORNÖ 2012
(Anmerkung: die Wand im ersten Bild ist so schräg).


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Der Tod ist eine ernste Sache …

10. August 2012

Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich mich zu einem Artikel aus dem Kulturteil der »Dresdner Neuesten Nachrichten« vom 08.08.2012 äußern soll. Ich will mit Fragen von Leben und Tod immer respektvoll umgehen. Aber andererseits kann eine falsche Information nicht unwidersprochen bleiben.

Ausriss Fukushima

Ausriss aus dem Kulturteil
der »Dresdner Neuesten Nachrichten« vom 08.08.2012.

Es ist bekannt, dass die letzten verbliebenen Atomanlagenarbeiter in Fukushima etwas nahezu Übermenschliches geleistet haben: Sie sind in der Nähe der Reaktoren geblieben und haben unter schwierigsten Bedingungen die ersten Reparaturen durchgeführt. Sie haben mit ihrer Arbeit schlimmere Auswirkungen der Erdbebenkatastrophe verhindert. Aber sie leben. Man kann nicht einfach in die Zeitung schreiben, dass diese 50 Menschen mit ihrem Leben bezahlt haben.


Vermutlich geht es auf einen dpa-Bericht zurück, in der die Künstlerin (richtig oder falsch?) zitiert wird:

Dass Wasser allerdings auch Tod und Zerstörung bringen kann, zeigt die niederländische Künstlerin Sandra Collée. Mit »Fukushima 50« hat sie 50 unbekannten Männern ein Denkmal gesetzt, die nach dem Tsunami versuchten, die Kernschmelze in dem japanischen Atomkraftwerk aufzuhalten. »Dafür haben sie ihr Leben gegeben, das hat mich sehr bewegt«, erklärt Collée. Gemalt sind die Porträts auf weißen Bettlaken – weil die Männer in dem verseuchten Reaktor tagelang nur auf Bettlaken schliefen.

Das Werk »Fukushima 50« in der Ausstellung in der Saloppe.