Artikel in der »Sächsischen Zeitung« zu Organtransplantationen für Privatversicherte: Statistik oder Demagogie?

Gestern hat McCluskey in den Kommentaren auf ein aktuelles Thema verwiesen: Die Grünen haben sich einige Zahlen aus der Statistik gepickt und behaupten, dass bei Organtransplantationen Privatversicherte bevorzugt würden.


Nehmen wir an, dass in Deutschland eintausend Personen auf das Spenderorgan Bauchspeicheldrüse warten. Eine Warteliste von tausend Personen ist immer nach mehreren Gesichtspunkten geordnet, beispielsweise: Dringlichkeit des Eingriffs, allgemeiner Gesundheitszustand, medizinische Prognose für einen Erfolg der Transplantation (…). Die zuständige Organisation erfasst auf der Warteliste nicht, ob jemand gesetzlich oder privat versichert ist.

Laut Angaben des Grünen-Abgeordneten beträgt der Anteil der Privatversicherten auf der Warteliste 2.6 Prozent. In unserem Beispiel wären das 26 von 1.000 Personen. Aus dem Anteil der Privatversicherten geht aber nicht hervor, an welcher Stelle die privat versicherten Personen auf der Warteliste gestanden haben. Man kann aus dieser Zahl nicht ableiten, wie dringend die Eingriffe bei ihnen waren, welcher Gesundheitszustand vorlag und wie die Prognose ausgesehen hat.

Im Jahr 2011 wurden nun 4 Prozent der Transplantationen einer Bauschspeicheldrüse an Privatpatienten vorgenommen. Solange uns die Information über ihren gesundheitlichen Status und ihren Platz auf der Warteliste fehlt, ist ein Vergleich der beiden Zahlen 2.6 und 4 Prozent weitgehend nutzlos. Es gibt keinen Beweis dafür, dass die privat versicherten Patienten in der Warteliste von ganz weit hinten nach vorn manipuliert wurden.


Die »Ärztezeitung« hat sogar herausgefunden, dass die Zahlen des Grünen-Abgeordneten für die Warteliste und für die Transplantationen aus zwei unterschiedlichen Jahren stammen:

Ein Manko hat die Auswertung allerdings: Die Zahlen der Wartelisten sind vom August dieses Jahres, die Zahlen der Transplantationen aus dem Jahr 2011.

Also sind seine Schlussfolgerungen im Grunde noch weniger wert. Verschwiegen werden in der Pressemitteilung auch die Sterblichkeitsraten der PKV- und GKV-Patienten, die auf der Warteliste stehen. Insgesamt sind so viele Fragen offen, dass man sich hüten sollte, aus den wenigen Angaben zu den Transplantationen eines einzigen Jahres(!) Schlussfolgerungen für die Politik zu ziehen.


Was macht nun die marktführende Zeitung am Standort Dresden aus diesem Thema? Man könnte ja erwarten, dass man als Leser über das Thema aufgeklärt wird.

Hier ist zunächst ein Zitat aus dem Original der Pressemitteilung:

So waren 9,7 Prozent der Patientinnen und Patienten, die auf eine Leber warteten, privat versichert. Ihr Anteil an denen, die ein Spenderorgan bekamen, lag aber bei 13,1 Prozent. Ähnlich bei Herzen (9,5 Prozent zu 11 Prozent), Lungen (6,9 Prozent zu 9,5 Prozent ) und Bauchspeicheldrüsen (2,6 Prozent zu 4,0 Prozent). Und auch beim sogenannten beschleunigten Verfahren, bei dem die Transplantationszentren unabhängig von der Warteliste selbst Patientinnen und Patienten auswählen dürfen, die ein neues Organ bekommen, lag der Anteil der Privatversicherten stets höher als ihr Anteil auf der Warteliste.

Vergleichen Sie dieses Zitat aus dem Original bitte mit diesem Abschnitt aus dem Artikel der »Sächsischen Zeitung«:

Nach Terpes Berechnungen lag der Anteil der Privatversicherten auf der Warteliste für eine Leber bei 9,7 Prozent – der Anteil derjenigen Privatversicherten, die 2011 eine neue Leber bekamen, aber bei 13,1 Prozent. Ein ähnliches Bild ergab sich den Berechnungen Terpes zufolge bei Herzen (Warteliste 9,5, Transplantationen 11 Prozent), bei Lungen (6,9 zu 9,5) und bei Bauchspeicheldrüsen (2,6 zu 4). Ähnliche Auffälligkeiten entdeckte Terpe auch beim Anteil der Privatversicherten am sogenannten beschleunigten Verfahren, bei dem die Transplantationszentren unabhängig von der Warteliste selbst Patienten auswählen dürfen.

Die journalistische Leistung beschränkt sich hier auf eine leichte sprachliche Bearbeitung. Die »Sächsische Zeitung« hat weder die Zahlen noch die Methodik der Studie hinterfragt. Wo ist der Nutzen für den gesundheitspolitisch interessierten Leser? Wo ist der Nutzen für einen schwerkranken Patienten, der auf eine Bauchspeicheldrüse wartet?


Aber halt: Die Zeitung hat am Ende des Artikels noch kurz einen Sozialfunktionär und eine Politikerin der Linkspartei zitiert. Wenig überraschend: Es wird natürlich der Kampfbegriff Zweiklassenmedizin bemüht.

Das Thema wird von Linkspartei und Grünen parteipolitisch ausgeschlachtet und die »Sächsische Zeitung« lässt sich dafür einspannen. Nachdem diese unreflektierte Wiedergabe von Pressemitteilungen der Grünen jetzt schon wieder vorkommt, überlege ich schon, ob ich mir Kerben in meinen Schreibtisch schnitzen sollte …

Kommentator McCluskey fand gestern hier die richtigen Worte:

Das wäre mir noch relativ egal, würde eine solche Debatte nicht auf dem Rücken von schwer(st)- bzw. todkranken Menschen entfacht. Die Organspendebereitschaft ist in Deutschland ohnehin nicht groß, sinkt sie durch solch ideologisch aufgeheizte Debatten weiter, hat man wirklich Menschenleben auf dem Gewissen. Wenn hieb- und stichfestes empirisches Material vorliegt, dann her damit. Aber “womöglich”, “offenbar” und “könnte”? Widerlich.


Zu dem ernsten Thema Organspende kann man Partei- und Pressemeldungen gar nicht genug hinterfragen. Es wird nämlich auf kaum einem Gebiet so viel Schindluder mit Statistiken getrieben, wie auf dem Gebiet der Gesundheitspolitik. Ceterum censeo: Der Hinweis auf Prof. Walter Krämers Klassiker »So lügt man mit Statistik«.


Aus gegebenem Anlass erhält dieser Artikels eine Ergänzung: Das ganze Ausmaß der Trickserei mit den Zahlen konnte ich heute nachmittag nur erahnen. Bei Spiegel-Online ist inzwischen ein Artikel mit neuen Zahlen und Fakten erschienen.

Wie vermutet, kann sich der Anteil der Privatversicherten an einer bestimmten Art von Transplantationen über die Jahre sehr stark ändern. Er kann im Jahr X etwas höher und im Jahr X+1 wieder niedriger sein. Das liegt an der geringen Gesamtzahl der Operationen. Deshalb ist es Unsinn, ein einzelnes Jahr herauszugreifen.

Es war auch richtig, nach der Sterblichkeit zu fragen. Wenn Privatpatienten besseren Zugang zu lebensrettenden Operationen hätten, müsste ihre Sterblichkeit ja geringer sein, als die Sterblichkeit der gesetzlich Krankenversicherten. Das geht aus den Zahlen aber gerade nicht hervor.

Nachdem ich den SPON-Artikel mit den Richtigstellungen gelesen habe, sehe ich meine Vorbehalte bestätigt. Es wäre die journalistische Pflicht der »Sächsischen Zeitung« gewesen, selbst bei Eurotransplant oder anderen Fachleuten nachzufragen, anstatt eine wahltaktisch motivierte Pressemitteilung (sprachlich leicht umformuliert) zu veröffentlichen.


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8 Responses to Artikel in der »Sächsischen Zeitung« zu Organtransplantationen für Privatversicherte: Statistik oder Demagogie?

  1. E-Haller sagt:

    Deine momentane „Kampagne“ gegen die grüne Partei in allen Ehren – aber solche „Fehl-“ Interpretationen von Zahlenwerk nimmt doch jede Partei für die eigene Sache vor. Könntest Dir ja mal Ramsauers betrunkene Radfahrer anschauen… ;)

    • stefanolix sagt:

      Wenn ich einen Hinweis darauf bekäme, dass eine Zeitung über den Sachverhalt »Ramsauers Radfahrer« in ähnlicher Form berichtet (ohne eigene Recherche, ohne das Hinterfragen der Zahlen und Fakten), würde ich genauso kritisch darüber schreiben.


      Die Beiträge sind in erster Linie mit dem Label »Medienkritik« und nicht mit »Grünenkritik« gekennzeichnet. Ich denke, dass die drei Fälle der Wiedergabe von Pressemitteilungen der Grünen in der »Sächsischen Zeitung« Anlass zu Kritik geben. Ich habe die Kritik an der Berichterstattung sachlich und gleichzeitig pointiert vorgetragen.


      Es gibt bei mir keine Kampagne gegen die »Grünen«. Ich bitte ausdrücklich darum, Ursache und Wirkung nicht zu verwechseln: Was z. B. Herr Lichdi in die Welt gesetzt hat (unter tätiger Mithilfe der Dresdner Zeitungen), fällt doch nicht auf mich zurück, sondern auf ihn und seine Partei.

      • E-Haller sagt:

        Ich nehme da schon eine „Häufung“ wahr, wenn man den Artikel „Staatsorgane im Rot-Grün regierten NRW“ hinzunimmt. ;). Wobei ich den Zusammenhang nicht unbedingt sehe – das wäre so wohl auch unter der CDU passiert…

      • stefanolix sagt:

        Gut, das war ein Seitenhieb. Das gebe ich zu.

        Es müsste aber normalerweise in jedem Bundesland eine Dienstanweisung über den Einsatz von Gruppen/Massen-Gentests geben. Darin müsste solcher Missbrauch ausgeschlossen werden. Und zuständig ist in diesem Fall in NRW Rot/Grün.

        Der Ausgewogenheit halber: Die vorherige NRW-Regierung (Schwarz/Gelb) hat sich z.B. dadurch unrühmlich hervorgetan, dass ausgerechnet ein FDP-Minister die Online-Durchsuchung befürwortet und vorangetrieben hat.

        http://www.bissige-liberale.net/2006/10/22/privatsphaere/

  2. Ich finde den Artikel interessant und danke dir dafür. Allerdings bin ich irritiert über die Behauptung, dass es sich um eine „wahltaktisch motivierte Pressemitteilung“ gehandelt habe. Obwohl – mit Lügen werden wohl oft Wahlen gewonnen.

  3. Wunderbares Beispiel, wie die Medien ausgerechnet grüne und linke Pressemitteilungen unreflektiert durchgehen lassen. Würde bei CDU- oder FDP-Mitteilungen nicht so unkritisch übernommen werden.

    Vielleicht sollte man mal einen extra Blog nur dafür eröffnen, in dem selektive Berichterstattung in der von dir vorgeführten Weise auseinander genommen wird. Die politische Linke hat entsprechende Blogs ja bereits.

    • stefanolix sagt:

      In Sachsen sind CDU/FDP-Pressemitteilungen sowieso eher selten in der Zeitung zu finden. Ich muss das mal intensiver beobachten, werde aber in der nächsten Zeit wenig Möglichkeiten haben. Deshalb hoffe ich auch auf Hinweise, denen ich nachgehen kann.

      Man kann sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass die Landespolitiker der Grünen hier einen gewissen Sonderstatus einnehmen (im letzten Fall war es ein Bundespolitiker der Grünen).

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