»Der Turm« (1) in der ARD

Ich muss zugeben, dass ich nach den vielen Ankündigungen in der Presse sehr gespannt auf den Film war. Als ich im Vorfeld einen Artikel über die begleitenden digitalen Angebote las, hatte ich allerdings beschlossen: Ich werde mich ganz auf den Film konzentrieren und mich nicht von Twittereien ablenken lassen ;-)


Als »Altersgenosse« der Romanfigur Christian bin ich nicht unbefangen. Ich habe den Roman zweimal gelesen und das Vorwort dabei zweimal übersprungen. Ich habe das Theaterstück einmal im Großen Haus und einmal im Fernsehen erlebt. Ich habe viele Parallelen zu meiner eigenen Abitur-Zeit gefunden.

Mit diesem Hintergrund fand ich den Film sehr gut: An keiner einzigen Stelle langweilig, prägnant erzählt, anspielungsreich, sehr authentisch. Nach dem ersten Teil kann ich sagen: Der Film ist eine sehr gelungene Ergänzung zum Roman. Wer ihn verpasst hat, sollte ihn unbedingt noch aus der Mediathek herunterladen oder später die DVD kaufen.


Großes Lob …

Zu den Hauptrollen: Claudia Michelsen als Anne Hoffmann und Nadja Uhl als Josta Fischer finde ich bisher überwältigend, auch Sebastian Urzendowsky spielt seine Rolle als Christian sehr gut.

Die Nebenrolle der Schriftstellerin Judith Schevola ist mit Valery Tscheplanowa am besten besetzt. Beim Betrachten dieser speziellen Figur und Rolle fiel mir besonders auf, wie stark der Film auf das Wesentliche konzentriert ist. Dort hätte man buchstäblich kein Wort weglassen können.

Sehr gut sind die Szenen aus dem Schulwesen der DDR getroffen: Diese Lehrertypen hat man alle selbst kennengelernt. Unter diesen inhaltslosen Bekenntnissen hat man selbst gelitten und mit verbotener Literatur hätte man selbst oft erwischt werden können. Natürlich war Schule in der DDR noch wesentlich vielschichtiger, aber der Film zeigt das Wesentliche: Die Totschlagargumente der Propaganda, die großen und kleinen Gemeinheiten der Karrieristen, die Anpassung vieler Schüler.

Zwei Ergänzungen seien gestattet: Auf die Umweltzerstörung im Erzgebirge hat uns ein engagierter Geographielehrer hingewiesen. Und nicht alle Staatsbürgerkundelehrer haben solche sinnentleerten schriftlichen Bekenntnisse gefordert — manche haben sich in den Klassenarbeiten einfach auf die Fakten beschränkt, die der Lehrplan vorgegeben hat.


… und ganz kleine Kritikpunkte

Bei allem Respekt vor dem Schauspieler Jan Josef Liefers: Sein Gesicht ist aus so vielen eher »leichten« Filmen und Rollen bekannt, dass ich mir einen anderen Hauptdarsteller gewünscht hätte. Das soll keine Kritik an seiner Leistung sein. Er spielt die Rolle in all ihren Schattierungen sehr gut (fachliche Arroganz, die Kombination aus Strenge und Unsicherheit, die persönliche Feigheit, die innere Zerrissenheit). Aber diese kleine Bemerkung zur Besetzung sei trotzdem gestattet.

Die Szenen mit den privaten Familientreffen auf dem Weißen Hirsch scheinen mir oft ziemlich dunkel. Dort hätte ich mir mehr Licht und etwas bessere Kostüme gewünscht. Die Schauspieler aus den besseren Kreisen scheinen manchmal in Klamotten aus der Kleiderkammer zu stecken.

Dagegen fand ich die Wohnung Josta Fischers sehr gut ausgestaltet: Vor allem die Duschkabine in der Küche erinnerte lebhaft an die erste eigene Wohnung in der DDR-Zeit. Es ist ein schöner Kontrast zwischen dem alten Haus und der gemütlichen Wohnung.

Die politischen Diskussionen in den Kreisen auf dem »Turm« dürften etwas tiefgründiger gewesen sein. Vielleicht hätte man einen etwas subtileren politischen Witz als ausgerechnet den von den »vier Feinden des Sozialismus« wählen können. Und die Rolle der Ina Rohde scheint mir im Film nur deshalb angelegt zu sein, damit Stephanie Stumph lächelnd ein paar Belanglosigkeiten zur Auflockerung beisteuern kann.


Ich freue mich auf den zweiten Teil, den ich aus beruflichen Gründen aber leider erst zeitversetzt anschauen kann. Vielleicht werde ich den Artikel dann noch weiterführen.

Zum Weiterlesen: Die F.A.Z. bringt eine Kritik aus der Sicht der etwas jüngeren Generation und hatte im Vorfeld eine sehr gute Ankündigung abgedruckt. Fotos und eine weitere Rezension findet man bei SPON.


Kleines Haus am Weg

Aus dem »Turm«-Gebiet in Dresden: Kleines Haus am steilen Weg.


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12 Responses to »Der Turm« (1) in der ARD

  1. […] verweise ich sehr gerne auf meinen geschätzten Blogger-Kollegen Stefanolix, der ein recht persönliches Zwischenfazit gezogen hat, wozu er als Zeitgenosse der Hauptfigur des Romans viel besser geeignet ist als ich. […]

  2. Lenbach sagt:

    Ich möchte noch die schauspielerische Leistung des Zensors Götz Schubert hervorheben. Er wirkt mit seiner Mimik und Körpersprache so glaubhaft, so „unschauspielerisch“, daß man glaubt, der Mann sei wirklich so, in seiner Zerrissenheit. Großartig.

    Als „Altersgenosse“ ärgert es mich von Jahr zu Jahr mehr, mich damals nicht mehr für das Thema interessiert zu haben. Es passierten da quasi vor der Haustür der BRD die unglaublichsten Sachen, von denen ich gar keine Vorstellung hatte. Die DDR verband ich mich Mangel, maroder Bausubstanz und Menschen, an die irgendwie alle kränklich aussahen. Anscheinend war es dort so schlimm, daß alle weg wollten. Warum sollte man dort freiwillig hingehen? Diese im Nachhinein ignorante Haltung teilte ich mich vielen meiner Altersgenossen.

    Als ich dann unfreiwillig durch die ZVS zum Studium nach Dresden geschickt wurde, war ich alles andere als begeistert. Das Verhältnis „Wessis“/“Ossis“ betrug bei uns Mitte der 90er etwa 50/50. Auch hier blieben im Wesentlichen die Wessis unter sich, ebenso die Ossis, von denen mir viele irgendwie verstockt und mißtrauisch erschienen. Subjektiv: Die West-Studenten ließen die Sau raus, feierten rauschende Parties, die vielleicht um Mitternacht richtig losgingen, während die aus dem Osten ab 19:00Uhr in irgendeiner dunklen Altbauwohnung „gemütlich“ zusammensaßen und eine Wurst grillten. Nicht wenige, die die DDR gerade mal als Kind erlebt hatten, erklärten mir, daß „früher“ nicht alles schlecht war. Man schüttelte den Kopf über „Die“ und kam sich überlegen vor. Kurz: Die beiden Seiten schienen einfach unkompatibel zu sein.

    Heute bin ich froh, diese skurrile Zeit in Dresden erlebt und die Angelegenheit vor Ort kennengelernt zu haben, nicht nur als Besucher. Ich habe die Menschen hier mit den Jahren schätzen gelernt, die mir mit ihren Erzählungen und ihrem speziellen Humor die Verhältnisse in der DDR näherbrachten. Dabei fiel mir immer mehr auf, daß das DDR-System anscheinend etwas geschafft hat, was mit Sicherheit nicht beabsichtigt war: Nicht wenige Menschen hervorzubringen, die gelernt haben, sensibel zu sein, selbständig nachzudenken und das nicht an die große Glocke zu hängen. Das gefällt mir.

    • stefanolix sagt:

      Danke für den langen Kommentar, ich komme später noch mal darauf zurück.

      Jetzt nur eine kurze Anmerkung: Meno Rohde (Götz Schubert) ist kein Zensor, sondern Lektor. Er gibt die Anweisungen von Zensoren weiter, er interpretiert sie, er versucht, mit der Zensur umzugehen. Aber er ist Verlagslektor.

    • stefanolix sagt:

      Ich halte es für natürlich, dass Ihr Euch im Westen wenig für die DDR interessiert habt. Euch stand die ganze Welt offen. Da haben sich die Interessen auf ganz viele Länder verteilt.

      Wie viele Menschen interessieren sich denn heute in Deutschland so speziell für ein anderes Bundesland, dass sie viel Zeit dafür investieren? In ein anderes Bundesland oder in eines der Nachbarländer kann man heute ungehindert fahren — eine Reise in die DDR war für Westdeutsche immer mit Stress und Unsicherheiten verbunden.

      Es gab für mich persönlich nur einen einzigen Grund, misstrauisch gegen bestimmte Wessis zu sein: Das waren die unzähligen Plakate der linken Splittergruppen im TU-Gelände, ihre Veranstaltungen, ihr Habitus usw. — Wir hatten gerade die roten Bonzen und ihre Ideologie weggejagt und schon kamen linke Spinner aus dem Westen, die uns auf arrogante Weise und in verquaster Sprache belehren wollten, warum der Sozialismus doch gut sei und was die DDR falsch gemacht habe.


      Ich denke, dass die Erstsemester 2012 nicht mehr allzu ärgerlich sind, wenn sie von der ZVS nach Dresden geschickt werden (gibt es die überhaupt noch?). Dresden hat sich einen guten Ruf als Reiseziel und Studienort erarbeitet. Die Freizeitbeschäftigungen der Studenten dürften sich angeglichen haben ;-)

  3. Xeniana sagt:

    Lieber Stefanolix1 Eine richtig gute Filmkritik,bemerke dann immer das ich noch Übungsbedarf habe:) Ich freue mich auf das Lesen deines Blogs. Viele Grüße Xeniana

    • stefanolix sagt:

      Danke! Das spornt mich nun doch an, einen zweiten Teil zu schreiben ;-)

      Übungsbedarf habe ich auch. Täglich. Wenn ein Mensch glaubt, dass er keinen Übungsbedarf mehr hat, sollte ein Nahestehender umgehend den Rettungswagen rufen ;-)

  4. Erling Plaethe sagt:

    Die politischen Diskussionen in den Kreisen auf dem »Turm« dürften etwas tiefgründiger gewesen sein

    Genau das, lieber stefanolix, interessiert mich brennend. Worüber wurde denn in diesen Kreisen diskutiert? Wessen Bücher las man, abgesehen von den bekannten Dichtern und Denkern. Welche philosophischen Modelle wurden geschätzt? War Karl Popper bekannt oder F. A. Hayek, die Philosophen der Aufklärung, des klassischen Liberalismus?
    George Orwells „1984“ machte die Runde, das ist mir bekannt, aber wie wurde es bewertet? War Ayn Rand vielleicht sogar ein Begriff?
    Meine Erfahrungen aus intellektuellen Kreisen denen ich angehörte, waren damals, um ganz ehrlich zu sein, dürftig.
    Viel Rauch um wenig; Angst, Vorsicht und Geheimniskrämerei bestimmten die Diskussionen. Es drehte sich viel um Umweltfragen (Bewahrung der Schöpfung), den „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ und Avantgarde-Kunst – Dadaismus vor allem.
    Also meine Frage lautet:
    Gab es eine Szene in Dresden die von diesem Klischee abwich? Eine Szene welche nicht nur den Sozialismus in Frage stellte sondern auch den Sozialstaat.

    • stefanolix sagt:

      Oh, das erfordert auch eine ganz lange Antwort. Ich kann nur für mich sprechen und meine (unvollständigen) Erinnerungen wiedergeben.

      Ich bin im Herbst 1989 gerade ein ganzes Jahr Student gewesen und war in dieser Zeit in der ESG aktiv. Vor und nach der Mauer-Öffnung gab es jeweils ein Treffen mit unserer Partner-ESG aus dem Westen. Solche Treffen wurden von der Bundesregierung unterstützt. Dabei wurde u. a. unser Bücherschrank in der ESG gefüllt, aber es gab vor allem sehr fruchtbare Gespräche und Arbeitskreise.

      Im Mittelpunkt der Diskussionen mit Gleichgesinnten stand in der Lehre und auch im Studium der demokratische Rechtsstaat. Umweltfragen spielten auch eine Rolle (»Eine Mark für Espenhain«), aber sie waren nicht dominierend.

      Der »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« kam bei uns allenfalls als Zwischenstufe vor, weil wir ja in anderen Ländern sehen konnten, wie wenig sich mit einer Perestroika im Rahmen des alten Systems ändern würde. Ich erinnere mich: 1988 haben wir Stefan Heyms »Schwarzenberg« gelesen, weil wir mehr über Eigenständigkeit der Kommunen und demokratische Ansätze wissen wollten.

      Neben Orwells »Farm der Tiere« und »1984« kamen auch der »Archipel Gulag« (ganz oder in Ausschnitten) und andere Bücher über / von Dissidenten vor. Aber beim Lesen geht ja jeder seinen eigenen Weg, oft ist es auch Zufall, was einem in die Hände fällt. Aldous Huxleys »Brave New World« habe ich erst später richtig verstanden … Die Aufzählung ist unvollständig, ich müsste länger darüber nachdenken.

      Dadaistische Avantgarde dürfte es eher in Berlin gegeben haben. In Weimar beeinflusste uns das Bauhaus. Das war an diesem Studienort aber auch unvermeidbar.


      Ich hatte vor dem Studium die 18 Monate Wehrdienst geleistet und vor dem Wehrdienst kurzzeitig auf Montage gearbeitet. Mein Abschluss war Baufacharbeiter mit Abitur.

      Ich wäre für kein Studium der Welt drei Jahre zur Armee gegangen. In dieser Beziehung kann ich die Romanfigur Christian und auch den Autor Uwe Tellkamp überhaupt nicht verstehen.

      Ich wäre entweder Bauarbeiter geblieben oder ich hätte eine zweite Qualifizierung als Bibliothekar begonnen. Das hatte ich eigentlich auch nach der Armee noch einmal vor, als ich den Studienplatz schon sicher hatte.


      Ich bin mit der Theorie des Liberalismus eigentlich erst ab 2005 richtig in Berührung gekommen. Ich kann nicht ausschließen, dass es in der DDR Gruppen gab, in denen die Werke der liberalen Denker gelesen wurden. Die Grundlagen eines demokratisch verfassten Rechtsstaats waren aber den meisten Leuten bekannt, mit denen ich zu tun hatte. Genau den wollten wir auch ;-)

  5. Hendrik sagt:

    Seit gefühlten Monaten ;) schaue ich, ob es was zu Teil 2 bei Dir gibt. Nicht gesehen? Keine Meinung?

    Meine TOP 10 der besten Filme ever ist etwas durcheinander geraten…

  6. […] kann, beweist beispielhaft unser ehemaliger Mitblogger stefanolix mit seiner (passenderweise) zweiteiligen Rezension des ARD-Zweiteilers “Der […]

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