Ideologie im Kindergarten

29. November 2012

In der DDR gab es nicht nur die Jungen Pioniere mit ihren blauen Halstüchern und die Thälmann-Pioniere mit ihren roten Halstüchern. Es gab auch eine strikte Anweisung an alle Kindergärten, die Ideologie der SED in Wort, Bild und Gesang umzusetzen.

So mussten die Kinder zum Beispiel Lieder über die NVA-Soldaten singen. Die meisten Erwachsenen wussten, dass diese NVA-Soldaten nicht etwa den Frieden sicherten, sondern an der Grenze Flüchtlinge erschossen haben. Trotzdem bestand die offizielle Pflicht, solche Lieder mit den Kindern zu trainieren – ob die Kinder wollten oder nicht. Natürlich haben die Kinder überhaupt nicht verstanden, wovon sie da gesungen haben.

Auf Youtube gibt es ein Video, das mich an diese Zeit erinnert. Kinder aus einem Kindergarten sollen »für das Klima« singen. Man mag es nicht »singen« nennen, was man in diesem Video hört. Man sieht ganz deutlich, dass einige Kinder dabei nicht freiwillig mitmachen, dass sie dieses Gebrüll geradezu quält. Trotzdem dürfen sie offensichtlich die Bühne nicht verlassen.

Wer sich das ganze Video aufmerksam anschaut, hat ein sehr gutes Beispiel dafür gesehen, wie man mit Kindern im Kindergarten nicht umgehen sollte.


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Aus der »Bundeszentrale für politische Bildung« und aus der »Welt«: Beiträge zu Tabuthemen

27. November 2012

Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hat vor Kurzem einen Artikel über den Antisemitismus unter muslimisch geprägten Jugendlichen veröffentlicht. In der Zusammenfassung des Artikels heißt es:

Im August 2012 verprügeln wahrscheinlich muslimische Jugendliche einen Berliner Rabbi auf offener Straße und verletzen ihn dabei schwer. Feige Attacken wie diese gelangen zwar regelmäßig zu medialer Aufmerksamkeit. Viel häufiger begegnet einem der Antisemitismus unter muslimischen Migranten aber im Alltag, auf Schulhöfen, in Schulklassen, Moscheen, auf Facebook, in Satellitensendern und in Foren.

Dieser Artikel kann natürlich nur im Kontext gesehen werden: Antisemitismus gibt es auch in der deutschen Bevölkerung und ihm ist überall entschieden entgegenzutreten. Aber es ist schon erschreckend, was da beschrieben wird. Das Problem muss endlich analysiert und angepackt werden. Man kann über einige Schlussfolgerungen von Ahmad Mansour sicher trefflich streiten. Aber es ist zu respektieren, dass er das Problem benannt hat.


Vielleicht liegt es an den Informationen, die uns hier in Deutschland erreichen? – Manchmal denken sogar die Vertreter des deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehens darüber nach, was sie besser machen könnten:

Nur, was ich nicht verstehe: Warum ist der Aufschrei der Welt soviel leiser, wenn er denn existiert, wenn Tag für Tag für Tag Raketen auf Zivilisten in Israel abgefeuert werden und das nicht erst seit gestern,

warum ist der Aufschrei nicht groß, daß Organisationen wie Hamas, Islamischer Jihad, Hizbollah im Libanon usw. zivile Wohngegenden wählen, um von dort aus ihre Raketen auf den Feind abzufeuern und damit “Kollateralschaden” zu provozieren, denn sie wollen ja, daß es zivile Opfer gibt, damit diese Bilder um die Welt gehen und die Welt dann aufschreit.

Das ist nicht nur im Nahen Osten so, sondern überall. Mag das auch daran liegen, daß wir TV-Journalisten diese Bilder des täglichen “Terrors” für die Zivilisten auf der israelischen Seite nicht in den Abendnachrichten bringen?

Der Autor weist dann zu Recht darauf hin, dass die Zeit der Nachrichten im Fernsehen begrenzt sei. Aber wer hat denn die politischen Magazine drastisch gekürzt und immer wieder auf unattraktive Sendeplätze verschoben? War das nicht die ARD?

Nun will ich nicht behaupten, dass die Zielgruppe der muslimisch geprägten Jugendlichen durch die politischen Magazine der ARD erreicht worden wäre. Aber die Nachrichten der »Tagesschau« und die Berichte der Nachrichtenagenturen setzen einen gewissen Informationsrahmen. An diesen Nachrichten kommt kaum jemand vorbei. Ohne objektive Informationen über die wirklichen Zusammenhänge in und um Israel besteht die Gefahr, dass der Antisemitismus wächst.


In der »WELT« wird über in Deutschland lebende Türken berichtet, die mutig darauf hinweisen, dass der Totschlag am Berliner Alexanderplatz nicht aufgearbeitet wird. Sie sind empört über die »Reaktionslosigkeit«:

„Da wird ein junger Mensch gelyncht, mitten unter uns, weil jemand schlechte Laune hatte“, sagt Yasaroglu. „Ich stelle mir bloß vor, ein Faschist hätte einen Türken zusammengeschlagen. Das hätte einen Aufschrei gegeben!“
„Mich schreckt diese Form des Rassismus ab. Jeder Verein nutzt eine Tat für seine Interessen. Opfer ist Opfer.“ Gewartet hätten er und seine Mitstreiter, ob Migrantenpolitiker und Verbandsvertreter von sich aus ihre Betroffenheit zeigen würden. Aber es sei keine Reaktion gekommen.


Kurzes und nicht endgültiges Fazit aus beiden Artikeln: Wir brauchen eine ehrliche Berichterstattung über alle Arten der Gewaltkriminalität und eine objektive Analyse der Gefährdungen. Wir brauchen eine deutliche Stärkung der Prävention und eine deutliche Stärkung des Rechtsstaats.

Die Prävention kann am besten in Kooperation mit den Gruppen unter den Migranten funktionieren, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Diese muss man stärken.



Welche Gerechtigkeit?

25. November 2012

Zettel zerlegt fachkundig eine Passage aus dem Programm der Piratenpartei und bescheinigt den Autoren »eine bemerkens­werte Unlogik«. Die Piraten wollen sich

dafür einsetzen, dass alle Menschen gerecht am Gesamtwohlstand beteiligt werden und werden dazu die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens prüfen.

Da hat sich doch das Wort »gerecht« eingeschlichen, das bisher noch jeder populistische Gleichmacher virtuos gehandhabt hat. Würden sie sich ein Mindestmaß an Differenzierung leisten, dann würden sie uns in ihrem Programm auch verraten, um welche Art der Gerechtigkeit es geht: Um die Verteilungsgerechtigkeit? Um die Leistungsgerechtigkeit? Um die Anforderungsgerechtigkeit?



Enthüllung: Erstmals rechtsextremistische Einstellungen in Nordkorea nachgewiesen

25. November 2012

Ein unabhängiges Team von »Kritische Jugend forscht« konnte im November 2012 das Phänomen des Rechtsextremismus in Nordkorea untersuchen.

Die jungen Forscher verwendeten dazu die Methoden der Autoren der bekannten Rechtsextremismus-Studie »Die Mitte im Umbruch«. Dazu mussten sie in neun vorgegebenen Aussagen nur an einigen Stellen »Deutschland« durch »Nordkorea« und »deutsch« durch »nordkoreanisch« ersetzen.


Nach diesen minimalen Änderungen haben sie 3.000 repräsentativ ausgewählten Nordkoreanerinnen und Nordkoreanern die folgenden Aussagen vorgelegt:

1. Im nordkoreanischen Interesse ist die Diktatur die beste Staatsform.

2. Was Nordkorea jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.

3. Wir haben einen Führer, der Nordkorea zum Wohle aller mit starker Hand regiert.

4. Wir haben den Mut zu einem starken nordkoreanischen Nationalgefühl.

5. Mit unserem Führer sind wir Nordkoreaner anderen Völkern von Natur aus überlegen.

6. Die Verbrechen während der Zeit der nordkoreanischen Revolution sind in der Geschichtsschreibung des Westens weit übertrieben worden.

7. Was Nordkorea heute braucht, ist ein hartes und energisches Durchsetzen nordkoreanischer Interessen gegenüber dem Ausland.

8. Das oberste Ziel der nordkoreanischen Politik sollte es sein, Nordkorea die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht.

9. Der nordkoreanische nationale Sozialismus hat viele gute Seiten.

Man durfte bereits vorher vermuten, dass die Aussagen in Nordkorea auf große Zustimmung stoßen würden. Die Auswertung der neun Indikatoren für Rechtsextremismus zeigte dann überraschend eindeutig: Weite Teile der Bevölkerung Nordkoreas sind rechtsextremistisch, denn sie stimmten den Aussagen »überwiegend« oder »voll und ganz« zu.


Mit dieser satirischen Überspitzung soll nicht negiert werden, dass es in Deutschland Menschen gibt, die sich nach einer Diktatur sehnen und Methoden von verbrecherischen Diktaturen der deutschen Vergangenheit verharmlosen. Aber Art und Anzahl dieser Menschen werden falsch ermittelt.

Das Rätsel dieser kleinen Satire ließe sich ja ganz einfach auflösen, wenn man nach politisch linken und politisch rechten Ausrichtungen der Befragten differenzierte. In meiner Geschichte kommen die zustimmenden Antworten natürlich nicht von Neonazis, sondern von Anhängern des links-stalinistischen Regimes. Doch diese Differenzierung leisten sich die Autoren solcher Studien in Deutschland nicht.


Mit den Erkenntnissen aus der fiktiven Nordkorea-Studie lässt sich erklären, warum in Ostdeutschland mit solchen Methoden zwangsläufig mehr Personen mit »rechtsextremem Gedankengut« ermittelt werden als in Westdeutschland.

In Ostdeutschland wirkt die Zeit der DDR nach und es gibt eine starke politische Kraft, die den SED-Staat (»Diktatur des Proletariats«) nach Kräften verklärt und verharmlost. Gleichzeitig besteht eine enge Bindung an die Heimat.

Viele Aussagen aus meiner Satire lassen sich nicht nur auf Nordkorea, sondern auch auf die DDR beziehen. Folglich wird es im Osten Deutschlands auch von keineswegs »rechtsextrem« ausgerichteten Bürgern Zustimmung zu den neun aufgeführten Aussagen geben.

Warum gibt es diese Zustimmung? Weil diese Aussagen gleichzeitig Elemente der Diktatur und des Nationalgefühls ansprechen. Es gibt aber nicht nur politisch rechts ausgerichtete Diktaturen, sondern auch »Diktaturen des Proletariats« mit kommunistischen Parteien an der Spitze.

Die Antworten der potentiellen Anhänger einer »Diktatur des Proletariats« werden offensichtlich nicht aus den Ergebnissen der Befragung herausgefiltert. Also ist ein Teil der Befragungsergebnisse wertlos. Voreilige Rückschlüsse der Medien und der Politik auf einen höheren Grad des Rechtsextremismus in Ostdeutschland verbieten sich somit von selbst.



Weißgewaschen

25. November 2012

Zum Wochenende habe ich noch einen Link auf einen schönen Artikel aus der Schweiz zu bieten: Es geht wieder einmal um das Thema

Was für Artikel die Menschen von Journalisten erwarten

Der Journalist Constantin Seibt schreibt über einen seiner ersten Aufträge und über ein leider unveröffentlicht gebliebenes Werk. Lesen Sie selbst. Ich habe Tränen gelacht. Es passt auch wunderbar zum Thema »nett aufgeschrieben und gut recherchiert«.

Das geschah 1989. Heute muss ich nicht mehr spekulieren, wie die Dresdner Tageszeitungen im Jahr 2012 mit dieser Versuchung umgehen würden. Ich beobachte ja jede Woche, in welche Richtung sich der Journalismus entwickelt hat.



Lebensmittelüberwachung

24. November 2012

Das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz meldete am Ende dieser Woche: Wir unterstützen die Lebensmittelkontrolleure bei der Arbeit. Sie bekommen nun Notebooks für ihre Kontrollen im Außendienst:

Mit der Einführung der Mobilen Datenverarbeitung ist es den Lebensmittelkontrolleuren nunmehr möglich, wichtige Daten bereits im kontrollierten Betrieb in den Laptop einzugeben. Dokumente wie Kontrollberichte und Probenahmescheine können vor Ort ausgedruckt werden und an Betriebsverantwortliche ausgegeben werden.

Ehrlich gesagt: Mir ist vor allem wichtig, dass es genügend qualifizierte Mitarbeiter in der Lebensmittelüberwachung gibt und dass sie anständig finanziert werden. Notebooks sind nur ein Hilfsmittel. Eine spannende Frage wäre: Muss diese Aufgaben ein Amt erledigen oder kann man sie zumindest teilweise an eine Organisation wie den TÜV delegieren?



Etwas Unpolitik zum Freitagabend: Die sächsischen Grünen skandalisieren mal wieder vor sich hin

23. November 2012

Politik ist manchmal der Ausgleich von Interessen. Politik ist manchmal auch die Verteilung knapper Ressourcen. Die sächsischen Regierungsparteien haben sich nun gedacht: Wir haben immer zu knappe Ressourcen und wir müssen immer Interessen ausgleichen.

Also haben sie in ihrem Haushaltsentwurf einige hunderttausend Euro gleichzeitig dem Ehrenamt und dem zivilgesellschaftlichen Engagement gegen Rechtsextremismus gewidmet.

So werden beispielsweise Freiwillige Feuerwehren und Einrichtungen des Katastrophenschutzes gefördert – in der berechtigten Erwartung, dass junge Leute dort integriert werden und eben nicht nach Rechts abdriften.

Den Grünen gefällt das naturgemäß aus zwei Gründen nicht: Erstens, weil die Regierungsparteien auf die Idee gekommen sind. Und zweitens, weil die eigene Klientel dabei vermutlich eher leer ausgeht. Das trieb den Grünen-Abgeordneten Miro Jennerjahn nun zu der skandalisierenden Aussage:

Schwarz-gelber Kurs zur Behinderung von Anti-Nazi-Projekten wird konsequent fortgesetzt

Die von CDU und FDP beschlossene Änderung im Programm »Weltoffenes Sachsen« ist Gift für die Demokratieförderung. Denn die vorgenommene Zweckbindung ist in Wahrheit eine Kürzung der bestehenden zivilgesellschaftlichen Arbeit.

Welch ein Irrtum! – Es gibt kaum eine bessere Förderung der Demokratie, als eine Stärkung der ehrenamtlichen Einrichtungen und des bürgerschaftlichen Engagements. Gleichzeitig steigen die Fähigkeit und die Bereitschaft, bei Bränden und Katastrophen mit Hand anzulegen. Besser kann man das knappe Geld des Staates wohl kaum anlegen.



Spiegeltest

23. November 2012

Gerade interessierte mich die Frage, wie der Kollege owy vom Flurfunk seinen Text für die Antwort auf ein Rätsel gedreht hat. Er hat als Lösung einen Webdienst vorgeschlagen, der leider einige Zeichen und den i-Punkt unterschlägt.

Aber es gibt noch eine elegante Lösung mit CSS. Man legt einfach einen Stil für einen Teil des Textes fest:


Gespiegelter Text für die Antwort.

Im Quelltext dieses Artikels sollte man (hoffentlich) sehen, wie es funktioniert. Wenn WordPress den Quelltext richtig abspeichert ;-)



Ja, sie prahlt noch

23. November 2012

Als ich gestern einen berichtigenden Artikel über die Fehlinterpretation einer Statistik in der »Sächsischen Zeitung« geschrieben habe, wollte ich eigentlich noch hinterfragen, mit welchem Selbstverständnis solche Meldungen in die Welt gesetzt werden.

Heute bekam ich mit der tagesaktuellen Ausgabe eine ganz frische Selbstbeweihräucherung auf den Frühstückstisch gelegt. Die Überschrift lautete: »Ja, sie lebt noch«. Doch genießen Sie selbst:

Aber sie [die Journalisten] werden dafür bezahlt, dass sie Informationen prüfen, sortieren und aufbereiten. Das unterscheidet eine Zeitung von kostenlosen Online-Nachrichten. Und deshalb kostet eine Zeitung Geld. (…)

Warum sollten Leser nicht auch in Zukunft bereit sein, einen solchen Betrag für die digitale Version der SZ zu bezahlen? Sie wollen ja kein Papier kaufen, sondern Inhalte.


Um das ein wenig einzuordnen, sehr geehrte Redaktion der »Sächsischen Zeitung«: Die statistischen Daten aus Ihrem Artikel von gestern kann sich jeder Bürger vom Sächsischen Landesamt für Statistik herunterladen. Aktuelle Zahlen zu den Haushalten in Dresden kann man auch bei der Kommunalen Statistikstelle der Stadt Dresden abrufen.

Wurde beim Schreiben Ihres Artikels etwas geprüft? Sortiert? Aufbereitet? Man darf es bezweifeln, wenn man die Überschrift liest. Es ist trivial, die frei verfügbaren Zahlen zu runden und in einige Sätze zu kleiden. Es wäre nicht trivial gewesen, eine richtige Überschrift zu finden. Aber dazu hätte man die Zahlen ja einordnen müssen.


Nun hat sich jemand »aus dem Internet« die Zahlen angeschaut. Er hat eine richtige Überschrift gefunden und ein erklärendes Diagramm hinzugefügt. Das ist jemand, der kostenlos bloggt und kein Geld dafür haben will. Aber eigentlich wäre das Ihre Aufgabe gewesen.

Warum sollten Leser in Zukunft bereit sein, einen Betrag von 1.20 Euro für die digitale Version der SZ zu bezahlen, wenn diese Zeitung ihrem Selbstverständnis schon in so einfachen Dingen nicht gerecht wird?



Die meisten Dresdner wohnen nicht allein

22. November 2012

Die »Sächsische Zeitung« übt sich heute in Statistik und titelt im Lokalteil:

Die meisten Dresdner wohnen allein

Das stimmt nicht. Diese Überschrift soll auf der Basis folgender Zahlen zustandegekommen sein: Es gibt in Dresden 520.000 Einwohner in 295.000 Haushalten. Von diesen 295.000 Haushalten sind 50.5 Prozent Ein-Personen-Haushalte.

Aus den gegebenen Zahlen kann man die Anzahl der Einwohner in Ein-Personen-Haushalten berechnen: Es sind rund 148.000 Menschen.

Wenn von den 520.000 Dresdnern aber nur 148.000 in Ein-Personen-Haushalten wohnen, dann bedeutet das: 372.000 Dresdner wohnen nicht allein.

Aufteilung der Einwohner Dresdens

Aufteilung der Einwohner Dresdens
auf Ein- und Mehr-Personen-Haushalte.


Es ist ja nicht so, dass wir dieses Problem zum ersten Mal behandeln würden: Vor zwei Jahren hat die »Sächsische Zeitung« den gleichen Interpretationsfehler in Bezug auf die Anzahl der Ein-Personen-Haushalte in Sachsen gemacht.



Zettels Interview. Nebst Gedanken über den Stand des Dialogs zwischen Medien und Bloggern.

21. November 2012

Die Zeitungen führen nur selten ein Interview mit einem Blogger. Blogger gehören wohl für viele Journalisten immer noch zur »dunklen Seite«. Vielleicht nicht ganz zu Unrecht: Manche Blogger mäkeln immer nur an den Zeitungen herum, andere verbreiten die Zeitungsmeldungen nur in überspitzter Form weiter und leisten keinen eigenen Beitrag.

Aber es gibt auch sehr viel konstruktive Medienkritik: Man findet sie dort, wo Interessenkonflikte untersucht werden, wo die Leser zum Nachdenken angeregt werden, wo die Quellen offengelegt werden. Ein Protagonist der konstruktiven Kritik und der konstruktiven Ergänzung der Medien ist der emeritierte Professor Zettel.


Die Publizistin Cora Stephan hat mit ihm für die WELT ein Interview geführt. Es ist nicht nur deshalb interessant, weil man dort gute Begründungen für den Zustand findet, den ich gern als »anständige Anonymität« bezeichne:

Man schreibe nur Dinge, die man auch in einer Zeitung oder auf dem Dresdner Altmarkt vertreten könnte. Man trete als Person hinter seinen Inhalt zurück. Man nutze die Meinungsfreiheit mit großer Verantwortung. Man respektiere das Urheberrecht und die Persönlichkeitsrechte.

Das sind übrigens genau die Regeln, die Zettel in seinem Diskussionsforum mit großer Konsequenz durchsetzt.


Das Interview zeigt auch, warum sich Medien und Blogger eigentlich gut ergänzen könnten, wenn die Vernünftigen auf beiden Seiten dabei an einem Strang zögen. Zettel hat als emeritierter Professor einen großen Erfahrungsschatz und er hat gleichzeitig eine hohe Methodenkompetenz. Es ist ihm nicht wichtig, mit seinem Namen als Autor eines Gastbeitrages in der Zeitung zu stehen:

Man sollte nicht zusammenwachsen lassen, was getrennt gehört. Unter Pseudonym zu schreiben hat ja eine lange und durchaus ehrwürdige Tradition. (…) Wenn Sie nach meinem bürgerlichen Namen googeln, finden Sie im Augenblick ungefähr 14.000 Einträge. Das ist ein wissenschaftlicher Diskussionszusammenhang. Zu „Zettels Raum“ gibt es ungefähr 70.000 Fundstellen. Es sind zwei getrennte Welten, und so soll es bleiben.

Als Wissenschaftler muss man sich auf ein enges Gebiet konzentrieren. Jetzt genieße ich es, ein wenig hierhin zu gucken und dorthin. Ich lese das, was ich schon immer lesen wollte; aus sehr unterschiedlichen Bereichen. Das Schreiben für „Zettels Raum“ gibt dem eine gewisse Struktur. Es zwingt einigermaßen zur Disziplin.

In dem Interview kommt klar zum Ausdruck, wie wichtig das journalistische Handwerk und die journalistische Kunst für Zettel als Autor, aber auch für uns alle als Bürger und Demokraten sind. Es kann nicht um eine Konkurrenz oder gar um einen Krieg zwischen Zeitungen und Bloggern gehen. Wenn man konstruktiv herangeht, entsteht eine Symbiose. Und die ist bekanntlich für beide Seiten von Nutzen.


Allerdings kommt mir der Optimismus oft abhanden: Wenn Medien konstruktive Kritik abblocken, wenn Blogger immer wieder am Beachten der einfachsten Regeln des Urheberrechts scheitern, wenn Twitterer tippen, ohne zu denken oder wenn Interessengruppen eine weitere Gebühreneinzugszentrale für die Finanzierung des Journalismus fordern.

In solchen Momenten erinnere ich mich daran, dass es noch Leuchttürme der Vernunft gibt. Zettels Raum ist auf jeden Fall einer dieser Leuchttürme. Wenn das Interview mit Cora Stephan auch nur tausend neue Leserinnen und Leser für Zettels Blog und Zettels Diskussionsforum interessieren würde, dann wäre für Aufklärung und Vernunft wieder einiges gewonnen …



Warnung vor dem Dieb

21. November 2012

Die sächsische Staatsregierung warnt in einer Pressemitteilung vor den Taschendieben, die sehr wahrscheinlich auch auf den Weihnachtsmärkten des Jahres 2012 wieder ihr Unwesen treiben werden. Sie weist uns Bürger unter anderem darauf hin:

Aber nicht nur auf den saisonal gerade aktuellen Weihnachtsmärkten wird gestohlen. In öffentlichen Verkehrsmitteln, an Haltestellen, Bahnhöfen, Kaufhäusern oder Supermärkten sind Kriminelle das ganze Jahr über auf Beutezug.

Schwerpunkte in Sachsen bei Taschendiebstählen liegen dabei in den Großstädten Dresden, Leipzig und Chemnitz. Der ländliche Bereich ist hier eher weniger betroffen.

Dann wird beschrieben, auf welche Weise die Taschendiebe vorgehen. Zwar ist die Beschreibung nicht literarisch wertvoll, wie z. B. in Stefan Zweigs Novelle »Unvermutete Bekanntschaft mit einem Handwerk«. Aber es ist trotzdem wichtig, alle Jahre wieder auf die Gefahren hinzuweisen.

Interessant sind die Zahlen am Ende der Pressemitteilung. Schätzen Sie mal, wie viele Taschendiebstähle auf den Weihnachtsmärkten der Stadt Dresden im Jahr 2011 zur Anzeige kamen:

A: etwa 50
B: etwa 100
C: mehr als 200


Den Rest des Beitrags lesen »


Erst nachdenken, dann twittern …

20. November 2012

Vor einiger Zeit hat die BBC einen britischen Politiker der Pädophilie bezichtigt. Die BBC musste Alistair McAlpine als Entschädigung für die Falschbeschuldigung 185.000 britische Pfund zahlen.

Die NZZ schreibt nun:

Doch er will nun auch gegen jene vorgehen, welche die Falschmeldung des öffentlichen Rundfunks über Twitter weiterverbreiteten und dabei überdies den Namen des Politikers kenntlich machten.

Er verlangt für jeden Tweet und Re-Tweet fünf Pfund und will die Beträge nicht behalten, sondern für einen wohltätigen Zweck spenden.

Ich hoffe, dass schon die Idee des britischen Adligen manchen Leuten eine Lehre sein wird, die immer wieder irgendwelche skandalisierenden Meldungen aus der Presse oder aus dem Netz weitergeben und somit sinnlose Empörungswellen auslösen, ohne dabei eine Sekunde nachzudenken.


Fragen zu einer Analyse über die wirtschaftlichen Probleme linker Zeitungen

20. November 2012

In den letzten Tagen wurde oft ein Carta-Artikel zitiert, in dem es um die wirtschaftlichen Probleme der eher links orientierten Zeitungen geht.

Wolfgang Michal sieht ein Kernproblem darin, dass sich die Menschen aus dem »aufstiegsorientierten neuen Bildungsbürgertum« der Großstädte offenbar nicht »trauen«, eine »Frankfurter Rundschau« oder eine »taz« zu lesen. Um das zu belegen, bezieht er sich auf ein Interview mit Claudia Roth:

So schrieb etwa die FAZ anlässlich eines Interviews mit der Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth: Sie „kommt aus Babenhausen in Bayern, einem konservativen Ort, in dem ihre Familie als linksliberal galt, weil der Postbote jeden Montag den „Spiegel“ in den Briefkasten steckte“.

Übertragen auf die heutige Zielgruppe linker Medien heißt das: Nicht jeder, der etwas werden (und zur neuen Mitte gehören) will, möchte sich mit der taz oder dem Freitag oder gar der jungen welt exponieren, also greift man lieber zu etwas Unverfänglichem oder verzichtet gleich ganz auf ein sichtbares Zeitungs-Abo.

Mit Verlaub gesagt: Das ist gleich mehrfach Unsinn. Claudia Roth ist Jahrgang 1955. Ihre Kinder- und Jugendzeit in einem kleinen Ort in Bayern war also Anfang der 1970er Jahre zu Ende. Das ist 40 Jahre her. Und es hat außerdem überhaupt nichts mit Großstädten zu tun.


In einer Großstadt wie Dresden kann ich mir jede beliebige Tageszeitung kaufen. Die Mitarbeiterin am Kiosk bedient alle Kunden. Sie ist natürlich freundlicher gegenüber den netten Stammkunden und eher distanziert gegenüber der unfreundlichen Laufkundschaft, aber die politische Ausrichtung der Zeitung dürfte ihr völlig gleichgültig sein.

Nehmen wir aber für einen Augenblick an, dass sich eine potentielle Kundin nicht mit der »jungen welt« sehen lassen möchte. Nehmen wir an, dass es einem potentiellen Abonnenten peinlich sein könnte, die »taz« zu abonnieren und täglich liefern zu lassen.

Wolfgang Michal kennt als Alternative offenbar nur die Kostenlos-Angebote, die seiner Meinung nach von den weggebliebenen Kunden und Abonnenten bevorzugt werden:

Das Internet hat den unbestreitbaren Vorteil, dass es die drohende (soziale) Stigmatisierung verhindert. Da das World Wide Web sämtliche Inhalte in neutraler Verpackung bietet, muss sich der Leser nicht zu etwas bekennen. Seine Haltung bleibt (zumindest nach außen hin) unsichtbar.


Also könnten meine potentielle Kundin oder mein potentieller Abonnent völlig problemlos das Online-Abo ihres Lieblingsblatts bestellen. Das ist seit vielen Jahren möglich. Diese Form des Abos spart den Zeitungen die Druckkosten, es ist für die Abonnenten meist etwas günstiger und es kommt ganz »diskret« ins Haus.

Dass sie es nicht tun, muss andere Ursachen haben: Sie sehen schlichtweg keinen Nutzen darin. Später im Text geht der Autor zwar noch auf inhaltliche Fragen ein. Ich halte es aber für vorgeschoben, wenn er behauptet, man könne sich mit einer linksliberalen »Süddeutschen« oder einer bürgerlichen »F.A.Z.« eher sehen lassen, als mit einer »Frankfurter Rundschau« oder einem »Freitag«.



Ratschläge für einen schlechten Restaurantkritiker

16. November 2012

Kurt Tucholskys unvergessene »Ratschläge für einen schlechten Redner« standen in der DDR im Lesebuch des sechsten Schuljahres. Wer diese Ratschläge wirklich noch nicht kennt, dem seien sie in aller Form empfohlen. Sie wirken als gute Prophylaxe – auch im Zeitalter der Präsentationsprogramme und der allgegenwärtigen Beamer.

Nachdem ich mich in letzter Zeit mehrmals über schlechte Restaurantkritiken geärgert habe, stand für mich fest: Heute gibt es die »Ratschläge für einen schlechten Restaurantkritiker«. Sie sind angelehnt an die Ratschläge Kurt Tucholskys und gewidmet allen guten Restaurantkritikern.

Ähnlichkeiten mit Kritiken aus den Zeitungen und Magazinen dieser Stadt sind rein zufällig. Und Satire darf alles.


Ratschläge für einen schlechten Restaurantkritiker

Fange nie mit einer verlockenden Geschichte über Genuss und Lebensart an, sondern komme immer sofort zur Sache: Dein Auftraggeber bezahlt dich schließlich nicht fürs Dichten. Beginne etwa so:

Das ist schon ein kleines Wunder im Nobelviertel: Zwei luxuserprobte Gastro-Schwestern bringen die weite Welt des guten Geschmacks zu fairen Preisen auf den Weißen Hirsch. Der generationsübergreifende Wohlfühlort wurde von ihrer Mutter mit stilsicherer Hand als urig-lauschiges Ecklokal gestaltet.

Hier hast du schon alles, was eine gute Lobhudelei ausmacht: Die Sprache ist steif; das Fazit steht am Anfang; der Leser merkt jetzt schon, dass Du nicht den Hauch eines Einwands gegen das Restaurant haben wirst.


So gewinnst Du im Sturm das Herz jedes Gastronomen. Er wird von dir begeistert sein, denn sein PR-Agent schreibt ja auch nicht anders. – Merk dir dies: Du darfst den Zeitungsleser nie nach seiner Meinung fragen, denn der bezahlt Dich ja nicht.

Schreibe nicht frei, das macht einen so unordentlichen Eindruck. Am besten: Du zählst die Speisen auf. Das ist sicher und zuverlässig; auch freut es jedermann, wenn der essende Kritiker zu jedem Gericht nur ein einziges Adjektiv beilegt.

Wenn du gar nicht hören kannst, was man dir so freundlich rät, und du willst durchaus frei schreiben … du Laie! Mach dich nicht lächerlich! Nimm dir doch ein Beispiel an den PR-Leuten! Hast du von denen schon mal einen freien Satz gelesen? Die müssen ein Restaurant gar nicht besuchen, um darüber schreiben zu können.


Schreib in langen, verschachtelten Sätzen – solchen, bei denen du, der du zu Hause nie kochst, Dir nicht anmerken lässt, dass es Dein erstes Auftragswerk ist und dass Du viel lieber woanders wärst. Schreib, wie du isst. Und ich weiß, wie du isst; denn immer wenn du eine Speise beschreibst, klingt es wie Werbung für Mikrowellengerichte.

Beschreibe die Speisenfolge schön geschachtelt und auf keinen Fall in ihrer natürlichen Struktur – erwähne erst den Hauptgang, dann den Käse, dann die Vorspeise, zuletzt das Dessert. Dir kann’s doch egal sein, ob der Leser deinen Artikel zu Ende liest.

Aber vergiss die Versatzstücke nicht, von denen du glaubst, dass dein Leser sie zum Sattwerden braucht: das »butterweiche kulinarische Gedicht«, das »knackig-knusprige Röllchen« und die Frage »Wo kriegt man denn so etwas heute noch?« — Man kriegt es überall, aber dem Chef des »Lauschigen Plätzchens« bist du noch einen Gefallen schuldig.


Ich habe in der Zeitung eine Restaurantkritik gelesen, in der zwei Spalten lang nur das Gebäude beschrieben wurde. So musst du das auch machen. Wer kann denn essen gehen, ohne die baulichen Hintergründe zu kennen?

Die Leute lesen doch deinen Artikel nicht, um etwas über die Kombination der Speisen und die Auswahl der Weine zu erfahren. Gib ihnen das, was sie auch auf der Website des Restaurants nachschlagen können! Aber gib ihnen auf keinen Fall einen Link!


Deine Kritik ist, wie könnte es anders sein, ein Monolog – Weil doch nur einer schreibt, und alle anderen lesen sollen.

Du brauchst für Dein Auftragswerk nicht zu wissen, dass die Kritik ein Dialog mit dem Leser und ein Orchesterstück für seine Phantasie sein soll: Er will die Schritte der Kellner, den Klang der Gläser und das »Oh!« der Gäste hören.

Schreib und vergiss! Das schont den Magen.



Die Misere

16. November 2012

Die meisten Zeitungen reservieren die Seite 3 für besonders wichtige Themen: Dort stehen Berichte und Kommentare der besten Journalisten zu Themen aus Politik und Wirtschaft. Kurz: Wenn Sie eine Zeitung auf Seite 3 aufschlagen, dann erfahren Sie, was der Redaktion wichtig ist.

Wenn eine Überschrift am 15. November 2012 mit »Die Misere« beginnt: Was könnte diesen beiden Wörtern folgen? Ich habe mir drei Themen ausgedacht und dann erzähle ich Ihnen, was die »Sächsische Zeitung« gestern tatsächlich auf Seite 3 gebracht hat.


Die Misere des Schuldenstaats

Der Artikel beschreibt die Buchungstricks, mit denen die Politik gerade vermeiden möchte, dass die Belastungen aus der Euro-Krise im Haushalt sichtbar werden. Er erläutert uns auch den Unterschied zwischen sinkender Neuverschuldung und sinkender Verschuldung. Er zeigt uns, dass wir endlich ehrlich über Geld reden müssen.


Die Misere der Solarindustrie

Der Artikel beschreibt die Lage der ostdeutschen Solarindustrie: Trotz massiver Subventionen und Zwangsabgaben gehen immer wieder Unternehmen zu Lasten des Steuerzahlers, der Lieferanten und der Anteilseigner in die Insolvenz. Welche Folgen hat das für die Wirtschaft Sachsens?


Die Misere der Qualitätspresse

Der Artikel beschreibt selbstkritisch, auf welche Weise der Leser in der Vergangenheit getäuscht wurde, indem er im redaktionellen Teil gekaufte Artikel und PR vorgesetzt bekam. Er endet mit dem Versprechen: In Zukunft wollen wir den Lesern wieder richtigen Journalismus ohne PR anbieten.


Und jetzt ist noch aufzulösen, was die »Sächsische Zeitung« gestern wirklich auf Seite 3 gebracht hat:

Die Misere der Möpse

Der Artikel beschreibt die Situation der Hunderasse Mops. So banal ist die Auflösung: Wir bekommen nichts über Politik, nichts über Wirtschaft und auch nichts über »Qualitätsjournalismus« zu lesen. Wir bekommen einen Herz- und Schmerz-Artikel über die Misere einer morbiden Hunderasse.

Das Leitmotiv von der Misere des Mopses findet man auch auf einer Website mit dem schönen Namen »IG Mops«. Dort heißt es:

Im Hinblick auf die Misere der Rasse Mops (…) sollten alle, die zu der Überzeugung gelangt sind, dass eine dauerhafte Verbesserung der Lebensqualität für den Mops nur über die Schaffung größerer Genvielfalt zu erreichen sein wird, an einem Strang ziehen und ihre Möglichkeiten in ein wohlwollendes Miteinander einbringen.

Aber wir haben in diesem Land wirklich andere Probleme! Es kann doch in all den Krisen des Jahres 2012 nicht Priorität haben, eine wichtige Zeitungsseite mit Informationen über Möpse und ALDI-Werbung zu füllen. Wo leben wir denn?


Liebe »Sächsische Zeitung«, wir müssen mal über Grundsätzliches reden. Wenn ich Ihr Blatt lese, wünsche ich mir immer öfter, ich könnte Ihnen einen Auftritt in der Art von »Gernot Hassknecht« aus der heute-Show vorführen.

Ich habe schon einige Texte für diesen Auftritt geschrieben. Ich habe sie aus Zurückhaltung und Höflichkeit bisher immer wieder gelöscht. Bevor ich also in den »Gernot-Hassknecht«-Modus übergehe, beantworten Sie mir doch bitte einige Fragen:

Für welche Zielgruppe wurde dieser Mops-Artikel auf Seite 3 gesetzt? Sicher nicht für die Zielgruppe der Leser, die an Wirtschaft, Politik und Journalismus interessiert sind. Meinen Sie wirklich, dass es keine dringlicheren und wichtigeren Themen für eine Seite 3 gibt?


Für welche Zielgruppe wurde gestern im Lokalteil schon wieder ein Werbe-Artikel über ein Restaurant abgedruckt? Für die Zielgruppe der Restaurantbesitzer, die bei Ihnen werben sollen? Meinen Sie wirklich, dass Restaurantbesitzer und Leser einen Text brauchen, der wie ein Nahrungsaufnahmeprotokoll klingt? Zitat aus Ihrem Fazit:

Das Würfel-Konzept der luxuserprobten Gastro-Brüder, die Welt des Geschmacks zu fairen Preisen in ihre Heimatstadt zu bringen, geht mehr als auf. Jeder einzelne Bissen ist ein Genuss.

So leid es mir tut, Ihnen das so offen sagen zu müssen: Das ist kein Journalismus aus der Edelfeder. Das ist PR mit dem Fleischklopfer – und noch nicht mal als Anzeige gekennzeichnet. Würden Sie PR für Ihre Zeitung lesen wollen, die im Stil Ihres eigenen Restaurant-Artikels geschrieben ist? Ach, das wäre peinlich? Sehen Sie!

Manchmal frage ich mich, warum ich mir diese Zeitung noch antun soll …



Wenn »ungewöhnliche Bestrafungen« einfach zu weit gehen

14. November 2012

Die USA sind ein Rechtsstaat, aber sie sind in mancher Hinsicht ein anderer Rechtsstaat als Deutschland. In den USA ist im Recht auch verankert, dass Menschen zu sehr »ungewöhnlichen« Strafen verurteilt werden können. Dazu zählt wohl heute der moderne Pranger. Oft werden solche Strafen eingesetzt, weil Staatsanwälte wiedergewählt werden wollen oder weil sich Richter in der Öffentlichkeit profilieren wollen.

In deutschen Medien (z. B. SPON) und amerikanischen Medien (z. B. Huffington Post) wird über den Fall einer Autofahrerin berichtet, die als Strafe für ein Verkehrsvergehen in der Kälte eine Stunde lang ein Schild hochhalten musste.

Nun kann man diese Information in den Medien als Meldung wiedergeben oder man kann in einem Kommentar seine Meinung dazu sagen. Man kann auch auf beides verzichten. Ich finde es zum Beispiel völlig falsch, die Fotos weltweit zu verbreiten und die Videos weltweit zu zeigen.

Ich habe aber einen Vorschlag: Wenn eine solche Strafe in Form eines Prangers verhängt wird, sollten sich Staatsanwalt und Richter grundsätzlich immer daneben stellen. Das lässt sich ganz einfach begründen: Erstens stehen sie dann öffentlich zu ihrer Entscheidung, zweitens können sie die Wirkung unmittelbar einschätzen und drittens könnten sie im Hinterkopf darüber nachdenken, ob sie Zeit ihres Lebens nie einen Fehler gemacht haben …



Vom Schreiben und Lesen

14. November 2012

Ein Zitat aus einer Rede von Constantin Seibt vor den Aktionären und Verantwortlichen der »Basler Zeitung« werde ich mir über den Schreibtisch hängen:

Denn das ist meine wichtigste Aufgabe als Journalist, mein Service an die Öffentlichkeit: präzis die Grundlagen zu liefern, von denen aus diskutiert werden kann. Mein Job ist, eine komplexe Welt verständlich zu machen, ohne ihre Komplexität zu verraten. Der Rest, nicht zuletzt meine Meinung, ist sekundär: Es ist der Anstrich des Hauses, nicht sein Fundament.

Klar: Das ist ein Ideal. Doch viele Journalisten haben es schon lange aufgegeben, sich wenigstens an diesem Ideal zu orientieren.


Erst gestern ist eine Zeitung deshalb in die Insolvenz gegangen. Eine andere Erklärung gibt es nicht. In unserem Land kann die große Mehrheit der Bürger selbst entscheiden, ob sie sich eine Zeitung leistet. Es wird ja auch viel Geld für andere Dinge ausgegeben. Aber die Leserinnen und Leser wollten sich diese Zeitung nicht mehr leisten.


Als Blogger können wir die Zeitungen nicht ersetzen. Wir können aber mit unserer Fachkompetenz, mit unserer Methodenkompetenz und mit unserem gesunden Menschenverstand so schreiben, wie es Constantin Seibt in seiner Rede als Ideal formuliert hat.

Wir sind von niemandem abhängig und deshalb können wir auch zu einer Kontrollinstanz für die Medien werden. Und das Beste ist: Wir bringen uns gegenseitig Gewinn.

Es lohnt sich deshalb, den Rest des ersten Teils der Rede aus der »Basler Zeitung« zu lesen. So soll man schreiben, wenn man gelesen werden will:

Der wichtigste Moment, wo ich im Alltag an die Wirkung, also das Publikum, also im weitesten Sinne an die Demokratie denke, passiert in den stillsten, unspektakulärsten Teilen des Textes. Dort, wo ich unauffällig Erklärungen nachschiebe (…)

Ich feile oft am längsten an diesen stillen Passagen, denn sie müssen klar und genau sein, trotz aller Knappheit. Sie müssen Volkshochschule sein, ohne dass sie nach Volkshochschule klingen.

Inzwischen treffe ich auf solche kompetent verfassten Passagen, die ja eigentlich Aufklärung im besten Sinne sind, eher in Blogs als in den Dresdner Zeitungen. Ausnahmen bestätigen die Regel.



Zufällig bin ich gestern als stiller Leser in eine Diskussion bei der Frau Kaltmamsell geraten. Sie hat einen kritischen Beitrag über Homöopathie empfohlen und kundig kommentiert. Gerade schreibt sie dort:

Hin und wieder erschüttern mich Informationen wie die oben so tief, dass ich mich doch wieder in die Schlacht mit Menschen stürze, die Korrelation und Kausalität nie zu unterscheiden gelernt haben.

Ich nehme aus dieser Diskussion mehr Gewinn mit, als ich beim Lesen der »Verlagsbeilagen« der Zeitungen zum Thema Medizin jemals haben kann.

Warum wird die Pseudowissenschaft Homöopathie gar nicht mehr hinterfragt? Weil die Verlage vermutlich kalkulieren, mit kritischem und wissenschaftlichem Hinterfragen könne man weniger gewinnen, als mit Verlagsbeilagen, die von den Interessen der Pharma-Industrie bestimmt werden. [Bevor jemand einwendet, dass Homöopathie gegen die Interessen der Pharma-Industrie sei: Sie ist ein Teil der Pharma-Industrie.]


Man bekommt inzwischen in ausgewählten Blogs bessere Informationen, als in den furchtbar banalen Beratungsgesprächen in der Apotheke, die man ungewollt mithört, wenn man sich die obligatorische Kräuter-Arznei gegen die Folgen der Erkältung kaufen will.

Früher haben sich die Apotheker noch von der Quacksalberei abgegrenzt:

Die hohe Würde eines guten Apothekers, aus dessen unbestechlich gewissenhaften Händen Leben und Gesundheit in lauterer Quelle fließt, und unter dessen wachsamer Kenntniß die ächtigen Werkzeuge erschaffen werden, womit wir die zerrüttete Maschine des menschlichen Körpers zu bessern und in ihren ursprünglichen harmonischen Gang zu bringen suchen, wird sich nie mit der Niederträchtigkeit einer vernunftlosen Quacksalberei besudeln.

Heute verkaufen sie viel teure Kosmetik und noch mehr Homöopathie. Und allmählich sehe ich gerade eine interessante Parallele zum Journalismus. Man sollte mal über die Gemeinsamkeiten zwischen Pseudomedizin und Pseudojournalismus nachdenken ;-)


Pseudojournalismus bedeutet: Sie drücken sich nicht verständlich aus. Sie produzieren Skandale, obwohl sie die Fakten eigentlich methodisch einordnen müssten. Sie ventilieren Informationen, die sie eigentlich vorher prüfen müssten. Sie vermischen Meinungen und Fakten. Sie zwingen uns einen Deutungsrahmen auf. Sie bevormunden uns durch Weglassen.

Notiz: Ich sollte mal eine Serie zur Vorstellung von Blogs starten, die mir geholfen haben, mich aus den Fallen des Pseudojournalismus zu befreien.

Notiz für einen Beitrag in dieser Serie: Wenn ich unabhängige Informationen und Denkanstöße zur Energiepolitik brauche, verlasse ich mich ja schon lange nicht mehr auf die Zeitungen, die das Thema nur noch in interessengeleiteten Artikeln und Verlagsbeilagen behandeln. Auf diesem Gebiet haben mich Beiträge bei Frank und in Zettels Diskussionsforum wesentlich bereichert.



Was wissen wir über die ostdeutschen Anhänger der Parteien?

13. November 2012

Zur Zeit macht gerade ein [aus dem Zusammenhang gerissener] Ausschnitt aus einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung die Runde. Die Tabelle soll angeblich zeigen, wie viele Anhänger der CDU, der Grünen, der SPD oder der FDP bestimmten ausländerfeindlichen Aussagen zustimmen.

Populistische Lautsprecher wie »Fefe« skandalisieren nun:

Wenn man mal die NPD mit ihren 75% Ausländerhetzern rausrechnet, sind die Parteien mit dem höchsten Ausländerhassanteil die CDU (47,8%) und die SPD (48,3%). Ja! Die SPD hat mehr „Ausländer Raus!!“ als die CDU im Osten! Krass sind auch die Zahle der Linken (36,2%) und der Grünen (37,5%). Die Piraten haben den kleinsten Wert aller Parteien mit ca 21%.


Für die Gesamtstudie wurden etwas weniger als 500 Ostdeutsche befragt. Diese Menge kann insgesamt repräsentativ für Ostdeutschland sein, wenn die Befragten wissenschaftlich exakt ausgewählt wurden.

In der bewussten Tabelle sind von diesen Ostdeutschen genau 439 zu finden. Davon sind 32 Befragte Anhänger der Grünen und 13 Befragte Anhänger der Liberalen. 12 Grünen-Anhänger und 3 FDP-Anhänger sollen Aussagen zugestimmt haben, die als ausländerfeindlich gelten.


Ich sehe folgendes Problem: Die ostdeutschen Teilnehmer der Gesamtumfrage mögen insgesamt repräsentativ für Ostdeutschland sein, aber die Untergruppen sind nicht repräsentativ für die Anhänger der einzelnen Parteien.

Um eine repräsentative Umfrage unter den ostdeutschen Anhängern der Grünen oder der FDP durchzuführen, müsste man zwei neue Befragungsgruppen bilden, die repräsentativ für Anhänger der beiden Parteien sind. Diese Anhängerinnen und Anhänger müssten aus unterschiedlichen Gegenden und unterschiedlichen sozialen Schichten stammen.

Für eine zuverlässige Aussage über die Quote der Ausländerfeindlichkeit unter den Anhängern der kleinen Parteien Grüne und FDP ist das vorliegende Zahlenmaterial meiner Meinung nach nicht tauglich.

Um die Frage an einem Beispiel zuzuspitzen: Unter den 439 Beteiligten an der Umfrage seien 12 Dresdner. Können sie repräsentativ für alle Dresdner sein? Oder müsste man nicht für eine Umfrage zur Ermittlung von politischen Einstellungen der Dresdner eine bestimmte Mindestanzahl an befragten Dresdnern repräsentativ auswählen?



Stoppt den Raab

12. November 2012

Ich sehe sehr selten Fernsehsendungen, weil ich zu Hause gar keinen Fernseher habe und weil mir auf Reisen meist die Zeit zu schade ist.

Gestern wollte ich mir aber gern selbst ein Bild von Stefan Raabs Talkshow »Absolute Mehrheit« machen. Letztlich blieb schon eine halbe Stunde nach dem Start nur Mitleid.

Mit den Politikern: Aus dem bürgerlichen Lager kamen ein notorisch querschießender FDP-Politiker und ein CDU-Abgeordneter einer früheren Generation. Aus dem linken Lager kamen zwei Politiker der zweiten Reihe, die sich gegenseitig im Billig-Populismus übertrafen.

Mitleid auch mit der jungen Quoten-Unternehmerin, mit dem überforderten Moderator und mit einem Nachrichtenjournalisten, der sich augenscheinlich gerade um den Rest seiner Reputation brachte.

Die F.A.Z. hat eine sehr treffende Kritik – nicht nur an dieser Sendung. Ich könnte fast jeden Satz unterschreiben. Am Ende haben wirklich nur die gewonnen, die sich das nicht angetan haben.



»Sächsische Zeitung«: Zwei Berichte über ein Gerichtsverfahren. Ein Deutungsrahmen.

11. November 2012

Die Sächsische Zeitung berichtete in zwei Artikeln über ein Verfahren im Zusammenhang mit dem 13. Februar 2012.

Am Beispiel der beiden Artikel soll untersucht werden, wie ein Journalist durch das Einordnen von Informationen in einen Deutungsrahmen die Meinung der Leser beeinflussen kann. Diese Untersuchung ist unabhängig vom Gegenstand der beiden Artikel.


Beide Artikel waren nicht als Kommentar gekennzeichnet. Über dem zweiten Artikel steht: »Bericht aus dem Gerichtssaal«. Für die folgende Untersuchung soll gelten: Wenn ein Bericht über eine Verhandlung bestimmte Merkmale aufweist, kann er als parteiisch bewertet werden. Diese drei Merkmale sind:

  1. Die Handlungen oder Äußerungen einer Seite werden überwiegend negativ dargestellt.
  2. Die Sicht einer Seite wird (nahezu) vollständig weggelassen. Das
    Prinzip »audiatur et altera pars« (»Man höre auch die andere Seite«) wird verletzt.
  3. Eine Seite wird überwiegend positiv dargestellt. Ihre Aussagen und Wertungen werden übernommen.

An dem Verfahren vor dem Amtsgericht Dresden sind offenbar folgende Seiten beteiligt:

  • Thomas P. ist ein Mann aus Thüringen, gegen den wegen einer Aktion auf dem Heidefriedhof ein Bußgeld verhängt wurde. Er wird durch seine Verteidigerin vor Gericht vertreten.
  • Eine (ungenannte) Behörde: Sie hat das Bußgeld verhängt und den
    Bescheid vermutlich auch begründet.
  • Die Polizei: Sie hat die Aktion auf dem Heidefriedhof beendet und die Personalien der Beteiligten aufgenommen.

Untersuchung des ersten Artikels

Durch die Wortwahl in der Überschrift und in der Zusammenfassung des ersten Artikels wird das Geschehen in einen Deutungsrahmen eingeordnet:

Teures Knöllchen nach Protest am 13. Februar

Für ein Protestplakat auf dem Heidefriedhof soll ein Antifa-Aktivist 150 Euro zahlen. Er will die Strafe jedoch nicht akzeptieren.


Die Bezeichnung als »Antifa-Aktivist« soll Thomas P. positiv darstellen: Ein »Aktivist« ist selbstlos für eine gute Sache tätig. Die anderen drei Männer werden im Artikel als »Mitstreiter« des Aktivisten bezeichnet. Auch der Begriff »Mitstreiter« ist positiv besetzt.

Der Gegenstand des Verfahrens wird in seltsam widersprüchlicher Weise beschrieben: erst als »Knöllchen« und dann als »Strafe«. Das kann ein Zeichen für Unsicherheit in der Wortwahl sein. Es kann auch eine Absicht dahinter stecken.

Das Wort »Knöllchen« im Titel des Artikels stammt aus der Umgangssprache. Es wird in der Regel verharmlosend eingesetzt. In der Zusammenfassung des ersten Artikels wird das »Knöllchen« zur »Strafe«. Die »Strafe« hat in der Umgangssprache nicht die selbe Bedeutung wie das »Knöllchen«.


In der Überschrift und in der hervorgehobenen Zusammenfassung des Artikels soll vermittelt werden, dass der Aktivist für ein Protestplakat mit einer Meinungsäußerung 150 Euro bezahlen soll. Damit ist der Deutungsrahmen gezimmert: Es gibt einen guten Aktivisten, den jemand bestrafen will. Der Aktivist wehrt sich.

Der Aktivist und seine Verteidigerin kommen in der Sache ausführlich zu Wort. Die Begründung der Behörde, die das Bußgeld verhängt hat, kommt dagegen weder im ersten noch im zweiten Artikel zur Sprache. Die Behörde wird nicht einmal benannt. Warum erfährt der Leser darüber nichts?


Der Autor schreibt im erste Absatz über den »Aktivisten«:

Thomas P. (43) aus Erfurt ist in der Thüringer Antifa und hat daher häufiger in Sachsen zu tun. Ihn stört, wie Dresden mit dem Gedenken am 13. Februar umgeht, etwa am Heidefriedhof.

Hier stellt sich sofort die Frage: Warum hat ein »Aktivist« aus der »Thüringer Antifa« häufiger in Sachsen zu tun? Was bedeutet in diesem Zusammenhang das Wort »daher«?


Die Reaktion der Polizei wird durch geschickte Wortwahl negativ dargestellt. Im ersten Artikel steht (Hervorhebung von mir):

Sofort war die Polizei da, drängte die vier ins Abseits und verstellte die Sicht.

Für die Wendung »jemanden ins Abseits drängen« ist mir keine positive Bedeutung bekannt. Diese Formulierung ergibt nur aus Sicht des »Aktivisten« Sinn: Man hat sie ins Abseits gedrängt.

Innerhalb des Deutungsrahmens soll bei den Lesern folgender Eindruck entstehen: Ein Aktivist und seine drei Mitstreiter wollten ihre Meinung kundtun. Sie wurden ins Abseits gedrängt und an ihrer positiven Aktivität gehindert.


Untersuchung des zweiten Artikels

Der Deutungsrahmen wird am 10.11.2012 im zweiten Artikel noch verstärkt. Die »Sächsische Zeitung« bezeichnet das Gedenken an die Opfer des 13. Februar in ihrer gedruckten Ausgabe nunmehr als Gedenk-Kult. Sie macht sich also eine Wertung der Gegner des Gedenkens zu eigen.

sz_beitragstitel

Ausriss: Sächsische Zeitung.

In der Online-Ausgabe des Artikels wird der Titel einen Tag später stillschweigend geändert. Dort heißt es nun:

Kritik am Gedenken: 150 Euro Strafe

Beide Versionen der Überschrift sind parteilich. Beim Leser soll der Eindruck entstehen, dass eine Kritik am Gedenken mit 150 Euro Strafe belegt wird. In Wahrheit hat der Richter das Bußgeld aber nicht für Kritik, sondern für eine unangemessene Art des Protestes verhängt.

Auch im zweiten Artikel wird der Protagonist wieder als »Antifa-Aktivist« bezeichnet und die Reaktion der Polizei wird ein zweites Mal als »abdrängen« gewertet:

Die Polizei war sofort da, drängte das Quartett ab, stellte sich zu einem Sichtschutz auf. Während seine Kumpels das Dresdner Bußgeld von 150 Euro gezahlten, zog P. vors Amtsgericht Dresden.

Im ersten Artikel waren es »Mitstreiter«, im zweiten Artikel sind es »Kumpels«. Durch die Wortwahl »Kumpels« wird die Gruppe wiederum positiv dargestellt. Man darf die Frage stellen: Macht sich der Autor zum Mitstreiter (Kumpel) der Aktivisten – oder berichtet er unabhängig und neutral?


Fazit nach der Untersuchung beider Artikel

Die beiden Artikel weisen drei Merkmale eines parteiischen (subjektiv eingefärbten) Berichts auf.

  1. Die Handlungen oder Äußerungen einer Seite werden überwiegend negativ dargestellt: Hier ist es das Handeln der Polizei.
  2. Die Sicht einer Seite wird (nahezu) vollständig weggelassen: Es ist die Sicht der Behörde, die den Bußgeldbescheid ausgestellt hat.
  3. Eine Seite wird positiv dargestellt. Ihren Aussagen und Wertungen wird Raum gegeben. Das ist in diesem Fall die Sicht des »Aktivisten«, seiner »Kumpels« und seiner Verteidigerin.


Meinung oder Information?

10. November 2012

Die »Sächsische Zeitung« berichtet in ihrer aktuellen Ausgabe über einen Prozess im Zusammenhang mit dem Gedenken an den 13. Februar 1945. Mehrere Männer hatten eine offizielle Gedenkveranstaltung gestört und waren deshalb mit Bußgeldern belegt worden.

Jetzt wurde in erster Instanz über einen Einspruch gegen dieses Bußgeld verhandelt. Das ist der Titel der Meldung:

sz_beitragstitel

Ausriss: Sächsische Zeitung.

In einem freien Land hat jeder Mensch das Recht, das würdige Gedenken an die Toten und die Aussöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern als Gedenk-Kult zu bezeichnen. Das ist natürlich auch in einem Zeitungskommentar möglich.

Aber über einem Bericht hat diese Meinungsäußerung nichts zu suchen. Ich will nicht wissen, welche Meinung der Autor zum Gedenken an die Toten des 13. Februar hat, sondern ich will Informationen über einen Sachverhalt lesen.

Außerdem wurde der Mann nicht für keine Kritik, sondern für unangemessenen Protest bestraft: Eine Gedenkstätte auf einem Friedhof ist nach der Rechtsauffassung des Richters kein Ort für politische Meinungsäußerungen.


Ergänzung am 11. November: Die »Sächsische Zeitung« hat den Artikel online verfügbar gemacht und die Überschrift geändert. Sie lautet jetzt:

Kritik am Gedenken: 150 Euro Strafe

Das ist aber immer noch eine tendenziöse Überschrift: Die Strafe wurde nicht für »Kritik am Gedenken«, sondern für eine unangemessene Form des Protestes verhängt.



Meinung und Fakten

9. November 2012

Aus gegebenem Anlass:

Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber niemand hat das Recht auf eigene Fakten.

Daniel Patrick Moynihan (1927–2003),
US-Senator, konservativer Demokrat


Gefunden habe ich das Zitat via Kaltmamsell in der SPON-Kolumne von Sascha Lobo.



Es ist ein Kennzeichen!

8. November 2012

Morgen wird es vermutlich in allen Zeitungen der Stadt stehen: Die Sachsen dürfen sich schon wenige Wochen vor Weihnachten über eine Erfolgsmeldung aus der Politik freuen.

Alle Probleme sind zwar noch nicht gelöst: Die gescheiterte SachsenLB wird unseren Haushalt auch im kommenden Jahr belasten. Die sächsischen Eltern werden sich weiterhin Sorgen um Schulausfall und Kinderbetreuungsplätze machen. Und auch für die personalreduzierte sächsische Polizei wird es im Jahr 2013 nicht leichter werden.

Trotzdem freuen wir uns über eine Pressemitteilung aus der Regierungszentrale des Freistaats:

Endlich sind die „Heimatkennzeichen“ in den Kfz-Zulassungsstellen im Freistaat erhältlich.


Staatsminister Sven Morlok (FDP) hat lange für diesen symbolpolitischen Erfolg gekämpft:

»Endlich ist es so weit und die Altkennzeichen können auch an die Fahrzeuge montiert werden. Sachsen hat sich lange dafür eingesetzt, und viele Autofahrer haben lange darauf gewartet. Ich freue mich, dass wir bald viele der Altkennzeichen wieder im Straßenbild sehen werden. Sie sind für viele eben mehr als nur ein Blechschild, sondern auch ein Stück Heimatverbundenheit.«

Wenn Staatsminister Morlok das nächste Mal bei einem PR-Termin an der Autobahnraststätte mit Dresdner Eierschecke auf Heimkehrer aus den westlichen Bundesländern wartet, dann kann er sich an den vielen neuen Blechschildern als Zeichen der Heimatverbundenheit seiner Sachsen erfreuen.

Sicher wird er irgendwann mit ganz vielen Wählerstimmen dafür belohnt, dass die Glauchauer Bürger nun wieder ein Kennzeichen mit »GC« an ihre Autos schrauben dürfen – und nicht mehr auf das ungeliebte »Z« zurückgreifen müssen.


Die Änderung der Fahrzeug-Zulassungsverordnung geht auf einen Beschluss der Verkehrsministerkonferenz im April 2011 zurück, damals auf Initiative Sachsens und Thüringens. Sachsen hat das Thema Altkennzeichen im Dezember 2011 in den Bundesrat eingebracht.

Ich möchte nicht wissen, wie viele Beamte und Politiker sich mit dieser zweitschönsten Nebensache der Welt beschäftigt haben. Ich möchte auch nicht wissen, was das gekostet hat. Mir fallen spontan mehrere Probleme ein, die man in einer Verkehrsministerkonferenz lösen sollte, bevor es um reine Symbolpolitik geht.

Aber ich brauche ja an meinem Fahrrad auch kein Nummernschild …



Pluralismus ist den Linken fremd

8. November 2012

Die linken Nachdenkseiten haben heute einen Artikel über Satire im Fernsehen in die Welt gesetzt. Mit unfreiwilliger Komik geben uns Karin Burger und Wolfgang Lieb darin einen tiefen Einblick in das Satire-Verständnis des sozialistischen Autorenkollektivs. Schon der Einstieg ist auf seine Art unvergleichlich:

Satire im Ersten west dahin wie das tote Pferd an der deutsch-österreichischen Grenze in dem bekannten Gottschalk-Witz.

Womit könnte man den Lesern besser Appetit machen, als mit einem verwesenden Pferd und einem alten Gottschalk-Witz? Ich habe mir ein Tuch vor die Nase gepresst und weitergelesen. Es ist wirklich erstaunlich, wie viele Feindbilder in zwei kurze Sätze passen:

Mit dem Vitalitätsgrad einer Pferdeleiche agiert Dieter Nuhr am seichten Strand der ARD-Abendunterhaltung: arrogant, satt, arriviert, FDP! Zu Schande geritten durch den Erfolg, dem ihm die Privatsender als Comedian verpasst haben.

Wenn ich das nächste Mal an einem seichten Strand spazieren gehe, werde ich überall Pferdeleichen vor mir sehen. Hätten sie nicht noch einen verschimmelten Reiter auf das Pferd setzen können?


Die Pferde-Metapher wird nun geschwind zu Tode geritten. Die Autorin Karin Burger möchte uns damit nämlich auch erklären, wo sie im Fernsehen gute Satire sieht:

Es blähen sich die Nüstern im Neid auf den Satire-Säuregrad und die analytische Sprungkraft von „Neues aus der Anstalt“.

Ich habe es nicht verstanden: Wessen Nüstern blähen sich? Die Nüstern der Pferdeleiche oder die Nüstern der Autorin? – Muss man einen Artikel über Kabarett wirklich in einem derart schlechten Deutsch schreiben?


»Neues aus der Anstalt« ist also Kabarett nach dem Leitbild der Nachdenkseiten. Das ist ein gutes Stichwort: Das Bild des politischen Kabaretts im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird ja in der Tat durch linke Kabarettisten mit Aussagen wie

Die RAF hätte heute wieder gut zu tun

bestimmt. Da wird ein Klassenstandpunkt vertreten, an dem Karl-Eduard von Schnitzler seine wahre Freude gehabt hätte.


Dieter Nuhr gehört zu den wenigen Kabarettisten, die sich auch einmal kritisch mit linken Lieblingsthemen wie dem »Bedingungslosen Grundeinkommen« oder dem wundersamen Aufstieg der Piratenpartei auseinandergesetzt haben.

Wenn man den Pluralismus im Kabarett der Öffentlich-Rechtlichen bewahren will, sollte man Dieter Nuhr eine eigene Sendung geben. Im Redaktionsstall der Altlinken werden sich dann wieder die Nüstern blähen – diesmal vor Wut ;-)