Fragen zu einer Analyse über die wirtschaftlichen Probleme linker Zeitungen

In den letzten Tagen wurde oft ein Carta-Artikel zitiert, in dem es um die wirtschaftlichen Probleme der eher links orientierten Zeitungen geht.

Wolfgang Michal sieht ein Kernproblem darin, dass sich die Menschen aus dem »aufstiegsorientierten neuen Bildungsbürgertum« der Großstädte offenbar nicht »trauen«, eine »Frankfurter Rundschau« oder eine »taz« zu lesen. Um das zu belegen, bezieht er sich auf ein Interview mit Claudia Roth:

So schrieb etwa die FAZ anlässlich eines Interviews mit der Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth: Sie „kommt aus Babenhausen in Bayern, einem konservativen Ort, in dem ihre Familie als linksliberal galt, weil der Postbote jeden Montag den „Spiegel“ in den Briefkasten steckte“.

Übertragen auf die heutige Zielgruppe linker Medien heißt das: Nicht jeder, der etwas werden (und zur neuen Mitte gehören) will, möchte sich mit der taz oder dem Freitag oder gar der jungen welt exponieren, also greift man lieber zu etwas Unverfänglichem oder verzichtet gleich ganz auf ein sichtbares Zeitungs-Abo.

Mit Verlaub gesagt: Das ist gleich mehrfach Unsinn. Claudia Roth ist Jahrgang 1955. Ihre Kinder- und Jugendzeit in einem kleinen Ort in Bayern war also Anfang der 1970er Jahre zu Ende. Das ist 40 Jahre her. Und es hat außerdem überhaupt nichts mit Großstädten zu tun.


In einer Großstadt wie Dresden kann ich mir jede beliebige Tageszeitung kaufen. Die Mitarbeiterin am Kiosk bedient alle Kunden. Sie ist natürlich freundlicher gegenüber den netten Stammkunden und eher distanziert gegenüber der unfreundlichen Laufkundschaft, aber die politische Ausrichtung der Zeitung dürfte ihr völlig gleichgültig sein.

Nehmen wir aber für einen Augenblick an, dass sich eine potentielle Kundin nicht mit der »jungen welt« sehen lassen möchte. Nehmen wir an, dass es einem potentiellen Abonnenten peinlich sein könnte, die »taz« zu abonnieren und täglich liefern zu lassen.

Wolfgang Michal kennt als Alternative offenbar nur die Kostenlos-Angebote, die seiner Meinung nach von den weggebliebenen Kunden und Abonnenten bevorzugt werden:

Das Internet hat den unbestreitbaren Vorteil, dass es die drohende (soziale) Stigmatisierung verhindert. Da das World Wide Web sämtliche Inhalte in neutraler Verpackung bietet, muss sich der Leser nicht zu etwas bekennen. Seine Haltung bleibt (zumindest nach außen hin) unsichtbar.


Also könnten meine potentielle Kundin oder mein potentieller Abonnent völlig problemlos das Online-Abo ihres Lieblingsblatts bestellen. Das ist seit vielen Jahren möglich. Diese Form des Abos spart den Zeitungen die Druckkosten, es ist für die Abonnenten meist etwas günstiger und es kommt ganz »diskret« ins Haus.

Dass sie es nicht tun, muss andere Ursachen haben: Sie sehen schlichtweg keinen Nutzen darin. Später im Text geht der Autor zwar noch auf inhaltliche Fragen ein. Ich halte es aber für vorgeschoben, wenn er behauptet, man könne sich mit einer linksliberalen »Süddeutschen« oder einer bürgerlichen »F.A.Z.« eher sehen lassen, als mit einer »Frankfurter Rundschau« oder einem »Freitag«.


24 Responses to Fragen zu einer Analyse über die wirtschaftlichen Probleme linker Zeitungen

  1. Muriel sagt:

    Ich nehme diese angebliche Stigmatisierung auch nicht wahr und habe den Eindruck, dass auch sehr weit linke Positionen ziemlich allgemein akzeptiert werden. Kann aber natürlich an mir liegen.

    • stefanolix sagt:

      Wenn es diese Stigmatisierung gäbe, würden sicher nicht so viele Che-Guevara-Shirts verkauft. Von all den Salon-Revoluzzern, die sich mit entsprechenden Symbolen schmücken, gar nicht zu reden …

      • Antifa sagt:

        …würden sicher nicht so viele Che-Guevara-Shirts verkauft…

        Werden?

        Von all den Salon-Revoluzzern, die sich mit entsprechenden Symbolen schmücken…

        Wer denn zum Beispiel?

  2. Michael sagt:

    Zeitungen

    Nicht um linke Zeitungen, sondern um den Informationsgehalt von Zeitungen geht es u.a. in diesem
    Interview, welches Zettel der WELT gab.,

    • stefanolix sagt:

      Schönes Interview. Heute ist er ein Medienstar ;-)

      • Michael sagt:

        Naja, die WELT ist wohl die letzte Zeitung, welche solche kreiert und Zettel nicht derjenige, der sowas anstrebt.

    • stefanolix sagt:

      Schönes Zitat eines Kommentators bei carta:

      Ich lese jeden Tag die FAZ und verzichte oft schon auf die Nachrichten des ÖRR (Tagesschau, geschweige denn Heute-Journal). Die paar Stunden bis zum nächsten Tag kann ich warten, und dann bekomme ich sorgfältige Berichte, Kommentar und Bericht sauber getrennt etc. Mich interessieren Fakten, meine Meinung kann ich mir selbst bilden. M. E. sollte eine Zeitung nicht links oder rechts sein, sondern einfach berichten. Punkt.

      • Muriel sagt:

        Die FAZ.
        Weil er sorgfältige Berichte will, und saubere Trennung von Kommentar und Bericht.
        Niedlich.

      • stefanolix sagt:

        Im Vergleich mit den genannten linken Publikationen und mit dem größten Teil der Lokalpresse sind bei der F.A.Z. Kommentar und Bericht wirklich getrennt. Natürlich beeinflusst die F.A.Z. auch durch Selektion. Aber niemand hat gesagt, dass man sich ausschließlich von ihrem Inhalt ernähren kann.

      • Muriel sagt:

        Ich finde die FAZ halt völlig inakzeptabel. Aber ich muss zugeben, dass mir auch keine bessere deutschsprachige Alternative einfällt.

      • stefanolix sagt:

        Siehst Du: Sie scheitert an DEINEN Ansprüchen ;-)

      • Muriel sagt:

        Naja. Ich hoffe, dass es nicht allzuviele Leute gibt, die irgendwas nicht lesen, weil es den Ansprüchen von irgendwem anders nicht genügt.

      • stefanolix sagt:

        Mal ganz unabhängig von dieser Zeitung: Es ist gut, dass es solche hohen Ansprüche gibt. Aber sie werden die Qualitätspresse allenfalls ein wenig in der richtigen Richtung halten. Perfektion kann man realistischerweise nicht erwarten (und wohl auch nicht bezahlen).

      • Muriel sagt:

        Perfektion erwarte ich auch nicht. Mir würde es zum Beispiel völlig reichen, zu wissen, dass ein Gerichtsurteil auch tatsächlich existiert, wenn die Zeitung meiner Wahl drüber berichtet, oder dass sie ansonsten zumindest irgendwann den Fehler erkenntlich macht.
        Dass eine Zeitung sich an ganz elementare Grundregeln journalistischer Professionalität und menschlichen Anstands hält.
        Sowas halt.

      • stefanolix sagt:

        Wie hoch schätzt Du denn die Fehlerquote bei der F.A.Z. im Jahresmittel ein?

      • Muriel sagt:

        Um die schätzen zu können, müsste ich sie regelmäßig lesen.
        Es geht mir auch weniger um die Fehlerquote an sich. Es gibt gewisse Verhaltensweisen, die ich an einem Nachrichtenmedium nicht zu tolerieren gewillt bin, und ich bemerke die nicht nur in Ausnahmefällen bei der FAZ, sondern systematisch.
        Wann immer ich gerade Lust habe, mich über die Wurstigkeit unserer Medien zu ärgern und einen Blogpost drüber zu schreiben, dass unsere Zeitungen wirklich kein Leistungsschutzrecht verdient haben, muss ich nur faz.net aufrufen, und schon kanns losgehen.
        (Das klingt jetzt so, als würde ich sie doch regelmäßig lesen. Wenn man das so nennen will, stimmt es vielleicht sogar. Aber ich sehe da einen Unterschied.)

  3. stefanolix sagt:

    @Antifa: Man sieht in der Stadt z. B. im ÖPNV nicht zu knapp allerlei linke oder linksradikale Symbole. Das ist ja auch völlig in Ordnung, wie haben ja Meinungsfreiheit.

    Ich wollte nur dem Autor des Carta-Artikels widersprechen, weil ich nicht verstehe, wie der auf die Idee kommen kann, niemand traue sich mit einer »taz« auf die Straße.

    Am Ende stellt man sich aber wirklich die Frage: Wenn es denn angeblich so viele »versteckte Linke« gibt: Warum haben die dann kein Online-Abo des linken Blättchens ihrer Wahl? Wo bleibt die Solidarität mit der guten Sache?

    • Antifa sagt:

      Da fahre ich scheinbar mit den falschen Verkehrsmitteln und zu den Zeitungen, meine „linke“ Zeitung des Vertrauens taucht beispielsweise nicht einmal in dieser Übersicht auf. Ich bekomme sie in Dresden in sehr ausgewählten Geschäften, wenn nicht jemand schneller war und verstecken liegt bei Onlineangeboten ja, wie Du richtig anmerkst, auch in der Natur der Sache.

      • stefanolix sagt:

        Jetzt würde mich ja mal ein Link zu der ausgewählten Zeitung interessieren ;-)

        Sie taucht nicht in dem carta-Artikel auf?

        Vermutlich kenne ich also die »richtigen« Kioske und Zeitungsläden: Dort finde ich eine so große Meinungsvielfalt, dass mir einige Blätter fast schon unheimlich sind. Was wirklich verpönt ist und was ich noch nie gesehen habe: Jemanden, der ein rechtsradikales Blatt kauft.

      • Antifa sagt:

        Ist auch „nur“ eine Wochen bzw. eine Monatszeitung, aber zumindest die Wochenzeitung würde eh in Deinen Bereich der Feindpropaganda fallen ;)

        Was wirklich verpönt ist und was ich noch nie gesehen habe: Jemanden, der ein rechtsradikales Blatt kauft.

        Ich muss sagen, dass ich generell verhältnismäßig wenig Menschen sehe, die in der Öffentlichkeit Zeitung lesen, mal abgesehen von lokalen Blättern. Was mir immer wieder auffällt ist, dass die Nationale Wochenzeitung im Osten stets neben/unter/hinter/über der Jüdischen Allgemeinen liegt.

      • stefanolix sagt:

        Und wieder wurde ein Stück zu dem Mythos beigetragen, nach dem sich Linke nicht mehr zu ihrer Lektüre bekennen können. Schade. Ich hatte mich schon auf eine Rezension gefreut …

  4. Antifa sagt:

    Ich hatte mich schon auf eine Rezension gefreut …

    So schwer ist das nicht, denn wenn Du die Diskussion darunter gelesen hättest, wüsstest Du es.

    • stefanolix sagt:

      Ich habe die Diskussion nicht nur gelesen, sondern mich sogar daran beteiligt. Aber ich will jetzt nicht alle Zeitungen und Zeitschriften ausprobieren, die dort genannt wurden.

      Interessant fand ich, dass ich heute auf die Anordnung der Zeitungen in meinem Stamm-Zeitungsladen geachtet habe ;-)

      Dort lagen die »radikalen« Zeitungen unabhängig von ihrer Ausrichtung alle in einem Fach (ganz unten). Die »Frankfurter Rundschau« gab es gar nicht, ansonsten lagen oben alle Tageszeitungen, die heute im Westen erschienen sind.

  5. Lenbach sagt:

    Giovanni di Lorenzo himself beschäftigt sich mit dem Thema in der ZEIT:

    Spätestens jetzt ist es an der Zeit, dass sich alle Beteiligten ehrlich machen. Der Gegensatz von Print und Online ist weitgehend aufgehoben, was und wie man liest, ist weitgehend eine Geschmacks- und Gewohnheitsfrage. Noch bezieht Online seinen Hauptreiz aus der unmittelbaren Wiedergabe von Ereignissen und den Partizipationsmöglichkeiten der Nutzer, Print aus dem entschleunigten, konzentrierten Abtauchen in die Lektüre, ohne dabei eine Spur zu hinterlassen.

    Und promt antwortet „Das Volk“:

    Sie schreiben:

    „Wie kann hochklassiger, um profunde Analyse und Recherche bemühter Journalismus, wie kann die freie Berichterstattung aus aller Welt, wie die kritische Wächterfunktion künftig finanziert werden?“

    Ja wenn es denn so wäre! In meinen Augen zeigen bei vielen Zeitungen meist erst die Leserbriefe und Kommentare, was was es bei einem Thema zu bedenken gibt.
    Der Eindruck hochklassiger um profunde Analysen und Recherche bemühter Journalisten relativiert sich immer mehr zu dem Eindruck, dass es sich dabei nur um eine Form der Selbstbeweihräucherung handelt.

    71 Leser-Empfehlungen

    Ich muss doch ..

    … ich muss doch sehr bitten, liebe Zeit Redaktion:

    „Hierzulande gibt es die wohl besten Zeitungen der Welt”

    Ist es für sie eine journalistische Bestleistung, wenn 9 von 10 Tageszeitungen als einzige Arbeitstätigkeit Artikel von einander abschreiben, oder DPA Pressemeldungen jeweils in den eigenen Jargon übersetzen??

    Schauen sie sich doch einfach nur mal an, wie wenig differenziert sich die Meldungen in deutschen Tageszeitungen gestalten:

    Europa ist toll (Wer die Kosten statt den Nutzen sieht, muss Rechtsradikal sein), Migranten sind eine Bereicherung (etwaige Zwischenfälle sind Einzelfälle, auch in der Masse!) und Deutschland braucht den Euro (Jaja, schon klar.).

    Wo ist die Auseinandersetzung, die Diskussion, der Diskurs? Alle singen sie das selbe Lied, und DAS macht sie auf dem Markt obsolet.

    43 Leser-Empfehlungen

    http://www.zeit.de/2012/48/01-Medien-Zeitung-Selbstdemontage?commentstart=1#comments

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