Typgerechte Werbung

Die wichtigsten Themen stehen in einer Tageszeitung »über dem Knick«. Raten Sie mal, was heute das Thema der zentralen Überschrift der »Sächsischen Zeitung« direkt über dem Knick ist.

Zur Auswahl stehen solche wichtigen Themen wie das Haushaltsdefizit in den USA, in Deutschland oder in der Landeshauptstadt Dresden. Man könnte auch über die Aussichten der Wirtschaft im Jahr 2013 schreiben. Oder …? 

Ich wäre jedenfalls nie auf das Naheliegende gekommen: Die Überschrift in der Mitte der ersten Seite lautet …

Neue Diät für typgerechtes Abnehmen
Die Deutschen werden immer dicker.
Eine Serie gemeinsam mit der „Brigitte“ hilft beim Abspecken.


Man könnte den Artikel natürlich nach der Überschrift abhaken: Die meisten Menschen wissen, dass solche Diäten nicht helfen und dass der Kauf einer Frauenzeitschrift mit Diättipps nicht die Figur, sondern allenfalls den Geldbeutel verschlankt.

Aber dieser prominent platzierte Hinweis auf Seite 1 scheint schon hart an der Grenze zur Schleichwerbung zu sein. Der Artikel beginnt – wenig überraschend – so:

Millionen Menschen in Deutschland wollen 2013 abnehmen. Deshalb startet die Zeitschrift »Brigitte« heute mit der ersten Diät des Jahres.

Und der letzte Satz des Artikels schließt die Klammer:

Mit der neuen Brigitte-Diät soll es möglich sein, gesund ein bis zwei Kilo pro Woche abzunehmen.


Vermutlich vor lauter Begeisterung über das neue Angebot der Frauenzeitschrift »Brigitte« wählt die Autorin des Artikels eine ganz kühne Schreibweise für einen umstrittenen »Maßstab«. Sie schreibt vom

Bodymaßindex

Tatsächlich heißt es natürlich Body-Mass-Index. Es geht dabei nicht um einen Index für das Maß des Körpers, sondern um das Verhältnis zwischen der Körpermasse m und dem Quadrat der Körperhöhe h.

BMI-Formel-k

Und zweitens ist diese Zahl allein kaum aussagekräftig: Auch Muskeln und Knochen kommen auf die Waage. Es gibt nicht wenige Leistungssportlerinnen und Leistungssportler, die man nach ihrem Body-Mass-Index als »gefährdet« einstufen könnte, obwohl sie topfit sind und an der Weltspitze um Medaillen kämpfen.


Der Artikel an prominenter Stelle der heutigen »Sächsischen Zeitung« ist also nicht nur wegen der möglichen Nähe zur Schleichwerbung zu hinterfragen. Er weckt auch fachliche und inhaltliche Zweifel. Es ist seit Jahren bekannt, dass Diäten am Beginn eines neuen Jahres im Grunde überhaupt nichts helfen. Jahr für Jahr werden in den Frauenzeitschriften Dutzende Diätprogramme veröffentlicht … und mit welchem Ergebnis?

Viele kluge Bloggerinnen schreiben seit Jahren Artikel gegen diesen Diätwahn. Wenn man Frau Kaltmamsell und anderen Autorinnen Glauben schenken darf, dann ist es nach gesellschaftlichen, psychologischen und ernährungswissenschaftlichen Aspekten völliger Unsinn, am Anfang eines Jahres ein bis zwei Kilogramm pro Woche abnehmen zu wollen.

Aber wenn man auf Seite 1 ganz dezent auf die neue Ausgabe einer Frauenzeitschrift hinweisen will, dann stören solche sachlichen Betrachtungen natürlich nur …


Anlass dieses Artikels ist ein denkwürdiges Diktum der »Sächsischen Zeitung«, die am 31.12.2012 feststellte, dass Blogger »Selbstgerechtigkeiten und Häme« absondern, statt sich an den Debatten um die Zukunft der Medien »respektvoll und tolerant« zu beteiligen.

Mit dieser respektvollen und toleranten Bemerkung aus der Kulturredaktion der »Sächsischen Zeitung« werden wir sicher im Jahr 2013 noch viel Spaß haben. Danke für den Ansporn ;-)


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6 Responses to Typgerechte Werbung

  1. Sathiya sagt:

    Tja (*lacht und sich Häme verkneift*), toll ist das, ganz toll. Und es ist erst der 2.Januar… da gibt es noch viel Zeit, in Fettnäpfchen zu treten.
    Fragt man einen beliebigen Menschen, wie er Weihnachten und Silvester verbracht hat, klatscht sie/er sich auf den Bauch und stöhnt was von „ich hab 5 Kilo zugenommen“ (was leider nur selten eine Übertreibung zu sein scheint), dabei die aktuelle Currywurst schon am Start haltend. Die Schlagzeile ist da selbsterklärend…. es gibt ja sonst keine Probleme, über die man schreiben müßte. (Ironie aus)

    Ein frohes neues Jahr!

    • stefanolix sagt:

      Häme haben wir doch grundsätzlich gar nicht nötig ;-)

      Ja, natürlich ist es ein ganz großes und wichtiges Problem. Der Frauenzeitschrift »Brigitte« gehört zu den Medienangeboten der Gruner + Jahr AG & Co. KG und das Verlagshaus der »Sächsischen Zeitung« gehört zu 60 Prozent der Gruner + Jahr AG & Co. KG.

      http://www.kek-online.de/db/index.php?c=1264&mt=-1&s=&f=1

      Zufälle gibt’s.


      Diverse Frauenzeitschriften (ohne Namen zu nennen) sind ja gut gefüllt mit »redaktionellen Werbestrecken« für Mode und Lifestyle. Meist sind in der Nähe des Bildes auch gleich der Preis und der Anbieter verzeichnet. Aber das reicht vielen Frauen eben schon lange nicht mehr – und sie bloggen auch darüber.


      Nebenbei: Auf der aktuellen Ratgeber-Seite (online) steht neben einem Bild vom Titelblatt der Zeitschrift:

      Die typgerechte Diät
      Seit 43 Jahren nehmen vor allem Frauen nach der Brigitte-Diät ab. Passend zu den guten Vorsätzen fürs neue Jahr startet die Zeitschrift heute mit einer Neuauflage.

      Unnötig zu erwähnen, dass das nicht als Werbung gekennzeichnet wurde!

      • Sathiya sagt:

        Soviel zur Unabhängigkeit der Presse. Ach, das waren noch Zeiten, nach der Wende, als man sich die abgedruckten Smogwerte hart erkämpft hatte… und nun das. Naja. (war das jetzt hämisch? – bitte um Verzeihung)
        Wenn man es von der wirtschaftlichen Seite aus betrachtet – ist es natürlich ein strategisch kluger Zug, ein so wichtiges Thema derart zentral zu platzieren. Aber ob die Deutschen davon wirklich abnehmen? Ich wette 100000 zu 1, daß nicht…

      • stefanolix sagt:

        Wann hast Du das letzte Mal eine Frauenzeitschrift gekauft, weil mit Diättipps geworben wurde? ;-)

        Es mag schon sein, dass es einer Zeitung wirtschaftlich sinnvoll erscheint, dieses Thema auf Seite 1 zu platzieren. Aber dann gehört eine bessere Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung unbedingt dazu.

        Man kann auf Seite 1 ganz wertneutral auf den Ratgeberteil hinweisen und im Ratgeberteil eine Werbung schalten – oder einen werbungsähnlichen Beitrag [wie z. B. eine Verlagssonderveröffentlichung] einfügen und kennzeichnen.

      • Sathiya sagt:

        Noch nie. ;-)
        Alle anderen Punkte: ich stimme Dir voll und ganz zu.

  2. Christiane sagt:

    Aber ist es nicht manchmal auch furchtbar, wenn es sich soo leicht durchschauen lässt, z.B. die Beteiligungen von und bei G&J?
    Und es fällt so leicht, dieses Käseblatt nicht zu kaufen… :-)

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