Frau Kalliope beschreibt in einem sehr ehrlichen Artikel die kleinen und großen Tricks, die in manchen Kreisen in der Fastenzeit angewendet werden. Viele Christen scheinen nicht mehr über den Sinn des Fastens nachzudenken, sondern eher über die »Ausnahmen« und »Sonderregelungen«. Frau Kalliope schreibt:
Wenn ich beim kollektiven Kaffeetrinken in meiner Heimatgemeinde auch nur einen Satz zum Nutzen des Fastens sage, so wird unweigerlich als sofortige Reaktion darauf von Ausnahmen gesprochen (…)
“Danke, ich möchte keinen Keks” ist in dieser Kaffeerunde vielleicht ein schlimmerer Satz als “Jesus ist ein Mythos”. (Ich habe die Gegenprobe nicht gemacht, weil ich auch zu Testzwecken nicht lügen mag, aber der Verdacht liegt nahe.)
Das gibt es ja nicht erst seit gestern. Schon seit Jahrhunderten versuchen zum Fasten verpflichtete Gläubige, sich die Sache so angenehm wie möglich zu machen.
Das Bierbrauen wurde in Klöstern kultiviert: Bier half über die Fastenzeit hinweg, in der man keinen Wein trinken durfte. Echtes Trappistenbier ist heute eine Rarität für Feinschmecker.
Das Einpacken einer Fleischfüllung in die Maultasche machte dieses schwäbische Gericht im Volksmund zum »Herrgottsbescheißerle«. Der Diminutiv zeigt es schon: Man machte sich keine tieferen Gedanken um Fasten und Glauben – Hauptsache, es hat geschmeckt.
Das Verspeisen von Bibern hatte früher in Fastenzeiten Konjunktur: Wegen ihres geschuppten Schwanzes wurden sie zur Kategorie der Fische gezählt. Heute sind die letzten wild lebenden Biber geschützt.
Vielleicht ist das alles eine Frage der extrinsischen und der intrinsischen Motivation: Wenn mir die Kirchenhierarchie einen Verzicht vorschreibt, bin ich geneigt, dieses Gebot zu umgehen. Wenn ich selbst vom Verzicht überzeugt bin, denke ich viel seltener an Ausreden und Auswege.
Ich will einen eigenen Eindruck neben und nicht gegen Kalliopes Ausführungen stellen: In manchen Gegenden Deutschlands gibt es nach meiner Wahrnehmung noch eine sehr große Toleranz für alle Arten des Umgangs mit der Fastenzeit.
Ich hatte über mehrere Jahre in der Fastenzeit öfter im Rheinland zu tun und ich habe diese Periode [unter anderem] zur Umstellung meiner Ernährung genutzt. Es war dort überhaupt kein Problem, beim Mittag in der Kantine auf Fleisch und Süßes zu verzichten. Der Verzicht wurde allenfalls mit einem Blick auf den Teller registriert. Man denkt dort wohl einfach: Jeder Jeck ist anders.
Inzwischen bin ich aber der Meinung, dass die Fastenzeit keine wirkliche Bedeutung für meine Ernährung mehr hat. Es kommt das ganze Jahr über auf die richtige Ernährung an.
Gesunde Ernährung ist in einer Überflussgesellschaft ohne Verzicht gar nicht möglich. ich habe eine Kultur des Verzichts mit einer Kultur des Genusses verbunden: Man kann einfachen Lebensmitteln wunderbaren Genuss entlocken, wenn man mehr Arbeit und Bewusstsein in das Zubereiten der Speisen investiert.
Noch eine letzte Nebenbemerkung: Ich kenne die Ernährungsgewohnheiten der Juden und Moslems nicht gut genug, aber ich wüsste gern mal, wie die Angehörigen dieser Religionen mit Ernährungsgeboten und -verboten in der Praxis wirklich umgehen. Gibt es da auch solche Auswege wie in der christlich geprägten Esskultur?
Dank für diese Ausführungen. (Mit besonderer Freude habe ich ein neues Wort für Maultaschen gelernt. Und das mit den Bibern ist mir auch neu.)
Das siebentägige Mazzenessen zu Pessach hat seine Wurzel in dem hastigen Aufbruch aus Ägypten, bei dem zum Durchsäuern der Brote keine Zeit blieb. Die Vorschrift, die Mazze hastig und im Stehen zu essen, wird aber meines Wissens meist sehr locker gesehen. Auch gibt es eine Menge koscherer Rezepte von Aufläufen und Süßspeisen mit Mazze, bei denen das ungesäuerte Brot Teil eines mehr oder weniger aufwendigen Gerichtes ist.
Es ist halt eine religiös begründete Tradition. Eine Kombination aus „Weil es geschrieben steht, ist es die Wahrheit“ und „Ham‘ wir immer schon so gemacht!“
Von daher braucht man da nicht wirklich nach logischen Begründungen suchen, die Annahme dass eine allwissende, allmächtige Instanz Vorschriften über tägliche Rituale macht, sich dann aber mit Wortklauberei bescheißen lässt ist wohl über alle Weltreligionen hinweg überall zu finden.
Bagel (wurden nach dem Shabbat gegessen) haben angeblich (ich kann gerade keine Belege finden) auch deshalb ein Loch in der Mitte um sie während des Shabbat noch bewegen zu können, ohne Teig zu berühren (was verboten war, da es als Arbeit zählt).
Ich würde auch das Fasten im Ramadan (mit „Betrug“ während der Nacht) ähnlich einordnen, frei nach „Iss den ganzen Tag nichts“.
Sprich: Wer nach logischen Begründungen für die Handlungen religiöser Leute sucht, hat eh schon den falschen Ansatz gewählt. Dogmen lassen sich historisch erklären, aber nicht als logische Vorgehensweise.
Diesen Erklärungsansatz halte ich für zu vereinfachend (ohne auf irgendeinem Gebiet irgendeiner Religion Experte zu sein). Aber ich denke, viele Dogmen bewahren in ihrem Kern eine Botschaft, eine Lehre, eine Warnung oder Handlungsempfehlung, die irgendwann einmal wichtig gewesen sein mag, selbst wenn diese aus heutiger Sicht obskur sein mögen. Ich denke da an das Beschneidungsgebot, von dem ich gehört habe, es diene der Hygiene in gewissen klimatischen Bedingungen.
das meinte ich mit „Historisch erklären“. Ich behaupte nicht dass es nie irgendwo sinnvoll war oder dass nicht mal irgendwer sich was gedacht hat warum ausgerechnet diese Handlungsweise seinem speziellen, imaginären Freund besser gefallen sollte als eine andere.
Das Problem welches ich meinte ist schlicht dass das heute alles nicht mehr relevant ist. Die Leute tun es weil es Dogma ist, nicht weil es logisch klingt, sie es durchdacht haben oder weil sie verstehen was daran gut sein soll.
oder um mich selbst zu zitieren:
Ich muss den Satz mit der historischen Erklärung überlesen haben. Tut mir leid.
Das religiöse Fasten soll ja auch kein Beitrag zu einer gesunden Ernährung sein. Ich würde sogar sagen: Im Gegenteil. Und dazu braucht man sich nicht nur die jedem Diätplan Hohn sprechende Völlerei der Muslime nach Sonnenuntergang vor Augen zu halten. Denn wenn du den Verzicht auf etwas als für dich so gut und sinnvoll erachtest, dass du ihn gerne auf das ganze Jahr ausdehnen möchtest, kann man im Grunde kaum noch von „Verzicht“ sprechen. Aber der soll spürbar sein, es soll dir ja etwas fehlen, du sollst deinen Alltag nicht für immer verändern, sondern etwas, das normalerweise dazu gehört, bewusst für eine bestimmte Zeit meiden. Das kann sogar auch etwas ganz und gar Sinnvolles und Gesundes sein.
Ich bin da übrigens ziemlich profan. Bei mir wird es „no alc“ sein. Und kein Zweifel, dass ich im Sommer wieder Weißbier trinken werde ;-)
Ich mache auch die analkoholische Variante. Erstens, weil ich weiß, dass sich das tägliche Glas Wein zur Pasta gerne verselbständigt und ein Herunterfahren dieser Gewohnheit durchaus sinnvoll sein kann. Zweitens reduziert sich mein Appetit, wenn ich auf Alkohol als Begleitung zum Essen verzichte. Drittens empfände ich es in meinem derzeitigen Alltag als Mutter, der einerseits starke Nerven erfordert, zweitens nach Ausgeglichenheit verlangt, drittens ständig um Fütterungszeiten herum angelegt ist, aus all diesen genannten Gründen schwierig, auf Essen zu verzichten. Es schlüge auf meine Energie, auf meine Laune und wäre auch einfach schwer in den Alltag zu integrieren.
Ach ja, mein Entschluss fiel mir sogar schon nachmittags beim Kaffeetrinken mit Freunden auf die Füße, als die Gastgeberin Pfannkuchen mit Eierlikörfüllung besorgt hatte! :)