Die Berichterstattung über eine künftige Berichterstattung wird zur Farce

30. April 2013

Es ist inzwischen unerträglich geworden, wie sehr sich die Medien in der Berichterstattung über den bevorstehenden NSU-Prozess selbst in den Mittelpunkt stellen.

Natürlich erscheint es auf den ersten Blick merkwürdig, dass sich eine Frauenzeitschrift wie die »Brigitte« an der Verlosung der Plätze beteiligt und sogar gewonnen hat. Auf Twitter wird darüber gespottet und die seriösen Zeitungen werden möglicherweise gegen das Ergebnis der Verlosung klagen, obwohl gerade eine solche Klage ein Zeichen für mangelnde Seriosität wäre.

Aber warum sollte die Zeitschrift »Brigitte« eigentlich nicht berichten? Dort sitzt ja eine Frau auf der Anklagebank, deren Leben vielen anderen Frauen ein Rätsel ist. So hat es vielleicht hat es auch etwas Gutes: Statt endloser Mode-PR-Strecken könnte in der »Brigitte« endlich wieder richtiger Journalismus eine Hauptrolle spielen.


Eine viel interessantere Frage ist: Wie lange werden die einzelnen akkreditierten Journalisten durchhalten? Kommen sie nur am ersten Tag, wenn alle Kameras auf den Prozess gerichtet sind? Oder kommen sie auch noch am zwanzigsten Prozesstag, wenn das Interesse der schnell erregten Öffentlichkeit nachgelassen hat?

Wirklich treffende Worte in dieser Angelegenheit kamen vom Deutschlandfunk:

Wenn wir Journalisten weiter spötteln, nachkarten und klagen, wenn wir weiter öffentlich um uns, unsere Akkreditierungen und unsere Arbeitsbedingungen kreisen, dann lenken wir die Aufmerksamkeit weg von den Opfern und den Tätern auf uns, die Beobachter. Es geht in diesem Prozess aber nicht um uns. Wir sind Berichterstatter. Fünfzig von uns im Gerichtssaal sollten reichen, um der Öffentlichkeit Bericht zu erstatten. Das ist unsere Aufgabe.

Ja. Das sollte die Aufgabe der Medien sein. Vielleicht sollten wir als Leser endlich viel deutlicher werden und nicht nur in Blogs, sondern auch in Leserbriefen ganz sachlich eine Selbstverständlichkeit einfordern:

Versorgt uns mit Informationen, die uns Nutzen bringen. Gebt uns Kommentare, an denen wir uns reiben können. Aber verschont uns mit Euren Befindlichkeiten.


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Warum die Grünen für mich unwählbar sind:

29. April 2013

Weil sie Politik gegen die Leistungsträger aus der Mitte der Gesellschaft machen.

Unisono zitierten die Medien am Wochenende die Behauptung der Grünen-Spitzenpolitiker: »Vom neuen Spitzensteuersatz wären nur die obersten sieben Prozent betroffen.«

Wer sich davon blenden lässt, hat den wirklich gravierenden Punkt im Wahlprogramm überlesen: Das ist die geplante Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze der Kranken- und Pflegeversicherung.

Diese Erhöhung hat Auswirkungen auf alle Löhne, Gehälter und anderen Einkommen ab ca. 47.250 Euro brutto im Jahr. Unter dem Deckmantel einer breit kommunizierten höheren Besteuerung der Reichen sollen also auch Erwerbstätige mit einem keineswegs hohen oder sehr hohen Einkommen stärker belastet werden.

Man ist als einzelner Berufstätiger mit einem solchen Einkommen wirklich nicht reich. Wenn die Grünen jetzt behaupten, ihr Programm führte finanziell nur für sieben Prozent der Bevölkerung zu einer Mehrbelastung, dann ist die Erhöhung der Bemessungsgrenze für Krankenversicherungsbeiträge definitiv nicht berücksichtigt.


Einige Links zum Thema [werden fortlaufend ergänzt]:



Fester Klassenstandpunkt

26. April 2013

Dem Vernehmen nach hat der DGB die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands von der Demonstration am 1. Mai 2013 ausgeschlossen. Jetzt sind die Genossen sauer: Es handle sich um eine »undemokratische Entscheidung des DGB Dresden«.

Nun könnte man einwenden: Worüber regen sich die Stalinisten und Kommunisten eigentlich auf? Hat es unter der Diktatur des Proletariats in der Blütezeit des Marxismus-Leninismus jemals Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung gegeben?

Der DGB kann prinzipiell selbst bestimmen, wer zur DGB-Maikundgebung eingeladen wird und wer draußen bleibt. In einer freien Gesellschaft müssen radikale Ansichten vertreten werden dürfen. Aber wenn auf einem Platz für den ersten Mai schon eine Kundgebung angemeldet ist, dann müssen sich die Stalinisten eben einen anderen Platz suchen.



Vorverurteilung auf der Basis von Gerüchten

23. April 2013

Der Fall wurde ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt und plötzlich werden sie alle kreativ: Eine sächsische Lokalzeitung widmet Uli Hoeneß eine ganze Seite. Mehrere Talkshows befassen sich mit dem Fall. Selbst der linke Spiegelfechter ringt sich eine verkrampfte Satire ab. Und eine linke Propagandaseite fabuliert:

Die Einschläge im Milieu der Regierungsparteien werden heftiger.

Gab es in diesem Land irgendwann einmal so etwas wie Datenschutz? Persönlichkeitsrechte? Die Unschuldsvermutung? Die Würdigung aller Umstände vor Gericht? Der Fall Uli Hoeneß gehört genau dann in das Licht der Öffentlichkeit, wenn Anklage erhoben wird und wenn der Fall öffentlich verhandelt wird.

Diese Überschrift über einer Talkshow-Kritik in der F.A.Z. trifft es sehr gut:

Wir wissen nicht viel – reden wir doch mal drüber

Zitat aus der Frühkritik:

Nein, man war wirklich nicht neugierig auf die Gratismoral einer Renate Künast, die dann nichts, aber auch gar nichts sagte, was man nicht hätte absehen können und was nicht jeder Sprechautomat mühelos hervorgebracht hätte, den man auf Künast-Speak programmiert hätte.


Eine Selbstanzeige bedeutet: Der Steuerpflichtige zahlt alle Steuern nach. In der Größenordnung des Herrn Hoeneß käme außer den anfallenden Zinsen noch ein Aufschlag von fünf Prozent hinzu.

Wenn der Fall unter das Steuerabkommen mit der Schweiz gefallen wäre, hätte Herr Hoeneß nach Einschätzung des Kollegen Rayson zwischen 21% und 41% des gesamten Kontobestands an den Staat abgeführt. Das hätte Hoeneß ja dem Vernehmen nach getan, wenn das Steuerabkommen in Kraft getreten wäre.


Keine Frage: Steuerhinterziehung muss sanktioniert werden. Aber sie wird heute in der Öffentlichkeit teilweise als schweres Verbrechen hingestellt – und das ist nicht angemessen. Ich finde es erschreckend, wie sich die Maßstäbe verschieben. Es geht hier nur um Geld. Es geht nicht um Menschenleben und es geht auch nicht um die Opfer von Gewalttätern.

Wenn ein LKW-Fahrer auf einer Straßenkreuzung beim Rechtsabbiegen fahrlässig einen Menschen totfährt, wird das in der Regel mit einer eher symbolischen Strafe sanktioniert und der Fahrer geht dafür nicht ins Gefängnis, obwohl er Schuld am Tod eines Menschen trägt. Wenn hunderte Extremisten die Polizei mit massiver Gewalt angreifen, wird in den seltensten Fällen ein Täter zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt.

Auch wenn meine Meinung heute unpopulär erscheint: Steuerhinterziehung sollte nicht mit Freiheitsstrafe geahndet werden, sondern mit harten finanziellen Auflagen. Ich würde den Steuerpflichtigen nach der verzinsten Nachzahlung zunächst zu einer empfindlichen Geldstrafe verurteilen. Während einer Bewährungszeit würde ich ihm außerdem einen Aufschlag auf seine normale Einkommenssteuer auferlegen. Und jährlich eine verschärfte Steuerprüfung.

Dabei käme für den Staat eine erhöhte Steuerzahlung heraus, der Steuerpflichtige würde finanziell zur Verantwortung gezogen, er müsste mehrere Jahre mit den Konsequenzen seiner Tat leben, und die abschreckende Wirkung sollte hoch genug sein.

Warum würde ich das so einstufen? Ein Geld-Delikt sollte auch mit Geld wiedergutgemacht werden. Ein schweres Gewaltdelikt sollte dagegen mit einer Freiheitsstrafe belegt werden. Gleiches mit Gleichem: Der Gewalttäter wird unter Androhung von Gewalt in einem Gefängnis eingesperrt und muss sich dort mit seiner Tat auseinandersetzen. Die Resozialisierung eines Gewalttäters muss auf einer ganz anderen Ebene stattfinden als die Resozialisierung eines Steuerhinterziehers.

Im Fall einer fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr könnte ich mir übrigens am ehesten einen grundsätzlich offenen Vollzug vorstellen. Während dieser Zeit sollte ein Schadensersatz oder Schmerzensgeld für die Hinterbliebenen erarbeitet werden. Danach sollte der Fahrer als nicht vorbestraft gelten.


Noch ein Nachsatz: Uli Hoeneß hat wohl insgesamt immer noch mehr für das Land geleistet, als die meisten seiner Kritiker. Ich finde es trotzdem einfach nur lächerlich, unter permanenter Angst vor Entdeckung in der Schweiz viel Geld zu bunkern, statt es hier im eigenen Land zu investieren. Ich könnte mir spontan ein Dutzend Möglichkeiten vorstellen, mit denen beiden Seiten besser gedient gewesen wäre: dem Investor und dem Gemeinwesen …



Schlecht portionierte Polemik

19. April 2013

Das Blogportal Carta veröffentlicht zur Zeit Artikel zu einer Studie der linken Rosa-Luxemburg-Stiftung. Für die Stiftung der SED/PDS-Nachfolgepartei kommt es natürlich bis heute auf den richtigen Klassenstandpunkt an und offenbar hat man die geeigneten Autoren dafür gefunden. Die Studie heißt

Portionierte Armut, Blackbox Reichtum · Die Angst des Journalismus vor der sozialen Kluft

Nun will man die Aufmerksamkeit der Carta-Leser auf eine Propagandaveranstaltung lenken, auf der die Studie vorgestellt werden soll. Der zweite Artikel bei Carta ließ mir gestern den Kragen platzen. Der Titel:

Die politische Verarmung der FAZ

Die Überschrift ist reißerisch. Überschrift und Text werden dem Pluralismus innerhalb der F.A.Z. und der F.A.S. in keiner Weise gerecht. Um in der Diktion der Autoren zu bleiben: Für sie ist die »Frankfurter Allgemeine« eine Blackbox geblieben. Ihre Polemik ist schlecht portioniert und im Grunde ungenießbar.

Zur Meinungsvielfalt in der »Frankfurter Allgemeinen«: Im Feuilleton sind oft linke und alternative Meinungen zu lesen, in der Politik gibt es konservative, liberale und progressive Standpunkte, zu Einzelfragen wie der Frauenquote gibt es Pro und Contra. Insgesamt darf man konstatieren: Die politisch relevanten Themen der Gegenwart werden sehr ausführlich und von vielen Seiten behandelt.


Die Autoren wollen mit einem »prominenten Beispiel« einen Widerspruch zwischen zwei Aussagen eines F.A.Z.-Herausgebers konstruieren. Diesen Widerspruch gibt es aber gar nicht.

Im ersten zitierten Artikel geht es im Zusammenhang mit dem »Armutsbericht« um die soziale Absicherung der Bürger durch die staatliche Rentenversicherung. Der F.A.Z.-Herausgeber ist der Meinung, dass das hohe finanzielle Volumen dieser Absicherung im Armutsbericht der Bundesregierung besser berücksichtigt werden müsste.

Im zweiten Artikel geht es um verfügbare Vermögen der Bürger in den EU-Staaten. Die Ansprüche an die Rentenversicherung sind in der Tat kein Vermögen, weil der Zugriff auf diese Ansprüche streng eingeschränkt ist. Man kann sich die staatliche Rente eben nicht auf einen Schlag auszahlen lassen.

In Kommentaren und Artikeln einer überregionalen Zeitung müssen notwendigerweise viele Voraussetzungen und Zusammenhänge weggelassen werden. Man geht davon aus, dass sich die Zielgruppe mit den Rahmenbedingungen auskennt. Beachtet man aber den Kontext beider F.A.Z.-Artikel, wird sehr schnell deutlich, dass es da überhaupt keinen sachlichen Widerspruch gibt. Man kann ihn nur konstruieren, indem man die Voraussetzungen vernachlässigt, unter denen die Artikel geschrieben sind.



Vattenfalls Mordor

18. April 2013

Angeregt durch einen Beitrag von Ulrich Elkman in Zettels Kleinem Zimmer: Was stimmt auf diesem Bild nicht? Hinweise werden in den Kommentaren gern entgegengenommen ;-)


Die Mär vom Staatsrundfunk und die künstliche Aufregung der Linken

6. April 2013

Das linke Blog »Spiegelfechter« skandalisiert ein Vorhaben der Bundeskanzlerin: Angela Merkel will sich via Google-Hangout an die Nutzer im Netz wenden. Der Spiegelfechter-Autor fabuliert kleinkariert: Das sei versuchter Staatsrundfunk in der Tradition Konrad Adenauers[*].

Schauen wir doch mal nach, was die Oppositionsparteien alles ins Netz stellen: Die Fraktion »Die Linke« hat einen Youtube-Kanal mit über 2.000 Beiträgen. Die SPD hat auf Youtube sogar eine Vision [was sagt Helmut Schmidt dazu?]. Es gibt natürlich auch einen Grünen Kanal.

Und in diesem demokratischen Wettstreit um Wählerstimmen soll die Kanzlerin kein Video im Netz veröffentlichen dürfen? Warum nehmen die Linken die sportliche Herausforderung nicht an und unterstützen ein Hangout des Kanzlerkandidaten der SPD? Oder eine Ansprache von Claudia Roth via Facebook? Oder einen Revolutionsaufruf von Sarah Wagenknecht auf der Website Fidel Castros?


[*] Ergänzung #1 am 07.04.2013 um 10.30 Uhr: Der Link ist seit einiger Zeit nicht mehr erreichbar. Es ist nicht erkennbar, ob es sich um ein technisches Problem handelt oder ob sich die Herausgeber von dem Artikel distanzieren. Bei rivva kann man noch die Überschrift des Spiegelfechter-Artikels lesen:

Staatsfernsehen: Was Adenauer nicht konnte, kann Merkel schon lange
Spiegelfechter
5. Apr. 2013 vor 1 Tag



Die Renaissance der Bahnsteigkarte

6. April 2013

Früher hieß es: »Bevor die Deutschen eine Revolution machen, kaufen sie sich eine Bahnsteigkarte.« Heute sollte man sagen: Bevor die Deutschen bei einer technischen Revolution mitmachen, stellen sie einen Antrag. Oder zwei. Oder drei.

Ich begreife es nicht: Warum weckt jemand schlafende Beamte mit der Frage, ob ein Google-Hangout nach deutschem Recht als Rundfunk eingeordnet werden kann?



Eine Badewanne voll Blödsinn

5. April 2013

Es ist wieder einer dieser typischen Fälle des ruinösen Wettbewerbs um Aufmerksamkeit. Vermutlich läuft es so ab: Die Redaktionen haben eine Pressemitteilung mit einer griffigen Formulierung erhalten. Die Zeitung muss noch irgendwie gefüllt werden. Die Zeit drängt.

Die Qualitätsjournalisten in den Redaktionen haben nun zwei Möglichkeiten. Sie können aus der Formulierung eine reißerische Schlagzeile machen. Sie können diese Formulierung aber auch auf ihren Sinn und ihren Wahrheitsgehalt überprüfen.


Natürlich denken die meisten Journalisten nicht im Traum daran, den Sinn und Wahrheitsgehalt der Schlagzeile zu prüfen. Im Gegenteil: Sie überbieten sich darin, diese Formulierung dramatisch auszuschmücken. Also lauteten die Schlagzeilen:

»Eine Badewanne Alkohol pro Jahr«

»Wir trinken im Jahr eine Badewanne voll Alkohol«

»Jeder Deutsche trinkt eine Badewanne voll Alkohol«

Man fragt sich unwillkürlich: Wie viel Restalkohol ist im Spiel, wenn sich jemand eine solche Überschrift ausdenkt oder wenn er sie ungeprüft übernimmt?


Die Dresdner Zeitungen haben die alkoholgefüllte Badewanne natürlich auch im Programm. So titelt die »Sächsische Zeitung«: »Badewanne voll Alkohol gefährlicher als manche Trenddroge«.

Merkwürdigerweise lassen die Fakten im Text aber überhaupt nicht auf eine Badewanne voller Alkohol schließen. Es geht allenfalls um ein alkoholisches Getränk, das sehr stark verdünnt wurde. Aber dazu später. Gönnen wir uns einen kleinen Faktencheck.


Wie voll ist die Badewanne?

Eine ordentliche Badewanne fasst etwa 180 bis 200 Liter Wasser. Die Badewanne in der Pressemitteilung soll mit 136.9 Litern Flüssigkeit gefüllt sein. Mit dieser Menge an Flüssigkeit wird also längst nicht jede Badewanne voll. Allerdings gibt es wohl einen Trend zu kleineren Badewannen – wegen des umstrittenen Wassersparens.


Wie viel Alkohol ist in der Badewanne?

Von den 136.9 Litern Flüssigkeit sind ganze 9.6 Liter reiner Alkohol. Der Rest des Mixgetränks besteht aus Wasser, Zucker und anderen weitgehend ungefährlichen Stoffen. Der Alkoholgehalt der Mischung beträgt also ganze 7 %.

badewanne_alkohol


Wie viel Alkohol ist das pro Tag?

Diese dünne Mischung verteilt sich nun auf 365 Tage. Folglich muss der Durchschnittsdeutsche davon 0.375 Liter am Tag trinken, bis die bei weitem nicht volle Badewanne geleert ist. Der reine Alkohol verteilt sich dabei natürlich auch auf 365 Tage.

Das sind 0.0263 Liter Alkohol pro Tag – in die Realität umgerechnet ergibt das etwa eine Flasche etwas stärkeres Bier (mit 5.25 % Alkoholgehalt) am Abend. Mit 365 Flaschen Bier (182.5 Liter) könnte man die Badewanne auch ganz gut füllen. Aber daraus wäre ja keine dramatische Schlagzeile entstanden.


Was ist denn nun wirklich wahr? Einen relativ seriösen Text ohne reißerische Überschrift leistet sich die F.A.Z. (Hervorhebung von mir):

Die größten gesundheitlichen Belastungen entstehen laut der DHS jedoch immer noch durch Alkohol- und Tabakkonsum. Jeder Deutsche hat 2011 im Schnitt 136,9 Liter alkoholische Getränke wie Bier, Wein oder Spirituosen konsumiert. Das entspricht einer randvoll gefüllten Badewanne. Umgerechnet entfielen damit wie im Vorjahr auf jeden Deutschen rund 9,6 Liter reinen Alkohols.

Abgesehen von dem ausschmückenden Wort »randvoll« ist der Text in Ordnung. Die Überschrift lautet übrigens »Gefährliches Spiel«.


Eigentlich sollte man konsequent sein und nach jeder dieser Panik-Schlagzeilen eine Woche lang keine Zeitungen mehr kaufen. Ob die Vertreter der »Qualitätspresse« es dann kapieren würden?



Welche Leistung haben die erneuerbaren Energiequellen am Ostersonntag wirklich gebracht?

4. April 2013

Eine Lobby-Organisation für »erneuerbare Energien« hatte für den Ostersonntag ein Ereignis mit hoher Symbolkraft vorhergesagt. Im »Handelsblatt« konnte man lesen:

Erstmals könnte für einen Moment der gesamte Stromverbrauch Deutschlands mit Sonnen- und Windenergie gedeckt werden. Voraussetzung: Die energieintensiven Unternehmen haben ihre Produktion heruntergefahren. Außerdem muss über Deutschland ein blauer Himmel sein und möglichst viel Wind wehen.

Ausgerechnet hat das Rainer Baake, ehemaliger Staatssekretär im Bundesumweltministerium und nun Direktor der Plattform Agora Energiewende. „Bei sonnigem und windigem Wetter kann es an Pfingsten, möglicherweise aber auch schon an Ostern zum ersten Mal in Deutschland Stunden geben, an denen rechnerisch der komplette Strombedarf durch erneuerbare Energien gedeckt wird“, sagte er im Gespräch mit Handelsblatt Online. „Dieser Moment wird eine gewisse Symbolkraft haben.

Machen wir den Test: Welchen Beitrag haben die erneuerbaren Energiequellen am Ostersonntag tatsächlich zur Energieversorgung Deutschlands geleistet? Die notwendigen Daten kann man bei der EEX abfragen.

Leistung aus erneuerbaren Energiequellen am Ostersonntag 2013.

Leistung aus Wind- und Sonnenenergie am Ostersonntag 2013.

In der Mittagszeit war die Leistung aus Wind und Sonne am höchsten und lag bei knapp 10 GW. Weitere knapp 40 GW wurden in konventionellen Kraftwerken (Erzeugungseinheiten ≥ 100 MW) erzeugt. Der Enegiebedarf liegt an einem ruhigen Sonntag bei etwa 50 GW. Windräder und Photovoltaik-Anlagen haben also am Ostersonntag (etwas vereinfacht) ein Fünftel der benötigten Energie beigesteuert.

In der Tat: ein Moment mit »gewisser Symbolkraft« …


Ein solcher Moment zeigt uns, dass eine nachhaltige Stromversorgung ohne Kohle und Atom in einem großen Industrieland wie Deutschland grundsätzlich möglich ist“, sagt Oliver Krischer, energiepolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag

Selbst wenn der Anteil der aus Wind und Sonne erzeugten Energie am Ostersonntag höher gewesen wäre: Diese Aussage ist reine Propaganda. Denn unser Land verdient seinen Wohlstand nicht an einem hohen christlichen Feiertag. Die installierte Kapazität spielt keine Rolle, solange der Strom nicht reicht und solange nicht aller Strom zu den Verbrauchern gelangt.


Links:
Ein sarkastisches Märchen in »Zettels Raum«
Mein sarkastischer Kommentar in »Zettels Raum«
Ein sehr interessanter Podcast zum Thema Energie
Ein Artikel mit sehr viel Wissenswertem zur Photovoltaik



Die Schwächen eines Artikels über die »Kraft des Zweifels«

3. April 2013

Am Ostersonntag hat Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung einen Kommentar mit einem ganz besonderen Titel veröffentlicht: Die Kraft des Zweifels. Ich lese diesen Artikel und meine Zweifel an Heribert Prantl wachsen mit jeder Zeile.

In der Zusammenfassung am Beginn des Artikels wird eine kühne Behauptung aufgestellt: Es passe den »obersten Funktionären« gut ins Konzept, wenn sich die Menschen an das Motto »Selig sind, die nicht zweifeln, sondern glauben« hielten. Im Artikel heißt es wörtlich:

Den vielen Christgläubigen, die von ihrer Kirche nicht zur vermeintlich glaubensstarken, blindgläubigen Elite gezählt werden, wird der zweifelnde Apostel Thomas als Konzession an die eigene Schwäche zur Seite gestellt. Daran wird freilich von den Kirchen die Mahnung an die angeblich Schwachgläubigen geknüpft, doch bitte nicht immer alles begreifen zu wollen.

Dementsprechend wird denn von den christlichen Kirchen auch die biblische Seligpreisung interpretiert, in der es heißt: Selig sind, die (anders als Thomas) nicht sehen und doch glauben. Dieser angebliche Lobpreis derjenigen, die nicht skeptisch sind, nicht zweifeln und nicht immer Zeichen sehen wollen, passt den obersten Glaubens- und Ideologie-Funktionären gut ins Konzept.

Daran ist eigentlich alles falsch. Grundsätzlich sind »die christlichen Kirchen« in fast keiner Beziehung einheitlich aufgestellt und folglich wird von diesen Kirchen auch keine Bibelstelle einheitlich interpretiert.

Außerdem glaubt ein Christ auch nicht nach den Vorgaben irgendwelcher »Ideologie-Funktionäre« – eine Kirche ist schließlich keine kommunistische Partei. Eine »Elite« im Sinne der Ausführungen Prantls gibt es allenfalls in bestimmten Sekten und Sondergemeinschaften. Diese werden aber in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

Die Evangelische Kirche habe ich auf dem großen Kirchentag in Dresden in ihrer ganzen Vielfalt erlebt. Man kann sie sich am besten als viele bunte Glaubensrichtungen unter einem großen und nicht allzu stabilen Zeltdach vorstellen. Von einer Elitebildung kann dort gar keine Rede sein; erst recht nicht von einer blindgläubigen Elite.

Bis zu einem gewissen Grad »blindgläubig« war ein gewisser Anteil der Teilnehmer des Kirchentags allenfalls in der Zustimmung zur Klimapolitik der Grünen und in der Bewunderung Margot Käßmanns, aber darauf wollte Heribert Prantl sicher nicht anspielen …


Um es vorwegzunehmen: Heribert Prantl unterstellt auch im Rest des Artikels viel und beweist gar nichts. Schon am Anfang steht eine kaum durchdachte und grob banalisierende Unterstellung über den Atheisten Alan Greenspan:

Der Mann hat einen Gott, der nur anders heißt; er hat eine Konfession, die nur nicht zu den klassischen Religionen zählt.

Der Gott des Notenbankers waren der freie Markt und der schrankenlose Wettbewerb. Seine Kirche war die des Kapitals; sein Credo begann mit dem Glaubensbekenntnis an die Kräfte des Marktes, die alles wunderbar regieren, und es endete mit dem Bekenntnis zum ewigen Wachstum.

Man stolpert beim Lesen zuerst über den Lapsus »Der Gott des Notenbankers waren …«: Vermutlich meint Heribert Prantl: »Die Götter des Notenbankers waren …«. Aber die alte Litanei von der Gleichsetzung des Marktes und des Wettbewerbs mit Gott wird natürlich auch dann nicht besser, wenn man sie gebetsmühlenartig wiederholt.

Es gibt ja nirgendwo eine Gemeinschaft, die den Markt oder den Wettbewerb zur Gottheit erhoben hätte. Das wäre auch unsinnig: An Markt und Wettbewerb muss man nicht glauben. Angebot und Nachfrage wirken, solange es Menschen gibt und solange es Menschen geben wird. Noch nicht einmal der Sozialismus konnte den Menschen das Handeln austreiben.


Am Ende des Artikels beklagt Prantl die »gewaltige Arbeitslosigkeit, schreiende Not und Verzweiflung« im Süden Europas und schreibt:

Die Lehre von den segensreichen Kräften des freien Markts ist falsch, wenn und weil der freie Wettbewerb Menschen und Länder systematisch zugrunde richtet.

Er vergisst oder verdrängt, dass es nicht allein die Kräfte des freien Marktes waren, die Europa in die Krise geführt haben: Ein großer Teil der Probleme ist eindeutig auf Staatsversagen zurückzuführen – hierzulande und in Südeuropa.

Hätten beispielsweise staatliche Landesbanken die Nachfrage nach irrsinnigen Finanzprodukten nicht angeheizt, müssten die Bundesländer heute nicht mit vielen Milliarden für die Verluste einstehen.

Hätten die Bundesregierungen (rot-grün, schwarz-rot, schwarz-gelb) die Anlagemöglichkeiten von Kommunen und kommunalen Unternehmen klug und sachgerecht reguliert, wäre es nicht zu so hohen Spekulationsverlusten auf Kosten der Bürger gekommen.

Wären die EU-Milliarden (und auch die Staatsanleihen) in bestimmten Staaten Südeuropas nicht massiv zweckentfremdet worden und hätte man damit nachhaltig gewirtschaftet, würde es diesen Ländern heute wesentlich besser gehen.


Heribert Prantl ist für viele Linke und Grüne ein wichtiger Leitkommentator. Nach der Lektüre des Artikels wissen wir: Der Autor kann Kirchenfunktionäre und Alan Greenspan nicht leiden. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, am Ostersonntag den Kirchen und den Liberalen vor die Schienbeine zu treten.

Natürlich sind Zweifel und Skepsis wichtig – in der Wissenschaft, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft – aber das hätte man in wenigen Sätzen sagen können. Dafür muss man keine unsinnigen Gleichsetzungen (der »Markt« sei »Gott«) bemühen und dafür darf man vor allem den Zweifel auch nicht auf wenige Gebiete beschränken.

Revolutionär wäre es gewesen, wenn Heribert Prantl über Zweifel an der grünen Klimapolitik oder an staatlichen Heilsversprechen geschrieben hätte. Mich lässt dieser Artikel jedenfalls ratlos zurück: Je öfter ich ihn lese, desto stärker wächst mein Zweifel an Heribert Prantl …