Obst, Gemüse und eine Kugel Eis …

26. Januar 2014

Zu Beginn des letzten Artikels wollte ich eigentlich noch eine Grafik zur besseren Darstellung der [monatlichen] EEG-Kosten für eine vierköpfige Familie zeigen. Ich hatte sie heute schon getwittert:

Herr_Trittin_und_eine_Kugel_Eis_klein_420

Schaubild zur Belastung einer Familie durch die EE-Umlage
(Klick auf das Bild zeigt die ganze Grafik vergrößert).

Ich gehe dabei von 4.000 kWh Jahresverbrauch aus. Dieser Jahresverbrauch wird durch die EEG-Umlage um etwa 250 Euro verteuert. Mithin fehlen der Familie also etwas mehr als 20 Euro pro Monat.

Da die Preise für Obst & Gemüse von der Saison und vom Anbieter abhängen, ist die Grafik bitte als grobe Schätzung zu verstehen.


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Die Familie Mustergrün denkt über die Energiewende nach

26. Januar 2014

Die Grünen und die Linken behaupten ja gern, die EEG-Umlage für unsere Haushalte sei nur deshalb so hoch, weil so viele Unternehmen davon »befreit« seien. Sie bezeichnen diese Befreiung als »Subventionen«, »Rabatte« oder auch »Geschenke für Konzerne«.

Und die umweltbewusste vierköpfige Dresdner Familie Mustergrün glaubt daran. Die Mustergrüns wohnen in Dresden-Loschwitz und haben zwei Kinder auf dem Gymnasium Dresden-Bürgerwiese. Sie leben ohne Auto. Beide Eltern und beide Kinder haben eine Jahreskarte der Dresdner Verkehrsbetriebe. Diese Jahreskarten kosten insgesamt 1.894 Euro.


Schauen wir uns die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVBAG) etwas näher an. Sie zählen nämlich zu den »befreiten« oder »beschenkten« Unternehmen. Sie verbrauchen im Jahr rund 60.000.000 kWh Strom. Das entspricht etwa dem Verbrauch von 15.000 vierköpfigen Familien.

Würde dieser Strom mit der EEG-Umlage belastet, wie es die Grünen fordern, müsste die DVBAG 3.744.000 Euro zusätzlich für ihren Strom zahlen. Diese Summe kann die DVBAG entweder auf die Kunden umlegen oder als Verlust verbuchen. Die Verluste müssten allerdings von den Kunden der Stadtwerke oder von den Steuerzahlern ausgeglichen werden.


Wenn die DVBAG die Mehrbelastung von 3.744.000 Euro auf ihre Kunden umlegt, muss sie diesen Betrag zusätzlich erlösen. Der Erlös der DVBAG beträgt ohne die Mehrbelastung etwa 115.000.000 Euro pro Jahr. Müsste sie die Mehrbelastung auf die Fahrpreise umlegen, entspräche das einer Preiserhöhung von etwa 3,25 %.

Das bedeutet für unsere umweltbewusste Familie Mustergrün: Die Jahreskarten der Eltern wären 2014 um jeweils 17 Euro teurer gewesen, die Jahreskarten der beiden Kinder um jeweils 13 Euro. Summa summarum: Bei gleichmäßiger Belastung aller Fahrkarten etwas mehr als 60 Euro Mehrbelastung durch die EEG-Umlage.

Nun könnte man denken, dass die Familie Mustergrün jetzt furchtbar viel Geld spart, weil ja die DVBAG brav ihre EEG-Umlage zahlt. Das ist aber ein Trugschluss: Dieses Geld fließt in den riesigen EEG-Topf, in den alle Stromkunden in ganz Deutschland einzahlen müssen.

Alle in Deutschland bisher befreiten ÖPNV-Unternehmen sparen nach Angaben ihres Verbandes pro Jahr 250 Millionen Euro EEG-Umlage. Verteilt man diese »Ersparnis« auf (grob geschätzt) 25 Millionen private Haushalte, bleibt für jeden Haushalt eine Ersparnis von 10 Euro. Für unseren grünen Musterhaushalt ist das ein ganz schlechtes Geschäft.

Das bedeutet: Bisher wird die »Befreiung« der DVBAG und der anderen ÖPNV-Unternehmen von allen Stromkunden getragen. Nach dem Wegfall dieser Befreiung würde die EEG-Umlage direkt auf die ÖPNV-Nutzer umgelegt. Das würde für die umweltbewussten Mustergrüns richtig teuer.


Diesen Zusammenhang sehen sie aber nicht, wenn sie den Erklärungen der Grünen glauben. Die Grünen verschleiern systematisch die Zusammenhänge, sprechen von »Industrierabatten« – und verschweigen, dass letztlich alle Unternehmen ihre Mehrkosten auf die Kunden umlegen müssen. Manche Familie würde leicht entlastet, manch andere Familie würde höher belastet.

Aber am Ende zahlen bei einem möglichen Wegfall der EEG-Entlastungen immer die Endkunden, die Steuerzahler und die Beitragszahler. Also: Wir. Nur das Verhältnis zwischen direkter und indirekter Belastung würde sich ein wenig verschieben.


Nun könnten die Grünen und Linken der DVBAG das Erhöhen der Preise verbieten, weil das Preiserhöhen ja furchtbar unsozial ist. Also würden sich die Verluste der DVBAG erhöhen. Wenn sich die Verluste der DVBAG erhöhen, geht das allerdings primär zu Lasten der Dresdner Stadtwerke (DREWAG): Entweder sie können weniger investieren oder sie legen die Belastung auf uns als Bürger um.


PS: Warum haben sich die Grünen im Sommer 2013 auf diese peinlichen Veggie-Day-Diskussionen eingelassen? Heute kann ich mir das erklären: Weil ihre Argumente für das EEG so furchtbar dünn sind und weil sie Fragen zu diesem Thema vor der Wahl unbedingt vermeiden mussten.


Anmerkung 1: Leser @Jottes hat mich auf Twitter darauf hingewiesen, dass auch die »befreiten« Unternehmen 0,05 Cent EEG-Umlage pro kWh zahlen müssten. Der Unterschied von 0,8 % ist aber so gering, dass er die Berechnung nicht beeinflusst.



Links? Rechts? Frei?

23. Januar 2014

Seit kurzer Zeit geistert die bahnbrechende These durch das Netz, dass Edward Snowden, Julian Assange und Glenn Greenwald politisch ja gar nicht links stünden. Diese These wird unter anderem in einem Debattenbeitrag in der WELT vertreten:

Mit anderen Worten: Snowden, Greenwald und Assange denken überhaupt nicht links. Sie verkörpern vielmehr das, was der Historiker Richard Hofstadter einst als den „paranoiden Stil in der amerikanischen Politik“ analysiert und beschrieben hat. Es geht ihnen nicht darum, Auswüchse zu bekämpfen, sondern das System selbst; sie verwechseln die NSA und die CIA mit der (demokratisch gewählten) amerikanischen Regierung. Auf die bahnbrechenden Enthüllungen, die Snowden, Greenwald und Assange angekündigt hatten, wartet das Publikum freilich immer noch.

Abgesehen von der offensichtlich falschen Einschätzung des Umfangs der Enthüllungen: In dem Artikel sind einige grobe Fehler enthalten. Zunächst erkennt man an mehreren Stellen die altbekannte association fallacy. In diesen Fällen lautet das Muster:

  1. Person X hat einmal der Person Y zugestimmt.
  2. Person Y hat vor langer Zeit etwas Falsches gesagt.
  3. Also ist Y immerwährend böse und X ein Anhänger des Bösen.

Wer etwas Erfahrung mit Medien und Politik hat, kennt das Schema. Es wird auch in dem WELT-Artikel angewendet:

  1. Jemand hat vor wenigen Jahren dem libertären amerikanischen Politiker Ron Paul zugestimmt.
  2. In Ron Pauls Namen wurden vor weit mehr als 20 Jahren rassistische Aussagen verbreitet (und er hat sich erst in der Gegenwart davon distanziert).
  3. Ron Paul ist also immer noch ein rechter und schlechter Mensch. Wer Ron Paul in irgendeiner Position zustimmt, kann nicht links und gut sein.

Leider richten sich amerikanische Bürger und Politiker nicht nach der deutschen Gesäßgeographie. In den deutschen Medien bekommt jede Person ihren Stuhl links oder rechts zugewiesen – und es gilt als absolute Ausnahme, dass eine Person jemals auf einem Stuhl der jeweils anderen Seite Platz nimmt.

Das entspricht aber auch in Deutschland schon lange nicht mehr der politischen Realität. Wir haben zur Zeit eine große Koalition, in der unter anderem folgende politische Ziele verfolgt werden:

  • Milliardenteure Ausweitung des Sozialsystems zu Lasten künftiger Generationen als Dank für die Stimmen der Rentner bei der Bundestagswahl.
  • Erhöhung der Abgabenlast unter anderem durch kalte Progression, Verteuerung der Energie für Unternehmen und immer stärkere Überwachung aller Geldströme.
  • Wiedereinführung der verfassungswidrigen Vorratsdatenspeicherung und Planung ähnlich gelagerter Maßnahmen zur möglichst lückenlosen Überwachung der Bevölkerung.

Was ist davon links? Was ist rechts? Was ist konservativ? Was ist progressiv? Ich kann es nicht beantworten. Ich weiß nur: All diese Maßnahmen schränken die Freiheit des Einzelnen ein.

Das ist die Einsicht eines gemäßigten Liberalen. Steigerungsformen des Liberalen sind die Radikalliberalen, die Libertären und die Radikallibertären.


Als ich mich intensiv mit OpenSource-Software befasste, wollte ich auch mehr über die fachlich respektierten Persönlichkeiten dieser Szene erfahren. Damals stieß ich zum ersten Mal auf schockierende radikal-libertäre Ansichten.

Auf seiner Website posierte einer der Experten vor seiner Waffensammlung und vertrat Positionen, die mich schockierten: Das Recht auf Waffenbesitz und das Recht auf bewaffneten Widerstand gegen Eindringlinge. Gleichzeitig teilte er sehr wertvolle Erfahrungen und Programme mit der OpenSource-Community.

Nach dem alten Links-Rechts-Schema waren in ihm radikal linke Positionen (bedingungsloses Teilen mit der Gemeinschaft) und radikal rechte Positionen (Recht des Stärkeren) vereint. Fazit: Diese Person passte einfach in kein Schema.


Libertäre oder radikallibertäre Aussagen sind wohl auch Assange, Greenwald und Snowden zuzuschreiben. Das mag all diejenigen enttäuschen, die ihre eigenen Ansichten und Wünsche auf diese Personen projiziert haben. Aber an dieser Enttäuschung sind nicht Assange, Greenwald und Snowden schuld.

Der Autor des WELT-Artikels blendet die Hintergrundinformationen aus, die man über libertäre Ansichten aus den USA und Australien kennen muss. Mit diesen Hintergrundinformationen sieht die Einordnung von Assange, Greenwald und Snowden ganz anders aus.

Link zum WELT-Artikel: Von wegen Drachentöter – der Titel scheint jedenfalls sehr gewagt: Assange, Greenwald und Snowden haben den Drachen allenfalls fotografiert. Bändigen muss ihn die Demokratie.



Grüne Verschleierungstaktik

20. Januar 2014

Der Grüne Kreisverband Dresden hat eine Erklärung herausgegeben, in der die Strompreispolitik des Dresdner Versorgungsunternehmens DREWAG kritisiert wird. Analysieren wir die Argumente und Fakten.


Der Artikel steht unter der Überschrift

DREWAG-Strompreiserhöhung ist für GRÜNE inakzeptabel

und beginnt mit der markigen Unterzeile

Verbraucher dürfen nicht in Geiselhaft für Industriesubventionen genommen werden

Schon daran ist alles falsch.


Erstens gibt es im EEG keine Industriesubventionen, sondern nur die Befreiung einiger Unternehmen von einer Zwangsabgabe. Dazu zählen z. B. die Verkehrsbetriebe der Stadt Dresden und der Verkehrsverbund Oberelbe, die ihre Fahrpreise deutlich erhöhen müssten, wenn sie nicht von der EEG-Umlage befreit wären.

Zweitens würde ein Wegfall der Befreiungen auch alle bisher befreiten Unternehmen zwingen, die Preise für ihre Waren oder Dienstleistungen zu erhöhen. Die variablen Kosten müssen ja erwirtschaftet werden. Für die Verbraucher würde ein kleiner Teil der Umlage von der direkten zur indirekten Belastung.

Und drittens: Wenn man schon das Wort Geiselhaft verwenden will – was ich für gewagt halte – dann sind wir als Verbraucher nicht in der Geiselhaft der Industriesubventionen, sondern in Geiselhaft der grün-roten Fehlkonstruktion EEG.


Der Grünen-Politiker Michael Schmelich legt nach:

Die Erhöhung der EEG-Umlage ist demnach keine nachvollziehbare Begründung, da die Steigerung von 5,277 auf 6,24 Cent überwiegend auf die günstigeren Einkaufspreise an der Leipziger Strombörse zurückzuführen sind.

Auch das ist allenfalls ein Viertel der Wahrheit. Die »fallenden« Preise sind eigentlich schwankende Preise. Die Preisschwankungen sind darauf zurückzuführen, dass Öko-Strom in den kurzen Phasen des Überangebots massenweise bereitsteht, extrem billig wird, und zum Teil sogar ins Ausland verschenkt werden muss.

Wenn aber die Sonne nicht genügend stark scheint und wenn kein Wind weht, muss der Strom wieder teuer importiert oder aus anderen Energieträgern gewonnen werden. Kosten und Nutzen von EE-Strom stehen in keinem vernünftigen Verhältnis zueinander.

Deshalb ist auch eine andere Argumentation der Grünen-EE-Lobby falsch: Sie vergleicht den Stromexport und den Stromimport in Megawattstunden. Viel wichtiger wäre der Vergleich: Wie viel Geld haben wir im Schnitt pro Einheit beim Export erlöst und wie viel Geld haben wir im Schnitt pro Einheit beim Import bezahlt?


Schließlich noch ein letztes Zitat aus der Erklärung des Grünen Kreisverbands:

„Die Verbraucher dürfen nicht für die verfehlte Subventionspolitik der alten Bundesregierung zur Kasse gebeten werden,“ so Schmelich, „zumal es für die Preiserhöhung an einer sachlichen Begründung fehlt. Von der DREWAG hätten wir uns mehr Verbraucherfairniss erwartet.“

Diese Aussage kann nur stimmen, wenn er die verfehlte Subventionspolitik der Rot-Grünen Bundesregierung meint. Damals hat der Grüne Bundesminister Jürgen Trittin behauptet, für den Durchschnittshaushalt werde das EEG monatlich nicht teurer als eine Kugel Eis.

Heute belastet es meinen Haushalt direkt mit mehr als 20 Euro im Monat. Die indirekten Belastungen durch den Aufschlag auf Waren und Dienstleistungen kann niemand abschätzen. Die Farbe dieses Gesetzes ist trittin-grün. Die Folgen sind also vor allem den Grünen zuzuschreiben.

Fachleute halten in erster Linie die Solarförderung für extrem unwirtschaftlich: Wer in ländlichen Gebieten Sachsens eine Solaranlage auf sein Dach gesetzt hat, bekommt vom Netzbetreiber in der Größenordnung von 30 Cent Vergütung für die Einleitung und von 15 Cent Vergütung für die Nicht-Einleitung (also den Eigenverbrauch) von Solarstrom. Das ist verfehlte Subventionspolitik.

Die Verbraucher zahlen gemäß der Grün-Roten Konstruktion des EEG für die Differenz zwischen der EE-Vergütung und dem Börsenpreis. Sinkt also der Börsenpreis durch ein massives Überangebot, wird der Unterschied zwischen der Vergütung und dem Börsenpreis größer.


Die Grünen wollen mit ihrer »Energiewendeagenda 2020« folgendes erreichen:

Für uns GRÜNE muss eine gerechte und rechtlich einwandfreie Ausnahmeregelung für die Begrenzung der Privilegien sorgen: Sie müssen auf die wirklich stromintensiven Branchen beschränkt bleiben, deren Unternehmen stark im internationalen Wettbewerb stehen.

Das bedeutetet im Umkehrschluss eine drastische Mehrbelastung des Öffentlichen Personennahverkehrs. Er ist bisher aufgrund seines Stromverbrauchs (Straßenbahn, S-Bahn) von der EEG-Umlage befreit und er steht definitiv nicht im internationalen Wettbewerb. Das ist also eine zutiefst unsoziale Forderung, die zu Lasten aller ÖPNV-Nutzer geht. Der Wegfall würde nach Angaben der Bahn zu einer Erhöhung der Fahrpreise um zehn Prozent führen.

Außerdem wird in dieser Agenda eine Zahl stark verzerrt dargestellt: Die Grünen behaupten, dass die Befreiungen energieintensiver Betriebe von der EEG-Umlage insgesamt einem Drittel der gesamten EEG-Umlage entspricht:

Die Industrieprivilegien im EEG belasten private Haushalte und nicht privilegierte Unternehmen mit rund 6 Milliarden Euro jährlich. Das entspricht etwa einem Drittel der gesamten EEG-Umlage.

Das stimmt überhaupt nicht: Die EEG-Umlage 2014 beträgt 23,6 Milliarden Euro. Die beantragten Befreiungen betragen 5,1 Milliarden Euro. Die F.A.Z. kam somit im Dezember 2013 zu dem Ergebnis:

Unklar ist die Höhe der Entlastung der Stromrechnung der Betriebe. Gemessen an den Anträgen, wären es 5,1 Milliarden Euro, mehr als ein Fünftel jener 23,6 Milliarden Euro, die die EEG-Umlage 2014 betragen soll.

Selbst mit der Zahl der Grünen von 6 Milliarden Euro wäre es aber nur etwa ein Viertel (25,4 %) der gesamten EEG-Umlage. Das ist also eine ganz bewusste Verzerrung.


Diese Erklärung des Grünen Kreisverbands und die »Energiewendeagenda 2020« der Grünen sind für mich weiterere Gründe, im Jahr 2014 bei keiner Wahl die Grünen zu wählen – weder bei der Europawahl, noch bei der Kommunalwahl, noch bei der Landtagswahl.

Die Grünen haben das trittin-grüne EEG mit all seinen Folgen zu verantworten – und jetzt verschleiern sie die Auswirkungen. Die Grüne Propaganda (Plakat: »Die Sonne schickt keine Rechnung«) behauptet, es gäbe

eine faire Energiewende in BürgerInnenhand

In Wahrheit ist es eine unfaire Energiewende zu Lasten fast aller Bürgerinnen und Bürger.



Keine Nazi-Satzung. Nirgends.

18. Januar 2014

Die Dresdner Neuesten Nachrichten haben gestern folgende denkwürdige Überschrift in die Welt gesetzt:

Nazi-Satzung gefährdet jüdischen Keller

Eine Parkplatzsatzung aus der Nazizeit könnte veranlassen, dass ein historischer Keller des Trierschen Hauses am Neumarkt (Quartier VII), in dem ab 1938 Juden vor dem Abtransport in die Vernichtungslager zwangseinquartiert waren, abgerissen wird.

Bevor nun jemand befürchtet, dass die Nazi-Verordnungen in Dresden immer noch gelten, sei gesagt: An den Aussagen über die Nazi-Satzung und deren angebliche Folgen stimmt überhaupt nichts.


Was ist wirklich passiert?

Bei Ausgrabungen auf dem Gebiet des Dresdner Neumarkts haben Archäologen unter anderem den Keller eines alten Hauses freigelegt, in dem die Nazis jüdische Bürger festgehalten haben. Die Häuser sollen nun entsprechend den alten Grundrissen wieder aufgebaut werden.

Der Investor, der auf dieser Fläche bauen will, hatte in dem bewussten Keller Abstellräume für die zukünftigen Bewohner des Hauses geplant. Diese Abstellräume müssten auf ein benachbartes Grundstück verlegt werden, wenn der Keller als historischer Ort erhalten werden soll.

Im Keller des benachbarten Grundstück sollen aber Tiefgaragenstellplätze gebaut werden, weil der Investor gemäß der Stellplatzsatzung der Stadt Dresden dazu verpflichtet ist und weil die Nutzer des Gebäudes natürlich auch ihre Autos abstellen müssen.

Würde der Investor die Anzahl der Stellplätze reduzieren, müsste er eine Ablösesumme an die Stadt zahlen. Diese Ablösesumme fällt aber im Vergleich mit der Investitionssumme relativ gering aus und wird später ohnehin auf die Nutzer des Gebäudes umgelegt.


Nun hat die Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden e.V. (GHND) in ihrer Pressemitteilung die Stellplatzsatzung der Stadt Dresden mit einer Verordnung aus der Nazizeit in Verbindung gebracht:

Wie ein Mitarbeiter des Stadtplanungsamtes jüngst bestätigte, ist ein Haupthinderungsgrund für den
Erhalt von Kellerteilen des Trierschen Hauses die sog. „Stellplatz und Garagensatzung (StGaS)“, die pikanterweise auf die sog. „Reichsgaragen-Verordnung“ von 1939 zurückzuführen ist. Mit dieser sollte in den Städten des Deutschen Reiches nach Einführung des Volkswagens (VW) ausreichend Parkraum zur Verfügung gestellt werden. Diese Verordnung aus der Nazi-Zeit (!) stellte damit einen ersten Schritt hin zur autogerechten Stadt der 1950er und 1960er Jahre dar.

Möglicherweise gehen die Ausssagen in der Pressemitteilung und in der Zeitung auf den Wikipedia-Artikel zum Thema Stellplatzverordnung zurück.

Es mag sein, dass der Mitarbeiter des Stadtplanungsamts die Stellplatz- und Garagensatzung mit dem Bau in Verbindung gebracht hat.

Der letzte Teil des ersten Satzes scheint mir allerdings nicht von dem Vertreter der Stadtverwaltung zu kommen. Denn die Verwaltung einer Stadt sollte die Rechtsgrundlagen der städtischen Satzungen eigentlich kennen (siehe unten).


In den »Dresdner Neuesten Nachrichten« macht man sich diese kühne Behauptung zu eigen. Sie ist dort nicht als Zitat aus der PR-Meldung der GHND gekennzeichnet. Zitat:

Die Stellplatz und Garagensatzung, die pikanterweise auf die sogenannte „Reichsgaragen-Verordnung“ von 1939 zurückgeht, schreibt vor, dass Investoren, wenn sie keine Stellflächen für Autos schaffen, pro Parkplatz 10 000 Euro Ablöse an die Stadt Dresden zahlen müssen.


Ein Blick in die Satzung der Landeshauptstadt zeigt: Der unterstellte Zusammenhang zwischen der Nazi-Satzung und der Dresdner Stellplatzsatzung existiert schlichtweg nicht.

Die Stellplatzsatzung wurde von einem demokratisch gewählten Stadtrat auf der Grundlage demokratisch geschaffener Gesetze erlassen. Sie hat mit der Reichsgaragen-Verordnung überhaupt nichts zu tun.

Gesetzliche Grundlage der städtischen Satzung ist die Sächsische Bauordnung (SächsBO) in Verbindung mit der Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen (SächsGemO).

Somit ist die Überschrift Nazi-Satzung gefährdet jüdischen Keller unsinnig. Aber auch die Stellplatzsatzung der Stadt Dresden gefährdet die Einrichtung einer Gedenkstätte oder Gedenktafel nicht. Wer am Neumarkt baut, dem muss klar sein, dass er auf die Geschichte der Stadt Rücksicht zu nehmen hat. Die Entscheidung über seinen Beitrag zum Gedenken an die ermordeten jüdischen Bürger der Stadt Dresden fällt der Investor in Eigenverantwortung.



Wenn Sie im Herbst 2014 noch nichts vorhaben …

6. Januar 2014

Als Rückblick kann ich es ja heute nicht mehr verwenden – aber im Spätherbst hatte ich Gerlinde aus Australien noch einige Herbsturlaubsbilder versprochen. Die erste Serie hatte ich schon nach dem Urlaub verbloggt.

Deshalb ein Tipp für die Zukunft: Wenn Sie jetzt Pläne für einen Kurzurlaub im Herbst 2014 machen, ziehen Sie doch mal das Elbsandsteingebirge in Betracht. Es gibt Übernachtungsmöglichkeiten jeder Art vom Campingplatz bis zum Fünf-Sterne-Hotel, es gibt in Pirna und Bad Schandau jeweils ein Bad, es gibt Kulinarisches, Wald, Felsen und die Festung Königstein:

Festung Königstein (Aufstieg und Abstieg).


Wie die Dresdner Zeitung DNN mit einer Pressemitteilung zum Thema Alkohol umgeht

3. Januar 2014

Auch im Jahr 2014 gibt es eine wichtige Aufgabe für Blogger: Wir müssen der Presse beim Umgang mit Zahlen und Fakten auf die Finger sehen. Dazu habe ich mir heute eine Meldung aus der DNN vom Silvestertag herausgesucht. Der betreffende Absatz basiert auf einer Pressemitteilung der Stadt Dresden.


Was hat die Zeitung DNN verbreitet?

Vor riskantem Alkoholkonsum warnt auch die Stadt Dresden auf 160 City-Light-Plakaten im gesamten Stadtgebiet und regt an, in der Zeit der Feste über die eigenen Trinkgewohnheiten nachzudenken. Ungezügelter Alkoholgenuss sei nicht nur Männersache. Laut Statistik würden etwa ein Fünftel aller Frauen und ein Drittel aller Männer überdurchschnittlich viel Alkohol trinken.


Was hat die Stadt Dresden in ihrer Pressemitteilung veröffentlicht?

Tatsächlich ist riskanter Alkoholkonsum nicht nur Männersache. Laut Statistik konsumieren 22 Prozent aller Frauen und 32 Prozent der Männer in Deutschland riskant. Bei beiden Geschlechtern ist laut Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung 2013 der Anteil riskant konsumierender in den oberen Bildungsgruppen am größten.


Was kann man daraus über den Umgang mit Statistik lernen?

Es besteht offensichtlich ein großer Unterschied zwischen beiden Aussagen: Die Zeitung bezieht sich auf einen »durchschnittlichen« Konsum. Die Pressemitteilung bezieht sich auf die Einstufung in eine Kategorie.

Wenn man in einem Zeitungsartikel das Wort »durchschnittlich« liest, lohnt sich immer ein kurzes Nachhaken: Meint der Journalist den arithmetischen Mittelwert? Meint er eventuell den Medianwert? Oder wendet er das Wort »durchschnittlich« einfach nur umgangssprachlich an?

Wenn nicht erkennbar ist, wie der Journalist das Wort »Durchschnitt« oder »durchschnittlich« gemeint hat und worauf sich der zitierte Durchschnitt überhaupt bezieht, dann ist die Aussage mit großer Wahrscheinlichkeit Mist.

In unserem Beispiel könnte es rein theoretisch einen Gesamtdurchschnitt für alle Erwachsenen geben. Es könnte auch separate Durchschnittswerte für Männer und Frauen geben. Selbst wenn man diese beiden Angaben hätte, wären sie weitgehend wertlos, weil der Alkoholkonsum eben nicht gleichmäßig verteilt ist.


Durchschnittswerte sind ja bekanntlich oft wertlos. Im DDR-Kabarett gab es den schönen Satz:

Im Durchschnitt war der Dorfteich einen Meter tief – und trotzdem ist die Kuh ersoffen.

Diesen Satz sollten sich alle Journalisten über den Schreibtisch hängen.


Hintergrund und Quellen

Der Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung ist öffentlich verfügbar. Mit wenigen Klicks kann man ihn direkt aus der Pressemitteilung heraus aufrufen: Suchphrase markieren, Suchmaschine aufrufen, Link zum Bericht der Bundesregierung anklicken.

Hätten sich die Verantwortlichen bei der DNN nur wenige Minuten Zeit genommen, dann hätten sie sehr schnell gemerkt, dass von »durchschnittlich« überhaupt keine Rede sein kann.

Ein durchschnittlicher Alkoholkonsum wird im Drogen- und Suchtbericht nicht genannt. Folglich kann man auch nicht schließen, wie viele Männer und Frauen überdurchschnittlich viel Alkohol konsumieren. Die Stadt Dresden hat sich bei der Formulierung ihrer Pressemitteilung etwas gedacht.


Fazit

Journalisten haben die Aufgabe, eine Pressemitteilung sachlich einzuordnen und die Leser richtig zu informieren. Im Normalfall müssen Zahlen, Daten, Fakten geprüft werden, weil Pressemitteilungen immer durch Interessen geleitet sind.

Journalisten haben nicht die Aufgabe, eine Pressemitteilung sprachlich nur ein wenig zu verändern. Wenn eine Formulierung sprachlich geändert wird, darf dabei jedenfalls ihr Inhalt nicht verändert werden. Richtiges Abschreiben aus der Pressemitteilung hätte in diesem Fall genügt …