Beim Umgang mit kleinen Zahlen …

19. Mai 2014

Heute mussten sich die übriggebliebenen Dresdner Piraten mal so richtig selbst auf die Schultern klopfen: Bei der U18-Wahl am Ende der vergangenen Woche haben sie unglaubliche 21.5 Prozent der Stimmen geholt.

Da kann man schon mal die Sitze im Stadtrat neu verteilen und den Sachsen-Hype hochleben lassen – einige bizarre Tweets zum Thema findet man mit dieser Twitter-Suche.

Über die Wahl berichtete ein kostenlos verteiltes Anzeigenblättchen – und es stellte aus den paar Stimmen sogar einen Stadtrat zusammen. Das hat sich bis Berlin herumgesprochen und Frau Helm hat ihren Dresdner Anhängern gratuliert …

Was die Piraten wohl nicht so gern twittern: Die U18-Wahlen waren in Sachsen eine Farce. In Dresden gab es ganze 107 gültige Stimmen – in Leipzig etwa 50 und in Chemnitz ganze 12.

Die 107 gültigen Stimmen in Dresden sind schnell relativiert, wenn man weiß, dass in unserer Stadt im Jahr 2013 immerhin 6.000 Babys geboren wurden und dass es hier etwa 65.000 Schülerinnen und Schüler gibt.

Landesweit wurden übrigens knapp 800 gültige Stimmen gezählt. Es gibt in Sachsen etwa 330.000 Schülerinnen und Schüler. Die U18-Wahl ist somit völlig belanglos – und auf die Stimmenanteile dürfte noch nicht einmal der »Wochenkurier« reinfallen.


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Vor dem Zitieren großer Zahlen: Bitte den Verstand einschalten!

19. Mai 2014

Klingt es nicht phantastisch? Eine Publikation der »Wirtschaftswoche« hat soeben verkündet, dass wir auf der Welt bis zum Jahr 2050

52.000.000.000.000 Euro

sparen könnten. 52 Billionen Euro. Da lohnt es sich doch, etwas genauer hinzusehen ;-)


Welches typische Anzeichen für Propaganda ist in dem Artikel zu erkennen?

In dem Artikel werden die gegenwärtigen Probleme sehr klein und die möglichen Gewinne in ganz ferner Zukunft sehr groß dargestellt. Der Autor stellt die 6,24 Cent EEG-Umlage pro Kilowattstunde einer unendlich großen fiktiven Zahl von 52 Billionen Euro gegenüber. Hier ist sein rhetorischer Trick:

Betrug die EEG-Umlage, mit der Verbraucher und Teile der Wirtschaft die Energiewende finanzieren, im Jahr 2013 noch 5,277 Cent pro Kilowattstunde, waren es 2014 6,24 Cent für die Stromeinheit.

Seitdem der Anstieg im Herbst vergangenen Jahres bekannt gegeben wurde, ringen Medien, Politiker und Unternehmen um die Deutungshoheit des knapp einen Cents …

Tatsache ist: Für uns als Verbraucher geht es schon lange nicht mehr um den Cent. Für uns summiert sich die jährliche direkte EEG-Umlage mittlerweile auf mindestens 250 Euro pro Jahr im Vier-Personen-Haushalt (4.000 kWh Verbrauch).

Die indirekte Belastung ist jedoch viel höher, weil die EEG-Umlage in fast allen Produkten und Dienstleistungen steckt. Auch die Gebühren für Versorgung, Entsorgung und staatliche Leistungen enthalten die EEG-Umlage.

Nebenbei gesagt: Die Verwendung von »Kilowattstunde« und »Stromeinheit« in ein und dem selbem Satz irritiert den Leser. Es ist in beiden Fällen die selbe Einheit (Kilowattstunde) gemeint.


Was sagen die Zahlen aus?

Betrachten wir die Zahlen in dem Green-Wiwo-Artikel. Der Autor verweist auf die Veröffentlichung »Energy Technology Perspectives 2014« (ETP 2014) der Internationalen Energieagentur (IEA). Aus der Zusammenfassung der Veröffentlichung (eigentlich ist es eher eine Pressemitteilung) hat er offenbar folgende Angaben entnommen:

  • Es müssten 44 Billionen Dollar in erneuerbare Energien und Energieeffizienz investiert werden.
  • Dadurch würden 115 Billionen Dollar an Brennstoffkosten für Kohle, Öl und Erdgas eingespart.
  • Folglich blieben 71 Billionen Dollar (wörtlich) »auf der Guthaben-Seite« übrig. Das sind nach einem nicht näher datierten Kurs 52 Billionen Euro.


    Was sagen die Zahlen nicht aus?

    Diese gigantischen Summen mögen für Ideologen und Lobbyisten interessant sein – ich bin von Hause aus Ingenieur. Ich achte auf die Plausibilität und Nachvollziehbarkeit von Zahlen.

    Die unterstellten Investitionen und Einsparungen sind gigantisch – und sie sind über 35 Jahre in die Zukunft geschätzt. Mit großer Unsicherheit behaftet sind offensichtlich die Entwicklungen

    • der Weltbevölkerung,
    • des Energiebedarfs,
    • der Inflationsraten,
    • der Lohnkosten,
    • der Preise für Öl, Kohle und Erdgas,
    • der Besteuerung von Energie sowie
    • der Rohstoffpreise und der Preise für Technik der EE-Anlagen.

    Wir haben in Deutschland allenfalls eine Ahnung, wie teuer die Investitionen in einen Großflughafen, ein Konzerthaus oder einen Bahnhof sein werden. Wir verrechnen uns regelmäßig um große Summen. Aber diese 44 Billionen Dollar sollen für bare Münze genommen werden?


    Die Unsicherheit geht auf der technischen Seite weiter. Wir wissen unter anderem auf die folgenden Fragen keine sichere Antwort:

    • Wie entwickelt sich der Wirkungsgrad der Energieumwandlung(en)?
    • Stehen genügend Flächen für Biomasse, Solaranlagen, Windkraftanlagen und Leitungen zur Verfügung?
    • Stehen die seltenen Metalle (wie Platin) und die seltenen Erden in ausreichendem Maße bereit?
    • Wird es bis 2050 wirtschaftlich vertretbare Speichersysteme geben, mit denen man die großen Leistungsschwankungen der EE-Systeme ausgleichen kann?

    Von den politischen und gesellschaftlichen Unsicherheiten ganz zu schweigen: Die Welt entwickelt sich nicht gleichmäßig. Es gibt Staaten in Afrika, in denen man mit sehr wenig Geld einen sehr großen Nutzen für die Umwelt stiften könnte. Es gibt Staaten in Europa, in denen man »für das Klima« ungeheure Summen nutzlos in den Sand setzt.

    Und zuletzt – schauen wir noch einmal auf unser Land: Der Widerstand gegen weitere Windanlagen, Überlandleitungen und immer höhere Belastungen durch die EEG-Umlage ist enorm. Die Pläne der IEA würden zu einem Vielfachen dieser Belastungen führen.


    Ab heute Mittag entwickelte sich auf Twitter eine lebhafte Diskussion zwischen dem Autor des Artikels und der Schweizer Journalistin Dani Brandt.

    Auch auf mehrfache Nachfrage blieb der Autor auf Twitter Angaben zu den konkreten Grundlagen seiner Zahlen schuldig. Die verlinkten »Studien« der IEA erwiesen sich als eine Sammlung von Konjunktiven und bunten Bildchen. Darin wird im Grunde gar nichts plausibel erläutert.


    Wozu die Aufregung? Es ist ein schlechter Artikel von vielen …

    Eine »Energiewende« mit so enormer Tragweite kann mit marktwirtschaftlichen Methoden nicht vollzogen werden – das geht nur mit Zentralismus, Planwirtschaft, Zwangsabgaben, Überwachung und Kontrolle des Verhaltens der Bürger.

    Die Propaganda der oben dargestellten Art bezeichne ich gern als den »Squealer«-Trick – benannt nach dem Propagandisten in Orwells »Farm der Tiere«, der das einfache Fußvolk auf bessere Zeiten vertröstete: Zwar sei es heute noch hart und schwer, aber in Zukunft – in vielen Jahren – werde alles besser.

    Die Squealer dieser Welt sagen: Das Unterordnen unter das Große und Ganze in der Gegenwart mag hart sein – aber die weise Führung bewahrt das Kollektiv vor den falschen Entscheidungen, damit die Zukunft um so besser werde …

    Ich verzichte gern auf meinen Anteil an den fiktiven 52 Billionen Euro, wenn ich im Gegenzug einen Rest an Freiheit behalte …



    Der letzte Spaziergang im Botanischen Garten …

    18. Mai 2014

    war Ende März. Es wurde also wieder einmal Zeit:

    Rundgang am 18.05.2014 …


    Gemäßigter Idealismus

    13. Mai 2014

    Twitter brachte am Morgen eine Frage von Christian und eines dieser prägnanten Zitate der amerikanischen Professorin Christina H. Sommers. Ich lasse der Frau den Vortritt:

    A society that neglects the education of boys is neglecting its own economic future.

    Man muss es weiter fassen als in einem Tweet, aber prinzipiell hat sie recht: Eine Gesellschaft, die Menschen auf Grund ihres Geschlechts die politische, ökonomische und kulturelle Teilhabe versagt, kann ihr Potential nicht ausschöpfen und schwächt sich selbst.

    Eine Gesellschaft kann sich noch in einem zweiten Punkt schwächen: Wenn sie nicht mehr fähig ist, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Diese Gefahr besteht besonders in einer »satten« Gesellschaft. Sie wird dann anfällig für radikale Parolen und kann sich nicht mehr gegen extremistische Handlungen wehren.


    Zeitgleich kam Christians Frage, die mich zu einem spontanen Kommentar und nun zu diesem erweiterten Artikel anregte:

    Hat der Maskulismus ein Interesse an der Entstehung und Förderung eines gemäßigten Feminismus?

    Die Frage regt zum intensiven Nachdenken an, aber sie ist falsch gestellt. Sie müsste eigentlich lauten: Wie können Frauen und Männer ihre Interessen optimal vertreten, ohne dass die Gesellschaft dabei Schaden nimmt?

    Die ideale Antwort ist gleichzeitig einfach und schwer zu machen: Alle Seiten vertreten ihre Interessen mit fairen Methoden und haben dabei die Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft im Blick.

    Das schließt insbesondere folgendes aus:

    1. Diskriminierung aufgrund des biologischen Geschlechts oder aufgrund des Bekenntnisses zu einer sexuellen Orientierung
    2. Bevorzugung aufgrund des biologischen Geschlechts oder aufgrund des Bekenntnisses zu einer sexuellen Orientierung
    3. extreme Parolen, Forderungen, Aktionen gegen Menschen, die ein anderes Geschlecht oder eine andere sexuelle Orientierung haben
    4. Verweigerung gesellschaftlicher Rechte aufgrund des biologischen Geschlechts oder aufgrund des Bekenntnisses zu einer sexuellen Orientierung
    5. In der Auseinandersetzung nur die Extrempositionen des Frauenhasses und des Männerhasses zu sehen und die Auswüchse der »eigenen Seite« zu negieren
    6. die Verschwendung von Ressourcen für »politische Prokrastination« wie z. B. Gender-Ideologie, StudierX-Sprache, Pseudowissenschaft oder die überproportionale Förderung bestimmter sexueller Orientierungen
    7. ungleiche Bewertung von Straftaten und Hass gegen das eine oder das andere Geschlecht: Während wir über die Entführung von Mädchen entsetzt sind, spricht kaum jemand über den vielfachen Mord an Jungen durch die gleichen Verbrecher.

    Es gibt die oben genannte »ideale Antwort«, die ja im Grunde nichts anderes als eine Abwandlung des Kategorischen Imperativs ist – aber wir werden diesen Idealzustand nie erreichen. Es ist ähnlich wie in der Demokratie: Idealerweise vertreten uns die Besten – und in der Realität ist es eben nicht so, wie wir täglich auf den Wahlplakaten sehen können.

    Wer auf eine ideale Demokratie oder ein ideales Geschlechterverhältnis hofft, kann nur verzweifeln. Deshalb ist die Überschrift meines Artikels »Gemäßigter Idealismus«: Wir sind uns unserer Schwächen bewusst und machen das beste aus unseren Stärken. Solange die Gesellschaft frei, offen, demokratisch und rechtsstaatlich bleibt, können wir mit Abweichungen vom Ideal leben.

    Am Ende läuft es in der Politik und im Verhältnis der Geschlechter immer wieder darauf hinaus: Wir müssen die Extreme erkennen, wir müssen die Extreme offen benennen – und wir müssen die freie Gesellschaft gegen die Extreme verteidigen.




    Die Unsitte des Freistellens von Bildern in der Lokalzeitung

    11. Mai 2014

    Die sächsischen Lokalzeitungen »Dresdner Neueste Nachrichten« und »Leipziger Volkszeitung« haben seit dem Wochenende ein neues Layout.

    Insgesamt finde ich die Überarbeitung des Layouts nicht schlecht: Die Zeitung liest sich insgesamt etwas leichter, die Schrift ist angenehmer und das Erscheinungsbild wirkt moderner.

    Allerdings stört mich ganz erheblich die Unsitte, dass anscheinend pro Ausgabe ein halbes Dutzend Bilder freigestellt werden müssen. Das sieht dann ungefähr so aus:

    Welchen Gewinn bringt das Freistellen für die Leser?

    Welchen Gewinn bringt das Freistellen für die Leser?

    Was sagt mir dieses Bild? Da steht oder hängt eine Band aus drei jungen Frauen in der Luft und die rechte Musikerin hält dabei sogar noch einen Bass in der Hand. Wenn man schon freistellen muss, dann gehört doch eine Basis zum Bild, auf der die drei jungen Frauen stehen. Natürlich braucht man dafür auch eine entsprechende Vorlage.

    Das freigestellte Bild ist kein Gewinn für den Artikel, es ist kein Gewinn für das Layout und es bringt dem Leser keinen Nutzen. Es zeigt nur: Wir haben in der Redaktion ein Programm, mit dem man Figuren freistellen kann.

    Leider sehen diese freigestellten Figuren meist wie das Ergebnis der ersten oder zweiten Übung in Bildbearbeitung in der siebten Klasse aus. Solche Bilder erwartet man in der Hintertupfinger Bauernzeitung – aber nicht in einer Zeitung für eine Kulturstadt mit mehr als 500.000 Einwohnern.

    Haben sich die Zeitungsgestalter in Leipzig oder Dresden schon mal überlegt, warum man in einer seriösen überregionalen Tageszeitung wie der F.A.Z. solche Illustrationen nicht findet?


    PS: In dem verlinkten Artikel im Medienblog »Flurfunk« wird in einem Kommentar schon die Vermutung aufgestellt, ob das Zeitungshaus Madsack damit seine Lokalzeitungen noch »gleicher« machen will. Der Hintergedanke könnte sein: Dann lassen sich Artikel noch einfacher übertragen und man kann vielleicht noch etwas mehr an den Kosten sparen.



    Als die sächsischen Piraten mal mit etwas anderem als dem #Bombergate wahrgenommen werden wollten …

    8. Mai 2014

    dachten sie sich: Lasst uns auf dem Parteitag eine möglichst groteske Forderung aufstellen, mit der wir uns von den anderen Parteien abheben. Was wir fordern, darf gern teuer sein – aber der Nutzen muss sich in engen Grenzen halten.

    Und so kam es, dass sie am ersten Wochenende im Mai auf ihrem Parteitag den Transrapid von Dresden nach Prag forderten.

    Nun wird ja mit der Transrapid-Technik in Deutschland seit dem Unfall auf der Transrapid-Versuchsanlage Emsland nicht mehr geplant. Es ist aber interessant, welche Planungen tatsächlich eine Weile verfolgt wurden: der Metrorapid in NRW, der Transrapid zwischen Berlin und Hamburg und der Transrapid zum Flughafen München.

    Alle bisher ernsthaft in Betracht gezogenen Strecken hatten zwei Eigenschaften gemeinsam: Es steht kein Mittelgebirge im Weg und die Trassen kreuzen keine Staatsgrenze. Das hat auch eine innere Logik: Gebirge verteuern das Vorhaben enorm. Grenzen machen es komplizierter und schwerer durchsetzbar.


    Welche Erfahrungen hat man in Sachsen mit grenzüberschreitenden Verkehrsprojekten in die Tschechische Republik? Die Autobahn Dresden–Prag ist gefühlt seit Jahrzehnten im Bau – und bis heute nicht fertig. Das liegt an den geologischen Bedingungen, an der Blockade durch Umweltverbände und am Geldmangel auf tschechischer Seite.

    Für einen Transrapid zwischen Dresden und Prag wären die geologischen Bedingungen sicher nicht einfacher, die Umweltverbände würden das Vorhaben ebenso erbittert bekämpfen, und der Transrapid wäre noch teurer als eine Autobahn.

    Ähnliche Einwände wurden von einem technisch kompetenten Piraten auch auf dem Parteitag der Piraten vorgebracht. Er sagte auch, dass das Vorhaben mit den tschechischen Piraten überhaupt nicht abgesprochen sei.

    Alle vernünftigen technischen Einwände wurden mit dem Hinweis beantwortet, dass es sich ja um einen »politischen« Vorschlag handle. Im Klartext: niemand rechnet mit der Realisierung, aber man kann damit Aufmerksamkeit erregen.


    Mit sehr viel Glück ist in 15 oder 20 Jahren die Bahnstrecke zwischen Dresden und Prag saniert und mit noch etwas mehr Glück gibt es dann eine ICE-Verbindung Hamburg–Berlin–Dresden–Prag. Parallel zur Autobahn und zur ICE-Strecke einen Transrapid bauen? Das wäre redundant und exorbitant teuer.

    Aber immerhin hat der Vorschlag gereicht, um den Parteitag in eine Boulevard-Zeitung zu bringen. Und man muss zugeben: Die Forderung nach einem »Transrapid« klingt besser als das Feiern der Bombenangriffe auf Dresden mit »Bomber-Harris«-Parolen.

    Man muss als Zuschauer in diesem Piraten-Theater manchmal auch mit kleinen Dingen zufrieden sein ;-)



    Standhaft

    2. Mai 2014

    [Cross-Post meines Artikels aus Zettels Raum]

    Es klingt wie eine Selbstverständlichkeit: Musiker der Bundeswehr haben am Mittwochabend einen Gottesdienst in der Dresdner Frauenkirche mitgestaltet. Trotzdem hatte es im Vorfeld um diesen Auftritt einigen Ärger gegeben: Etwa 800 Menschen sollen nach Angaben der Organisatoren einen Einspruch gegen diesen Gottesdienst unterzeichnet haben.

    Dieser Einspruch war mit einem Protestaufruf verbunden: Vor der Frauenkirche sollte gegen die Bundeswehr protestiert werden. Einem Bericht der Dresdner Zeitung DNN zufolge kamen dann am 30.04.2014 ganze »zwei bis drei Dutzend« Aktivistinnen und Aktivisten.

    In der gedruckten DNN von heute sind allerdings auf einem Foto noch zwei weitere Aktivistinnen zu sehen, die im FDJ-Hemd in der Kirche linke Parolen gerufen haben sollen, bevor sie vom Sicherheitsdienst aus der Kirche gewiesen wurden.

    Der Protest wird in einer Erklärung des DFG-VK vom politischen Geschäftsführer Monty Schädel begründet. Seine Biographie spricht für sich. Er war in der DDR überzeugtes Mitglied der SED und FDJ-Funktionär. Seit vielen Jahren organisiert er Proteste gegen Wirtschaftsgipfel, NATO und Bundeswehr.


    Mir fallen die Reminiszenzen an FDJ und SED auf. Warum machen ausgerechnet solche »Aktivisten« gegen einen Gottesdienst Stimmung? Sind sie die richtigen Botschafter dafür? In der DDR haben SED und FDJ nicht nur die kirchliche Friedensbewegung unterdrückt. Sie haben auch über Jahrzehnte die Gesellschaft auf allen Ebenen militarisiert. Das begann schon im Kindergarten mit dem Zeichnen von Panzern und dem obligatorischen Lied

    Soldaten sind vorbeimarschiert
    Im gleichen Schritt und Tritt … 
    
    Soldaten sind vorbeimarschiert
    Die ganze Kompanie.
    Und wenn wir groß sind, wollen wir
    Soldat sein, so wie sie.
    Gute Freunde, gute Freunde,
    Gute Freunde in der Volksarmee.

    Es setzte sich bei den »Pionieren«, in der FDJ und in den Wehr-Erziehungslagern fort – bis dann viele junge Männer zum Dienst an der Grenze gezwungen wurden.

    Und heute protestieren also selbst ernannte »Aktivistinnen« in einer Kirche im FDJ-Hemd gegen die Armee Organ des demokratischen Rechtsstaats. Eine noch schlechter geeignete Uniformierung wäre allenfalls noch die Ausgangsuniform der NVA gewesen …

    Auch wenn man über einige Friedens- und Kampfeinsätze der Bundeswehr geteilter Meinung sein kann: Solche wirren Proteste hat sie nicht verdient. Die Bundeswehr ist zum Schutz unseres Landes notwendig – auch zum Schutz der lange nach dem Krieg wieder aufgebauten Frauenkirche in Dresden.


    In der Frauenkirche werden seit ihrem Wiederaufbau nicht nur Gottesdienste und Konzerte veranstaltet. Sie ist auch ein Ort politischer Stellungnahmen: zum Frieden, zur Aussöhnung mit unseren damaligen Kriegsgegnern USA und England, zum Gedenken an die Opfer damaliger und heutiger Kriege.

    Auch die ehemalige Bischöfin Margot Käßmann hielt ihre Rede »Nichts ist gut in Afghanistan« in der Dresdner Frauenkirche. Margot Käßmanns Rede war in entscheidenden Punkten ein Irrtum – aber sie war wenigstens noch eine Wortmeldung in der politischen Diskussion und kein Parolengebrüll im FDJ-Hemd.


    Klaus Naumann, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, attestierte Frau Käßmann nach dieser Rede eine »Worthülse ohne jegliche Substanz« und schrieb ihr einen Brief, in dem es heißt:

    Sie, Frau Bischöfin, haben in Ihrer Predigt den Soldaten und deren Familien keinerlei Trost gespendet. Im Gegenteil, Sie haben ihnen nahezu den Teppich unter den Füßen weggezogen, als Sie ohne jede Sachkenntnis von der Kanzel herab Ihr hochmütiges, aber in jeder Hinsicht falsches Pauschalurteil abgaben: »Nichts ist gut in Afghanistan.«


    Wenn man die Frauenkirche einerseits als Kirche und andererseits als Ort der Kultur, der Versöhnung und des politischen Lebens sieht, dann darf nicht in Frage gestellt werden, ob Musiker der Bundeswehr in Dresden in der Frauenkirche spielen dürfen. Das muss eine Selbstverständlichkeit sein.

    Ich bin froh, dass die Bundeswehr und die Pfarrer der Frauenkirche als Gastgeber standhaft geblieben sind. Sie haben sich durch die aktuellen »Worthülsen ohne jegliche Substanz« nicht von ihrem Standpunkt abbringen lassen.