Ich schreibe den folgenden Artikel ausdrücklich aus großer Distanz zur Partei AfD. Diese Partei ist im Europäischen Parlament und im Sächsischen Landtag, weil die bürgerlichen Parteien, die SPD und die Grünen auf fast allen wichtigen politischen Feldern versagt haben.
Den Einzug der AfD in die beiden Parlamente muss ich als Demokrat respektieren. Aber die AfD kann aus meiner Sicht keine Lösung der Probleme anbieten und sie hat aus heutiger Sicht keine Gestaltungsperspektive.
[Hinweis (10.09.2014): Es gibt inzwischen Hinweise, dass es sich bei dem dargestellten Faltblatt um eine Fälschung handeln kann. Deshalb steht »DGB-Faltblatt« jetzt in Gänsefüßchen.
Zweiter Hinweis (14.09.2014): Es ist keine Fälschung.]
Trotzdem bin ich gegen Verzerrung und Dämonisierung. Mit der AfD muss man sich wie mit jeder anderen demokratischen Partei auseinandersetzen. Momentan geht ein Faltblatt des DGB Thüringen um, in dem Behauptungen aufgestellt werden, die ich als Demokrat so nicht stehenlassen kann.
Denn mit der gleichen Böswilligkeit könnte jemand die Piraten, die FDP, die Freien Wähler aus Bayern oder eine andere Partei so diffamieren. Ein fairer Wettbewerb der Parteien muss gewährleistet bleiben.
Ich habe mir das vollständige Programm der AfD Thüringen als PDF-Datei heruntergeladen und nach den Behauptungen des DGB gesucht. Der DGB behauptet ausdrücklich, dass die AfD Thüringen folgende Forderungen aufstelle:

Dann sollte es ja kein Problem sein, diese Aussagen im AfD-Programm auch zu finden. Dachte ich. Aber lesen Sie selbst …
Die DGB-These 1 besagt: Die AfD Thüringen fordere eine Lohnsenkung um 20 bis 30 % und sie sei gegen den Mindestlohn. Tatsache ist: Der Mindestlohn kommt im AfD-Programm für Thüringen gar nicht vor. Stattdessen ein Absatz, der wortgleich von den Grünen, von der Linkspartei oder vom DGB stammen könnte:
Löhne und Gehälter müssen eine Existenzsicherung der Beschäftigten sowie ihrer Familien ermöglichen. Es kann von uns nicht akzeptiert werden, wenn Unternehmen missbräuchlich lohnergänzende Leistungen des Sozialstaats ausnutzen, um Menschen als billige Arbeitskräfte auszubeuten.
Die DGB-These 2 besagt: Die AfD Thüringen fordere den »Rückzug des Staats aus dem Arbeitsmarkt« und damit den Wegfall der Arbeitsschutzgesetze sowie des Arbeitszeitgesetzes und des Mindesturlaubs. Tatsache ist: Davon steht nichts im Programm. Weder vom Wegfall der Arbeitnehmerschutzgesetze noch vom Rückzug des Staats aus dem Arbeitsmarkt. Arbeitsmarktpolitisch könnte folgender Satz gewertet werden:
Die Schaffung gut bezahlter Arbeitsplätze muss bereits bei der Förderung von Unternehmensansiedlungen berücksichtigt werden.
Vom Rückzug des Staates ist da nichts zu lesen.
In DGB-These 4 wird behauptet, die AfD setze sich für Ausbeutung und Profitmaximierung der Unternehmer ein. Tatsache ist, dass sie auch zu diesem Thema eher eine linke Aussage bringt:
Die AfD sieht in einer prosperierenden Wirtschaft keinen Selbstzweck. Vielmehr hat diese dem Menschen zu dienen. Wir werden uns daher für eine angemessene Bezahlung von Arbeitnehmern einsetzen.
Dann folgt der schon zitierte Satz:
Die Schaffung gut bezahlter Arbeitsplätze muß bereits bei der Förderung von Unternehmensansiedlungen berücksichtigt werden.
Ich sehe in dem Programm nichts, was die DGB-Behauptung bestätigen würde.
In DGB-These 5 wird behauptet, die AfD setze sich für eine Erhöhung des Rentenalters ein. Das Wort Rente kommt auf den Seiten 6 und 7 des AfD-Programms für Thüringen vor, aber es ist von keiner Erhöhung des Rentenalters die Rede. Stattdessen:
Wir fordern ein langfristig tragfähiges Rentenkonzept, das die Generationengerechtigkeit zwischen den heutigen Rentnern und künftigen Generationen wieder herstellt.
Außerdem sollen die Kindererziehungszeiten bei der Rentenberechnung stärker berücksichtigt werden. Beides sind allgemeine Forderungen, die im Grunde von allen demokratischen Parteien vertreten werden.
Stimmt denn wenigstens die DGB-These 8? Will die AfD das Studium nur noch für die Kinder reicher Eltern freigeben? Im Abschnitt zu Wissenschaft und Berufsausbildung ist dazu nichts zu finden.
Aber lesen Sie den Abschnitt doch bitte selbst und testen Sie ihn auf Demokratie-Kompatibilität ;-)
Die restlichen Thesen des DGB zu den angeblichen Forderungen der AfD habe ich nicht untersucht – denn je plumper und unschärfer eine Behauptung ist, desto schlechter kann man sich damit auseinandersetzen. Dieses DGB-Faltblatt ist ein typisches FUD-Produkt. Es soll Angst, Unsicherheit und Zweifel verbreiten. Mit dem Programm der AfD für die Thüringer Landtagswahl hat es nichts zu tun.
Auch für die Auseinandersetzung mit dem DGB-Faltblatt gilt der Satz: Bullshit zu widerlegen fordert zehnmal so viel Energie wie Bullshit zu erzeugen. Noch mehr Energie möchte ich in die Auseinandersetzung nicht stecken. Nur soviel noch: Dämonisierung ist immer falsch. Der DGB hat mit seiner durchschaubaren Kampagne vielleicht mehr für die AfD getan als mancher ihrer Wahlkämpfer.
Bleibt die Frage: Warum habe ich die AfD in Sachsen nicht gewählt und warum würde ich sie in der nächsten Woche in Thüringen nicht wählen? Ganz einfach: Weil sich die AfD aus allen Programmen von national-konservativ über liberal bis hin zu linken und protektionistischen Forderungen bedient hat. So sieht eine populistische Wundertüte aus.
Es gibt sogar einige Positionen, die deckungsgleich oder sehr ähnlich mit Inhalten der Piratenpartei sind (alle Zitate in der folgenden Liste sind aus dem AfD-Programm für Thüringen und die Liste ist vermutlich nicht vollständig):
- die Forderung nach transparentem Regierungs- und Verwaltungshandeln (Open Government)
- die partizipatorische Demokratie durch moderne Beteiligungsformen zu fördern
- die Verabschiedung eines Transparenz- und E-Government-Gesetzes
- die proaktive Veröffentlichung von Daten und Informationen aus Politik und Verwaltung unter der Wahrung von Persönlichkeitsrechten zur freien Nutzung
- die Daten sind mit Hilfe barrierefreier OpenData Portale nach dem Berliner oder Hamburger Vorbild verfügbar zu machen
- den Dialog mit Politik und Verwaltung, wie etwa Volkspetitionen, Volksbegehren oder Volksabstimmungen
- der Grundsatz „Open Source First“ bei IKT-Neuentwicklungen oder -Anschaffungen
Das Programm macht auf mich den Eindruck, als ob da jemand die schönsten Forderungen aus allen demokratischen Parteiprogrammen zusammengetragen hat – in dem Bewusstsein, keine davon erfüllen zu müssen.
Es wäre besser, wenn sich die etablierten Parteien CDU, SPD, FDP und Grüne mal damit beschäftigen würden, was sie in den letzten zwanzig Jahren falsch gemacht und womit sie die AfD so groß gemacht haben. Alle etablierten Parteien sollten sich ihrer Verantwortung stellen und endlich damit aufhören, eine Partei zu dämonisieren, die sie selbst geschaffen haben.