Die Schweizer und ihr Umgang mit Fehlern

24. Oktober 2014

Es war eine dieser typische Twitter-Szenen: Man wird auf eine Studie hingewiesen, man überfliegt den Artikel, und man stellt ernsthafte Unstimmigkeiten fest. Man twittert den Herausgeber an – und in 90% der Fälle bekommt man kaum eine verwertbare Antwort.

Nicht so im Fall des Berichts über eine Studie der Credit Suisse. Auf ihrer Website stand Ende September ein oft zitierter Glaubenssatz dieser Tage:

Höherer Frauenanteil trägt zu Unternehmenserfolg bei

Daraufhin fragte ich via Twitter an:

Dialog mit CreditSuisse

Im Dialog mit CreditSuisse
(ein Klick vergrößert den Screenshot des Dialogs).

Den Dialog können Sie im Original auf Twitter nachlesen.


Um es kurz zu machen: Der Artikel wurde ergänzt. Es wurden einige Sätze eingefügt, die ich jetzt zitiere. Sie sind leider in dem Artikel nicht gekennzeichnet und bilden auch keinen eigenen Absatz. Das kann aber mit dem verwendeten CMS zu tun haben und ich will es ausdrücklich nicht schlechtreden.

Bedeutet dies nun, dass bessere Unternehmen mehr Frauen beschäftigen, oder dass Frauen lieber für erfolgreiche Unternehmen arbeiten, oder dass Frauen selbst die Performance der Unternehmen verbessern? Vermutlich ist an allen drei Thesen etwas dran.

Die statistischen Befunde, auf die der Bericht hinweist, deuten darauf hin, dass Vielfalt in einem Unternehmen mit besseren Finanzergebnissen und höheren Aktienmarktbewertungen einhergeht, doch die Credit Suisse räumt ein, dass sie die Frage nach der Kausalität nicht beantworten kann. Dies schränkt die Aussagekraft der Beobachtungen in der Studie stark ein.

Der Rest des Artikels wurde nicht geändert. Aber immerhin: Wer heute auf die Studie stößt und den Artikel liest, wird nicht mehr ganz so stark in die Irre geführt …

Der Originaltext der Studie (PDF) ist für diejenigen interessant, die sich wirklich ein Bild von dem Sachverhalt machen wollen. Eine Kausalität zwischen Unternehmenserfolg und Frauenanteil in Führungsgremien wird dort nicht nachgewiesen …


Durch Zufall habe ich eine Seite des Schweizer Fernsehens gefunden, auf der man Korrekturen von offensichtlich falschen Moderationstexten oder Meldungen dauerhaft veröffentlicht. So wurde dort im Original folgendes angesagt:

„Die Katastrophe von Fukushima hat weitreichende Folgen. In vielen Ländern ist der Ausstieg aus der Atomenergie inzwischen beschlossene Sache, auch in der Schweiz.“

Und korrigiert:

Diese Aussage ist nicht korrekt. Nur wenige Länder haben sich für den Atomausstieg entschieden, und nur in einzelnen Ländern steht dieser Entscheid in direktem Zusammenhang mit Fukushima. […]

Das ist immer noch weit entfernt von der Realität: viele neue Atomkraftwerke sind weltweit im Bau und deren Betreiberländer denken nicht im Traum an einen Ausstieg. Aber es ist immerhin die Korrektur eines Fehlers.


Wäre das in unseren öffentlich-rechtlichen Medien so möglich? Die »Tagesschau« hat einen ähnlich falschen Satz über die Opfer der Tsunami- und Erdbebenkatastrophe verbreitet und meines Wissens nie auf diese eindeutige Weise korrigiert.

Immerhin steht die Korrektur beim Schweizer Fernsehen bis heute so im Netz, auf der Seite der »Tagesschau« habe ich nichts gefunden. Ich lasse mich gern korrigieren, aber die Fehlerkultur der Schweizer scheint wesentlich weiter entwickelt zu sein als die Fehlerkultur der Deutschen.

Bevor es zu Missverständnissen kommt: Das soll kein Artikel sein, in dem die Schweiz oder die Schweizer idealisiert werden. Die Überschrift soll auch kein Stereotyp transportieren. Aber mich faszinierte an diesen Fällen, dass es auch eine andere Fehlerkultur als in deutschen Medien geben kann. Hier werden vor allem im Umgang mit Statistiken laufend Fehler gemacht – und nahezu immer unter den Tisch gekehrt.



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Ein Schlagertext, der »Islamische Staat« und jede Menge Unverständnis

20. Oktober 2014

Die Theologin und Feministin Antje Schrupp möchte mit ihrem gestrigen Artikel begründen, warum »Frauen auch nicht von Natur aus Feministinnen« seien. Als Einleitung wählt sie eine Zeile aus einem Schlagertext:

»Du machst mich zu einem besseren Mann«

Seit Otto Waalkes‘ genialer Wort-zum-Sonntag-Parodie »Theo, wir fahrn nach Lodz« wissen wir, dass diese unselige Kombination aus Schlager und Glaubensbekenntnis nur scheitern kann. Otto begann sein »Wort zum Sonntag« mit diesen Zeilen:

Wir alle haben unsere Sorgen und Nöte und lassen uns nicht mit billigem Trost über die Last des Alltags hinwegtäuschen. Aber als ich neulich in meiner Musikbox blätterte, da stieß ich auf folgende kleine Zeile: »Theo, wir fahr’n nach Lodz«. …


Bei Antje Schrupp sieht die Einleitung nicht viel anders aus:

Ich komme in die Küche und da läuft im Radio ein Schlager. Eine Art Liebeslied soll das wohl sein, gesungen von einem Er, adressiert an eine Sie. Die Refrainzeile: »Du machst mich zu einem besseren Mann«.

Otto Waalkes und Antje Schrupp haben nun eine interessante Gemeinsamkeit: Das kalkulierte Missverständnis der Schlagerzeile. Antje Schrupp gruselt es aus zwei Gründen:

Erstens werde hier das alte Geschlechterarrangement abgefeiert, wonach Frauen in einer heterosexuellen Beziehung die Aufgabe haben, die »Qualität des Mannes« sicherzustellen.

Zweitens sei es gruselig, dass vielen Frauen diese Zeile gefalle, weil sie sich gerne in dieser Rolle sähen: Den Mann zu einem besseren Mann zu machen. Das sei ein Teil der »patriarchalen romantischen Liebeserzählung«.


Ach wenn’s mich doch gruselte!

Was Antje Schrupp nicht verstehen kann oder nicht verstehen will: Eine auf Dauer angelegte Beziehung zwischen Mann und Frau, zwischen zwei Frauen oder zwei Männern ist immer auch eine gemeinsame Entwicklung.

Die banale Schlagerzeile ist in Wahrheit Teil eines Dialogs: Du bringst mich voran und ich bringe Dich voran. Wäre das nicht so, könnten wir ja alle allein leben.

Natürlich wird dieses »Geschlechterarrangement« künstlerisch verwertet, seit der Mensch Zeit und Gelegenheit hatte, so etwas wie Kultur zu entwickeln. Im Theater der alten Griechen, in den Satiren der Römer, im Decamerone, in den großen Opern und kleinen Operetten – und irgendwann eben auch im Schlager.


Eine Schlagerzeile reicht Antje Schrupp natürlich nicht, um ihre These zu stützen. Sie greift zum ultimativen Beweis, indem sie sich der Rolle von Frauen im »Islamischen Staat« zuwendet:

Später lese ich einen Artikel über die brutale Herrschaft des „Islamischen Staats“, in dem steht, dass es dort Frauen sind, die die Aufgabe übernehmen, andere Frauen zu disziplinieren. Das ist ja kaum zu glauben, denn noch frauenverachtender als beim IS kann ein Patriarchat doch gar nicht aussehen.

Hier unterliegt die Autorin einem Trugschluss. Die Herrschaft des IS ist nicht in erster Linie ein Patriarchat. Es handelt sich um eine Herrschaft des Terrors unter dem Vorwand einer besonders radikalen und extremen Art der islamischen Religion.

Es ist durchaus möglich, dass Frauen dabei im Sinne der Führung des IS agieren, aber dafür gibt es zwei wesentlich plausiblere Gründe als die Identifikation mit dem Patriarchat.

Ein Teil der Frauen dürfte es schlicht aus Angst um ihr eigenes Leben tun. Wenn diese Frauen Morde und Folter miterleben mussten, werden sie schon aus dem Überlebenswillen heraus jede Regel akzeptieren und wohl auch durchsetzen.

Aber es ist natürlich auch denkbar, dass sich Frauen mit den Machtzielen des IS so stark identifizieren, dass sie also freiwillig bei der Machtausübung mitmachen.

Dass sich Frauen im Herrschaftsgebiet des IS besonders tiefgreifende Gedanken über die Wirkmechanismen des Patriarchats machen, halte ich allerdings für eher für unwahrscheinlich.


Aus der Schlagerzeile und aus ihrer Interpretation der Herrschaft des IS über Frauen leitet Antje Schrupp in der Folge nur noch Banalitäten ab.

Sie unterstellt beispielsweise, dass viele Frauen »einen solchen Kampf [gegen das »Patriarchat«] gar nicht kämpfen, sondern sich mit dem Bestehenden arrangieren oder es sogar gut finden«.

Das könnte allerdings auch daran liegen, dass es in modernen Beziehungen gar kein frauenverachtendes und unterdrückendes »Patriarchat« mehr gibt, das zu bekämpfen wäre: Beide Teile sind relativ selbständig und grundsätzlich im Fall einer Trennung auch für das Alter abgesichert.

Das »Bestehende« ist eben hierzulande für die meisten Frauen und Männer nicht der Horror, den Antje Schrupp imaginiert. Das liegt schlicht daran, dass der Zwang und die materielle Abhängigkeit in heutigen Ehen oder Partnerschaften weitgehend weggefallen sind. Wer den Artikel von Antje Schrupp zu Ende liest, kann nur mit Otto Waalkes konstatieren:

»Da fiel es ihm wie Schuppen aus den Haaren. Und sollte nicht auch einer von uns, oder morgen, oder heute, oder vielleicht nicht. Wer weiß. Schönen guten Abend. «



Buridans Pferd und andere Bilder von einem Ausflug nach Pillnitz

19. Oktober 2014


Rund um Pillnitz (19.10.2014):
Bilder vom Spaziergang am späten Vormittag …


Herbstfarbenmix im Botanischen Garten (1)

19. Oktober 2014

Botanischer Garten Dresden (18.10.2014):
Bilder vom Rundgang kurz vor der Schließung …


Deo? Gratias!

14. Oktober 2014

Die Dresdner Lokalzeitung DNN hat sich zum Zweck der Produktwerbung ein ganz neues Format ausgedacht. Es gibt dort nicht nur »Sonderbeilagen« und »Verlagssonderveröffentlichungen« und die furchtbar peinliche Stichwortgeberei einer Journalistin im sogenannten »Canaletto-Gespräch«. Als immer noch zahlender Abonnent der DNN durfte ich gestern im redaktionellen Teil(!) die Werbeform

An dieser Stelle berichten wir regelmäßig über neue und ungewöhnliche Produkte.

kennenlernen. Und glauben Sie mir: Das Vergnügen war ganz auf der Seite der DNN.


Gestern wurde das Salbei-Deo des Herstellers Weleda vorgestellt. Der Artikel ist so aufgebaut:

Einleitung: Was ist ein Deo und wo tut es gut?

Unsicherheit erzeugen: Viele Deos enthalten Aluminium. Aluminium kann Folgen wie Krebs und Alzheimer haben.

Produkt vorstellen und loben: Das Salbei-Deo enthält kein Aluminium und ist auch sonst OK.


Was sagt das Bundesinstitut für Risikobewertung wirklich über Aluminium in Kosmetika, die auf die Haut aufgetragen werden? Dafür gibt es ein Risikoprofil (Seite 2). Zusammenfassung:

Die Wahrscheinlichkeit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung bei der Verwendung eines aluminiumhaltigen Antitranspirants wurde mit »Möglich« eingeschätzt.

Als Schwere der gesundheitlichen Beeinträchtigung gibt das Amt an: »Keine unmittelbare Beeinträchtigung«.

Die Aussagekraft der vorliegenden Daten ist gering: Zahlreiche wichtige Daten fehlen oder sind widersprüchlich. Das Bundesamt fasst zusammen:

Ein kausaler Zusammenhang zwischen der erhöhten Aluminiumaufnahme durch Antitranspirantien und der Alzheimer-Krankheit bzw. Brustkrebs konnte trotz einer Reihe entsprechender Studien aufgrund der inkonsistenten Datenlage wissenschaftlich bisher nicht belegt werden.

Aus Sicht des BfR besteht vor allem Forschungsbedarf hinsichtlich der tatsächlichen Aufnahmemenge von Aluminium über die Haut. Außerdem fehlen dem BfR Daten für eine Risikobewertung von Aluminium nach langfristiger dermaler Exposition. Erst mit solchen Informationen kann eine abschließende gesundheitliche Risikobewertung zu aluminiumhaltigen Antitranspirantien und weiteren aluminiumhaltigen Kosmetika vorgenommen werden.


Das herauszufinden hätte natürlich ein paar Minuten Recherche gekostet. Aber wozu soll sich ein Qualitätsjournalist den schönen Artikel mit Recherche kaputtmachen? Er schreibt:

Denn das Bundesinstitut für Risikobewertung rät zur Vorsicht: Ein Zuviel des Leichtmetalls im Körper könnte Krebs und Alzheimer zur Folge haben. Aluminiumsalze stecken in vielen Deos, denn sie verstopfen die Schweißdrüsen und sind daher hocheffiziente Geruchshemmer. Aus Sicherheitsgründen greifen viele jetzt aber zur alufreien Alternative.


Ironie der Geschichte: Der Hersteller Weleda nutzt unter anderem Tonerde. Darin sind Magnesium, Aluminum und Silicate enthalten. Wenn man also anderweitig Tonerde auf die Haut aufträgt oder in Kosmetik verwendet, ist Aluminium plötzlich wieder akzeptabel. Im After-Shave-Balsam ist Aluminium enthalten, aber im Deo nicht …


Vielleicht sollte ich auch noch kurz erklären, was das »Canaletto-Gespräch« ist: Am Samstag wird auf der ersten Seite des Lokalteils der untere Teil abgetrennt und in ganz kleiner Schrift als »AnzeigenSpezial« gekennzeichnet. Diese typographische Meisterleistung sieht etwa so aus (Klick auf das Bild vergrößert):

Die Kategorie »Canaletto-Gespräch« in der Wochenendausgabe der DNN …

Die Kategorie »Canaletto-Gespräch« in der Wochenendausgabe der DNN …

Das Format »AnzeigenSpezial« ist so aufgebaut: Eine Autorin aus dem redaktionellen Teil der Zeitung gibt Stichworte und ein »Gast« darf sich darstellen. Für Sie getestet:

Ein Interview mit einer Lokaljournalistin als »AnzeigenSpezial« …

Ein Interview mit einer Lokaljournalistin als »AnzeigenSpezial« …

Dabei stellen sich für mich zwei Fragen: Wie stark dürfen sich die Tätigkeiten Journalismus und PR miteinander verbinden? Und: Wie unabhängig kann eine Lokalredaktion über Interviewpartner eines solchen Gesprächs berichten, wenn mit dem Unternehmen mal etwas schiefgeht?



Die glücklichen Dresdner und ihre glückliche Oberbürgermeisterin …

12. Oktober 2014

In der Diskussion über die Sperrung der historischen Augustusbrücke hat der Grünen-Stadtrat Thomas Löser von der Gefahr einer »Stadt ohne Visionen« gesprochen. Eine Stadt ohne Visionen sei eine traurige Stadt. Nun gibt es ja unterschiedliche Arten von Visionen, aber ganz unrecht hat er nicht.


Die Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz stieg sofort nach dem Debattenbeitrag in freier, unvorbereiteter Rede auf die Aussage Lösers ein. Hier ist mein Transkript aus dem Video Nr. 3 etwa ab Minute 15:00.

Orosz: Herr Löser, eine Korrektur erlaube ich mir zu Ihrer Formulierung »eine Stadt ohne Visionen ist eine traurige Stadt«. Ich weiß nicht, von welcher Stadt Sie sprechen.

Es gab eine aktuelle Umfrage in einer Zeitung hier in Dresden, vor kurzem, zum wiederholten Male, dass über zwei Drittel der Dresdner Bevölkerung glücklich sind in Dresden – ich weiß nicht, von welcher Stadt Sie sprechen.

kurze Pause mit Zwischenrufen

Das müssen Sie einfach nur zur Kenntnis nehmen!

Zwischenrufe (offenbar Einwände zur Umfrage)

Ja, jetzt, jaaaa – die Journalisten haben das falsch gemacht, und überhaupt, und alles, aber irgendwann müssen Sie es doch mal zur Kenntnis nehmen.


Selbst wenn die Umfrage der »Sächsischen Zeitung« statistisch seriös wäre (was sie nicht ist), zeigt der Beitrag von Frau Orosz aus meiner Sicht, warum sich die CDU nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger umschauen sollte:

  1. Wir haben eine Oberbürgermeisterin, die ihre politischen Einsichten aus plakativ aufbereiteten Umfragen einer Lokalzeitung bezieht.
  2. Wir haben eine Oberbürgermeisterin, die nicht in der Lage ist, auf einen sachlichen Einwand eine sachliche Antwort zu geben.

Ich will im folgenden kurz erklären, warum jeder politische Bezug auf die Ergebnisse der Glücksumfrage der »Sächsischen Zeitung« äußerst fragwürdig ist.


Problem 1: Die Selbstauswahl

Diese Umfrage beruhte auf dem Prinzip der Selbstauswahl. Die Leserinnen und Leser hatten drei Möglichkeiten: Sie konnten an der Umfrage überhaupt nicht, einmal oder mehrfach teilnehmen.

Um sich für eine der drei Möglichkeiten zu entscheiden, mussten sie natürlich erst einmal wissen, dass die Umfrage stattfindet. Sie mussten auch in der Lage sein, im Web oder auf dem Papier an der Umfrage teilzunehmen. Allein anhand dieser Voraussetzungen wird schon eine Vorauswahl getroffen.

Dazu kommt: Das Verbreitungsgebiet der Sächsischen Zeitung entspricht nicht der Fläche des Freistaats. Es gibt zwei große Gebiete mit anderen flächendeckend verbreiteten Zeitungen. Die Umfrage kann also nicht »Glückliche Sachsen« heißen, sondern allenfalls »Glückliche Sachsen im Verbreitungsgebiet der Sächsischen Zeitung«.

Selbst wenn wir davon ausgingen, dass alle erwachsenen Bürger Sachsens von der Umfrage erfahren hätten: Eine Umfrage, bei der sich die Teilnehmer aus eigener Entscheidung einmal oder mehrfach einbringen können, ist aus Sicht der Politik und aus Sicht der Sozialwissenschaft wertlos. Eine Stichprobe, die durch völlig unkontrollierte Selbstauswahl (auch noch teilweise online) gebildet wird, kann nicht repräsentativ sein.

Problem 2: Die Auswertung der Ergebnisse

Selbst bei einer wissenschaftlich korrekten und für alle Sachsen repräsentativen Umfrage wäre es statistisch falsch, die Ergebnisse auch noch nach dem Wohnort der Befragten auszuwerten. Denn für die Wohnorte der Befragten ist so eine Umfrage eben nicht automatisch repräsentativ. Profis wissen das – und gehen bei der Auswertung entsprechend sorgfältig zu Werke.

Noch weniger Sinn hat also eine Aufteilung der Ergebnisse der Glücksumfrage auf die einzelnen Städte und Kreise des Verbreitungsgebiets der Zeitung. Der größte anzunehmende Unsinn ist eine Aufteilung auf einzelne Stadtteile und Ortschaften der Stadt Dresden. Selbst davor ist die Zeitung nicht zurückgeschreckt.

Die Berichterstattung über die Umfrage zog sich in der Sächsischen Zeitung über viele Ausgaben hin. Hier ist eine Auswahl der Überschriften:

  • Freunde und Geld machen Sachsen glücklich
  • Beim Liebesleben oft nur Durchschnitt
  • Familie ist das größte Glück der Riesaer
  • Den Bautzenern fehlt was zu ihrem Glück
  • Der Osten nimmt Abschied von der Ostalgie

Alle diese Überschriften kann man so, wie sie sind, in die Blaue Papiertonne werfen. Keine davon hat einen statistischen, politischen oder sozialwissenschaftlichen Wert.

Wir werden in den nächsten Jahren in der Stadt große Probleme zu bewältigen haben. Es tut mir leid für das bürgerliche Lager in Dresden, aber eine Oberbürgermeisterin, die sich von solchen Umfragen politisch beeinflussen und beeindrucken lässt, ist hier völlig fehl am Platze.


Quellen und weiterführende Links



Zum »Tag gegen die Todesstrafe«

11. Oktober 2014

Ein kurzer Anstoß zum Thema Todesstrafe. Mich beschäftigt gerade eine Studie zu den Einstellungen der Muslime in vielen Staaten der Welt. Sie kommt vom renommierten PewResearch-Institut. Es gibt eine Zusammenfassung mit teilweise überlagerten Daten und dazugehörigen Grafiken.

Diese Zusammenfassung wird von manchen Kommentatoren herangezogen, um zu beweisen: Muslime sind für die Todesstrafe, weil der Islam für die Todesstrafe ist.


Ich habe mir die Rohdaten und die Fragestellungen angeschaut. Ich bin heute Abend zu müde, um darüber einen langen Artikel zu schreiben. Aber die Fragen zu Todes- und Körperstrafen möchte ich noch kurz darstellen. Die befragten Muslime konnten zustimmend oder ablehnend antworten:

  • Q92b: the death penalty for people who leave the Muslim religion
  • Q92c: punishments like whippings and cutting off of hands for crimes like theft and robbery
  • Q92d: stoning people who commit adultery

Es gibt in der Tat erschreckende Zahlen in der Studie. Von allen Befragten, die sich als Muslime bekannt haben, sind in Pakistan 75% und Afghanistan 79% für die Todesstrafe bei Abkehr vom Islam (Q92b). In diesen beiden Ländern würden auch weit über 80% eine Frau zu Tode steinigen, weil sie (möglicherweise!) Ehebruch begangen hat.

Auf der anderen Seite ist es frappierend, wie stark die Daten in ein und derselben Religion streuen. In manchen Ländern stimmte der Aussage Q92b fast niemand zu: 2% sind es in Albanien, 3% im Kosovo und 4% in Bosnien-Herzegowina, 9% in der Türkei.


Also kann es nicht an der Religion allein liegen, sondern es muss andere Einflüsse geben: Rechtsstaat, Trennung von Religion und Staat, Demokratie, Kultur und Bildung sowie wahrscheinlich auch Wohlstand durch eigene Arbeit.

Mir gibt das zu denken. Gerade am Tag gegen die Todesstrafe. Auch der Islam kann die Phase der Aufklärung durchlaufen, die das Christentum lange hinter sich hat. Auch Muslime können in manchen Ländern mit großer Mehrheit zu der Überzeugung gelangen, dass man die Abkehr von ihrer Religion nicht mit dem Tode bestrafen sollte.

Man sollte nie vergessen: Vor einigen hundert Jahren brannten bei uns die Scheiterhaufen, weil Menschen beschuldigt wurden, sich von ihrer Religion abzuwenden. Und das war nicht die muslimische.



Anmerkungen zum #Aufschrei-Buch (4): Hat jemand einen Hinweis auf konstruktiven Dialog?

10. Oktober 2014

Ich hätte zu der Diskussion ja noch eine ganz einfache Frage: Ist denn irgendwo eine Debatte dokumentiert, in der die #Aufschrei-Initiatorinnen (speziell Frau Wizorek) überhaupt auf sachliche Gegenargumente eingegangen sind?

Dass es diese sachlichen Gegenargumente gibt, sollte unumstritten sein. Sie kommen sowohl von Männern als auch von Frauen. Speziell auf Twitter haben sich auch Frauen deutlich und sachlich kritisch gegenüber dem Radikalfeminismus geäußert. Mir ist aber kein Fall bekannt, in dem sich daraus eine sachliche Diskussion ergeben hätte.

Übersehe ich etwas? Ich bin dankbar für Hinweise!


Ein anderes Beispiel: Ich habe jetzt über ein halbes Jahr den Twitter-Account von Christina H. Sommers verfolgt und bin stichprobenartig einigen Dutzend Verweisen gefolgt.

Frau Prof. Sommers setzt sich unter anderem kritisch mit Statistiken und Studien des radikalen Feminismus auseinander – und man kann ihr nun wirklich kein »hate speech« und keine Misogynie nachweisen. Die einzige mir bekannt gewordene Auseinandersetzung der Genderfeministinnen mit Sommers’ Argumenten ist eine Buchverbrennung im Kamin.


Zweifellos werden die Diskussionen im Netz durch Beleidigungen, Mobbing und »hate speech« gestört. Man diskutiert gerade in dieser Woche, ob man die Täter (gibt es auch weibliche?) nun als Trolle, Orks oder Hater bezeichnen soll. Mir fehlt da übrigens eine Kategorie: Der nützliche Provokateur (»agent provocateur«).

Mir scheinen Artikel wie dieses Lexikon der Hater auch ein Teil der Selbst-Immunisierung gegen Kritik zu sein. Denn die Fehler der eigenen Seite werden dabei konsequent ausgeblendet und es gibt auch dort keine Hinweise, unter welchen Umständen die Autorin denn einen Dialog führen würde.

Aber eigentlich will ich wissen: Wo bleiben die Diskussionen auf einer vernünftigen Ebene? Polarisiert das Thema so stark, dass wir dazu nicht mehr in der Lage sind? Die Presse hat in Bezug auf das #Aufschrei-Buch leider absolut nichts zu bieten – gibt es denn doch eine Chance für eine bessere Diskussion im Netz?



Anmerkungen zum #Aufschrei-Buch (3): Differenzierte und weniger differenzierte Beiträge im Netz

8. Oktober 2014

Das peinlichste Beispiel für schlechten Journalismus lieferte die Frankfurter Rundschau: Es ist ein Interview, das distanzloser nicht sein könnte und das sich auf reine Stichwortgeberei beschränkt. Es wird von der Journalistin Katrin Gottschalk geführt, die selbst als Chefredakteurin einer feministischen Zeitschrift tätig ist.

Diese Interessenlage wird von der »Frankfurter Rundschau« natürlich nicht offengelegt. So wird das Interview zur Farce und es sind keine auch nur annähernd differenzierten Betrachtungen zu erwarten. [Hinweis: Die Seite wurde leider schon nach wenigen Stunden wieder vom Netz genommen und ist momentan (08.10.2014, 22.20 Uhr) nicht zu finden.]

[Nachtrag 09.10.2014: Der Twitter-Account @FRonline hat sich in zwei Tweets zu dem Thema geäußert.]

»Der Artikel ist versehentlich online gegangen und wurde daher wieder gelöscht.«

»Es gibt Artikel, die bieten wir nur im Print, in der App und im E-Paper an. Dieser gehört dazu.«


Ein kurzer Podcast von Harald Martenstein ist dagegen sehr hörenswert. Er sagt zwei Autorinnen aus dem #Aufschrei-Kollektiv: »Sie sind das Establishment von heute.« Und das Establishment darf man (muss man!) in einer freien Gesellschaft kritisieren können.

In dem Podcast wird eine Forderung angesprochen, die mir gar nicht aufgefallen war. Die Frauenministerin Manuela Schwesig wollte die Bahn zwingen, mehrere hundert Frauen auf nutzlosen Bürokratie-Posten als sogenannte Gleichstellungsbeauftragte einzustellen [Männer werden dabei von vornherein diskriminiert]. Das hätte bei sehr vorsichtig kalkulierten 60.000 Euro Gesamtkosten pro Stelle mal eben 57 Millionen Euro pro Jahr gekostet. Zitat aus dem SPIEGEL:

Für Ärger sorgt auch die Forderung nach mehr Gleichstellungsbeauftragten. Das Verteidigungsministerium hat ausgerechnet, dass es dafür die Stellen von 100 auf 200 verdoppeln müsste. Der Staatsbetrieb Deutsche Bahn kalkuliert für die Tochterfirmen mit mindestens 960 neuen Stellen.

Nun ist es nicht soweit gekommen, weil die CDU-Ministerien aufgepasst haben. Aber der Versuch ist schon erschreckend. Das ist eine teure Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu Lasten der Bürger, die einfach nur mit der Bahn fahren und nicht noch mehr teure Bürokraten durchfüttern wollen. Zumal Bürokraten ja oftmals auch noch die Leistungsprozesse lahmlegen, um eine Existenzberechtigung zu behalten …


Ein interessantes Stück über das #Aufschrei-Buch stammt von einer Leser-Autorin des »freitag«: Marlen Hobrack schreibt kenntnisreich über die Vorgeschichte und legt einige Schwächen des #Aufschrei-Buchs offen.

Lucas Schoppe stellt das ganze #Amazongate ironisch in historische Zusammenhänge und wird dann aber ernst:

Die krankhafte rhetorische Aufrüstung, die sich bei Seemann, Stefanowitsch und anderen – auch auf der Seite der Kritiker Wizoreks – findet, hat eigentlich nur eine Konsequenz: nämlich die, dass sachliche Kritik völlig untergeht.


Zum Schluss noch ein Hinweis von Harald Martenstein an die Radikalfeministinnen: »Behandeln Sie Ihre Kritiker einfach so fair, wie Sie selbst behandelt werden möchten.« – Tja, Frau Wizorek, wie kommen Sie jetzt aus dieser Nummer raus?

Abstruser Vorwurf. (Klick vergrößert).

Abstruser Vorwurf. (Klick vergrößert).


PS (1): Die Verkaufszahlen bei Thalia (Rang 5.150) und Amazon (Rang 9.676) lassen nicht auf einen Verkaufsschlager schließen. Worüber reden wir hier eigentlich? Über einen Luftzug im Elfenbeinturm?


PS (2): Dieser Artikel hat zwei Vorgänger: Im ersten Artikel ging es um die einseitige Wahrnehmung von Sexismus in der Politik und im zweiten unter anderem um die Umgangsformen der radikalen Gender-Aktivist*Innen mit anderen Menschen.


PS (3): Arne Hoffmann setzt derweil das »maskulistische« Stilmittel Sarkasmus ein, um die Entscheidung der Frankfurter Rundschau zu kommentieren.



Anmerkungen zum #Aufschrei-Buch (2): Wie geht man miteinander um?

7. Oktober 2014

Als ich mich mit dem Ausschnitt über die männlichen Verbündeten des Radikalfeminismus befasst habe, ist mir eine verblüffende Parallele aufgefallen.

Es ist interessant, wie religiöse Fundamentalisten mit Frauen und auch radikale Feministinnen mit Männern umgehen. Folgendes Muster passt frappierend auf beide:

  1. Halt den Mund. Hör mir zu. Und zwar richtig.
  2. Du trägst Schuld. Du trägst große Schuld.
  3. Setze dich mit deiner Schuld auseinander.
  4. Ändere dein Verhalten. So wie ich es dir sage.
  5. Du kannst einen kleinen Teil deiner Schuld abtragen.
  6. Ich werde dir zeigen, was du dabei falsch gemacht hast.
  7. Gehe zurück zu Punkt 1.

In Frau Wizoreks Buch liest sich das laut einer Rezension in der taz so:

„Was es heißt, ein guter Verbündeter zu sein“, nennt sie ein Kapitel und dekretiert: „Hör zu. Und zwar richtig.“ – „Setz Dich mit Deiner eigenen Schuld auseinander.“ – „Ändere Dein Verhalten.“

Vergessen hat die Rezensentin noch die bemerkenswerte Zeile: »Du wirst verkacken und du wirst daraus lernen.« – Arne Hoffmann schreibt in seiner Rezension über das #Aufschrei-Buch treffend:

Als gleichberechtigtes Gegenüber bei Diskussionen auf Augenhöhe sind Männer in Wizoreks Welt nicht vorgesehen.


Gemeinsam ist den religiösen Fundamentalisten und den radikalfeministischen Aktivistinnen: Sie wähnen sich im Besitz der absoluten Wahrheit. Sie setzen auf das Prinzip der Sünde und Schuld. Sie maßen sich die Definitionshoheit über die Fehler und die Befehlshoheit über das Verhalten anderer Menschen an.

Gemeinsam ist ihnen aber auch: Mit diesen Methoden können sie die Motivation ihrer Anhängerschaft nicht erhalten und sie werden kaum Anhänger gewinnen.

So motiviert man niemanden. So schreckt man nur ab. Das Ergebnis: Auf Twitter melden sich viele emanzipierte, kluge, qualifizierte Frauen zu Wort – und distanzieren sich hart von den Thesen der radikalfeministischen Blase um Frau Wizorek.


Die fundamentalistische Diskussionsweise radikaler »Genderist*Innen« hat vor einigen Tagen sogar die Chefredakteurin einer feministischen Zeitschrift auf die Palme gebracht. Sie schreibt in einem anderen Zusammenhang über diese Diskussions(un)kultur:

Das ist sehr viel schwieriger für mich geworden, seit sich in unseren aktivistischen Zirkeln eine “call out culture” etabliert hat, die sehr schnell zu sehr hohen Wellen von Entrüstung und persönlichen Angriffen gegen diejenigen führt, die aus Ignoranz oder Achtlosigkeit Regeln missachtet, einen falschen Ausdruck verwendet, oder sich anderer “Vergehen schuldig” machen.

Diese Dynamik verbreitet Angst innerhalb unserer eigenen Community, weil jede fürchten muss, für irgendeine unbeabsichtigte Ignoranz als nächste im Auge des Sturms zu landen und sozial geächtet zu werden. Zu unreflektiert, zu wenig radikal, keine “gute” Feministin.

[Nachtrag: Bei »Alles Evolution« wird über diesen Artikel diskutiert.]


Das bestätigt meine Beobachtung: Ausgrenzung, Anfeindungen und Fundamentalismus bringen uns nicht weiter. Zuletzt also ein Plädoyer für den Ausgleich:

[…] dann kann ein Feminismus von heute … oder vielleicht von morgen? … nur der sogenannte Equity-Feminismus sein, der die Anliegen beider Geschlechter ernst nimmt und sich keine Definitionshoheit anmaßt, welche Sorgen und Probleme zählen (die der Frauen) und welche nicht (die der Männer).
[Arne Hoffmann am Ende seiner Rezension bei Amazon.]



Anmerkungen zum #Aufschrei-Buch (1): Sexismus in der Politik

7. Oktober 2014

Das Buch »Weil ein #Aufschrei nicht reicht« ist via Google-Books in Auszügen verfügbar. Ich werde mich mit einigen Aussagen dieses Buchs beschäftigen. Zu Beginn ein Faktencheck zum Thema Sexismus in der Politik. Frau Wizorek schreibt:

Insofern ist eine weibliche Bundeskanzlerin dann zwar eine Errungenschaft,  aber auch ein Problem, weil die noch bestehenden Probleme dahinter verschwinden (oder versteckt werden). Dabei sind ja auch eine Angela Merkel oder eine Ursula von der Leyen nicht vor Sexismus geschützt, wenn sie als »Mutti« oder »Truppenursel« bezeichnet werden. War Gerhard Schröder etwa unser »Papi«? Oder wurde Thomas de Maizière »Kasernen-Thommy« genannt?

[Das Zitat findet sich im Auszug von Google-Books am Ende des Abschnitts 3.]

Was uns die Autorin damit sagen will: Politikerinnen sind Sexismus ausgesetzt. Bei Politikern kann das aufgrund des »strukturellen Problems« Patriarchats nicht vorkommen.


Mir erscheint ja schon auf den ersten Blick nicht logisch, warum das Nennen des Vornamens in Verbindung mit einem politischen Amt oder einer Tätigkeit sexistisch sein soll.

Mir fällt zu Gerhard Schröder sofort der Spitzname »Gas-Gerd« ein, den er nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Bundeskanzlers wegen seiner Verbindung mit dem russischen Gaskonzern angeheftet bekam. Ganz sicher wurden auch andere Politiker so kumpelhaft benannt …


Es gibt aber zwei Personen, an deren Beispiel man Frau Wizorek noch viel besser widerlegen kann.

Helmut Kohl

Helmut Kohl war (zu) viele Jahre Kanzler dieses Landes. Er wurde von vielen Linken und einem großen Teil der Journalisten als »Birne« bezeichnet. Karikaturen mit Kohl in Birnenform waren nicht nur in der »Titanic«, sondern in fast allen überregionalen und regionalen Tageszeitungen zu finden.

Nach den ethisch-moralischen Maßstäben der Autorin Anne Wizorek und ihrer RadFem-Kolleginnen ist das Blamieren eines Menschen aufgrund seiner Figur »Fat Shaming«. Ein ganzes Kapitel ihres Buches ist dem Thema Sexismus und Körperlichkeit gewidmet.

Gegenüber Frauen ist »Fat Shaming« natürlich absolut unzulässig. Wenn aber die Presse eines ganzen Landes über mehr als ein Jahrzehnt die birnenförmige Figur[1] des Kanzlers verspottet, kann Frau Wizorek das problemlos aus ihrer Realität und ihrem Buch ausblenden.


Angela Merkel

Auch wenn es einige Jüngere wundern mag: Angela Merkel war nicht immer Kanzlerin dieses Landes. Ich erinnere mich sehr gut an die Zeit, als sie Kanzlerkandidatin wurde. Es war die Zeit der ersten erbitterten Diskussionen in Blogs und Foren.

Die Anhänger der Rot-Grünen Koalition merkten damals, dass Angela Merkel ihrem Kanzler Gerhard Schröder gefährlich werden könnte. Plötzlich kam in Blogs und Diskussionforen wie aus dem Nichts die Bezeichnung »das Merkel« auf. Die Anhänger von Linken, Grünen und SPD haben Angela Merkel also als geschlechtsloses Neutrum bezeichnet, um sie so zu diskreditieren. Diese links-rot-grüne Zuschreibung war sexistisch.

Der Titel »Mutti« war dagegen nie sexistisch gemeint. Im Gegenteil: Frau Merkel hat sich diesen Titel erarbeitet, indem sie sich während ihres Aufstiegs mit Geschick durchgesetzt hat. Er war ursprünglich respektvoll gemeint und wird nun allmählich zu einer leeren Monstranz.


Fazit des kurzen Faktenchecks: Frau Wizoreks einseitige Aussagen über den Sexismus in der Politik halten einer Prüfung nicht stand. Sie konstruiert Sexismus, wo keiner ist (Vornamen in Verbindung mit Tätigkeiten). Sie weigert sich, den Sexismus gegenüber Männern zur Kenntnis zu nehmen. Sie ignoriert Sexismus, wenn er aus ihrem »linksprogressiven« Lager kommt.

An anderer Stelle in ihrem Buch behauptet die Autorin, dass nur das Handeln von Frauen mit Hormonen in Verbindung gebracht werde. Dabei ist das Netz voll mit Zitaten, in denen Männern durch Testosteron gesteuertes Verhalten unterstellt wird: Politikern, Führungskräften in der Wirtschaft, Prominenten …

Die Autorin unterliegt einem »selection bias«: Sie blendet alles aus, was ihr nicht ins Bild passt – und wenn schon die Analyse so schwach ist, können die Schlussfolgerungen des Buchs nicht besser sein.


In eigener Sache: Frau Wizorek hat den Autor dieses Artikels auf Twitter öffentlich als aktiven »Hater« diffamiert – ohne ihn zu kennen und ohne jeglichen Beleg. Dazu sind noch zwei kurze Sätze zu sagen: Ich habe nie »hate speech« verwendet und ich werde es nie tun. Das gilt für Tweets, für Artikel in Blogs und für jede andere Meinungsäußerung.


[1] Ich bekam den Hinweis, dass sich »Birne« weniger auf die Figur und mehr auf die Kopf/Hals-Form Helmut Kohls bezog. Am Thema »Fat Shaming« oder »Body Shaming« ändert das aber nichts. Das macht man weder mit Frau Merkel noch mit Herrn Kohl.