Zum »Tag gegen die Todesstrafe«

Ein kurzer Anstoß zum Thema Todesstrafe. Mich beschäftigt gerade eine Studie zu den Einstellungen der Muslime in vielen Staaten der Welt. Sie kommt vom renommierten PewResearch-Institut. Es gibt eine Zusammenfassung mit teilweise überlagerten Daten und dazugehörigen Grafiken.

Diese Zusammenfassung wird von manchen Kommentatoren herangezogen, um zu beweisen: Muslime sind für die Todesstrafe, weil der Islam für die Todesstrafe ist.


Ich habe mir die Rohdaten und die Fragestellungen angeschaut. Ich bin heute Abend zu müde, um darüber einen langen Artikel zu schreiben. Aber die Fragen zu Todes- und Körperstrafen möchte ich noch kurz darstellen. Die befragten Muslime konnten zustimmend oder ablehnend antworten:

  • Q92b: the death penalty for people who leave the Muslim religion
  • Q92c: punishments like whippings and cutting off of hands for crimes like theft and robbery
  • Q92d: stoning people who commit adultery

Es gibt in der Tat erschreckende Zahlen in der Studie. Von allen Befragten, die sich als Muslime bekannt haben, sind in Pakistan 75% und Afghanistan 79% für die Todesstrafe bei Abkehr vom Islam (Q92b). In diesen beiden Ländern würden auch weit über 80% eine Frau zu Tode steinigen, weil sie (möglicherweise!) Ehebruch begangen hat.

Auf der anderen Seite ist es frappierend, wie stark die Daten in ein und derselben Religion streuen. In manchen Ländern stimmte der Aussage Q92b fast niemand zu: 2% sind es in Albanien, 3% im Kosovo und 4% in Bosnien-Herzegowina, 9% in der Türkei.


Also kann es nicht an der Religion allein liegen, sondern es muss andere Einflüsse geben: Rechtsstaat, Trennung von Religion und Staat, Demokratie, Kultur und Bildung sowie wahrscheinlich auch Wohlstand durch eigene Arbeit.

Mir gibt das zu denken. Gerade am Tag gegen die Todesstrafe. Auch der Islam kann die Phase der Aufklärung durchlaufen, die das Christentum lange hinter sich hat. Auch Muslime können in manchen Ländern mit großer Mehrheit zu der Überzeugung gelangen, dass man die Abkehr von ihrer Religion nicht mit dem Tode bestrafen sollte.

Man sollte nie vergessen: Vor einigen hundert Jahren brannten bei uns die Scheiterhaufen, weil Menschen beschuldigt wurden, sich von ihrer Religion abzuwenden. Und das war nicht die muslimische.


6 Responses to Zum »Tag gegen die Todesstrafe«

  1. Gerlinde sagt:

    Tja, es ist viiielfach eine Bestaetigung f. ‚denken lassen und einfach hinterherlaufen/-paerren‘ ist sooo viel einfacher – mM ^^ -seufz!
    Btw.: ‚meine Muslime‘ hier sind – bis auf eine Ausnahme – auch aaalle selbststaendig, unabhaengig denkend inkl. nicht ’negativ interpretierend‘; dem Himmel sei’s gedankt. ABER: es rauscht auch hier ^^!
    Einziges Problem: wenn die ihren ‚Arsch‘ in ein anderes Land bewegen, muss sich doch glatt dieses fuer sie BIEGEN. In Umkehr – wenn ein Andersglaeubiger dasselbe in DERen meist orig. Herkunftsland beansprucht … Gute Nacht, mein Freund ^^!
    Heisst WAS fuer mich?
    Sorry, wenn ich zu dem Thema so brutal den Mund aufmache, aber als in Australien lebend bin ich der Meinung sagen zu duerfen, dass es – bis dato – nur eine winzige Minderheit gebuertiger Australier gibt und ansonsten ‚Auslaender mit Residency-Erlaubnis‘. Mit der Erteilung und/oder auch danach Genehmigung von dazugehoeriger Staatsbuergerschaft selbiger wurde die Annahme von ‚Einblendung, Anpassung, Toleranz und Neudenken‘ erwartet! NICHT dickschaedelig seine ‚alte Suppe‘ welcher man vermeintlich doch wohl entfliehen wollte, im neuen Land fast doppelt stark aufzukochen !
    Wenn ICH z.B. meinem britischen Nachbarn gegenueber zuuu sehr ‚deutsche‘, dann ist er mM seeehr berechtigt, mich darauf hinzuweisen, dass ich nicht hierher gepruegelt wurde und jederzeit wieder dorthin gehen kann, wovon ich gerade uebertemperamentvoll ‚fasele‘ dass dort ‚DAS Paradies‘ war/waere. So auch gueltig f. aaaalle anderen Nationalitaeten; inkl. Muslime. Diese mit ihren religioes bedingten aeusserlich sichtbar zu fuehrenden Anzeichen sollten vielleicht dann bitte VORher ueberlegen, OB und WIE sie in das Land ihrer Wahl einblenden wuerden – nicht umgekehrt, bitte!
    Ausserdem heisst Religionsfreiheit zwar, dass KEINE Regierung einem eine Religion vorschreiben sollte/darf, aber NICHT, dass eine Religion eine Regierung und DEREN Gesetze (= Vermummungsverbot z.B.) dominieren bzw. fuer nur teil-gueltig erklaeren kann. SO weit auch einmal zum Thema ‚Interpretation von Religionsfreiheit‘ !

    Sollte dies hier ‚zuuu starker Tobak‘ sein, bitte einfach loeschen!

    Ansonsten: danke f. kuerzliche Hilfe – muss ‚linken‘ erst noch lernen; sorry.

  2. Gerlinde hat uns einen tiefen Blick in anachronistisches und unmenschliches Denken gegeben, es war interessant, das wieder mal zu lesen …

    Lieber Stefanolix, aber auch Dein Weltbild in dieser Sache wundert mich. Wenn Du schreibst: „Auch der Islam kann die Phase der Aufklärung durchlaufen, die das Christentum lange hinter sich hat,“ dann klingt das unglaublich tolerant und klug.

    Du vergisst aber, dass es mindestens ein Volk gibt (hinter den sieben Meeren bei den sieben Bergen), dass die Todesstrafe noch immer vollstreckt – etwas unterschiedlich in den einzelnen Bundesstaaten – und dass diese Strafe explizit dort mit dem Christentum begründet wird. Ein Land, dass die sogenannten „christlichen Werte“ ständig als Argumentationshilfe gegen alles verwendet und für alles, in dem teilweise die biblische Entwicklungsgeschichte gleichgewichtig mit der darwinschen Evolutionslehre gelehrt wird, in dem sich Menschen nahezu ungestraft zum KKK zusammen rotten können …

    Wenn Du den Satz also änderst in: „Auch der Islam kann die Phase der Aufklärung durchlaufen, die das Christentum in Mitteleuropa lange hinter sich hat,“ dann wird er richtiger.

    Hören wir doch einfach auf, zwischen „christlich“ oder „islamisch“ zu unterscheiden und unterscheiden wir doch einfach zwischen „gut“ und „böse“, zwischen „richtig“ und „falsch“ bzw. zwischen „mensch(enfreund)lich“ und „unmenschlich“ …

    • stefanolix sagt:

      Bevor ich Gerlinde solches Denken unterstelle, würde ich doch gern nachschauen, ob dort nicht nur mit anderen Worten steht »Integration ist eine zweiseitige Angelegenheit!«


      Ja, in der USA wird die Todesstrafe ausgeführt. Ja, ich bin natürlich auch in den USA dagegen.

      Aber: Es ist im Wesentlichen eine Todesstrafe für Mord, also steht das Leben des Täters gegen das Leben des Opfers oder der Opfer. Dies muss jede Gesellschaft mit sich selbst ausverhandeln; einige Bundesstaaten der USA töten ja schon lange keine Mörder mehr. Deshalb würde ich für die USA gern differenzieren zwischen aufgeklärten Menschen (auch Christen) und unaufgeklärten Menschen (darunter einige Christen).

      In Q92b geht es dagegen um ein reines Gesinnungsdelikt  – die Abkehr von einem Glauben. Da man die Gesinnung eines Menschen nicht messen kann und in einem solchen Verfahren DNA oder Fingerabdrücke nicht weiterhelfen, reicht auch die Denunziation der Abkehr vom Glauben. Das ist schon meilenweit von den elementaren Menschenrechten auf Meinungs- und Glaubensfreiheit entfernt.

      In Q92c geht es in Wahrheit um nichts anderes als um den Besitz von Frauen. Männer werden m. W. für dieses Delikt niemals gesteinigt oder es sind jedenfalls fast alle Opfer Frauen. Die Gefahr einer Steinigung bedeutet: Die Frau wird zum rechtlosen Objekt, wenn sie nicht das große Glück hat, dass sie aus einer zur Hilfe fähigen und bereiten Familie kommt.

      • Keine Frage, dass Q92c grausam ist. Aber das wollte ich auch nicht relativieren. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass im Namen des Christentums in vielen Bundesstaaten der USA Menschen hingerichtet werden, dass im Namen des Christentums andere politische Entscheidungen getroffen wurden, bei denen es uns Mitteleuropäern schlichtweg „die Schuhe auszieht“.

        Und in diesem Zusammenhang fand ich es zu kurz gesprungen, dem Islam „Lernfähigkeit“ zu erhoffen, eine „Lernfähigkeit“, die „das Christentum“ schon hinter sich hätte.
        Und das stimmt eben nur in Teilen.

        Zudem war es ein Appell daran, Menschen, Gruppen, Staaten und Organisationen nach dem zu beurteilen, was sie tun und nicht in eine christliche, muslimische oder sonstige „Schublade“ zu pressen.
        Muslime haben es sehr schwer in unserer Gesellschaft. Einzelne, wenige, die plakativ und medienwirksam schlimme Dinge tun, deren Taten werden auf die gesamte „Schublade“ verteilt.
        Würde man das gleiche mit anderen Gruppen tun, kämen merkwürdige Resultate raus. Aber die Islamophobie hat ja auch durchaus wirtschaftliche und politische Vorteile für unsere Gesellschaft, daher wird sie gerne verwendet.

        Ich wollte aber keinesfalls die Sharia verharmlosen oder gutheißen. Meine Tochter war für einige Monate dieses Jahr auf Sumatra, in Medan. Etwas weiter im Norden, in Aceh, gilt auch die Sharia. Ein Grund, diese Gegend zu meiden.

      • stefanolix sagt:

        Wo wird denn in den USA »im Namen des Christentums« jemand hingerichtet? Das würde mich nun doch interessieren. In den USA werden Menschen im Namen der Vergeltung hingerichtet – und das ist Altes Testament. Das Christentum kennt in seiner ursprünglichen Lehre gar keine Blutrache. Es war ja im Gegenteil eine Lehre zur Überwindung der Blutrache.

        Wenn heute in den USA als Vergeltung eines Mordes die Todesstrafe exekutiert wird, sehe ich keine logische Verbindung zum Christentum. Auf einem anderen Blatt steht, dass sich Todesstrafenbefürworter selbst als Christen bezeichnen können – aber dann stehen sie im Widerspruch zur eigenen Lehre.

  3. […] und Medien interessiert gewesen und bin es bis heute. Ich bin im Netz dafür bekannt, dass ich auch bis zur Schmerzgrenze differenziere. Ich wäre also der letzte, der den demokratischen Rechtsstaat und seine Medien pauschal in Frage […]

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