Undine und die Molenbrücke
18. Januar 2015Ein Rant über Grüne, die uns Dresden erklären wollen
14. Januar 2015Es gibt manchmal Artikel, deren Einstiegssatz schon vom weiteren Lesen abschreckt – weil er auf so vielen Ebenen falsch ist, dass man den weiteren Text nicht mehr ertragen will. Hier ist ein solcher Einstiegssatz:
Zivilgesellschaftliches Engagement war in der DDR, gerade im „Tal der Ahnungslosen“ um Dresden, nicht gewollt.
Über diesen einen Satz könnte ich mich seitenlang aufregen, weil er so abgehoben ist und weil er die beiden dümmsten denkbaren Stereotype in sich vereint. Aber keine Angst, ich mache es kurz. Man verzeihe mir, wenn ich den Text nicht erst Korrektur lese, es ist jetzt einfach ein Rant und es ist so und er muss raus. Punkt.
Ich bin hier in Dresden 1967 geboren, aufgewachsen, hatte 1986 Abitur und Berufsabschluss in der Tasche, bin seit dem 8. Oktober 1989 für Demokratie auf die Straße gegangen. Ich brauche ganz sicher von der »Heinrich-Böll-Stiftung« keine Belehrung darüber, wie die Dresdner Gesellschaft der DDR-Zeit ausgesehen hat.
Das Dresden der DDR-Zeit war eine Zivilgesellschaft aus vielen miteinander verbundenen Nischen. Diese Nischen waren aber keine Hobbit-Höhlen, in die sich Familien zurückzogen, sondern sie vereinten und vernetzten jeweils denkende, arbeitende, feiernde, oft von der Freiheit träumende Menschen.
Zu den Nischen zählten Kirchgemeinden und Kleingartensparten, Vereine und Freundeskreise, Kulturzirkel und Sportgruppen, Arbeitskollektive und Hausgemeinschaften – ich höre hier auf, denn die Dresdner wissen es, und wer sich wirklich informieren will, kann uns gern fragen.
Die SED hatte in fast allen aufgezählten Gruppen ab den 1980er Jahren keine Chance mehr. Schon montags in der Sauna vertraute man sich so weit, dass man beim Aufguss zumindest die milden politischen Witze austauschte; in kleinerer Runde nach kurzer Zeit auch die harten, und dann auch die Meinung über das Wettrüsten oder die Perestroika.
Im Rückblick auf 1989 darf man sagen: Von der Substanz Dresdens wäre ohne diese Zivilgesellschaft sehr viel weniger übriggeblieben. Man half sich auf fast allen Ebenen gegenseitig, ob es bei der Unterstützung für Ausreisende, in der beginnenden Umweltbewegung oder beim Erhalt von Kirchengebäuden war. In Jungen Gemeinden und Studentengemeinden machten verbotene Bücher die Runde, aber es wurden auch gemeinsam Bäume gepflanzt oder Dreckecken beseitigt. Das soll wieder beispielhaft für andere Aktivität stehen, ich will es nicht in die Länge ziehen.
Die Zivilgesellschaft in Dresden wurde von vielen Einzelnen getragen. Exemplarisch die Pfarrersfrau in Niedersedlitz, die den lauernden, frierenden Stasi-Spitzeln im Winter einen heißen Tee ans Auto brachte, oder der Pfarrer einer anderen Kirche, der selbst auf den Kirchturm stieg, um die Dachziegel wieder festzumachen.
Auch hier möchte ich nicht ins Detail gehen, weil jeder weiß, wie eng in der DDR der Zusammenhalt sein musste, damit man geistig überleben konnte. Und dann laufen Grün-Linke daher und belehren uns, dass es in Dresden keine Zivilgesellschaft gegeben habe. Ich könnte …
Der zweite Schwachpunkt dieses Satzes ist das Stereotyp vom »Tal der Ahnungslosen«. Dieses gequälte Bonmot ist nun gleich auf zwei Ebenen lächerlich. Dazu muss man zuerst wissen, woher es kommt: Das »Tal der Ahnungslosen« war ursprünglich eine Spottzeile der Ostberliner über den Südosten der DDR, weil dorthin die westlichen Fernsehsender nicht gereicht haben. Solche Witze hatten 1989 schon eine Bartaufwickelmaschine.
Dresden war nämlich nicht ahnungslos. Erstens gab es ab Mitte der 1980er Jahre auch im Bezirk Dresden SAT-Anlagen, die gemeinschaftlich aufgebaut wurden (übrigens wieder ein Beispiel für Zivilgesellschaft!) und man konnte damit Westsender schauen. Und zweitens reichte der Deutschlandfunk während der gesamten DDR-Zeit in jede Ecke des Elbtals.
Ich habe täglich die Informationssendung am Morgen und stundenlang Bundestagsdebatten mit den alten Kämpen der West-Demokratie gehört, ich habe als 14jähriger um RAF-Geiseln gebangt, und ich habe mir gewünscht, auch mal die rezensierten Bücher aus der Kultursendung zu lesen, die vorgestellten Platten zu besitzen, und die beschriebenen Reisen zu unternehmen.
Und jetzt kommen also West-Grün-Linke daher, die Tellkamps »Turm« vielleicht gelesen, aber sicher nicht mal zur Hälfte verstanden haben, und wollen mir erzählen, dass Dresden keine Zivilgesellschaft gewesen sei. Ich weiß nicht, ob ich hart lachen oder eine Runde weinen soll. Wenn man den »Turm« nämlich richtig liest, erkennt man durchaus Beispiele der Zivilgesellschaft – aber was rede ich zu Ahnungslosen …
Ich bin aber trotzdem dankbar für diesen Artikel. Ich weiß nämlich jetzt wieder, warum sich solche Autoren NICHT eignen, über Dresden und Pegida zu schreiben. Es ist auch klar, warum die Grünen auf dem flachen Land in Sachsen kaum eine Chance haben und bei den Wahlen kaum mehr als 5% bekommen:
Weil sie den Leuten nicht zuhören. Weil ihnen das Mindestmaß an Empathie für die Menschen fehlt. Weil sie uns als Dresdnerinnen und Dresdner nur von oben herab kennen. Weil sie in abgehobenen akademischen »Diskursen« hässliche Einschubsätze drechseln, die außerhalb ihrer Blase niemand versteht. Nochmal zum Mitschreiben:
Zivilgesellschaftliches Engagement war in der DDR, gerade im „Tal der Ahnungslosen“ um Dresden, nicht gewollt.
Danke fürs Ertragen dieses Rants. Ich habe jetzt so viele ähnliche Sätze von »sich links verortenden« Personen gelesen, dass es einfach raus musste. Wenn Sie sich quälen möchten: Das ist der Artikel, aus dem der Satz stammt.