Nicht erst seit Sommer 2016 beziehen Interessengruppen und staatliche Institutionen im Netz Position gegen Hassreden (hate speech) im Netz. Befürworter einer stärkeren Kontrolle des Netzes sagen: »Staat, Medien und soziale Netzwerke müssen endlich mehr gegen die Hassreden tun.« Ist das nicht ein schönes und gutes Ziel?
Ziele sollen immer spezifisch, messbar und realistisch sein. Das Ziel »Wir möchten weniger Hassrede im Netz haben« scheint mir diese Anforderungen nicht zu erfüllen. Um ein spezifisches Ziel zu setzen, müsste der Tatbestand der Hassrede erst einmal klar eingegrenzt werden. Es muss also gefragt werden: Was wollen wir eigentlich bekämpfen? Woran messen wir den Erfolg? Können wir das Ziel mit angemessenem Aufwand und legitimen Methoden erreichen?
Kritiker dieser Kampagnen geben zu bedenken, dass der vordergründig gut gemeinte Kampf gegen Hassrede zur Unterdrückung legitimer Meinungen instrumentalisiert werden kann. Sie verweisen dabei auf die Geschichte der DDR oder auf die McCarthy-Ära in den USA. Erinnerung: Obwohl die USA ein sehr freies Land sind, gab es in dieser Zeit eine Verfolgung von Andersdenkenden und eine Unterdrückung der freien Rede.
Am Freitag ist nun die staatlich geförderte Website »no-hate-speech.de« ans Netz gegangen. In den sozialen Netzwerken begann eine Kampagne zu diesem Thema und es gab viele erstaunlich sachliche Diskussionen. Ich werde in diesem Artikel zunächst einen speziellen Punkt (Hassrede gegen die Religion) herausgreifen und danach das gesamte Konzept der Seite kritisch betrachten.
Grundsätzlich hat es mich positiv überrascht, dass die Betreiber der Seite einige Mitarbeiter für einen echten Dialog eingesetzt haben und ohne Ironie will ich auch anerkennen: Die meisten Social-Media-Mitarbeiter haben sich Mühe gegeben, viele von ihnen haben einen ganzen Tag lang sachlich diskutiert.
Leider ist die Website inhaltlich in mehreren Punkten sehr schwach und ich möchte nicht in der Haut derer stecken, die sie verteidigen müssen. Die Mitarbeiter stießen inhaltlich sehr schnell an Grenzen und waren ihrer Aufgabe zum Teil überhaupt nicht gewachsen. Sie formulierten via Twitter unerreichbare Ziele wie etwa
»Wir wollen, dass alle Menschen vor Diskriminierung auch im Netz sicher sind.«
Sie konnten oder wollten nicht erkennen, dass das notwendigerweise zu Zielkonflikten führen muss. Es ist nämlich auch eine Diskriminierung, wenn Kritik, Karikaturen oder Satire unterbunden werden, weil sich jemand dadurch »gehasst« fühlen könnte.
Mich haben vor allem die Argumente zum Thema Religion interessiert, weil ich in einer sehr speziellen Religionsgemeinschaft aufgewachsen bin und weil mich die (sachliche) Auseinandersetzung mit Religionen mein Leben lang begleitet hat.
Die Herausgeber der Seite sind der Auffassung, dass es einen »antimuslimischen Rassismus« gibt und dass sich dieser in Hassreden äußert. Das folgt allerdings einer sehr weit gefassten und allenfalls in Nischen anerkannten Definition von Rassismus.
Das Thema Religion hat nichts mit einer »Rasse« oder einer ethnischen Gruppe zu tun. Ein Deutscher kann zum Muslim werden, eine Syrerin kann zum Christentum konvertieren, ohne dass sie ihre ethnische Gruppe verlassen. Religion ist kein unveränderliches Merkmal des Menschen (wie Hautfarbe oder Abstammung).
Auf Anfragen via Twitter verwiesen die Mitarbeiter der Seite zunächst auf die (nicht zitierfähige) Wikipedia, später auf die Definition der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).
Ironischerweise ist die Religion in der offiziellen Definition der bpb gerade nicht enthalten. Dort heißt es, dass Rassismus »eine Homogenität biologischer Rassen aufgrund äußerlicher Unterschiede von Menschen (wie z. B. der Hautfarbe)« unterstellt. Und in der Folge:
Den so konstruierten Gruppen werden fälschlicherweise bestimmte Wesenszüge und Charaktereigenschaften zugeschrieben. Diese werden in Bezug auf die eigene Gruppe überhöht und in Bezug auf andere Personen oder Gruppen abgewertet. Der Rassismus fördert damit das eigene Überlegenheitsgefühl und erzeugt Vorurteile, Ablehnung und Feindseligkeit gegenüber anderen Menschen und führt zu sozialer Ausgrenzung.
Diese Definition hat sich in der Öffentlichkeit allgemein durchgesetzt. Niemand würde ernsthaft von einem »antichristlichen« oder »antibuddhistischen« Rassismus sprechen. Der Antisemitismus ist dagegen zweifellos eine Form des Rassismus, weil er sich gegen alle Juden unabhängig von ihrer Weltanschauung richtet.
In Deutschland und in anderen freien Gesellschaften wird das Christentum aufs Schärfste kritisiert und von manchen Menschen auch gehasst, aber niemand käme auf die Idee, dies als »antichristlichen Rassismus« zu bezeichnen.
(Es gibt in einigen Ländern der Welt eine Verfolgung von Christen, die durch Mord, Gewalt, Enteignung und Ausweisung geprägt kann. Ursache dieser Verfolgung ist dann aber kein Rassismus, sondern die totalitäre Durchsetzung der Herrschaft des Islam.)
Die Betreiber der Seite no-hate-speech.de haben auf ein Dokument verwiesen, in der dieser »antimuslimischen Rassismus« definiert werden soll. Dort heißt es:
Islamfeindliche Inhalte kennzeichnet, dass sie den Islam als Religion ablehnen oder abwerten. Sie münden oft in muslimenfeindlichen oder antimuslimischen Äußerungen und Reaktionen, also einer generell feindseligen Haltung gegenüber Muslimen.
Darf man Religionen denn bewerten oder gar ablehnen? Im Grundgesetz wird die positive und negative Religionsfreiheit garantiert. Negative Religionsfreiheit beinhaltet das Recht, jede Religion oder einzelne Religionen abzulehnen und natürlich auch zu bewerten.
Somit läuft der Versuch der Definition eines »antimuslimischen Rassismus« ins Leere. Eine bessere und vor allem in der Öffentlichkeit anerkannte Definition konnte mir bisher niemand zeigen – die Mitarbeiter von »no-hate-speech.de« haben sich solchen Fragen einfach verweigert.
Das Grundgesetz erlaubt jedenfalls eindeutig eine kritische Auseinandersetzung auch mit dem Islam. Die Grenzen dieser Auseinandersetzung sind in unseren Gesetzen festgelegt. Verboten sind etwa klar volksverhetzende Äußerungen, üble Nachrede oder die persönliche Beleidigung einzelner Muslime.
Es ist nachvollziehbar, dass sich tief religiöse Christen, Muslime oder Juden von Kritik an ihrer Religion und mehr noch von der Schmähung ihrer Religionen getroffen fühlen. Ich habe das erlebt: In meiner Kindheit und Jugend wurde ich für meine damalige Religionsgemeinschaft verspottet, obwohl ich sie mir sicher nicht ausgewählt hatte.
Jede Kritik an der Religion kann von streng religiösen Menschen als Hassrede interpretiert werden – in Fragen der Weltanschauung und des Glaubens sind viele Menschen sehr empfindlich. Es kann aber nicht die Lösung sein, dass Religionsgemeinschaften selbst definieren, was sie als inakzeptabel betrachten.
Die Reaktion auf Religionskritik kann auf keinen Fall sein, den Kritikern den Mund zu verbieten oder ihnen immer engere Grenzen zu setzen. Sie kann nur darin bestehen, dass die Gläubigen lernen, mit den Freiheiten unserer Gesellschaft umzugehen.
Stellt sich die Frage: Welche Lösung haben denn nun die Betreiber der Seite no-hate-speech.de als Antwort auf Kritik parat? Ich will das an einem kurzen Dialog zeigen. Jemand postet auf Twitter ein Bild, auf dem Muslime Plakate mit Todesdrohungen gegen »Ungläubige« zeigen. Der »Konter gegen Hassrede« soll nun ein Bild mit folgendem Motto sein:
»Hat ein anti-islamisches Meme gesehen – Ist jetzt Islam-Experte.«
Es gibt in einer Zusammenstellung zum Thema Islam ähnliche Bilder für andere Anlässe: Weist z.B. jemand darauf hin, dass im Iran oder in Saudi-Arabien rigide islamische Kleidungsvorschriften gelten und brutal durchgesetzt werden, soll man ihm wohl ein Bild der Königin Elisabeth mit Kopftuch oder das Bild einer überzeugten Kopftuchträgerin entgegenhalten. Das ist völlig absurd.
Die Seite mit den Argumenten zum »antimuslimischen Rassismus« ist in jeder Hinsicht eine bedauernswerte Fehlleistung. Weder wird dort sachlich argumentiert, noch sind die »Konter-Memes« geeignet, für mehr Sachlichkeit und Ruhe im Netz zu sorgen. Im Gegenteil: Viele davon sind geeignet, die Spannungen zu verschärfen, weil die Adressaten sich verhöhnt vorkommen. Außerdem beleidigen sie die Intelligenz.
Damit zurück zur Gesamtkonzeption der Seite. Bereits kurz nach der Veröffentlichung wurde Kritik an der Auswahl der Themen geübt. Der linksradikale Hass gegen Teile unserer eigenen Bevölkerung, der Hass von Autonomen gegen Polizisten oder auch der Hass gegen Christen wird überhaupt nicht thematisiert.
Der Hass der radikalen Islamisten auf alle freiheitlichen Menschen wird erst recht nicht thematisiert – das könnte ja als »antimuslimischer Rassismus« gewertet werden?
Es gibt nach wie vor keine Definition für »hate speech« und keinerlei Abgrenzung des »hate speech« von der legitimen freien Meinungsäußerung. Diese Abgrenzung kann und darf in einem Rechtsstaat nicht allein Sache der Betroffenen sein, denn damit werden die Grundrechte anderer Beteiligter eingeschränkt. Das Netz hat dafür den ironischen Spruch »Your rights end where my feelings begin« geprägt.
Die meisten Meme-Bildchen zeigen eine Antwort in der Art: »Du hast mit etwas gezeigt, was ich nicht in Ordnung finde. Dafür zeige ich dir jetzt, dass ich dich für einen Idioten halte.« So zu antworten ist aber einfach nur dumm und wird den Hass im Netz eher noch verstärken.
Die Mitarbeiter des Familienministeriums als Auftraggeber der Kampagne flüchteten sich bei Nachfragen auf Twitter oft in allgemeine Aussagen wie: »Es gibt keine eindeutige Definition. Aber Volksverhetzung, Beleidigung, Verleumdung oder üble Nachrede sind strafbar.« (aus diesem Dialog). Strafbare Äußerungen können natürlich durch Hass motiviert sein – dagegen helfen allerdings keine »Meme«-Bildchen, sondern nur Anzeigen und rechtsstaatliche Verfahren.
Grundsätzlich gilt: Die Parteinahme des Staates für oder gegen bestimmte Äußerungen muss einheitlichen Grundsätzen folgen. Dabei müssen alle Interessengruppen in gleicher Weise behandelt werden. Grundrechte sind sorgfältig gegeneinander abzuwägen.
Gefährlich wird es immer dann, wenn Interessengruppen oder Politiker ohne klare Definition aus dem Bauch heraus erklären: Aussage A ist Hassrede, Aussage B ist akzeptabel. Denn dann besteht die Gefahr, dass auch legitime Meinungen und Werturteile unterdrückt werden, die in der Nähe der Aussage A liegen.
Wenn man wirklich eine Seite für besseres Benehmen und weniger Hassrede ins Netz stellen will, dann muss sie überparteilich und unabhängig sein. Sie darf nicht auf willkürlich ausgewählten Negativbeispielen beruhen. Es muss klare Grundsätze geben und diese Grundsätze müssen für alle Beteiligten gelten.
Die Seite »no-hate-speech.de« ist in dieser Form bestenfalls ein Beispiel für die nutzlose Symbolpolitik des BMFSFJ. Dann wäre es schade um das Steuergeld. Sie ist schlimmstenfalls der Einstieg in eine Kontrolle der öffentlichen Meinung im Netz. Dann wäre es schade um unsere Freiheit.