Es gibt ein Muster, das sich in allen totalitären Herrschaftsformen wiederfindet: im Stalinismus, im Maoismus, im SED-Staat oder in Nordkorea. Kurz gefasst:
Wenn man eine unbequeme Person nicht aufgrund ihrer Taten kaltstellen kann, dann sucht man nach Verbindungen mit den bereits überführten Schurken oder man konstruiert Verbindungen mit dunklen Mächten. Diese Person muss dann selbst gar nichts Illegales getan haben – allein die Verbindung reicht.
Wir leben nicht in der DDR Erich Mielkes, in der UdSSR der Stalinzeit oder in der Türkei der Erdogan-Herrschaft. Aber eine ähnliche Methode wird auch in unserer Demokratie mit ihrer sehr weit reichenden Meinungsfreiheit verwendet, um Menschen ins Abseits zu stellen oder um zumindest auf billige Weise einen Wirkungstreffer zu landen. Die Argumentation geht so:
»Was mein Kontrahent schrieb, wurde kurze Zeit später von einem Vertreter der XYZ zitiert. Ist das die Art von Journalist, der Sie Ihr Vertrauen schenken wollen?«
Es wäre nach dem gestrigen Abend sehr einfach, mit dem Zeigefinger auf einen Journalisten zu zeigen, der diese Methode gerade mit wenig Erfolg an einem Kontrahenten ausprobiert hat. Die viel interessantere Frage lautet doch: Bin ich selbst gegen diese Versuchung immun?
Ein Beispiel: Ist es mehr als 25 Jahre nach der Wende noch sinnvoll und angemessen, auf die Mitarbeit einer Person für das MfS der DDR zu verweisen? Ich frage das als ehemaliger Student, der in einer Evangelischen Studentengemeinde das Ziel von MfS-Bespitzelungen war.
Ich hatte Glück: Ein Jahr später kam die friedliche Revolution. Viele andere hatten kein Glück: sie traf zwangsweise Exmatrikulation, ein Berufsverbot oder gar politische Haft und Abschiebung in den Westen. Ich kann verstehen, dass einige Leute immer noch fordern: »Keine Vertrauenspositionen und kein Staatsgeld für ehemalige IM!«
Aber die DDR hat verloren. Das MfS hat verloren. Die roten Agitatoren haben verloren. Heute ist es wichtig, dass die Agitatoren der Gegenwart keine Macht über uns gewinnen. Dabei ist die Vergangenheit für mich eher zweitrangig.
Die große Mehrheit dieser Agitatoren war nämlich niemals beim MfS oder in der SED. Argumentiert man nun, dass eine Person vor Jahrzehnten für das MfS tätig war, ist das noch kein gültiges inhaltliches Gegenargument gegen aktuelle Agitation und Propaganda. Es ist streng genommen nur ein Argument gegen die Person.
Dieses Argument kann Gewicht haben, wenn z. B. Funktionen oder Vertrauenspositionen besetzt werden, die der Staat direkt oder indirekt bezahlt. Aber inhaltlich ist »Person X hat Unrecht, weil sie vor vielen Jahren für das MfS gearbeitet hat!« noch kein Argument.
Das wollte ich nur gesagt haben. Ich werde jetzt meine Tweets nicht »säubern«, in denen ich sicher auch schon auf Aspekte der DDR-Vergangenheit hingewiesen habe. Aber ich will in Zukunft den aktuellen Inhalt höher als die verfaulenden Akten der alten DDR gewichten – damit wir nicht in den nächsten Totalitarismus abrutschen.
Natürlich nicht. Aber wenn diese Person sich politisch exponiert und sich als Verfechterin besonders hehrer Güter geriert, dann ist der Hinweis auf die Vorgeschichte durchaus relevant.
OK. Setzen wir einfach eine andere Person auf den Posten. Was wird dadurch besser?
Ein instruktiver Angriffspunkt weniger. Dass die Unterdrückung unliebsamer Meinungen leider nicht exklusiv für ehemalige IMs der Stasi ist, ändert ja nichts daran, dass man es aufspießen sollte, wenn diese Kombination mal eintritt.
Verlierer als Schulungsleiter für Maas´ Task Force ?
Haben die roten Agitatoren verloren? Man sehe sich nur Frau Kahane an mit ihrer millionschweren Stiftung oder verfolge Gysi, Wagenknecht in einer beliebigen Schwatzrunde : Sehen so Verlierer aus!?
Was die Agitatoren der Gegenwart betrifft, Jennifer N. Pyka schreibt dazu auf Achgut:
Im Weiteren analysiert sie die beteiligten Unternehmen.
Zur „Task Force“ (warum geht das nicht auf Deutsch!?) liest man auf der Webseite des Justizministeriums:
Interessant zu wissen wäre : Welche Unternehmen sind der Einladung nicht gefolgt.
Weiter liest man dort :
Nutzungsbedingungen?? Und welche?? Reichen da nicht diejenigen der Netzwerke und das StGB?! Maas hält sich dazu bedeckt.
Und Schulung ?! Als Schulungsleiterin bietet sich Frau Kahane an.
Zum Schluss etwas OT, muß aber gesagt werden :
Und damit ist der Vergleich auch schon zu Ende, ebenso das Relativieren.
Die von McCarthy Beschuldigten mussten/konnten sich öffentlich vor Ausschüssen verantworten. McCarthy hatte m.W. auch keine eigenen Gefängnisse.
„Die von McCarthy Beschuldigten mussten/konnten sich öffentlich vor Ausschüssen verantworten. McCarthy hatte m.W. auch keine eigenen Gefängnisse.“
McCarthy hatte auch keine „unbekannten Täter“, die den Unpersonen die Knochen gebrochen oder die Autos abgefackelt haben.
moin tosamm,
die Vergangenheit -und „alte“ Fehler-holt einen immer ein…ob man in jungen Jahren Mitglied einer radikalen Organisation oder einer
Motorradgang war ist egal, mir hat die Lebenserfahrung gezeigt dass sich Menschen durchaus ändern.
saludos de pancho lobo
Ich möchte noch einen Vergleich hinzufügen, der auch die Stasi-Hinweise etwas relativiert. „Guilt by Association“ war ja eines der Prinzipien der McCarthy-Kommunistenjagd.
Was das MfS gemacht hat, oder was Kahane da gemacht hat, lässt sich – wie ich hoffe – im heutigen Deutschland nicht einfach wiederholen. Insofern sind die Stasi-Verweise zwar geeignet, um Kahanes Moralisieren zu relativieren – aber sie sind wenig geeignet, um die heutige Situation zu analysieren.
Mit McCarthy ist das anders. Solch eine moralisierende, böswillige Panik wie die, die das „Kommittee für unamerikanische Aktivitäten“ geprägt hat, ist m.E. auch im heutigen Deutschland möglich. Die Grundlage dafür ist einfach die Überzeugung, dass es im Kampf für das Gute immer schon mal gerechtfertigt ist, sonstige Maßstäbe der Seriosität, der Fairness oder des sorgfältigen Umgangs mit Tatsachen mal kurz zu suspendieren.
Ein Journalist sieht es demonstrativ gar nicht ein, die Schlüssigkeit von Argumenten zu überprüfen – sondern er räumt diese Argumente mit dem Hinweis ab, dass etwas Ähnliches ja auch schon mal irgendwo aus der Richtung der Jungen Freiheit gesagt worden sei. Zugleich versucht er, damit die Reputation desjenigen zu beschädigen, der die Argumente formuliert hat.
So etwas von einem Journalisten der „Zeit“, die tatsächlich einmal den Ruf hatte, seriös bis hin zur Betulichkeit zu sein. Das zeigt schon, dass Maßstäbe schwinden – und es zeigt zugleich, dass McCarthy nicht nur von rechts aus möglich ist.
Danke für Deine Anmerkungen. Genau das sehe ich auch mit großer Sorge, zumal es ja in der DDR nicht anders war.
»Das darf man nicht sagen. Das würde dem Klassenfeind in die Hände spielen.«
„Und dann die, bei denen es immer wieder probiert wird, Stichwort Gysi.“
Wird von IM Notar so dargestellt. Ist aber nicht so.
http://www.achgut.com/artikel/der_unheimlich_talentierte_herr_gysi
Im Prinzip vermischst Du hier zwei interessante Themen: 1. „Kontaktschuld“ als Mittel zur Nivellierung von Gegenmeinungen und 2. den Umgang mit dem MfS. Inhaltlich kaum in einem Block abzuarbeiten.
Zum Thema Kontaktschuld deshalb nur ein interessantes Interview mit dem Schweizer D. Ganser. Die Botschaft ist klar, gegenwärtig beobachtet man bei uns aber eine eher gegenläufige Bewegung, die gefährlich werden kann.
Was den Umgang mit dem MfS angeht, so kann man durchaus konstatieren, dass die Beschuldigung der Mitarbeit eine ähnlich diskreditierende Wirkung hat, wie z.B. der Vorwurf des Antisemitismus: eigentlich ist man damit raus. Gab es ja auch kürzlich in Bautzen. Dem gegenüber stehen dann eben Personalien, die damit „durchkommen“, prominentes Beispiel: Frau Kahane. Und dann die, bei denen es immer wieder probiert wird, Stichwort Gysi.
Vergleicht man den Umgang mit ehemaligen MfS-Mitarbeitern und ehemaligen Nazis (in W-Dtl.), so sind doch deutliche Unterschiede sichtbar. Dazu kam ja erst am Dienstag eine interessante Reportage auf Arte ARTE
Generell finde ich es ja lustig bis schockierend, welches DDR-Bild sich inzwischen gefestigt hat. Als letztens in der Fleichereischlange vor mir eine etwa 35-Jährige (vermutl. West) ihren gleichaltrigen Begleiter (Ost) fragte, ob er denn schon seine Stasi-Akte eingesehen hätte, musste ich tatsächlich losprusten.
Daran ist natürlich die Stasi-Unterlagenbehörde nicht ganz unschuldig. So werden ja als Legitimation gefühlt jährlich die hohe Zahl an Anfragen auf Akteneinsicht genannt. Noch nie habe ich hingegen gehört, wie hoch die Erfolgsquote ist. Vermutung: sie nimmt ab.
Ich bin von dem einen Thema auf das andere gekommen, weil der Journalist M. Meisner den Journalisten »Don Alphonso« (R. Meyer) gestern aus meiner Sicht zu Unrecht in eine Reihe mit rechten Medien und Organisationen stellte. Anlass war ein Artikel Meyers in der F.A.Z. von gestern.
http://plus.faz.net/evr-editions/2016-07-21/37824/256433.html
Darin geht es um die Antonio-Stiftung. Viele Kritiker dieser Stiftung stellen die sehr lange zurückliegende MfS-Aktivität der Frau K. in den Mittelpunkt. Das ist aber m. E. nicht zielführend, sondern es lenkt von den tatsächlichen Problemen ab.
Kannst Du Meisners Artikel auch noch verlinken? Frau Kahane kam mir kürzlich auch unter, aber aufgrund ihrer Antideutschen-Skills. Im folgenden Interview wird die MfS-Tätigkeit zwar angesprochen, aber steht alles andere als im Mittelpunkt.
http://www.nachdenkseiten.de/?p=33793
Es war kein Artikel, sondern ein Wortwechsel auf Twitter: