Die Dresdner Neuesten Nachrichten (DNN) haben heute in einem Artikel über die Klimaziele der Stadt Dresden berichtet. Den Artikel kann man auch online lesen, das dazugehörige Diagramm fehlt dort leider. Dazu später mehr.
Es geht im Kern darum, dass die Stadt Dresden den CO2-Ausstoß pro Einwohner und Jahr verringern möchte. Um so mehr verstört ein Zitat aus dem DNN-Artikel (Hervorhebung von mir):
Obwohl die Einwohnerzahl seit Jahren wächst, sind die Privathaushalte nicht die Verursacher der hohen Werte, rechnete Korndörfer vor. Den entscheidenden Anteil an der miesen Bilanz hat nach den Zahlen der Stadt die Industrie.
Wenn es um den CO2-Ausstoß pro Einwohner und Jahr geht, sollte man doch meinen, dass eine höhere Bevölkerungszahl eher leicht positiv wirkt. Ein bestimmter fixer Anteil des Energieverbrauchs verteilt sich dann auf mehr Einwohnerinnen und Einwohner, also wirkt sich eine leicht gestiegene Einwohnerzahl eher entlastend als belastend aus.
Aber wir waren ja gerade bei der Industrie. Umweltamtsleiter Korndörfer weiß, warum in Dresden so viel Energie verbraucht wird:
»Dresden wird von der Mikroelektronik dominiert, diese Betriebe benötigen viel Strom«, so der Umweltamtsleiter. Diesen würden sie an der Strombörse einkaufen. Da wegen der großpolitischen Wetterlage Kohlekraftwerke wieder lukrativ seien, sei auch der von der Dresdner Industrie verbrauchte Strom nicht sauber und verhagele so die Bilanz.
Auch hier erschließt sich die Logik der Aussage nicht: Der Anteil der »Erneuerbaren« am Strommix nimmt doch seit Jahren zu. Gerade bei einem Überangebot ist der Strom an der Energiebörse EEX auch billiger als sonst. Und wir kennen den konkreten Strommix der Dresdner Industrie nicht – alle Schätzungen beruhen auf Kennzahlen für den Strommix in Deutschland.
Korndörfers Angaben sind also zumindest kritisch zu hinterfragen – aber das ist gar nicht der entscheidende Punkt. Der entscheidende Punkt ist, dass Dresden keinen Einfluss auf die Energieanbieter hat, an denen die Stadt nicht beteiligt ist. Dresden kann aufgrund der Eigentumsverhältnisse allenfalls den Strommix der DREWAG und der ENSO beeinflussen.
Dresden hat aber keinen Einfluss auf die Verträge, die etwa Infineon oder Globalfoundries (ehemals AMD) mit anderen Anbietern abschließen. Insofern muss sich die Stadt Dresden den Strom-Mix der hier ansässigen Unternehmen auch nicht zurechnen lassen.
Dazu kommt: Gerade Infineon oder Globalfoundries stellen energiesparende Bauteile her, die überall auf der Welt für eine Reduzierung des Energieverbrauchs sorgen. Bevor diese Bauteile veraltete Technik ablösen können, benötigt man für ihre Herstellung im Reinstraum aber zunächst einmal Energie.
Es erschließt sich nun überhaupt nicht, warum sich Dresden den Stromverbrauch negativ zurechnet, der für die Herstellung modernerer Technik notwendig ist. Wenn diese Werke geschlossen würden und sich außerhalb Dresdens ansiedelten, hätten wir weniger Stromverbrauch, aber auch einige tausend Arbeitslose mehr. Das kann ja wohl nicht Sinn und Zweck der Sache sein.
Eher eine lustige Anekdote ist diese Maßnahme der Stadtverwaltung, die von der »obersten Klimamanagerin« der Stadt Dresden vorgestellt wurde:
Der Fuhrpark der Stadt werde Schritt für Schritt elektrifiziert, kündigte sie an. Verrichten jetzt noch vier E-Pkws ihren Dienst für die Verwaltung, so sollen es bis Ende des nächsten Jahres zehn mehr sein.
Es wurde in weiser Voraussicht darauf verzichtet, diese Maßnahme in CO2-Äquivalente umzurechnen. Das war der Stadtverwaltung dann wohl doch zu peinlich. In Dresden gibt es etwas mehr als 240.000 angemeldete Fahrzeuge.
Auch die Umweltbürgermeisterin Jähnigen wird in dem DNN-Artikel zitiert. Sie hat in der Stadtverwaltung einen neuen Bürokratiezweig einen Stab für Klimaschutz aufgebaut.
»Damit ist das Thema jetzt der zentrale Schwerpunkt meiner Arbeit«, kündigte sie an. Stadtverwaltung und städtische Unternehmen könnten unter fachlicher Aufsicht des Stabes gemeinsam ihren Anteil zur Reduzierung der Treibhausgase leisten.
Das ist interessant. Zu den Klimazielen und zur notwendigen Reduzierung gibt es nämlich sehr unterschiedliche Aussagen der Stadtverwaltung. Als Ziel wird in einer Pressemitteilung vom September 2016 z.B. das Jahr 2020 und eine Reduktion um 30 % angegeben:
Etwa zehn Tonnen klimaschädliche Treibhausgase wurden 2014 pro Dresdnerin bzw. Dresdner ausgestoßen. Bis 2020 sollen diese Emissionen um 30 Prozent reduziert werden.
[Quelle: Pressemitteilung des Amtes für Wirtschaftsförderung]
Bis 2020 sind es wohlwollend gerechnet fünf Jahre. Dann müssten die Emissionen also »nur« um 6,9 % pro Jahr sinken, nachdem sie trotz aller Klima-Bemühungen zehn Jahre lang auf konstantem Niveau geblieben sind. Das ist völlig illusorisch: Sie können bis 2020 nicht plötzlich so stark sinken. Wer setzt solche völlig unrealistischen Ziele in die Welt?
Wenn Ihnen das Ziel auch etwas zu ambitioniert vorkommt, habe ich hier zum Trost eine ganz andere Zahl aus derselben Stadtverwaltung:
Mit dem Beitritt zum Klimabündnis europäischer Städte hat sich Dresden bereits 1994 verpflichtet, den CO2-Ausstoß aller zehn Jahre um fünf Prozent zu senken. [Quelle: Pressemitteilung der Stadtverwaltung vom 10.10.2016]
Eine Senkung aller zehn Jahre um fünf Prozent entspräche einer kontinuierlichen Senkung pro Jahr um etwa ein halbes Prozent. Da wundert sich der Dresdner: Sollen wir die Emissionen nun um fast sieben Prozent oder um ein halbes Prozent pro Jahr senken? Oder lassen wir einfach alles, wie es ist? Hat ja in den letzten zehn Jahren auch niemanden gestört.
Offenbar weiß in der Stadtverwaltung die rechte Hand nicht, was die linke veröffentlicht. Was sagt eigentlich der Chef des Dresdner Umweltamts dazu?
»Künftig müssten pro Jahr drei bis vier Prozent CO2 eingespart werden, um das Dresdner Ziel von sechs Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr und Einwohner im Jahr 2030 zu erreichen«, rechnet Korndörfer vor. Bisher sei man von einer notwendigen Reduktion von zwei Prozent jährlich ausgegangen. [Quelle: Pressemitteilung der Stadtverwaltung vom 10.10.2016]
Wenn Sie aufmerksam mitgelesen haben, werden Sie feststellen, dass es in ein und derselben Pressemitteilung zwei Zahlen gibt: das Ziel von 1994 und das Ziel von 2016. Es wird in der Pressemitteilung nicht angegeben, was »bisher« bedeutet: Wann ging man von »zwei Prozent jährlich« aus?
In diesem Zusammenhang ist eine Präsentation der Stadt Dresden [PDF] interessant, die ebenfalls von Herrn Dr. Korndörfer verantwortet wird. Auf Seite 3 ist das Diagramm zu finden, das in dem DNN-Artikel (schlecht und recht) aktualisiert und »nachgezeichnet« wurde.
Exakt wäre nach Korndörfers Rechnung für das Ziel von 6 Tonnen CO2 bis 2030 eine Reduzierung um 3,35 % jährlich notwendig. Das ist aber eine exponentielle Reduzierung und eine solche Reduzierung kann natürlich nicht mit einer Geraden (wie im Diagramm der DNN und des Umweltamts) dargestellt werden.
Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass das Thema völlig falsch vermittelt wird. Die Stadt Dresden begibt sich freiwillig in eine Falle, wenn sie die hier angesiedelte Industrie in die Rechnung einbezieht. Wir brauchen die Industrie und sie braucht uns. Die Unternehmen müssen selbst entscheiden, wie sie mit Energie umgehen.
Es kann sinnvoll sein, die CO2-Emissionen der öffentlichen Einrichtungen, der stadteigenen Unternehmen und des städtischen Verkehrs zu senken – nicht um jeden Preis, aber mit Augenmaß. An diesen Maßnahmen kann sich eine Stadt messen lassen, hier kann sie sinnvolle Maßnahmen ergreifen oder fördern.
Aber es ist völlig kontraproduktiv, sich von Jahr zu Jahr unrealistischere Ziele zu setzen und dazu auch noch unterschiedliche Zahlen zu kommunizieren. Es ist jeweils ein riesengroßer Unterschied, ob man von 30 % in fünf Jahren, 5 % in zehn Jahren oder 40 % in den verbleibenden 15 Jahren bis 2030 spricht.
Ergänzungen: Ich bekam gerade via Twitter einen Hinweis. AMD/Globalfoundries wird stabil mit »sauberem Strom« versorgt (Quelle). Und nach etwas Nachschlagen: Auch Infineon ist Kunde der DREWAG (wobei hier die Energie immer noch durch Dritte eingespeist werden könnte und DREWAG »nur« als Netzbetreiber fungiert).
Lasst alle Hoffnung Fahrrad fahren: Die Stadtverwaltung Dresden hat noch 2015 die völlig fiktiven CO2-Einsparungen der Aktion »Stadtradeln« für bare Münze genommen. Das ist hart.