In diesem Artikel geht es um die Pathologisierung von Menschen als psychisch krank und um das totale Absprechen der Diskussionsfähigkeit. Pathologisierung kann auch andere Bedeutungen haben: etwa dass die sexuelle Orientierung als krankhaft eingestuft wird oder dass jemandem eine Krankheit eingeredet wird, die es so gar nicht gibt. Darum geht es hier nicht.
Ein Gastautor des Mediums »Tichys Einblick« hat unter der Überschrift
Warum Sie mit psychopathologisch gestörten Gutmenschen nicht diskutieren sollten
einen Beitrag verfasst, der mir sehr missfällt und dem ich entschieden widersprechen muss. Der Autor beginnt:
Normalerweise liegt es mir vollkommen fern, Menschen zu pathologisieren. Damit sollte man äußerst vorsichtig sein und wenn immer möglich davon absehen. In diesem speziellen Fall erscheint es mir aber notwendig, da ansonsten nicht verständlich wird, was in nahezu allen westlichen Gesellschaften seit einigen Jahrzehnten so gewaltig schief läuft.
Die rhetorische Figur »normalerweise tue ich das nicht, aber hier erscheint es mir notwendig« ändert nichts an der Tatsache, dass bereits die Überschrift für ein bürgerlich-konservatives Medium völlig inakzeptabel ist. Dazu komme ich gleich.
Der zweite Satz des zitierten Abschnitts soll vermutlich aussagen: Ohne die Pathologisierung der Gutmenschen kann man nicht erklären, was in westlichen Gesellschaften schief läuft.
Es wird nicht erläutert, was da »schief läuft«. Es wird auch nicht begründet, warum eine einfache Erklärung für komplexe gesellschaftliche Entwicklungen reichen soll. Ich bin zu höflich, um an dieser Stelle schon grob zu werden, aber es kocht in mir.
Die Geschichte der Pathologisierung ist lang. In allen totalitären Herrschaftssystemen haben die Machthaber gesunde Menschen in die Psychiatrie gesteckt, so z. B. in der UdSSR der Stalinzeit, in China unter Mao, in der DDR oder auch in der ČSSR. Es geschah, um sie zu brechen, um sie in Vergessenheit geraten zu lassen, oder um sie besonders heimtückisch zu bestrafen.
Am Anfang stand dabei immer: Die Machthaber erklären jemanden als »psychopathologisch gestört«. Diese Wendung hat demzufolge in einem Medium der konservativen Mitte und überhaupt im Werterahmen des Grundgesetzes nichts zu suchen.
Der Autor fährt fort:
Und da ich hier keine Einzelpersonen anspreche respektive diagnostiziere, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, möchte ich mir heute diese Freiheit nehmen, von meinem Grundsatz ausnahmsweise abzurücken.
Grün-linke Gutmenschen (eigentlich nur Gutmeiner, weil gute Menschen etwas anderes meint) erscheinen mir – und ich sage das nicht einfach so dahin – krank. Nicht körperlich, sondern geistig-psychisch.
Wir haben in Deutschland eine Partei »Die Grünen« und sie steht mir politisch normalerweise recht fern. Aber sie besteht, verdammt noch mal, aus knapp 60.000 erwachsenen Menschen. Und es ist kaum vermeidbar, dass sich die meisten davon als »grün-links« angesprochen fühlen.
Vermutlich ist das im rechtlichen Sinne keine Beleidigung. Aber es ist eine Ungeheuerlichkeit, allen Personen, die sich als Grün/Links definieren, pauschal die Diskussionsfähigkeit und die geistige Gesundheit abzusprechen. Um das zu erkennen, muss man nicht so viel studieren:
Jürgen Fritz studierte Philosophie (Schwerpunkte: Erkenntnistheorie und Ethik), Erziehungswissenschaft (inklusive Lern- und Entwicklungspsychologie), Mathematik, Physik und Geschichte (Lehramt).
Dafür braucht man nur den gesunden Menschenverstand und den absolut grundlegenden Anstand.
Wenn ein Autor aber so viele Fächer studiert hat, dann sollte er in der Lage sein, eine schlüssige Argumentation aufzubauen. Ich erkenne in dem Artikel keine Antwort auf die rhetorische Frage in der Überschrift
Warum Sie mit psychopathologisch gestörten Gutmenschen nicht diskutieren sollten
Da steht im Grund nur: Das ist so, weil das so ist. Der links-grüne Gutmensch ist psychopathologisch gestört, weil er sich psychopathologisch gestört von der realen Welt abgekoppelt hat – und mit psychopathologisch Gestörten kann man nicht reden.
Der Artikel lässt also auch jegliche Argumentationskette oder auch das Abwägen von Argument und Gegenargument vermissen. Und spätestens an dieser Stelle platzt jeder Kragen:
Sie können Differenzierungen und Bewertungen von Menschen, die immer auch mit Negationen einhergehen, auch solche rein sachlicher Art, innerlich nicht ertragen, weil sie rein gefühlsgesteuert agieren und ihnen die Vorstellung, dass Menschen unterschiedlich, auch für die Gesellschaft unterschiedlich wertvoll, ja, viele sogar schädlich sind, unangenehme Gefühle bereitet und dies für sie der höchste und im Grunde einzige Maßstab ist, wie sich etwas anfühlt. Ganz wie beim Tier oder beim Kleinkind.
Jetzt werden also die kognitiven Fähigkeiten von erwachsenen Anhängern der links-grünen politischen Richtung auf eine Stufe mit den kognitiven Fähigkeiten von Tieren und Kleinkindern gestellt. Ja, hackt es jetzt?
Allein die absurde Idee, erwachsene Menschen, Tiere und Kleinkinder auf diese Weise in einen Zusammenhang zu bringen, hätte in der Redaktion Alarm auslösen müssen. Ganz abgesehen von dem Versuch, bei Unbekannten (wörtlich) ein »tief gestörtes Verhältnis zum eigenen Ich« zu diagnostizieren. Oder von der Überweisung zum Facharzt:
Mit derart gestörten Personen sollte man nicht großartig diskutieren. Man muss sie behandeln. Aber das müssen spezialisierte Fachärzte machen.
Der Artikel hätte so nie veröffentlicht werden dürfen und auch die Diskussion ist überflüssig. Mit Verlaub, Herr Präsident, mit Verlaub, Herr Tichy: Wie kann ein Mann so viele wunderbare Fachgebiete (inklusive Philosophie und Ethik!) studieren und dann so eine Scheiße schreiben?
Weil die Anfrage von »Tichys Einblick« kam und weil auch andere angefragt haben: Alle meine Artikel können in jedem beliebigen Umfang sinnerhaltend zitiert oder »re-bloggt« werden. Als Quelle bitte einfach mein Blog verlinken. Weil es manchmal das Missverständnis gibt: »stefanolix« ist ein Pseudonym. Ich heiße nicht Stefan Olix und das Pseudonym ist auch nicht so gemeint.