Zur Einschränkung der Meinungsfreiheit

14. Januar 2017

Ich adaptiere für mich zwei Sätze aus der Stellungnahme der Agentur »Scholz & Friends« [Quelle] und ergänze sie mit einem dritten Satz:

Politische oder wirtschaftliche Einflussnahme mit dem Ziel, Meinungsäußerungen, die sich im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der geltenden Gesetze bewegen, zu unterbinden, lehne ich strikt ab.

Ich verurteile es ebenso, Unwahrheiten, Beleidigungen und Bedrohungen einzusetzen, um politische Diskussionen im eigenen Sinn zu beeinflussen.

Das gilt auch für manipulative Halbwahrheiten, für jede Art der Manipulation der Ergebnisse von Suchmaschinen, für den manipulativen Einsatz von Bots und für jede Form des Astroturfing.

Um die Jahreswende 2016/17 gab mindestens zwei sehr zweifelhafte Aktionen gegen die Freiheit bürgerlich-konservativer Medien. Ich befürchte für das Wahlkampfjahr 2017 weitere solche Aktionen. Ich lehne solche Aktionen konsequenterweise auch dann ab, wenn sie linke Medien (wie etwa die »junge welt«) treffen sollen.

Ich werde deshalb genau hinschauen, welche Strategie und welches Geschäftsmodell die #Schmalbart-Akteure verfolgen. Ich sehe heute die Gefahr, dass sich #Schmalbart zu einer »pressure group« gegen die Meinungsfreiheit entwickeln kann. Ich hoffe, dass ich Unrecht behalten werde – und bin gleichzeitig wachsam.


Für eine möglichst breite Information über #Schmalbart werden hier Links bereitgestellt, die absichtlich Meinungen der Befürworter und Gegner umfassen:

  1. Die Plattform journalist.de findet das Vorhaben spannend und begleitet es wohlwollend: [Link].
  2. Die Deutsche Welle informiert in einem englischsprachigen Beitrag über Schmalbart: [Link].
  3. Auf detektor.fm wird mehr oder weniger offene PR für das Projekt gemacht: [Link].
  4. Der RBB informiert am 14.01.2017 über das erste »Schmalbart«-Treffen: [Link].
  5. Die Journalistin Sieglinde Geisel war anwesend und hat den ersten (mir bekannten) Bericht über das Treffen geschrieben: [Link]
  6. Die englischsprachige Wikipedia hat Artikel über »rent-seeking« (politische Verhältnisse beeinflussen, um daraus ökonomischen Nutzen zu ziehen) und »Astroturfing«, die man in diesem Zusammenhang hilfreich finden kann.

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Schmalbarts Strategie

12. Januar 2017

Das Netzwerk »Schmalbart« bezeichnet sich als »Netzwerk von Menschen, die etwas gegen Populismus unternehmen wollen«. In einem lesenswerten Interview im Deutschlandfunk wurde das Netzwerk gestern vorgestellt.


Schauen wir uns an einem Beispiel an, wie Schmalbart bisher agiert. Der Dialog ist sprachlich leicht bearbeitet, um ihn lesbar zu machen. Das Original finden Sie hier auf Twitter.

Der Publizist Dushan Wegner fragt den Account der Initative »Schmalbart«

Wo nehmen Sie eigentlich das Geld her?

Schmalbart antwortet:

Bisher sind es 82 Privatpersonen. Und unsere Mitglieder kommen aus dem ganzen Bundesgebiet.

Dushan Wegner fragt zurück:

Wie viele [davon sind in der] SPD?

Schmalbart antwortet:

Sie haben einen Fav von Tatja Festerling, Glückwunsch!


Was ist aus diesem Dialog erkennbar? Zum einen die Strategie des Ablenkungsmanövers: Schmalbart will auf die Frage nicht antworten, also wird das Thema gewechselt. Es gibt dafür die schöne Metapher »einen roten Hering werfen«.

Zum anderen sieht man das typische Reaktionsmuster politischer Kampagnen aller Seiten: Ich verwende etwas gegen meinen Kontrahenten, das er nicht beeinflussen kann. In diesem Beispiel ist es die Zustimmung einer dritten Person, aus der Schmalbart eine Verbindung konstruiert.

In der Folge haben andere Beteiligte mehr oder weniger sachlich gegen diese willkürliche Konstruktion protestiert. Schmalbart hat auf wenige Einwände geantwortet. Eine Antwort soll noch herausgegriffen werden:

Ja, Selbstbeobachtung ist schwierig, blinder Fleck. Die Resonanz auf eigenes Handeln erste Reflexion.

Hier wird die Diskussion auf eine Meta-Meta-Meta-Ebene verschoben, die mit dem eigentlichen Dialog nichts mehr zu tun hat. Twitter ist bekanntlich eine offene Plattform, auf der jeder Account jedem anderen Account widersprechen oder zustimmen kann. Deshalb sind auch solche Antworten sinnfrei:

Nein, das sagt aus, dass Ihnen Festerling zugestimmt hat bei Ihrem Tweet gegen uns. Wenn Ihnen das nicht zu denken gibt …

Schmalbart geht in seinen Antworten nicht darauf ein, aufgrund welcher sachlichen Zusammenhänge man dort Dushan Wegner mit Tatjana Festerling assoziiert hat. Eine Zustimmung Dushan Wegners zu Aussagen Tatjana Festerlings, die ja ein Indiz für eine Verbindung wäre, wird nicht belegt.


Vorläufiges Fazit: Die bisherige Gesprächsführung des Accounts @Schmalbart1 ist für mich keine Motivation, dieser Initiative Geld zu spenden oder sie ideell zu unterstützen. Ich werde sie aber sachlich und kritisch begleiten.



Untier des Jahres?

11. Januar 2017

Auf der Wissenschaftsseite der FAS vom 08.01.2017 ist ein kurzweiliger Artikel erschienen, in dem diverse »Tiere des Jahres« vorgestellt werden. Wir erfahren etwa, dass die Blindschleiche zum Kriechtier des Jahres gekürt wurde und dass die Spalten-Kreuzspinne nun Spinne des Jahres ist.

Bisher ist aber noch niemand auf die Idee gekommen, ein Untier des Jahres zu küren: Tiere können weder gut noch schlecht handeln, weder gut noch schlecht sein.

Als gestern das »Unwort des Jahres« vorgestellt wurde, gab es wie in jedem Jahr wütende Proteste gegen die Idee, ein solches Wort überhaupt zu benennen. Schließlich seien doch alle Worte unserer Sprache gleich. Würde man ein Wort zum Unwort erklären, käme das einem Redeverbot und einer Einschränkung der Meinungsfreiheit gleich. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, dass da ein Untier des Jahres über unsere Sprache herfällt.

Natürlich sind alle Wörter gleich. Aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass bestimmte Wörter im Verlauf der Geschichte belastet wurden. Es ist auch bekannt, dass Wörter Handlungen auslösen und Schaden anrichten können.

Also darf man Wörter bewerten. Aber kann man sie verbieten? Die Initiatoren der Wahl zum »Unwort des Jahres« haben keinerlei direkte oder indirekte Macht, ein Wort zu verbieten. Sie können allenfalls Denkanstöße geben.

Denkanstöße sind auch mit den »Tieren des Jahres« verbunden: dabei geht es etwa um Lebensräume, um Erkenntnisgewinn in der Forschung und um die Ausbreitung der Arten. Aber niemand ist gezwungen, sich mit den diesjährigen Sandbienen, Libellen, Mäusen oder Eulen zu befassen.

Ebenso ist niemand gezwungen, sich mit dem Unwort des Jahres zu befassen. Wer aber politisch denkt und mit Sprache zu tun hat (und wen betrifft das nicht?), der hat am Tag der Bekanntgabe einen Anstoß, sich mit dem Wort zu befassen.

Man kann sich über die Kommission ärgern, wenn sie etwa Fachbegriffe auswählt, die sie falsch verstanden hat oder in einen falschen Zusammenhang stellt. Beispiele für solche Fehlleistungen waren »Humankapital« und »Entlassungsproduktivität«. Es gab auch ein Unwort des Jahres, das allenfalls anekdotische Evidenz hatte: »betriebsratsverseucht«. Dieser Begriff war der Öffentlichkeit bis zum Tag seiner Wahl völlig unbekannt.

Es gibt also in mehrfacher Hinsicht Anlass zur Kritik an der Auswahl der Unworte. Aber in manchen Jahren landet die zuständige Kommission auch einen Treffer. Dann gibt sie einen Denkanstoß zu einem Wort mit großer Sprengkraft, das auch tatsächlich (wieder) genutzt wird.

»Volksverräter« ist zweifellos ein Wort, das seine Bedeutung nur in totalitären Systemen wie dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus entfalten kann: Volksverrat ist ein Gesinnungsverbrechen, das für Schauprozesse nach der Art des Volksgerichtshofs der Nazis benötigt wird.

Wenn also heute bei Demonstrationen »Volksverräter« skandiert wird, dann setzen die Demonstranten offenbar voraus, dass es wieder solche Prozesse geben sollte. Dass demokratisch gewählte Politiker für ihren »Verrat« vor ein Volksgericht gehörten. Ob manche dabei an einen neuen Roland Freisler denken und andere nur mitbrüllen?

Demokraten müssen sich auf der einen Seite für die Meinungsfreiheit einsetzen. Demonstrationen sollten nicht verboten werden, nur weil auf ihnen vergiftete Worte gebrüllt werden. Auf der anderen Seite müssen sie aber auch wissen, welche Bedeutung diese Worte haben und wie sie in den beiden Diktaturen der deutschen Geschichte verwendet wurden.

Man liest in den sozialen Medien nicht selten »Memes« und Sprüche gegen die sogenannten »Volksverräter« und es ist erschreckend, mit welcher Absolutheit diese Meinungen vertreten werden. Es gibt für die Absender nur noch »Volk« und »Verräter«.

Die diesjährige Bekanntgabe des »Unworts« sehe ich deshalb als Denkanstoß. Wer dazu bereit und in der Lage ist, kann Einfluss auf die Verwendung von Worten nehmen. Niemand muss das tun. Aber es kann ein kleiner Beitrag zum Erhalt der Demokratie sein.

Man sollte das »Unwort des Jahres« also einerseits tiefer hängen: Es ist nicht mit einem Verbot und nicht mit Zensur verbunden. Ebenso ist auch keines der »Tiere des Jahres« im Jahr 2017 über die anderen Tiere gestellt. Man kann sich aber auf den gemeinsamen Nenner einigen: Es sind Denkanstöße für die Sprache in unserer sozialen Umwelt und für die Tiere in unserer natürlichen Umwelt.



Dissidenten

9. Januar 2017

Am Beginn des Jahres 2017 habe ich mich in mehreren Diskussionen dafür eingesetzt, dass der Rahmen des Meinungspluralismus möglichst weit gefasst bleibt.

Zur freien Meinungsäußerung gehören auch: die Kritik, der Boykottaufruf und die Kritik am Boykottaufruf. Ich habe einen Artikel des Mediums »Tichys Einblick« vehement kritisiert und ich kritisiere den Boykottaufruf gegen Roland Tichy ebenso vehement. Roland Tichy hat den Fehler bedauert, den Artikel gelöscht und eine Erklärung veröffentlicht.


So banal es klingt: Alle Print- und Digitalmedien machen Fehler und sie bestehen in der Regel trotzdem weiter. Aus der Erinnerung: Eine linke Zeitung hat den Mauermördern gedankt, eine überregionale Zeitung aus München hat Karikaturen mit antisemitischem Einschlag veröffentlicht, viele als seriös geltende Zeitungen mussten schon Falschmeldungen zurücknehmen.

Zur Erinnerung: Es arbeiten dort Menschen. Es gibt in der Eile sachliche Fehler in der Berichterstattung, es werden die falschen Worte oder die falschen Bilder gewählt, es werden vielen Kommentaren stark verzerrte Informationen zugrunde gelegt. Und manchmal schießen Aktivistinnen oder Ideologen übers Ziel hinaus. Diese Fehler müssen korrigiert werden.

Aber deswegen haben diese Medien doch trotzdem das Recht zum Weitermachen.

Immer vorausgesetzt, dass die Medien ihre Meinungen im Rahmen des Grundgesetzes verbreiten, müssen sie sich auch finanzieren können: durch Abonnements und Spenden, durch Crowdfunding, durch Aufträge an ihre Mitarbeiter oder auch Werbung. Dabei gilt: je weiter ein Medium von der Mehrheit abweicht, desto schwieriger ist seine Finanzierung.


Wer Medien kauft oder abonniert, finanziert damit indirekt auch die Nachrichtenagenturen und den Pressevertrieb mit. Das ist ein Beitrag, der allen Medien und damit letztlich der gesamten Gesellschaft zugute kommt. Einfache Faustregel:

Immer wenn mit Medien Geld umgesetzt wird, dient es direkt oder indirekt uns allen. Das gilt auch wenn uns die Medien politisch nicht gefallen. Es gilt auch dann, wenn es private Boulevardmedien oder die gebührenfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen sind. Sie alle tragen etwas zur Finanzierung der Information und Meinungsbildung bei. Und sie beeinflussen sich gegenseitig: die »taz« gibt der »Jungen Freiheit« vielleicht mehr Impulse, als man auf den ersten Blick denken mag. Und umgekehrt.


Der Boykottaufruf ist ein legitimer Teil der Meinungsäußerung. Ich halte es aber für infam, gegen einzelne Publizisten oder Medien Boykottaufrufe zu starten, die deren Existenz und Reputation gefährden. Je schmaler das Spektrum der geäußerten Meinung wird, desto mehr ist die Demokratie in Gefahr.

Warum ist ein breites Meinungsspektrum so wichtig? Man muss zur Erklärung nicht die große Politik bemühen, es reicht als Beispiel die Geldpolitik:

Die Ausweitung der Geldmenge, die Maßnahmen zur Bankenrettung oder auch die EZB-Finanzierung der Staatsschulden haben direkte Auswirkungen auf unsere Spareinlagen, auf unsere private Vorsorge und auf die Situation der staatlichen Haushalte. Kritische Stimmen zu diesen Themen finden sich im Bundestag fast gar nicht mehr – und in den Massenmedien gibt es sehr wenig fundierte Kritik.

Nur wenige Politiker und Journalisten können diese Zusammenhänge richtig einordnen und vor allem auch verständlich erklären. Durchhalteparolen und oberflächliche Erklärungen findet man überall, billige Meinung bekommt man seitenweise hinterhergeworfen, leider kommt auch immer mehr resigniertes Schweigen dazu.


Diese Armut an Argumenten und diese Sprachlosigkeit fördern Bewegungen wie #Pegida, die sich von den klassischen Medien völlig abkoppeln und nur noch Informationen an sich heran lassen, die ins enge Weltbild passen. Auch die AfD ist in einem Leerraum gewachsen, den die anderen Parteien ihr gelassen haben.

Deshalb sind bürgerliche, linke, liberale und konservative Dissidenten wichtig, die abweichende Meinungen artikulieren. Deshalb ist es falsch, einen nicht ins Bild passenden Dissidenten mit Boykottaufrufen in den persönlichen oder geschäftlichen Ruin zu treiben.

Auch Dissidenten haben das Recht auf Fehler und Fehlerkorrektur. Die Erfahrung aus der DDR zeigt: Wenn Dissidenten zum Schweigen gebracht werden, wird die Gesellschaft mittelfristig immer verarmen und intellektuell stagnieren.


Ich habe heute zum Thema Boykott diesen Absatz gefunden, der nicht etwa aus einem stalinistischen Schauprozess, sondern aus einem vermutlich »irgendwie linken« Blog stammt:

Die Rolle dieser Publikationen bei der Normalisierung fremdenfeindlicher, völkischer, nationalistischer und autoritärer Diskurse ist nicht zu unterschätzen.

Wenn ein solches Klima der Angst erzeugt wird, wenn jede Publizistin und jeder Publizist Angst vor dem Boykottaufruf haben müssen, wenn Menschen bedroht werden und das ihren Kontrahenten nur Anlass für zynische Witze ist, dann bewegen wir uns mit Riesenschritten auf die nächste Diktatur zu. Und wir werden uns nicht aussuchen können, welche Farbe sie hat.


PS: Herzlichen Dank an @Claudia_Mertes für den zusammenfassenden Satz des Abends.

»Wir müssen abweichende Meinungen ertragen, damit wir auch weiter unsere eigene äußern dürfen.«



Pathologisierung

7. Januar 2017

In diesem Artikel geht es um die Pathologisierung von Menschen als psychisch krank und um das totale Absprechen der Diskussionsfähigkeit. Pathologisierung kann auch andere Bedeutungen haben: etwa dass die sexuelle Orientierung als krankhaft eingestuft wird oder dass jemandem eine Krankheit eingeredet wird, die es so gar nicht gibt. Darum geht es hier nicht.

Ein Gastautor des Mediums »Tichys Einblick« hat unter der Überschrift

Warum Sie mit psychopathologisch gestörten Gutmenschen nicht diskutieren sollten

einen Beitrag verfasst, der mir sehr missfällt und dem ich entschieden widersprechen muss. Der Autor beginnt:

Normalerweise liegt es mir vollkommen fern, Menschen zu pathologisieren. Damit sollte man äußerst vorsichtig sein und wenn immer möglich davon absehen. In diesem speziellen Fall erscheint es mir aber notwendig, da ansonsten nicht verständlich wird, was in nahezu allen westlichen Gesellschaften seit einigen Jahrzehnten so gewaltig schief läuft.

Die rhetorische Figur »normalerweise tue ich das nicht, aber hier erscheint es mir notwendig« ändert nichts an der Tatsache, dass bereits die Überschrift für ein bürgerlich-konservatives Medium völlig inakzeptabel ist. Dazu komme ich gleich.

Der zweite Satz des zitierten Abschnitts soll vermutlich aussagen: Ohne die Pathologisierung der Gutmenschen kann man nicht erklären, was in westlichen Gesellschaften schief läuft.

Es wird nicht erläutert, was da »schief läuft«. Es wird auch nicht begründet, warum eine einfache Erklärung für komplexe gesellschaftliche Entwicklungen reichen soll. Ich bin zu höflich, um an dieser Stelle schon grob zu werden, aber es kocht in mir.


Die Geschichte der Pathologisierung ist lang. In allen totalitären Herrschaftssystemen haben die Machthaber gesunde Menschen in die Psychiatrie gesteckt, so z. B. in der UdSSR der Stalinzeit, in China unter Mao, in der DDR oder auch in der ČSSR. Es geschah, um sie zu brechen, um sie in Vergessenheit geraten zu lassen, oder um sie besonders heimtückisch zu bestrafen.

Am Anfang stand dabei immer: Die Machthaber erklären jemanden als »psychopathologisch gestört«. Diese Wendung hat demzufolge in einem Medium der konservativen Mitte und überhaupt im Werterahmen des Grundgesetzes nichts zu suchen.


Der Autor fährt fort:

Und da ich hier keine Einzelpersonen anspreche respektive diagnostiziere, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, möchte ich mir heute diese Freiheit nehmen, von meinem Grundsatz ausnahmsweise abzurücken.

Grün-linke Gutmenschen (eigentlich nur Gutmeiner, weil gute Menschen etwas anderes meint) erscheinen mir – und ich sage das nicht einfach so dahin – krank. Nicht körperlich, sondern geistig-psychisch.

Wir haben in Deutschland eine Partei »Die Grünen« und sie steht mir politisch normalerweise recht fern. Aber sie besteht, verdammt noch mal, aus knapp 60.000 erwachsenen Menschen. Und es ist kaum vermeidbar, dass sich die meisten davon als »grün-links« angesprochen fühlen.

Vermutlich ist das im rechtlichen Sinne keine Beleidigung. Aber es ist eine Ungeheuerlichkeit, allen Personen, die sich als Grün/Links definieren, pauschal die Diskussionsfähigkeit und die geistige Gesundheit abzusprechen. Um das zu erkennen, muss man nicht so viel studieren:

Jürgen Fritz studierte Philosophie (Schwerpunkte: Erkenntnistheorie und Ethik), Erziehungswissenschaft (inklusive Lern- und Entwicklungspsychologie), Mathematik, Physik und Geschichte (Lehramt).

Dafür braucht man nur den gesunden Menschenverstand und den absolut grundlegenden Anstand.


Wenn ein Autor aber so viele Fächer studiert hat, dann sollte er in der Lage sein, eine schlüssige Argumentation aufzubauen. Ich erkenne in dem Artikel keine Antwort auf die rhetorische Frage in der Überschrift

Warum Sie mit psychopathologisch gestörten Gutmenschen nicht diskutieren sollten

Da steht im Grund nur: Das ist so, weil das so ist. Der links-grüne Gutmensch ist psychopathologisch gestört, weil er sich psychopathologisch gestört von der realen Welt abgekoppelt hat – und mit psychopathologisch Gestörten kann man nicht reden.

Der Artikel lässt also auch jegliche Argumentationskette oder auch das Abwägen von Argument und Gegenargument vermissen. Und spätestens an dieser Stelle platzt jeder Kragen:

Sie können Differenzierungen und Bewertungen von Menschen, die immer auch mit Negationen einhergehen, auch solche rein sachlicher Art, innerlich nicht ertragen, weil sie rein gefühlsgesteuert agieren und ihnen die Vorstellung, dass Menschen unterschiedlich, auch für die Gesellschaft unterschiedlich wertvoll, ja, viele sogar schädlich sind, unangenehme Gefühle bereitet und dies für sie der höchste und im Grunde einzige Maßstab ist, wie sich etwas anfühlt. Ganz wie beim Tier oder beim Kleinkind.

Jetzt werden also die kognitiven Fähigkeiten von erwachsenen Anhängern der links-grünen politischen Richtung auf eine Stufe mit den kognitiven Fähigkeiten von Tieren und Kleinkindern gestellt. Ja, hackt es jetzt?

Allein die absurde Idee, erwachsene Menschen, Tiere und Kleinkinder auf diese Weise in einen Zusammenhang zu bringen, hätte in der Redaktion Alarm auslösen müssen. Ganz abgesehen von dem Versuch, bei Unbekannten (wörtlich) ein »tief gestörtes Verhältnis zum eigenen Ich« zu diagnostizieren. Oder von der Überweisung zum Facharzt:

Mit derart gestörten Personen sollte man nicht großartig diskutieren. Man muss sie behandeln. Aber das müssen spezialisierte Fachärzte machen.

Der Artikel hätte so nie veröffentlicht werden dürfen und auch die Diskussion ist überflüssig. Mit Verlaub, Herr Präsident, mit Verlaub, Herr Tichy: Wie kann ein Mann so viele wunderbare Fachgebiete (inklusive Philosophie und Ethik!) studieren und dann so eine Scheiße schreiben?


Weil die Anfrage von »Tichys Einblick« kam und weil auch andere angefragt haben: Alle meine Artikel können in jedem beliebigen Umfang sinnerhaltend zitiert oder »re-bloggt« werden. Als Quelle bitte einfach mein Blog verlinken. Weil es manchmal das Missverständnis gibt: »stefanolix« ist ein Pseudonym. Ich heiße nicht Stefan Olix und das Pseudonym ist auch nicht so gemeint.



Den Hunger auf der Welt mit Feminismus bekämpfen?

4. Januar 2017

Seit dem Advent 2016 schaue ich mir regelmäßig Beiträge aus anderen politischen »Lagern« an. Gestern Abend wurde ich auf einen Beitrag aus einem linksradikal-feministischen Blog aufmerksam gemacht, aus dem ich mir nur den letzten Absatz zum Kommentieren entnehme. Die Fortsetzung des Zitats finden Sie unten.

Jüngst las ich einen Zeitungsartikel. Demnach veröffentlichte die FAO, die Welternährungsorganisation, eine Studie (6), die zeigte, dass, wenn Frauen in ländlichen Regionen die gleichen Chancen hätten wie Männer, 150 Millionen Menschen weniger Hunger leiden würden weltweit. Warum? Weil Frauen das Geld besser einsetzen und erfolgreicher wirtschaften.

Verlinkt ist unter dem Artikel die Zusammenfassung einer politischen Studie des WFP (Welternährungsprogramm der UN). Darin werden einige plausible Thesen vertreten, es wird aber auch bedenkenlos Kausalität mit Korrelation verwechselt und es wird vor allem auf eine viel zu einfache Lösung gesetzt: »Frauen sind die Lösung für das Problem Hunger«. Ein Beispiel für einen klassischen Fehlschluss:

10. Bildung ist der Schlüssel. Eine Studie zeigt, dass die Frauen mit einem Schulabschluss gesündere Familien haben. Ihre Kinder sind meist besser genährt und sterben seltener an vermeidbaren Krankheiten. (Quelle: FAO, 2011)

Es ist aber genau anders herum: Gesellschaften auf einem höheren sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Niveau haben eine bessere Gesundheitsversorgung, nähren ihre Kinder besser – und geben ihren Mädchen und Frauen eine bessere Bildung.

Nur zu diesem Thema habe ich einen kurzen, sachlichen Kommentar geschrieben. Er wurde natürlich nicht veröffentlicht, sondern offenbar inzwischen von der Moderation gelöscht. Hier ist er dokumentiert:


Ich denke, dass man die Arbeit [ich sage bewusst nicht: den Kampf] gegen den Hunger und für bessere Ernährung unbedingt im Sinne der Arbeitsteilung sehen muss. Arbeitsteilung im Sinne der Herstellung notwendiger Voraussetzungen (Werkzeuge, Maschinen, Düngemittel), im Sinne der eigentlichen Feldarbeit, im Sinne der Logistik und schließlich auch im Sinne der Verteilung der Lebensmittel. In einigen Regionen kommt noch der Schutz der Arbeitenden gegen Überfälle hinzu.

Das kann man nicht auf den in Ihrem Link angesprochenen Unterschied Frau-Mann reduzieren. So romantisch es klingt: eine Farm, ein Bauernhof oder auch ein Weingut nur »in der Hand von Frauen« kann in der modernen Welt nicht funktionieren und es wird immer nur eine Scheinlösung bleiben. Im Falle des Weinguts ist »Wein aus Frauenhand« sicher eine clevere Masche in Marketing und PR, aber das Prinzip löst sicher nicht das Hungerproblem. Wir alle (Frauen und Männer) sind Teil einer arbeitsteiligen Gesellschaft und wir müssen fair zusammenarbeiten.

Es ist völlig richtig, bei der Lösung der Probleme in der Dritten Welt die Frauen zu unterstützen und einzubeziehen: Schulbildung, berufliche Ausbildung, Gesundheit, aufgeklärte Selbstbestimmung über die Geburten, AIDS-Prävention usw.

Aber es ist auf der anderen Seite falsch, sich von einer Landwirtschaft »von Frauen für Frauen« die Lösung des Hungerproblems zu erhoffen. Da müssen auf jeder Ebene der sozialen Vernetzung und in jedem Teil der landwirtschaftlichen Prozessketten Frauen UND Männer einbezogen werden.


Die feministische Autorin fährt fort:

Ich schnitt den Zeitungsartikel aus und trage ihn seither bei mir. Wenn ich sie treffe, die barttragenden linken Männer meiner Jugend, jetzt gealtert und ein bisschen wehleidig, und sie mich fragen, warum ich dieses ganze Feminismusding auf einmal so verbissen sehe und mich dann vorwurfsvoll fragen, warum ich auf keine Demos mehr gehe, jetzt, wo doch alles so schlimm sei, dann hole ich den Zeitungsartikel hervor und zeige ihn ihnen.

Natürlich ist es aus ihrer Sicht legitim, dass sie einen Zeitungsartikel und die Website einer Studie als Argument für ihre Meinung einsetzt. Aber verengte Weltbilder (wie den Linksradikalismus) wird man nicht los, indem man ein neues verengtes Weltbild (wie den Radikalfeminismus) annimmt.

Der Feminismus muss nicht links oder rechts werden, er muss nicht die Welt retten vor dem Rechtsruck, nur damit wir Frauen im nächsten Augenblick wieder die dressierten Sexobjekte der linken Weltverbesserer sein dürfen. Wer die Welt retten will, muss aufhören, links zu sein und damit beginnen, Feminist zu werden.

Das ist mehrfach falsch. Erstens hat noch niemals eine ausgrenzende Ideologie »die Welt gerettet«. Zweitens sind Männer in unserer modernen westlichen Gesellschaft schon lange keine homogene Gruppe aus Unterdrückern und Weltverbesserern mehr. Und drittens sollte man sein Weltbild niemals nur auf den Informationen aufbauen, die ins Bild passen. Das endet nämlich immer in Unfreiheit.

Der oben verlinkte Artikel hat ja viele Absätze und beschreibt einen ziemlich klar gescheiterten politischen Lebenslauf. Oft fragt man sich beim Lesen: Wie ist das möglich und warum lassen Frauen in linksradikalen/-autonomen Verhältnissen so etwas mit sich machen? Aber andererseits leben wir in einer pluralistischen und immer noch ziemlich freien Gesellschaft. Ein Ausstieg aus einengender Ideologie sollte in jedem Alter möglich sein.