Über Armut und Reichtum kann man ausgiebig diskutieren. Dafür sind aber zwei Voraussetzungen notwendig: Zum einen brauchen wir gute Informationen und zum anderen müssen wir politische Argumente und Gegenargumente wirken lassen.
Die »Sächsische Zeitung« ist an dieser Aufgabe gestern weitgehend gescheitert. Sie hat auf der ersten Seite an prominenter Stelle einen Artikel zum Thema Armut platziert, der zum einen parteiisch zugunsten der Linkspartei und zum anderen inhaltlich sehr flach ist.
Eine Scheinleistung
Anlass des Artikels sind Äußerungen des LINKE-Politikers André Schollbach. Schollbach hat laut Artikel »Daten per Anfrage an die Staatsregierung ermittelt« – die aber jeder Bürger kostenlos bei den Statistikbehörden herunterladen kann.
Schollbach legte der Zeitung laut Artikel »eine Übersicht vor«. Interessant ist daran nur, dass er den altbekannten Daten inhaltlich nicht das Geringste hinzufügt. Abgesehen von diesen Versatzstücken linker Ideologie:
„Es gibt viele Menschen, die nichts haben und wenige, die enormen Reichtum anhäufen konnten.“ Der Abgeordnete kritisierte, es würden „Gewinne aus Aktienspekulationen recht zurückhaltend besteuert, während der Staat bei der Besteuerung von Arbeitseinkommen kräftig zulangt“.
Langweilig! Warum kommt André Schollbach damit auf die Seite 1 der »Sächsischen Zeitung«? Es gibt in seinen Äußerungen keine einzige Information, die neu oder originell wäre.
Die vier Schwächen des Artikels der »Sächsischen Zeitung«
Erstens werden André Schollbach Leistungen zugeschrieben, die trivial sind: Die Daten werden seit mehr als 10 Jahren in der amtlichen Sozialberichterstattung für alle Bürger ins Netz gestellt.
Zweitens werden ausschließlich die Argumente der Linkspartei wiedergegeben – es gäbe aber auch liberale, konservative oder sozialdemokratische Argumente zur Armut.
Drittens werden uns als Leserinnen und Lesern die eigentlichen Quellen vorenthalten – die ich als Blogger selbstverständlich offenlege. Es ist online kein Problem und es wäre auch in der Zeitung kein Problem, den Leserinnen und Lesern die Links bereitzustellen. Journalisten sind keine »Gatekeeper« mehr – sie sollten sich auch nicht als solche aufspielen.
Viertens wird behauptet, es gäbe für Sachsen keine Daten zum Reichtum – was nicht stimmt. Es gibt die Daten aus derselben Quelle und in derselben Qualität, wie die Daten zur Armutsgefährdung.
Die frei verfügbaren Datenquellen
Die im Artikel erwähnten Daten aus der Sozialstatistik muss man keinesfalls per Anfrage an die Sächsische Staatsregierung »ermitteln«. Auf der Seite zur Amtlichen Sozialstatistik stehen alle Zahlen zum Herunterladen bereit.
Die Armutsgefährdungsquote kann auf die gesamte Bundesrepublik oder auf die einzelnen Bundesländer bezogen werden.
Wenn Ost-Bundesländer am Median (mittleren Einkommen) der gesamten Bundesrepublik gemessen werden, kommen sie dabei natürlich schlechter weg. Die Zahlen aus Tabelle A.1.1 macht sich André Schollbach zunutze: er kann damit die Armutsgefährdung mit einer größeren Quote darstellen.
Man kann Sachsen aber auch an Sachsen messen: Die Ungleichheit hierzulande ist geringer als in Bayern oder Hessen. Dann ist logischerweise die Armutsgefährdungsquote deutlich geringer. Die Zahlen sind in Tabelle A.1.2 zu finden.
Interessant sind die Armutsgefährdungsschwellen: In Sachsen ist ein Ein-Personen-Haushalt ab 834 Euro armutsgefährdet, in Baden-Württemberg ab 1033 Euro. Die regionalen Einkommen werden also berücksichtigt – aber der Maßstab ist der Bundes-Median.
Am Ende des Artikels behauptet der Autor:
»Über die Entwicklung von Reichtum, die Schollbach ebenfalls abfragte, liegen für Sachsen nur vage Daten vor.«
Das stimmt nicht. Die Daten kann man unter der Rubrik »Einkommensreichtumsquote« abfragen. Es gibt die Tabelle A 4.2 (Einkommensreichtumsquote nach Bundesländern gemessen am Landes- bzw. regionalen Median. Und es gibt die Tabelle A 4.1 (gemessen am Bundes-Median). Wenig überraschend: Auf Sachsen bezogen ist die Quote etwas höher, als auf den Bund bezogen – weil im Osten auch die Einkommen der »Reicheren« kleiner als im Westen sind.
Das Fazit
Statt Propaganda der Linkspartei will ich in der Zeitung Zahlen, Daten und Fakten lesen. Der Autor erwähnt in seinem Artikel zwar:
Wissenschaftliche und statistische Definitionen von Armut sind aber komplex und streitbar. Als armutsgefährdet gilt nach EU-Standards vereinfacht gesagt derjenige, der weniger als 60 Prozent des regionalen Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat. Der Wert wird auf Basis des Haushaltsnettoeinkommens berechnet.
Aber warum die Definition umstritten (nicht »streitbar«) ist, wird nicht thematisiert. Die Sozialstatistik zeigt nicht absolute Armut, sondern sie zeigt Ungleichheit an. Außerdem werden die meisten Studierenden und Auszubildenden als »arm« bezeichnet, obwohl sie noch lernen und kein richtiges Arbeitseinkommen erzielen.
Der Autor hat mit seinem Artikel in der »Sächsischen Zeitung« sicher der Linkspartei und dem begnadeten Selbstdarsteller André Schollbach einen Dienst erwiesen – den Leserinnen und Lesern eher nicht.
Ergänzung 1: Die Dresdner Zeitung »DNN« schreibt heute auf Seite 4 ohne jede Inspiration aus dem gestrigen Artikel der »Sächsischen Zeitung« ab. Man fühlt sich wie im Sommerloch: Gibt es wirklich keine wichtigeren Themen?
Ergänzung 2: Man kann den Text der »Kleinen Anfrage« und die Antwort im Netz finden. Pointe: Die Staatsregierung präsentiert dem Abgeordneten – die Tabelle aus dem Netz. Das ist fast schon eine Ohrfeige.
Link: https://s3.kleine-anfragen.de/ka-prod/sn/6/7918.pdf