Alles begann mit einer Grafik der »Tagesschau«: Sie zeigt linke und rechte Straftaten, die aus Hass begangen worden sein sollen. Diese Grafik wird gern zur Unterstützung der Argumentation »von ›Links‹ geht doch keine Gefahr aus« eingesetzt.
Zu Beginn ein Appell: Beschimpfen Sie bitte nicht diejenigen Nutzer, die in den sozialen Netzwerken mit der Grafik der Tagesschau daherkommen. Antworten Sie sachlich, ohne Drohungen und Schimpfwörter. Bringen Sie Argumente. Dann haben Sie schon mal nach Punkten gewonnen – und vielleicht können Sie sogar jemanden überzeugen.
Sie finden die Grafik in der Mitte dieses Tweets.
Die Grafik der Tagesschau stellt für 2015 die riesige Zahl von 9.426 Straftaten »rechter Hasskriminalität« der hundertfach kleineren Zahl von 96 Straftaten »linker Hasskriminalität« gegenüber. Ist also »Rechts« hundertmal schlimmer als »Links«? Um das herauszufinden, lohnt sich ein Blick auf die Zahlen.
Was ist eigentlich Hasskriminalität?
Die Zahlen der Tagesschau stammen aus einer gesonderten Auswertung der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität (PMK). Das Besondere an dieser Statistik politischen Auswertung ist: Sie beschränkt sich ausschließlich auf Hasskriminalität – also auf Straftaten, von denen man annimmt, dass sie aus Hass begangen werden.
Dafür hat die Politik spezielle Kategorien geschaffen, mit denen nahezu alle »rechten«, aber nahezu keine »linken« Straftaten abgedeckt sind. Um es für den Teilbereich der Gewalttaten in konkrete Zahlen zu fassen (die Zahlen der Gewalttaten stammen vom Verfassungsschutz):
Von den »rechten« Gewalttaten des Jahres 2015 finden sich 980 von etwa 1.400 in der Hasskriminalität wieder.
Von den »linken« Gewalttaten des Jahres 2015 finden sich dort ganze 24 von etwa 1.600 Gewalttaten.
Noch einmal in Prozent: Aus Hass wurden laut dieser politischen Einordnung 70 % aller rechten, aber nur 1,5 % aller linken Gewalttaten verübt. Wenn man die Zahlen der PMK zugrundelegt, ist der Anteil »links« noch wesentlich kleiner und »rechts« etwas kleiner.
Wie kommen diese Ergebnisse zustande?
Die Gewalttaten der »Linken« werden zwar in der PMK-Statistik und im Verfassungsschutzbericht erfasst, aber sie werden aus der Erfassung der Hasskriminalität fast vollständig wieder herausgenommen.
Das geschieht mit einem simplen politischen Trick, der nichts mit Statistik zu tun hat: Straftaten von »Linken« werden durch das Festsetzen geeigneter Kategorien nicht als Hasskriminalität gewertet. Es rutscht allenfalls das eine oder andere Delikt durch, das sowohl von rechts als auch von links begangen werden kann – etwa einige Fälle des Antisemitismus.
Wenn aber Linksextremisten in Leipzig mit Steinwürfen und anderen Gewalttaten eine Polizeiwache überfallen, dann geschieht das im Rahmen dieser politisch verordneten Einordnung nicht aus Hass.
Es verwundert natürlich, dass der Staat Angriffe auf seine eigenen Beamten nicht als Hasskriminalität zählt. Ich kann dazu nur sagen: Ich habe als zufälliger Zeuge Angriffe gegen Polizisten gesehen und ich habe auch den herausgebrüllten Hass der Täter gehört. Ich würde dafür eine eigene Kategorie schaffen.
Eingeschobener Hinweis: Ich habe den Bereich der Gewalttaten gewählt, weil diese Taten wenigstens annähernd vergleichbar sind. Propagandadelikte sind bekanntlich zu 99 % »rechte« Straftaten: Es ist aus guten Gründen strafbar, den Holocaust zu leugnen, bestimmte Naziparolen zu grölen und ein Hakenkreuz an die Wand zu malen.
Es ist dagegen nicht strafbar oder wird kaum verfolgt: die Verbrechen des Stalinismus, des Maoismus oder auch des nordkoreanischen Regimes zu leugnen, deren Parolen zu grölen, und deren Symbole zu verbreiten.
Wie sind die Gewalttaten von Rechts und Links einzuordnen?
Die Statistik des Verfassungsschutzes und die allgemeine PMK-Statistik weisen für 2015 mehr linke als rechte Gewaltstraftaten aus. Der Verfassungsschutz nennt 1.608 linksextremistische und 1.408 rechtsextremistische Gewalttaten.
Zwischen den Statistiken des Verfassungsschutzes (Verfassungsschutzbericht) und der Innenministerien (PMK) gibt es Unterschiede, weil der Verfassungsschutz nur Straftaten mit ausdrücklich extremistischem Hintergrund zählt. Die Innenministerien zählen dagegen jede politische Gewalt. Aber diese Unterschiede kann man im Rahmen dieses Themas vernachlässigen.
Eine interessante Frage stellte Martin Domig auf Twitter: »Wie wird festgestellt, ob eine Tat links oder rechts eingeordnet wird?« – Ich denke, dass der Verfassungsschutz hier vor allem auf die Gruppenzugehörigkeit der Täter und auf die Motive schaut. Aber nach der Hufeisentheorie treffen sich rechte und linke Totalitäre ja bekanntlich in ihrer Ablehnung des demokratischen Rechtsstaats.
Hat die Tagesschau gelogen?
Nein! Die Tagesschau hat mit ihrer Grafik eine staatliche Statistik politische Interpretation wiedergegeben, die in dieser Form offiziell herausgegeben wird. Die Grafik gibt die Zahlen soweit auch richtig wieder. Die Tagesschau lügt weder mit der Grafik noch mit den Zahlen.
Diese Statistik politische Interpretation ist aber erklärungsbedürftig: Aus welchen Straftaten wird sie zusammengestellt? Was wird weggelassen und warum wird es weggelassen? Warum werden Gewalt und Propaganda in einem Balken zusammengefasst?
Deshalb ist der Tagesschau trotzdem ein Vorwurf zu machen: Sie scheitert an der Aufgabe, die Zahlen für ihr Publikum richtig einzuordnen – oder sie hat es nicht gewollt. Das vermag ich nicht einzuschätzen. Die Zahlen sind jedenfalls so brisant, dass sie eine Erklärung notwendig gehabt hätten.
Werden wir in Zukunft bessere Statistiken bekommen?
Um es ehrlich zu sagen: Es sieht nicht danach aus. Man kann jede fragwürdige Statistik Interpretation noch ein Stück fragwürdiger machen. Der Begriff der Hasskriminalität wird in Zukunft noch weiter gefasst: er umfasst nun auch »islambezogene Hasskriminalität«.
Wenn aber jemand aus Hass gegen Christen hetzt, die Scheiben eines Gemeindehauses einwirft, eine christliche Kirche anzündet oder diesen Brand bejubelt, dann ist es auch in Zukunft kein Hassverbrechen.
Wenn jemand Polizisten mit Steinen und Feuerwerkskörpern angreift, Hass gegen sie verbreitet oder ihnen mit Überfällen auf dem Heimweg vom Dienst droht, dann sind diese Straftaten mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht in der Statistik politischen Interpretation der Hasskriminalität zu finden.
Fazit
Was richtet man mit Statistiken an, die eine große Kategorie von Straftaten (»Rechts«) in den Vordergrund stellen und die andere Kategorie (»Links«) verschleiern? Man verletzt das Rechtsempfinden der Bürger, man untergräbt das Vertrauen der Bürger in staatliche Stellen und staatliche Zahlen.
Deshalb noch ein Appell an jede Leserin und jeden Leser dieses Textes: Bewahren Sie bitte die Ruhe und lesen Sie die Zahlen einen kühlen Kopf. Halten Sie kritische Distanz zu Statistiken: Die meisten sind wirklich gut, nur wenige sind zweifelhaft. Finden Sie heraus, welche Statistiken Ihnen einen Erkenntnisgewinn bringen. Reden Sie mit anderen Menschen darüber. Verdammen Sie bitte nicht jede Statistik, nur weil es einige schlechte gibt.
Quellen: Die Statistiken der Hasskriminalität und der politisch motivierten Kriminalität sind in dieser Pressemitteilung als PDF-Dateien verlinkt.
Der Verfassungsschutz berichtet über linksextremistische und rechtsextremistische Straftaten.
Zur Stärkung Ihrer Medienkompetenz können Sie ja dann in diesem Artikel der ZEIT nach »rechten« und »linken« Gewalttaten suchen ;-)
Viel Erfolg beim Auswerten!
Ergänzung 1: Delikte unter falscher Flagge
Das Hakenkreuz steht für die Nazis und die Naziverbrechen. Es ist in Deutschland ein verbotenes Symbol und wird als »rechte Hasskriminalität« eingestuft. Allerdings ist es sehr leicht, ein Hakenkreuz zu schmieren oder zu sprühen. Das Hakenkreuz wurde z.B. zur Tarnung von Straftaten verwendet:
Bingen: Brandstiftung
Vorra: Verschleierung von Baumängeln
Es gibt aber auch Fälle, in denen ein Überfall und Übergriff schlicht erlogen wurde: dazu gehört der Hakenkreuzfall von Mittweida.
Das sind drei Fälle, die aufgeklärt werden konnten. Sie waren in ihren Auswirkungen so brisant, dass Polizei und Staatsanwaltschaft eine Menge Ermittlungsarbeit hineinstecken mussten: Brandstiftung, Zerstörung, Vortäuschung einer schweren Straftat.
Aber es gibt auch viele »harmlose« Fälle, in denen Nazisymbole einfach so geschmiert werden und die Täter im Schutz der Dunkelheit entkommen: In Wahljahren werden Wahlplakate von Politikern aus CDU, FDP und seit einigen Jahren auch AfD des öfteren damit verunstaltet. Diese Fälle lassen sich kaum jemals aufklären. Das Hakenkreuz gilt dann nichtsdestotrotz als rechte Hasskriminalität, obwohl es auch von jedem politischen Gegner der genannten Parteien kommen kann.
Ergänzung 2: Statistik oder politische Interpretation?
Ich habe an einigen Stellen das Wort »Statistik« durchgestrichen und durch »(politische) Interpretation« ersetzt. Mit folgender Begründung: Die Erfassung der Straftaten durch den Verfassungsschutz als »linksextremistisch« oder »rechtsextremistisch« kann noch als Statistik bezeichnet werden. Die PMK-Statistik der Innenministerien ebenfalls – auch wenn hier politischer Einfluss genommen wird. Dagegen ist die spätere Aufgliederung der Zahlen in »Hass« und »kein Hass« eine rein politische Entscheidung.
Ergänzung 3: Wer sich gehasst fühlt …
In einer Agenturmeldung vom 28.02.2017 wurde verbreitet, dass dem Europarat die Statistik noch lange nicht ausreicht.
Wenn die Darstellung der Agentur richtig ist, soll künftig nach Auffassung des Europarats jedes Delikt als Hasskriminalität gelten, das von ausgewählten Gruppen oder Einzelpersonen, Lobbyisten oder Aktivisten als solche definiert wird (Hervorhebung von mir):
Die Kommission forderte Deutschland auf, alle Taten als Hasskriminalität zu verstehen, die Opfer oder Dritte als rassistisch, homo- oder transphob auffassen. Die Reduzierung auf Delikte, die sich gegen eine Person etwa wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Hautfarbe, Religion oder sexuellen Orientierung richteten, sei zu restriktiv.
Hasserfüllte Gewalt gegen die Vertreter des Rechtsstaats, gegen Investoren, gegen Eigentümer von Wohnungen oder einfach nur gegen die Mitglieder einer christlichen Kirchgemeinde wird dagegen auch weiterhin nicht erfasst werden.