Wie Medien über Barmbek und Israel berichten

Stellen wir uns einen Augenblick vor, deutsche Medien hätten über den Terroranschlag von Barmbek in einem ähnlichen Stil wie über die Ereignisse auf dem Tempelberg berichtet:

Im Hamburger Stadtteil Barmbek haben vier Anwohner mit Stühlen, Tischen und Stangen einen palästinensischen Flüchtling angegriffen und verletzt. Dieser war vorher aus einem Supermarkt gekommen. Dort hatte er nach seinem Einkauf mehrere Menschen mit einem Messer angegriffen. Vier Menschen wurden verletzt und einer getötet.

Eine Meldung in diesen Stil scheint absurd und würde einen Sturm der Entrüstung auslösen. Es stimmen zwar alle Fakten, aber sie sind in einer völlig falschen Weise dargestellt.


Dieser Stil findet sich aber fast täglich in Meldungen über den Tempelberg, über den Gaza-Streifen oder über die Angriffe an Grenzübergängen. Viele Leser, Zuhörer und Zuschauer ärgern sich darüber. Zu kritisieren sind folgende Punkte:

Erstens werden Ursache und Wirkung vertauscht: Die Ursache einer Aktion darf in der Nachricht niemals am Ende stehen.

Zweitens werden gleiche Worte für unterschiedliche Kategorien verwendet. Es ist aber ein Unterschied, ob jemand bei einem Angriff oder bei der Abwehr einer Gefahr verletzt wird.

Drittens bekommen Angreifer und Attentäter oft mehr Beachtung als die Verteidiger und Sicherheitskräfte. In den Mittelpunkt einer Meldung gehören aber nicht die Probleme oder Beweggründe des Terroristen, sondern seine Tat und seine Opfer.

Und viertens hören wir viel zu oft die Passiv-Wendungen »es wurden … getötet« oder »es wurden … verletzt«. Es ist aber ein Unterschied, ob ein Angreifer friedliche Menschen tötet oder ob die Polizei den Angreifer tötet. Die Passivkonstruktion verschleiert die Realität.


Nicht alle Merkmale treffen auf jede Nachricht zu, aber es gibt Beispiele erschreckender Gedankenlosigkeit (oder muss man Absicht unterstellen?):

Die Tagesschau: Aus Protest gegen die verschärften Sicherheitsvorkehrungen am Tempelberg in Jerusalem haben heute Tausende Muslime auf der Straße gebetet. Danach kam es zu Zusammenstößen zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften – drei Menschen wurden getötet. [Quelle]

Die ZEIT: Israel baut die Metalldetektoren ab, die Krawalle und blutige Angriffe ausgelöst hatten. Sehr spät versucht die Regierung, die Situation zu entspannen. [Quelle]

Die Tagesschau: Ein älterer palästinensischer Mann steht vor seinem Haus und wischt sich Tränen aus dem Gesicht. Sein Sohn hat am Vorabend drei Israelis getötet. Manche israelische Medien schreiben, er habe die Familienmitglieder förmlich abgeschlachtet. „Der Junge hat gesehen, was die Israelis gerade an der Al-Aksa-Moschee machen“, sagt er. „Sie töten, schlagen, verwunden die Menschen. Es gibt keine Gebete in unserer Heiligen Stätte mehr.“ Wenn es diesen Ort nicht mehr gebe, sagt der Vater, dann verschwinde auch die Ehre der Muslime. [Quelle]


Im Fall Barmbek erscheint es jedem völlig absurd, in dieser Reihenfolge über Ursache und Wirkung zu berichten. Die Nachrichten über Israel wurden aber jahrelang so präsentiert, bis sich endlich Protest bemerkbar machte. Schauen wir den Medien auf die Finger! Zur Übung:

Die Tagesschau: In den vergangenen Tagen war es in Jerusalem und dem Westjordanland immer wieder zu Unruhen gekommen. Auslöser waren zwischenzeitliche neue Sicherheitskontrollen für muslimische Gläubige am Tempelberg. Zwar baute Israel alle Kontrollvorrichtungen an den Zugängen ab. Dennoch war auch gestern die Gewalt eskaliert. Nach Angaben des Roten Kreuzes wurden 96 Palästinenser bei Zusammenstößen mit israelischen Polizisten verletzt. Es flogen Steine, Tränengas und Gummigeschosse. [Quelle]

Bekanntlich war der eigentliche Auslöser ein ganz anderer: Palästinensische Attentäter ermordeten zwei israelischen Polizisten. Man muss aber diesen Zusammenhang gar nicht kennen, um den Absatz zu kritisieren:

  1. Es ist nicht einfach »zu Unruhen gekommen« und die Sicherheitskontrollen waren auch nicht der »Auslöser«.
  2. Die Gewalt ist nicht einfach »eskaliert«, sondern die Palästinenser haben angegriffen.
  3. Es waren keine »Zusammenstöße«, sondern Angreifer trafen auf Verteidiger.
  4. Die Steine flogen nicht einfach so durch die Luft, sondern die Angreifer haben mit Steinen geworfen.
  5. Die Sicherheitskräfte haben auf die Angriffe mit Gummigeschossen und Tränengas geantwortet.
  6. (Zusatz): Es wurden sicher auch israelische Polizisten und Soldaten verletzt, aber davon findet sich gar nichts in der Meldung.

Ein größeres sprachliches und inhaltliches Versagen als in diesem Absatz scheint kaum noch möglich. Ich will nicht warten, bis Nachrichten über Ereignisse wie in Barmbek ebenso klingen.


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20 Responses to Wie Medien über Barmbek und Israel berichten

  1. Fidel sagt:

    Danke, dass Du es wieder einmal treffend auf den Punkt gebracht hast!

    Zum Thema #fakenews gab es die Tage zwei weitere lesens- bzw. sehenswerte Beiträge:

    Einmal vom Blog „Belles Lettres“, der mehrere Tagesthemen-Beiträge und deren „innere Logik“ in einem knapp zweistündigen Video auseinander nimmt

    http://www.belleslettres.eu/content/sprache/fakenews.php

    Zum Anderen einen Artikel von „Kritische Wissenschaft, der sich mit dem ARD-Faktenfinder auseinander setzt

    https://sciencefiles.org/2017/07/28/plumpe-ard-manipulation-linksextremismus-verharmlosen-teil-x/

    • stefanolix sagt:

      Danke für die Hinweise! Kritik an den ÖR-Medien ist allein deshalb Pflicht, weil wir als Abgabenzahler alle gezwungen sind, sie mit zu finanzieren.

      Aber es geht tiefer. Man müsste mal all die dpa-Meldungen über Israel analysieren, auf deren Basis die Zeitungen ihre Artikel erstellen (oft: kopieren).

    • Michael_DD sagt:

      stefanolix : Drittens bekommen Angreifer und Attentäter oft mehr Beachtung als die Verteidiger und Sicherheitskräfte. In den Mittelpunkt einer Meldung gehören aber nicht die Probleme oder Beweggründe des Terroristen, sondern seine Tat und seine Opfer.

      Wie wahr!
      Ein unschönes Beispiel für diese Mache kann man hier nachlesen : Die Opfer kommen als Zahl vor, weil es beim Abschlachten halt Opfer gibt. Der Vater des Täters darf sich ausbreiten. Es gab auch ein Video, zu sehen wie er vor lauter Selbstmitleid heult.
      Eine andere Methode bei ÖR-Nachrichten ist die bewertende Wortwahl. Gegenwärtig läuft ja in Deutschland eine Kampagne gegen den Dieselmotor im PKW. In einer total faktenfreien – was die NOx-Problematik betrifft – Presseclub-Sendung am 23.7.1017 fielen Ausdrücke wie falsche Technologie, Auslauf-Technologie. Nun gut, dort wird diskutiert. In einer gestrigen Nachrichtensendung des ZDF wurde der Diesel als „Technik des vorigen Jahrhunderts“ abqualifiziert. Das ist Polemik vom Feinsten.
      Nur als Kontrastprogramm : Käme jemand auf die Idee, die Papierherstellung und den Buchdruck als Technik aus dem vorigen Jahrtausend zu bezeichnen, nur weil in einer Papiersorte/Druckerfarbe Schadstoffe entdeckt wurden!?
      Aber die Dieselgeschichte ist m.E. stoffhaltig genug für einen eigenen Artikel.

  2. […] Wie Medien über Barmbek und Israel berichten – stefanolix […]

  3. Paul sagt:

    Lieber stefanolix,
    danke, dass Du auf diesen Missstand hingewiesen hast. Wenn das mit Lügenpresse bezeichnet wird, dann sitzt derjenige, der dies vertritt sehr schnell als Nazi auf der „Anklagebank“. Eine Verdrehung der Wahrheit ist für mich eine besonders perfide, weil subtile Form der Lüge.
    Aufgedeckt und angeprangert wird das schon seit einigen Jahren an verschiedenen Stellen im Internet. Broder beanstandet das immer wieder, heplev auch. Von dem unermüdlichen Kämpfer gegen Antisemitismus Gerd Buurmann (Tapfer im Nirgendwo) wird das immer wieder, auch mit direkten offenen Briefen bei den Medien beanstandet.

    Hat sich etwas geändert?
    Es ist der Kampf gegen Windmühlen.
    Die Medienaufsicht ist zu lahm und schwerfällig; ein zahnloser Tiger.

    Trotzdem dürfen wir nicht nachlassen. Deshalb danke ich Dir.

    Herzlich, Paul

    • stefanolix sagt:

      Es ist nicht zu spät. Es gibt in den Medien und in den sozialen Netzwerken eine Gegenbewegung.

      Ich unterstelle der ARD in Tel Aviv, der dpa und dem DLF nicht, dass sie lügen.

      Sie präsentieren aber die Fakten so, dass Israel schlechter dasteht. Sie lassen Fakten weg, die für Israel sprechen könnten oder die aus der Sicht Israels wichtig für das Gesamtbild wären.

  4. nk sagt:

    Will man Ursache und Wirkung so anführen, wie von Dir gefordert, müsste sich jeder Bericht durch die Jahrhunderte kämpfen. Auch aktuelle politische Entwicklungen sind letztens nur Symptome älterer Konflikte. Ganz ehrlich – explizite Schuldzuweisungen in den Medien will ich eigentlich nicht sehen, das heißt nämlich wiederum Parteilichkeit von Tagesschau und Co.

    > Es ist aber ein Unterschied, ob jemand bei einem Angriff oder bei der Abwehr einer Gefahr verletzt wird.
    Eigentlich nicht. Weil Motivation und Ereignis zwei völlig verschiedene Dinge sind. Demos allerorten zeigen ja auch deutlich: die Wahrnehmung, was ein Angriff auf die eigene Person, Meinung, Weltbild etc. ist, ist auch stark subjektiv.

    • stefanolix sagt:

      Was Sie verlangen, ist eine Übertreibung. Es geht nicht um Erbsünde, Erbfeindschaft oder Schuld. Sondern:

      Ein aktuelles Geschehen muss von Anfang an und nach dem Prinzip Ursache – Wirkung erzählt werden. Das wollte ich mit meiner satirischen Überspitzung (ganz oben) und mit den Beispielen deutlich machen.

      Wenn es in seltenen Fällen einmal so sein /sollte/, dass radikal-nationalistische Israelis eine Serie von Gewalttaten (Aktion – Reaktion – Aktion usw.) auslösen, dann muss das natürlich genauso fair und transparent berichtet werden.

      Im Fall Tempelberg geht es momentan um einen Zeitraum von ca. 14 Tagen und der Ausgangspunkt war ganz klar die Ermordung der beiden israelischen Polizisten.

  5. Anderer Max sagt:

    Nach Ihrer Logik könnte ich ja jetzt auch argumentieren, dass die Messerattacke in Barmbek ein Resultat verschärfter Einreisebedingungen für Asylbewerber ist.

    Genau wie das Aufstellen von Metalldetektoren und die damit einhergehenden Massenverdächtungen nur ein Resultat der Ermordungen der beiden Polizisten war.

    Das wiederum war nur eine Reaktion auf …

    Und so weiter.

    Sie machen einen Fehler in Ihrer Analyse: Sie glauben, genau wie die „Gegenseite“, dass eine Seite des Konflikts alleinig Schuld sei.
    Bei Ihnen sind das die Palästinenser, bei denen wieder um die Israelis.

    Sie drehen mit Ihrem Text nur dne Spieß wieder um, indem Sie auf eine weiter zurück liegende Ursache eingehen.
    DAnn könntem an wieder schauen, was den Konflikt ausgelöst hat, dann auf den nächsten und so weiter.

    Letztendlich kann eh kein Schuldiger mehr gefunden werden.

    Ein ernsthafter Erklärungsversuch sieht jedenfalls nicht so aus.

  6. Dirk sagt:

    „Sie machen einen Fehler in Ihrer Analyse: Sie glauben, genau wie die „Gegenseite“, dass eine Seite des Konflikts alleinig Schuld sei.“

    Nein, macht er nicht. Definitiv nicht.
    Es geht einfach darum, dass die Sachlage so dargestellt wird, dass für den nicht ganz aufmerksamen Leser der Sachstand beim ersten Lesen sofort erkennbar ist.
    Und diese Anforderung erfüllt unsere antisemitische Hetze nicht mal ansatzweise.

    Der Tenor dieser Hetzartikel ist immer der gleiche:
    Die israelische Luftwaffe hat mehrere Angriffe gegen Ziele im Gaza-Streifen geflogen.
    Dabei wurden 2 Menschen getötet, 10 wurden verletzt.
    Die palästinensische Autonomiebehörde verurteilten diesen israelischen Terrorakt,
    Der UN-Menschenrechtsrat verurteilte die brutale israelische Aggression.
    Die EU verurteilte den israelischen Akt der Barbarei.
    Dem Angriff vorausgegangen war ein Selbstmordanschlag, bei dem drei Israelis getötet worden sind.
    Der UN-Generalsekretär rief beide Seiten zum Frieden auf.
    Martin Schulz sagte der palästinensischen Autonomiebehörde die Erhöhung der Hilfsgelder für das nächste Jahr zu.

    Würde Goebbels noch leben, er wäre stolz auf seine Epigonen.

  7. Klaus sagt:

    Lägen zwischen der Messerattacke des Terroristen und der Reaktion der Anwohner 3 Tage, wäre Ihre eingängliche Berichterstattung legitim, aus meiner Sicht. Niemand würde verstehen, wenn in einer normalen Nachrichtenmeldung das aktuelle Geschehen also Folge einer längeren (im Sinne von ein paar Tagen) Entwicklung am Schluss stünde. Man hört/sieht ja in der Regel nicht nur einmal pro Woche Nachrichten und muss dann alles wieder neu erklärt bekommen.

    • stefanolix sagt:

      OK. Ich schreibe einfach mal, was ich im Fall Tempelberg erwartet hätte. Ich will NICHT den Hergang von Anfang an abspulen. Es geht um die letzte Tagesschau-Meldung im Artikel. Du wirst sehen, dass es gar nicht so viele Änderungen braucht.


      In den vergangenen Tagen ist es in Jerusalem und dem Westjordanland zu schweren Unruhen gekommen. Auslöser waren zwischenzeitliche neue Sicherheitskontrollen am Tempelberg. Diese waren notwendig geworden, nachdem palästinensische Attentäter zwei israelische Polizisten ermordet hatten.

      Obwohl Israel inzwischen alle Kontrollvorrichtungen an den Zugängen zum Tempelberg abgebaut hat, eskalierte die Gewalt erneut. Palästinenser bewarfen die Sicherheitskräfte mit Steinen. Diese reagierten mit Tränengas und Gummigeschossen. Nach Angaben des Roten Kreuzes wurden dabei 96 Palästinenser verletzt. Nach Angaben der israelischen Seite wurden … Polizisten verletzt.


  8. Antifa sagt:

    Alles schön und gut, aber wie haben sie über Barmbek denn nun berichtet?

    • stefanolix sagt:

      Zum Zeitpunkt, als ich meinen Artikel geschrieben habe, war das offensichtlich ;-)

      Die Medien haben über das Ereignis (soweit ich es gesehen habe) in der richtigen Reihenfolge berichtet. Niemand wäre auf die Idee gekommen, in der Machart des ARD-Studios Tel Aviv zu berichten.

  9. Werlauer sagt:

    Das es das von Dir kritisierte Verhalten in den Medien breitflächig gibt, zeigte sich meines Erachtens auch schön in der Diskussion über den von ARTE zunächst zurückgezogenen und dann doch gesendeten Antisemitismus-Beitrag. Diese Reportage zeigt die Zusammenhänge genau andersherum (aber mit gleichem Argumetationsschema) und wurde mit Schaum vor dem Mund zerrissen.

    Fazit: Die Wahrnehmung der Vorgänge im nahen Osten ist in unseren Medien nicht neutral, sondern voreingenommen. Das zu thematisieren wäre ein Schritt in die richtige Richtung.

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