Was die Medien aus der nicht repräsentativen U-18-Wahl machen

[Hinweis: Der folgende Artikel bezieht sich zwar auf Sachsen. Die Aussagen über die fehlende Repräsentativität der Zahlen gelten aber auch für jedes andere Bundesland. Die Datenbasis ist in anderen Bundesländern sogar noch schlechter.]


Die Redaktion der »Sächsischen Zeitung« berichtet heute über die U-18-Wahlen in Sachsen und stellt dabei folgende Zahl in den Mittelpunkt:

»Die Alternative für Deutschland (AfD) hat unter den Wählern von morgen in Sachsen besonders viel Zustimmung. Bei der sogenannten U18-Bundestagswahl stimmten am Freitag 15,46 Prozent für diese Partei. […] Damit liege die AfD in Sachsen auch weit über dem Bundesdurchschnitt. Dort erreichte die Partei 6,74 Prozent.«

Beide Aussagen sind irrelevant. Zum einen ist die U-18-Wahl weder für Sachsen noch für den Bund repräsentativ. Wenn man aber zwei nicht repräsentative Zahlen miteinander vergleicht, kann dabei nichts Sinnvolles herauskommen. Zum anderen ist die Wahlbeteiligung sehr gering.

An den U-18-Wahlen in Sachsen haben 12.200 junge Menschen teilgenommen. In Sachsen gibt es aber etwa 450.000 Schülerinnen und Schüler [Quelle: Destatis, siehe unten]. Wir können also von einer »Wahlbeteiligung« unter vier drei Prozent ausgehen.

Schon diese Zahl zeigt, wie gering der Anteil der jungen Leute tatsächlich ist, die die AfD nachweislich unterstützen, indem sie sich aktiv zugunsten der AfD an der U-18-Wahl beteiligen: es sind knapp 2.000 von 450.000 Kindern und Jugendlichen.


Nun könnte man einwenden, dass die Stichproben bei repräsentativen Umfragen viel kleiner sind: Bei der »Sonntagsfrage« werden meist zwischen 1.000 und 2.000 erwachsene Deutsche befragt.

Das Ergebnis der #U18Wahl kann aber für die »Wähler von morgen in Sachsen« nicht repräsentativ sein. Dafür gibt es mehrere Gründe:

Die jungen Leute wurden nicht nach den Regeln der Demoskopie ausgesucht und dann befragt, sondern sie konnten sich selbst entscheiden, ob sie an der Abstimmung teilnehmen möchten. Also nahmen politisch engagierte junge Leute mit höherer Wahrscheinlichkeit an der U-18-Wahl teil als nicht engagierte.

In den teilnehmenden Schulen und Jugendeinrichtungen wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer (vermutlich) durch Lehrkräfte und Betreuer zur Teilnahme motiviert. Das ist als Schulung in Demokratie unbedingt zu begrüßen – aber es ergibt natürlich kein für Sachsen repräsentatives Bild: Wo es weit und breit gar keine U-18-Wahlen gab, fehlte diese Motivation.

Die Wahllokale der U-18-Wahlen in Sachsen sind nämlich vor allem in den großen Städten Dresden, Leipzig und Chemnitz konzentriert. In der Sächsischen Schweiz gibt es kein einziges U-18-Wahllokal (die nächste Möglichkeit wäre in Pirna). In der ganzen Stadt Riesa gibt es kein U-18-Wahllokal – junge Leute müssten entweder nach Oschatz oder nach Großenhain fahren. Im Erzgebirge oder auch in Nordsachsen gibt es nur wenige Möglichkeiten zum Mitmachen.

Somit hat die »Sächsische Zeitung« ein weiteres Mal gezeigt, dass in der Redaktion in Sachen Statistik und Demoskopie noch viel Verbesserungsbedarf besteht …


Ergänzung 1: Deutschland hat knapp elf Millionen Schülerinnen und Schüler. An der U-18-Wahl haben sich 220.000 Schülerinnen und Schüler beteiligt. Das entspricht also zwei Prozent. Für die Repräsentativität gilt bundesweit dasselbe, was ich zu Sachsen geschrieben habe.


Ergänzung 2: Die ZEIT übernimmt zwar alle Fehlschlüsse von dpa, aber sie ergänzt wenigstens die Worte »nicht repräsentativ«. Obwohl dann natürlich die Ausdrucksweise des ganzen Artikels nicht mehr stimmt …


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7 Responses to Was die Medien aus der nicht repräsentativen U-18-Wahl machen

  1. Thomas sagt:

    Ganz abgesehen von Repräsentativität:

    Als ich Schüler in den Siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war, gab es eine Umfrage in meiner Schule, wen wir denn wählen wollten.

    Damals gabs überall Smiley-Sticker zu sehen und Willy wählen zu lesen und zu hören.

    Diese überzogene Dominanz war mir derart zuwider, dass ich NPD ankreuzte, obwohl ich die damals als Schüler schon verachtete.

    Aber ich habe genauso auch die Dominanzversuche der Sozialdemokraten verachtet, die im öffentlichen Raum alles andere mundtot machen wollte.

    Vielleicht sollten bei solchen Voten junger Menschen auch andere Motive in Betracht gezogen werden, wie es bei mir zumindest angebracht gewesen wäre.

  2. Demonstrant sagt:

    „Somit hat die »Sächsische Zeitung« ein weiteres Mal gezeigt, dass in der Redaktion in Sachen Statistik und Demoskopie noch viel Verbesserungsbedarf besteht …“

    Wenn es nur die Demoskopie beträfe …

    „Diese überzogene Dominanz war mir derart zuwider, dass ich NPD ankreuzte, obwohl ich die damals als Schüler schon verachtete.“</i<

    Aus der gleichen Motivation heraus habe ich in den 90ern die PDS gewählt.
    Die Selbstzufriedenheit der Etablierten und ihr niederträchtiges Bashing haben mich so angewidert, dass ich eine Partei gewählt habe, die ich eigentlich gar nicht so toll fand.

    • stefanolix sagt:

      Ich kenne das aus meiner Schulzeit in der DDR. Bei uns gab es Schüler, die Lehrer und FDJ/Partei besonders schockieren wollten. Sie haben dann irgendein verbotenes Symbol geritzt oder gezeichnet.

  3. chsoyk sagt:

    Danke für die Überlegungen, die ich gerne ergänzen möchte:

    Eine Wahl ist nie repräsentativ, denn es gehen ja diejenigen zur Wahl, die wählen wollen bzw. die zum Wählen motiviert sind. Von daher ist es (leider) völlig egal, ob es repräsentativ ist oder nicht: gewählt ist gewählt. Wenn schon, dann müsste über „Aussagekraft“ der Ergebnisse gesprochen werden.

    Im Falle U18-Wahl muss man aber sorgsam überlegen, was überhaupt aus den Ergebnissen ablesbar ist. Denn der Grad der Bekanntheit nicht zu unterschätzen. Theoretisch müsste jede/-r in diesem Land wissen, dass am 24.09. Bundestagswahl ist, da es eine Wahlbenachrichtigung gibt. Bei U-18-Wahl ist dies nicht der Fall, die Wahl wird von Schulen und Verbänden beworben und organisiert. Je nachdem, wie engagiert diese in den Städten und Landkreisen sind, fällt wahrscheinlich die Beteiligung an der Wahl aus. Wie viele Jugendliche werden also gewusst haben, dass U-18 Wahl ist und wohin sie dazu gehen müssen.

    Dass in den Medien alles breit oder gar kurz und klein getreten und unreflektiert behandelt wird, stört massiv den konstruktiven demokratischen Diskurs und macht es auch Akteuren schwer, die sich hierfür unabhängig der Parteifarbe einsetzen. Dennoch oder gerade deshalb sollten diese an den Jugendichen dranbleiben.

    • stefanolix sagt:

      Hallo chsoyk,

      vielleicht ist das falsch angekommen. Ich kritisiere nicht die U-18-Wahl als solche. Es kann eine gute Übung in Demokratie sein, wenn man als Schülerin oder Schüler die Programme in Auszügen und Zusammenfassungen liest, vergleicht, bewertet!

      Etwas ist aber anders: Wahlen haben ja für uns Erwachsene auch Konsequenzen und diese Konsequenzen fehlen bei der U-18-Wahl. Diese bleibt folgenlos.

      Ich kritisiere also die Medien und vor allem die dpa, die es so erscheinen lassen, als stünde diese Wahl repräsentativ für die Jugend dieses Landes. [Ergänzung]: Was nicht repräsentativ ist, hat auch keine Aussagekraft. Die U-18 ist in jedem Bundesland und jeder Stadt auf andere Weise »nicht repräsentativ«, also ist das alles auch schwer zu vergleichen.

      Zur Repräsentativität der Bundestagswahl möchte ich zu bedenken geben, dass bei den angestrebten 80 % Wahlbeteiligung schon ein relativ hohes Maß erreicht ist. Nicht umsonst heißt es ja »repräsentative Demokratie« ;-)

      Herzliche Grüße
      Stefan

      .

      • chsoyk sagt:

        Hallo Stefan,

        nein, gar nicht, es ist nichts falsch angekommen. Auch ich halte die U-18 Wahl für ein sehr gutes Konzept, das das Einüben einer Wahl, das Beschäftigen mit Kandidierenden und Wahlprogrammen sowie das Nachdenken über mögliche Konsequenzen unterstützen kann. Deine Kritik an den Medien hatte ich daher so verstanden und teile sie auch so, dass sie Aussagekraft mit Repräsentativität gleich gesetzt haben, was eben völliger Quatsch ist. Denn es gibt ja kein Quorum bei der Bundestagswahl, selbst wenn wir das vielleicht für sinnvoll hielten. So gesehen sind viele unserer Wahlen nicht (mehr) repräsentativ, wenn die Wahlbeteiligung um die 60% herumdümpelt. Klar, bei der Bundstagswahl ist immer mehr zu erwarten, deshalb bleibt die Hoffnung auf hohe Beteiligung und steigende „Repräsentativität“ ;-) Ich finde, dass einige Medien hier Äpfel mit Birnen vergleichen und zu schnell ihre Schlüsse ziehen…

        Es ist ja aber offenbar dennoch so, dass es bestimmte Parteien (oder andere Motivatoren) mehr verstanden haben, Jugendliche zur U-18 Wahl zu mobilisieren. So gesehen könnten wir bestens annehmen, dass das Wahlergebnis „nicht repräsentativ“ ist für den Fall, dass es eine „richtige“ Wahl mit den eben von Dir beschriebenen Konsequenzen gewesen wäre. Vielleicht fehlt ja genau wegen der fehlenden Konsequenzen die „Gegenrede“ – hoffe ich zumindest. Dann müssten wir aber die Aussagekraft der U-18-Wahl in Frage stellen, was auch wieder doof wäre ;-)

        Mich stimmt das Ergebnis einfach generell einfach etwas unruhig, da das ja alles Wähler/-innen von morgen (in 4 Jahren) sind. Wie gehen wir damit um? Mit dieser Frage müssen wir uns beschäftigen.

        Danke für die konstruktive Diskussion.

        Viele Grüße aus Leipzig
        Christian

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