Der Deutschlandfunk hat eine Meldung über die Einnahmen weiblicher und männlicher Influencer in seine Nachrichten aufgenommen und schon die Überschrift gibt zu denken:
Auch Influencerinnen verdienen offenbar deutlich weniger Geld als Influencer
Wenn ich in einer Meldung in den Medien auf das Wort »offenbar« stoße, bin ich immer gewarnt: Journalisten verwenden »offenbar« meist dann, wenn sie sich selbst nicht sicher sind oder wenn sie etwas kolportieren wollen. In manchen Medien wird »offenbar« auch verwendet, wenn eine Information ins Bild passt, aber keine belastbare Quelle genannt werden kann.
Der Deutschlandfunk gibt als Quelle seines Artikels ein »Analyse-Unternehmen« mamens HypeAuditor an. Dieses Unternehmen hat bis heute keinen Eintrag in der englischsprachigen Wikipedia. Es scheint mir auch nicht als Quelle zitierfähig zu sein, denn es fehlen grundlegende Angaben zur Methodik der Erhebung.
HypeAuditor hat in einer Online-Umfrage diverse Influencerinnen und Influencer danach gefragt, wie viel Geld sie für einen Post oder eine Story auf Instagram bekommen. Nach den dort veröffentlichten Angaben haben sich 1.600 Influencer bzw. Influencerinnen aus 40 Ländern beteiligt, aber es liegt keine Angabe über die Gesamtzahl aller Influencerinnen und Influencer in diesen Ländern vor. Wir wissen also nicht, wie viel Prozent aller Influencer sich beteiligt haben.
Es ist auch nicht bekannt, wann die Umfrage stattgefunden hat und wer auf welchem Weg davon erfahren hat. Auch von einer Kontrolle, einem Identitätsnachweis oder einer Plausibilitätsprüfung der Angaben steht nichts in dem Artikel. Grundsätzlich sind Umfragen mit einer Selbst-Selektion der befragten Gruppe als wenig repräsentativ einzustufen.
Unter den Befragten haben sich 69 % als weiblich und 31 % als männlich eingetragen. HypeAuditor geht aber selbst davon aus, dass Frauen und Männer unter den Influencern zu gleichen Teilen vertreten seien. In diesem Sinne kann die Online-Umfrage also nicht repräsentativ sein. Wenn schon insgesamt mehr als doppelt so viele Frauen wie Männer teilgenommen haben, verbieten sich alle weiteren Vergleiche eigentlich von selbst.
HypeAuditor teilt die Befragten in vier Kategorien ein: Mega-Influencer mit mehr als einer Million Followern, Macro-Influencer mit (100.000 bis 1 Million Followern sowie zwei weitere Gruppen mit 20.000 bis 100.000 bzw. 5.000 bis 20.000 Followern. Wie sich die 1.600 Teilnehmer der Online-Umfrage auf die Gruppen verteilen, wurde nicht veröffentlicht. In einer seriösen Studie würden wir es erfahren.
Über diese riesige Bandbreite (Influencer von 5.000 bis über eine Million Follower) wird in dem Artikel ein Durchschnittspreis pro Post veröffentlicht: 1411 Dollar für Männer und 1315 für Frauen. Dieser Wert ist kaum aussagekräftig: Wir wissen, dass der arithmetische Mittelwert je nach Verteilung sehr leicht verzerrt werden kann. Ein einziger Großverdiener kann den Durchschnittswert für alle Männer nach oben ziehen, während fast alle anderen unter dem Durchschnitt liegen.
Aus den oben beschriebenen Mängeln gibt es nur eine logische Schlussfolgerung: Rückschlüsse auf Teilgruppen (etwa auf die beiden Durchschnittswerte für Frauen und Männer in einer der vier Kategorien) verbieten sich von selbst. Wir wissen nichts über die Verteilung der Männer und Frauen auf die Kategorien, wir haben nur einen statistisch kaum aussagekräftigen Durchschnittswert pro Kategorie und Geschlecht.
Wie müsste man es richtig machen? Man müsste eine statistisch repräsentative Stichprobe für jeweils weibliche und männliche Influencer auswählen und seriöse Angaben über ihre Jahreseinnahmen erheben. Daraus würde man die Medianwerte (nicht die Durchschnittswerte!) ermitteln. Dann könnte man mit Vergleichen beginnen.
Der Deutschlandfunk nimmt nun diese äußerst zweifelhaften Zahlen und sucht sich auch noch diejenigen heraus, mit denen er die größten Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Influencern zeigen will.
Bereits vor dem DLF-Artikel gab es also schon zwei Fehler: Erstens einen Auswahlfehler, weil diese Studie methodisch nichts taugt. Und zweitens einen Beurteilungsfehler, weil die HypeAuditor-Studie nicht richtig verstanden wurde. Der dritte Fehler ist ein journalistischer Fehler. Wenn man selbst merkt
Ob die Zahlen repräsentativ sind, lässt sich aber nur schwer beurteilen, da sie auf einer Online-Umfrage beruhen.
dann gehört der Artikel nicht in den DLF, sondern in den Papierkorb. Ganz tief. Dann kann man auf dieser Basis nicht argumentieren.
Hinweis: Mit diesem Fazit möchte ich ausdrücklich nicht das Gesamtprogramm des DLF beurteilen. Ich beziehe mich nur auf den Artikel über weibliche und männliche Influencer.
Quellen:
Aktualisierung am 18.01.2020: Der Deutschlandfunk hat seinen Artikel intransparent geändert und einen Satz hinzugefügt.
Ob die Zahlen repräsentativ sind, lässt sich aber nur schwer beurteilen, da sie auf einer Online-Umfrage beruhen. 2019 kam allerdings eine Untersuchung von Klear zu einem ähnlichen Ergebnis. In der Branche kursieren zudem Zahlen …
Diese Untersuchung habe ich mir ebenfalls angesehen, man kann sie hier finden:
Um es kurz zusammenzufassen: Die zweite Quelle ist nicht besser als die erste. Die zweite Untersuchung hat genau dieselben methodischen Mängel wie die ursprünglich angeführte Untersuchung von HypeAuditor. Bei »Klear« haben sich sogar nur 23 % Männer und 77 % Frauen beteiligt. Deshalb ist die zweite Untersuchung in Bezug auf eine geschlechtsspezifische Auswertung noch untauglicher als die erste.
Zweite Ergänzung mit Dank an Frank: Die Tagesschau verbreitet die Meldung unter Berufung auf den Deutschlandfunk weiter. Man nennt das wohl Zitierkartell ;-)