Was ein Artikel über die Einnahmen weiblicher und männlicher Influencer nicht aussagt

18. Januar 2020

Der Deutschlandfunk hat eine Meldung über die Einnahmen weiblicher und männlicher Influencer in seine Nachrichten aufgenommen und schon die Überschrift gibt zu denken:

Auch Influencerinnen verdienen offenbar deutlich weniger Geld als Influencer

Wenn ich in einer Meldung in den Medien auf das Wort »offenbar« stoße, bin ich immer gewarnt: Journalisten verwenden »offenbar« meist dann, wenn sie sich selbst nicht sicher sind oder wenn sie etwas kolportieren wollen. In manchen Medien wird »offenbar« auch verwendet, wenn eine Information ins Bild passt, aber keine belastbare Quelle genannt werden kann.

Der Deutschlandfunk gibt als Quelle seines Artikels ein »Analyse-Unternehmen« mamens HypeAuditor an. Dieses Unternehmen hat bis heute keinen Eintrag in der englischsprachigen Wikipedia. Es scheint mir auch nicht als Quelle zitierfähig zu sein, denn es fehlen grundlegende Angaben zur Methodik der Erhebung.


HypeAuditor hat in einer Online-Umfrage diverse Influencerinnen und Influencer danach gefragt, wie viel Geld sie für einen Post oder eine Story auf Instagram bekommen. Nach den dort veröffentlichten Angaben haben sich 1.600 Influencer bzw. Influencerinnen aus 40 Ländern beteiligt, aber es liegt keine Angabe über die Gesamtzahl aller Influencerinnen und Influencer in diesen Ländern vor. Wir wissen also nicht, wie viel Prozent aller Influencer sich beteiligt haben.

Es ist auch nicht bekannt, wann die Umfrage stattgefunden hat und wer auf welchem Weg davon erfahren hat. Auch von einer Kontrolle, einem Identitätsnachweis oder einer Plausibilitätsprüfung der Angaben steht nichts in dem Artikel. Grundsätzlich sind Umfragen mit einer Selbst-Selektion der befragten Gruppe als wenig repräsentativ einzustufen.

Unter den Befragten haben sich 69 % als weiblich und 31 % als männlich eingetragen. HypeAuditor geht aber selbst davon aus, dass Frauen und Männer unter den Influencern zu gleichen Teilen vertreten seien. In diesem Sinne kann die Online-Umfrage also nicht repräsentativ sein. Wenn schon insgesamt mehr als doppelt so viele Frauen wie Männer teilgenommen haben, verbieten sich alle weiteren Vergleiche eigentlich von selbst.

HypeAuditor teilt die Befragten in vier Kategorien ein: Mega-Influencer mit mehr als einer Million Followern, Macro-Influencer mit (100.000 bis 1 Million Followern sowie zwei weitere Gruppen mit 20.000 bis 100.000 bzw. 5.000 bis 20.000 Followern. Wie sich die 1.600 Teilnehmer der Online-Umfrage auf die Gruppen verteilen, wurde nicht veröffentlicht. In einer seriösen Studie würden wir es erfahren.


Über diese riesige Bandbreite (Influencer von 5.000 bis über eine Million Follower) wird in dem Artikel ein Durchschnittspreis pro Post veröffentlicht: 1411 Dollar für Männer und 1315 für Frauen. Dieser Wert ist kaum aussagekräftig: Wir wissen, dass der arithmetische Mittelwert je nach Verteilung sehr leicht verzerrt werden kann. Ein einziger Großverdiener kann den Durchschnittswert für alle Männer nach oben ziehen, während fast alle anderen unter dem Durchschnitt liegen.

Aus den oben beschriebenen Mängeln gibt es nur eine logische Schlussfolgerung: Rückschlüsse auf Teilgruppen (etwa auf die beiden Durchschnittswerte für Frauen und Männer in einer der vier Kategorien) verbieten sich von selbst. Wir wissen nichts über die Verteilung der Männer und Frauen auf die Kategorien, wir haben nur einen statistisch kaum aussagekräftigen Durchschnittswert pro Kategorie und Geschlecht.

Wie müsste man es richtig machen? Man müsste eine statistisch repräsentative Stichprobe für jeweils weibliche und männliche Influencer auswählen und seriöse Angaben über ihre Jahreseinnahmen erheben. Daraus würde man die Medianwerte (nicht die Durchschnittswerte!) ermitteln. Dann könnte man mit Vergleichen beginnen.


Der Deutschlandfunk nimmt nun diese äußerst zweifelhaften Zahlen und sucht sich auch noch diejenigen heraus, mit denen er die größten Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Influencern zeigen will.

Bereits vor dem DLF-Artikel gab es also schon zwei Fehler: Erstens einen Auswahlfehler, weil diese Studie methodisch nichts taugt. Und zweitens einen Beurteilungsfehler, weil die HypeAuditor-Studie nicht richtig verstanden wurde. Der dritte Fehler ist ein journalistischer Fehler. Wenn man selbst merkt

Ob die Zahlen repräsentativ sind, lässt sich aber nur schwer beurteilen, da sie auf einer Online-Umfrage beruhen.

dann gehört der Artikel nicht in den DLF, sondern in den Papierkorb. Ganz tief. Dann kann man auf dieser Basis nicht argumentieren.

Hinweis: Mit diesem Fazit möchte ich ausdrücklich nicht das Gesamtprogramm des DLF beurteilen. Ich beziehe mich nur auf den Artikel über weibliche und männliche Influencer.


Quellen:

Artikel bei HypeAuditor

Artikel im Deutschlandfunk


Aktualisierung am 18.01.2020: Der Deutschlandfunk hat seinen Artikel intransparent geändert und einen Satz hinzugefügt.

Ob die Zahlen repräsentativ sind, lässt sich aber nur schwer beurteilen, da sie auf einer Online-Umfrage beruhen. 2019 kam allerdings eine Untersuchung von Klear zu einem ähnlichen Ergebnis. In der Branche kursieren zudem Zahlen …

Diese Untersuchung habe ich mir ebenfalls angesehen, man kann sie hier finden:

How Much Do Influencers Charge?

Um es kurz zusammenzufassen: Die zweite Quelle ist nicht besser als die erste. Die zweite Untersuchung hat genau dieselben methodischen Mängel wie die ursprünglich angeführte Untersuchung von HypeAuditor. Bei »Klear« haben sich sogar nur 23 % Männer und 77 % Frauen beteiligt. Deshalb ist die zweite Untersuchung in Bezug auf eine geschlechtsspezifische Auswertung noch untauglicher als die erste.


Zweite Ergänzung mit Dank an Frank: Die Tagesschau verbreitet die Meldung unter Berufung auf den Deutschlandfunk weiter. Man nennt das wohl Zitierkartell ;-)


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Meinung und Hass

12. Januar 2020

Ein geflügeltes Wort in den politischen Diskussionen unserer Zeit ist »Hass ist keine Meinung«. Es wird oft von Politikern, Journalisten, Publizisten und Aktivisten verwendet, um sich von den Aussagen rechter Parteien abzugrenzen. Die Steigerungsform lautet: »Hass ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!«. Das Motiv ist in weiteren Varianten verbreitet. So twitterte heute die Journalistin Nicole Diekmann:

Merke: Leute, die kein Interesse haben an Diskurs, nennen die Beleidigungen, die sie hier verbreiten, »Kritik«. Und Kritik daran »Zensur«. [Tweet]

Und ich konnte es nicht lassen, diese Aussage umzukehren:

Merke: Leute, die kein Interesse haben am Diskurs, nennen die Kritik, die sie empfangen, »Beleidigung«. Und Kritik daran »Hetze«.

Wer die aktuelle Diskussion um die öffentlich-rechtlichen Sender in den sozialen Netzwerken verfolgt, wird beide Seiten bestätigt finden: In den Redaktionen von ARD und ZDF fühlt man sich zu Unrecht kritisiert und empfindet Hass. An den mobilen Endgeräten vieler Beitragszahler fühlt man sich zu Unrecht als rechtsradikaler Hassverbreiter abqualifiziert.

Die nächste Drehung der Eskalationsspirale führt dann endgültig zu einer Spaltung in Schwarz und Weiß: Der Sender WDR rahmt die Kritik an einem Video als rechtsradikale Aktion und delegitimiert damit indirekt auch jede sachliche Kritik. Die Kritiker verschärfen ihrerseits den Ton und stellen die Integrität des WDR in Frage.

Rechtsradikale Demonstranten erkennen und instrumentalisieren die Situation. Sie stellen sich vor Sendeanstalten der ARD und ihre Forderung lautet übersetzt: »Was wir als ›Lügenpresse‹ etikettieren, soll nicht mehr senden dürfen.« Ein AfD-Vertreter versteigt sich vor dem SWR zu der Drohung, man werde die SWR-Mitarbeiter aus ihren Redaktionsstuben vertreiben. Ironischerweise bestärkt das nun wieder die Anwender des Spruchs »Hass ist keine Meinung« …


Eine eher seltene Antwort auf »Hass ist keine Meinung« ist die Umkehrung: »Meinung ist kein Hass«. Diese Umkehrung wird von Libertären und Liberalen verwendet. Bezogen auf die Kommunikation soll das aussagen: Was die Adressaten als Hass empfinden, kann für den Sender eine legitime Meinung sein.

Bezogen auf die Gesellschaft: Das Grundgesetz und die Verfassungen anderer freier Staaten garantieren ein Recht auf weitgehende Meinungsäußerung. Die Strafgesetze verbieten nur sehr spezielle Meinungsäußerungen, die möglicherweise durch Hass motiviert sind. Exakt müsste es also heißen »Strafbare Äußerungen sind keine Meinung.«

Die Aussage »Hass ist keine Meinung« kann dagegen in vielen Anwendungsfällen übersetzt werden in »Was ich als Hass definiere, soll nicht verbreitet werden dürfen!«. Der Absolutheitsanspruch der Aussage »Hass ist keine Meinung« und die gleichzeitige Anmaßung der Deutungshoheit über den Tatbestand »Hass« müssen notwendigerweise jede konstruktive Debatte abwürgen.

Fazit: Ich plädiere gegen die Anwendung des Spruchs »Hass ist keine Meinung«: Er ist sehr anfällig für Missbrauch, er kann Debatten abwürgen, er kann die Politik zu unangemessenen Einschränkungen der Meinungsfreiheit verleiten. Wer strafbare Äußerungen von legitimer Meinungsäußerung abgrenzen will, findet in unserer reichen Sprache bessere Ausdrucksmöglichkeiten.



Über die Erregung öffentlicher Ergüsse

8. Januar 2020

Ich bitte im Voraus um Verständnis, dass ich heute mit dem Erreichen von Peak #Omagate etwas sarkastisch werden muss. Aber anders lässt sich das nicht mehr aushalten.

Mit einer gewissen Verzögerung hat sich Sascha Lobo in seiner heutigen Kolumne zu den Vorgängen rund um #Omagate und Connewitz zu Wort gemeldet. Er prägt darin den Begriff »Praecox-News« oder »Vorzeitiger Nachrichtenerguss«. Nun ist – um das etwas feuchte Bild auch zu verwenden – ein verzögerter Erguss sicher besser als ein vorzeitiger. Aber ist Sascha Lobos Kolumne auch inhaltsreicher?

Eigentlich stand ja das Urteil der meisten Medien ja schon fest: Die bösen Rechten haben das #Omagate organisiert und die böse BILD hat die Erregung noch verstärkt.

Um das Narrativ von der Erregungswelle der bösen Rechten zu stützen, engagierte der WDR zwei Aktivisten Analysten und ließ sie zu dem gewünschten Ergebnis kommen. Bereits vorher hat der SPIEGEL etwas Ähnliches versucht und die beiden Autorinnen hatten nicht unbedingt Glück mit ihrer Beweisführung. Sascha Lobo hat es klugerweise vermieden, diese Ergüsse zu erwähnen. Er schreibt:

Die #Umweltsau ist überhaupt nur groß geworden, weil NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und die »Bild«-Zeitung auf den Zug der Empörung aufgesprungen sind. Der wiederum von Rechten angeschoben oder initiiert worden sein mag – an dem sich aber schon kurze Zeit später eine Vielzahl verschiedener Leute mit unterschiedlichem politischen Hintergrund beteiligt hat.

Mit dem Link in seinem Text ruft er Martin Hoffmann als Experten auf, der uns in einem betont sachlichen und analytischen Thread dankenswerterweise beschrieben hat, wie #Omagate überhaupt entstanden ist. Kostprobe:

Denn kurz darauf kriechen die ersten (meist rechten) Twitterer aus ihren Löchern und kritisieren den Auslöser in drastischen Worten. Sie greifen dabei oft zu Beleidigungen und schiefen, aber drastischen Vergleichen – und setzen damit den Ton für die weitere Debatte.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir kann man ja mit diesem Tiervergleich »aus den Löchern kriechen« nahezu jedes schiefe Argument verkaufen. An einer anderen Stelle seiner Twitter-Expertise postuliert Martin Hoffmann:

»Spätestens jetzt steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ganz gezielt rechtes Astroturfing über Telegram, Discord & Co. organisiert wird.«

Und wer braucht schon Belege, wenn er Wahrscheinlichkeiten haben kann? – Es entbehrt nicht einer gewisse Ironie, dass sich Sascha Lobo gleichzeitig gegen vorzeitige Erregungsergüsse positioniert und solche Meinungsäußerungen verlinkt. Damit haben wir nun aber endgültig Peak #Omagate erreicht und können uns wichtigeren Dingen zuwenden.



Medienkritik bedeutet nicht Medienzerstörung

6. Januar 2020

Oma-Song und WDR: Welchen Sinn hatten diese beiden Artikel?

Wer meine ersten beiden Artikel des Jahres 2020 gelesen hat, mag sich die Frage nach der Motivation stellen. Will dieser Autor dem öffentlich-rechtlichen WDR schaden? Will er den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen? Will er die Zahlung seines Rundfunkbeitrags verweigern oder ruft er gar dazu auf?

Zuerst zu meiner fachlichen Motivation. Ich habe mich mit diesen beiden »Datenanalysen« befasst, um die sehr engen Grenzen solcher Methoden zu zeigen – um nicht zusagen: deren Untauglichkeit. Damit stehe ich nicht allein. Die beiden Analysen eines angeblich rechtsradikal gesteuerten Shitstorms sind nach allen bisher bekannten Informationen methodisch nicht haltbar und widersprechen einander:

Der SPON-Artikel kommt zu dem Ergebnis, dass etwas mehr als die Hälfte der Tweets zum Thema #Umweltsau aus dem politisch rechten Lager gekommen sein sollen und folglich etwas weniger als die Hälfte nicht aus dem rechten Lager kam. Der WDR-Beitrag benennt neben einer angeblich orchestrierten Kampagne von »Rechts« gar keine nicht-rechten Anteile. Das ist ein gravierender Widerspruch, beides kann nicht gleichzeitig stimmen.

Wenn mit derart unplausiblen und widersprüchlichen Zahlen Stimmung oder gar Politik gemacht werden soll, werde ich hellhörig und schaue genauer hin. Ich habe diese Artikel nicht geschrieben, weil ich ein Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder ein Konkurrent der Datenexperten wäre. Ich habe sie geschrieben, weil mir als Bürger, Steuerzahler und Beitragszahler die Wahrheit wichtig ist.

Und ich habe sie geschrieben, weil ich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erhalten will. 1989 war ich bei denen, die der SED »Wir bleiben hier!« entgegengerufen haben. 2020 bin ich bei denen, die dem #cancelWDR ein #reformWDR entgegensetzen.


Nur Qualität und Ausgewogenheit bringen eine höhere Akzeptanz

Ich will den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht abschaffen. Ich will eine organisatorische Reform, eine Verbesserung der Qualität und eine Verschlankung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es ist klar, dass dafür mindestens ein Jahrzehnt angesetzt werden muss.

Der neue öffentlich-rechtlichen Rundfunk sollte sich auf die Kernaufgaben Information, Allgemeinbildung, politische Bildung und Kultur konzentrieren und beschränken. In mancher Hinsicht kann dafür das Informationsprogramm des Deutschlandfunks als Muster dienen. Die Reform muss mit einer Qualitätsoffensive verbunden sein.

ARD und ZDF werden zur Zeit hart dafür kritisiert, dass in den Kommentaren kaum konservative und liberale Inhalte vorkommen, während linke und grüne Themen überproportional vertreten sind. Im Zweifel wird in den ARD-Nachrichtensendungen also eher für Verbote im Sinne der Grünen oder für Abgabenerhöhungen im Sinne der Roten plädiert. Die Berichte vom Parteitag der Grünen sind viel wohlwollender als vom Parteitag der FDP.

Fairness und Ausgewogenheit des politischen Informationsangebots müssen also sichergestellt und die Kriterien der Ausgewogenheit müssen transparent gemacht werden.


Rundfunkräte und Mitbestimmung

Das öffentlich-rechtliche Kernangebot muss einer professionellen Qualitätskontrolle unterliegen. Selbstverständlich sind Redaktionen frei in ihrer journalistischen Arbeit, aber selbstverständlich sind sie auch nicht immun gegen Kritik.

Ich könnte mir eine Art Presserat für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorstellen, der bei Anfragen oder Beschwerden nach rein professionellen Gesichtspunkten urteilt und seine Entscheidungen veröffentlicht. Dann würde auch eine Entscheidung wie im Fall #Umweltsau auf höhere Akzeptanz stoßen.

Die Rundfunkräte können durch Bürgerversammlungen nach dem Muster Irlands ersetzt werden und so könnte auch der Reformprozess mitbestimmt werden. Woher kommt die Idee? Als man sich in Irland in der ethisch und moralisch hochkomplexen Frage des Abtreibungsrechts nicht auf ein Verfahren einigen konnte, wurde eine per Losverfahren bestimmte repräsentative Bürgerversammlung einberufen. Sie hörte sich Expertinnen und Experten an und traf dann eine Entscheidung, nach der sich das Parlament gerichtet hat. Am Ende stand ein Volksentscheid.


Die eine Hälfte verbessern, die andere Hälfte privatisieren

Die Bereiche Information, Allgemeinbildung, politische Bildung und Kultur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks würde ich also refomieren, erhalten und mit guter Ausstattung weiterführen.

Die Bereiche Unterhaltung, Filme/Serien und Sport können dagegen problemlos privatisiert werden. Es gibt keinen Grund dafür, diese Bereiche mit zwangsweise erhobenen Beiträgen der Bürger zu finanzieren, zumal die Belastungen aus der Energiewende und der Kranken- und Pflegeversicherung absehbar steigen werden.

Die unterhaltenden Bereiche der öffentlich-rechtlichen Sender können an die Börse gebracht oder an Investoren verkauft werden. Über einen Zeitraum von zehn bis zwölf Jahren kann der Rundfunkbeitrag so schrittweise halbiert werden.

Wenn der Rundfunkbeitrag nach der Reform und nach der Privatisierung von »Traumschiff«, »Degeto«-Filmen, Schlager- und Volksmusik-Shows, Krimiserien oder Fußballübertragungen jedes Jahr um einige Prozent sinken sollte, würde ich mich darüber freuen.

Der finanzielle Aspekt kommt für mich aber immer erst nach dem Inhalt. Eine Reform sollte aus meiner Sicht nicht zuerst unter der Prämisse »Zwangsbeitrag abschaffen!« oder »Zwangsbeitrag halbieren!« stattfinden. Der in zehn Jahren verbleibende Beitrag sollte mit hoher Qualität gerechtfertigt werden.

Die Teilprivatisierung wäre auch eine soziale Lösung: Mit Beitragsgeld würde nur noch das finanziert, was man als neue Kernaufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks definiert hätte.


Hinweis: Dieser Artikel steht unter einer CC-BY-Lizenz 3.0 (Namensnennung und Verweis per URL auf das Original) und kann in jeder Form in anderen Publikationen verwendet werden, auch in kommerzieller Art und Weise.



WDR: Eine Datenanalyse in eigener Sache dient dem Framing in eigener Sache

6. Januar 2020

Der WDR hat in seiner Sendung »Aktuelle Stunde« vom 04.01.2020 den Beitrag »Wie ein Shitstorm im Netz entsteht« gesendet. Darin sollen zwei Experten zeigen, wie es zur kontroversen Diskussion des #Omagate um die #Umweltsau kommen konnte.

[Videobeitrag des WDR, verfügbar bis 11.01.2020]

Dieser Beitrag ist unter zwei Aspekten zu betrachten: Wird er der Komplexität der Diskussion gerecht? Und: Anhand welcher Zahlen, Daten und Fakten wird dieser »Shitstorm« analysiert?


Der Ablauf des #Omagate wird in dem WDR-Beitrag so dargestellt, als ob es ausschließlich eine von Rechten oder Rechtsradikalen initiierte und geführte Diskussion gegeben hätte. Von »nicht-rechten« Beiträgen zur Diskussion ist im Beitrag vom 04.01.2020 (also wenige Tage nach #Omagate) keine Rede mehr. Hat es sie nie gegeben?

Der WDR hat sich dazu zwei Personen eingeladen: Einen Datenanalysten und einen Buchautor. Beide stellen die Twitter-Diskussion um #Omagate so dar, als ob sie ausschließlich von Personen aus der rechten/rechtsradikalen »Blase« initiiert worden sei.

Als Gegenbeweis könnten hier Tweets aus politisch anderen Lagern dienen: NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, SPD-Politikerin Sawsan Chebli und viele andere Beteiligte an der Debatte sind mit Sicherheit keine rechtsradikalen oder rechten Personen.

Wer die Diskussion verfolgt hat, weiß um deren Komplexität: Die Trennlinie zwischen Kritik und Zustimmung verlief nicht entlang der Grenzen des Links-Rechts-Schemas. Sie war auch nicht statisch. Sie hat sich im Verlauf der Debatte verschoben, je mehr es in eine Grundsatzdiskussion um den öffentlich-rechtlichen Sender überging.

Als der Shitstorm auf Twitter mit sehr vielen Tweets pro Stunde Fahrt aufnahm, war das Video schon zurückgezogen. Der WDR kann also gar nicht vor einem rechten oder rechtsradikalen Twitter-Shitstorm eingeknickt sein.

Es stellt sich also als erstes die Frage: Ist es jetzt die offizielle Linie des WDR, sämtliche Kritik an seinem Beitrag in die rechte Ecke zu schieben? Wenn der WDR diese Linie nicht verfolgt, dann sollte er den Beitrag zumindest ergänzen.


Und es stellt sich eine zweite Frage: Wird diese Behauptung eines rechten Shitstorms vom WDR wenigstens mit Zahlen, Daten und Fakten belegt? Die WDR-Ansage zu Beginn des Beitrags lautet ja »Philip Kreißel hat alle Tweets heruntergeladen und diesen Shitstorm ehrenamtlich ausgewertet.«

Das lässt darauf hoffen, dass wir nun endlich die lange erwartete fundierte Datenanalyse zu #Omagate bekommen werden. Diese Hoffnung wird schon nach sehr kurzer Zeit enttäuscht. Es gibt in dem WDR-Beitrag keinerlei Informationen

  1. zum Untersuchungszeitraum,
  2. zur Anzahl der untersuchten Tweets,
  3. zu den Auswahlkriterien für »rechte« Accounts,
  4. zu den Auswahlkriterien für »rechte« Tweets und
  5. zum Anteil der »rechten« und der nicht »rechten« Tweets.

Der WDR gibt folgende Behauptung wieder: »Nur etwa 500 Accounts waren laut Kreißel für die Hälfte der Interaktionen beim Twitter-Shitstorm verantwortlich.« Das lässt sich in keiner Weise prüfen, weil alle o. g. Informationen nicht offengelegt werden: Um wie viele Accounts und Tweets ging es insgesamt? Nach welchen wissenschaftlichen Kriterien und mit welcher sachlichen Berechtigung wurden diese 500 Accounts als »rechts« oder »rechtsradikal« eingestuft?

Wie ist der »Twitter-Shitstorm« zahlen- und datenmäßig erfasst worden? Welche Tweets zählten dazu? Weder der WDR noch die beiden Experten waren bis zum Morgen des 06.01.2020 auf Anfrage bereit, sich dazu zu äußern. Die einzige (und völlig unbefriedigende) Antwort des Datenanalysten finden sie hier. Zitat:

Grundsätzlich mache ich folgende Aussagen:
– Es waren zu Beginn primär rechte Accounts. Das mache ich fest daran, welche Dinge diese Accounts noch retweeten, z.b. Sellner, Arcadi, AfD etc.
– Es waren hochaktive Accounts. Dazu lasse ich mein Programm halt nachzählen.

Damit lässt sich die Behauptung nicht stützen, dass der #Omagate-Shitstorm in einer rechten Blase entstanden und geführt worden sein soll. Und eine nach wissenschaftlichen Kriterien seriöse Analyse lässt sich mit diesem Ansatz sicher nicht erarbeiten.

Während SPON in seinem Artikel wenigstens Informationen veröffentlicht hat, die man kritisch hinterfragen konnte, hat der WDR bisher nichts Verwendbares veröffentlicht. Ein Faktencheck ist anhand der Angaben nicht möglich.

Der WDR wäre als verantwortlicher Sender in der Pflicht, das Konzept und die Methoden sowie die Zahlen, Daten und Fakten bereitzustellen. Das Argument DSGVO/Datenschutz greift hier nicht: Es geht ausdrücklich nicht um die personenbezogene Daten hinter den rechten Accounts. Jeder untersuchte Tweet muss öffentlich gewesen sein, jeder untersuchte Account wendet sich an die Öffentlichkeit.


Hinweis: Dieser Artikel steht unter einer CC-BY-Lizenz 3.0 (Namensnennung und Verweis per URL auf das Original) und kann in jeder Form in anderen Publikationen verwendet werden, auch in kommerzieller Art und Weise.



Die Datenanalyse des SPIEGEL zur Umweltsau-Affäre

1. Januar 2020

In den Medien setzt sich zur Zeit die Erzählung durch, dass das Video »Umweltsau« vom WDR nach einer koordinierten Aktion rechtsradikaler Accounts zurückgezogen worden sei. Als Grundlage dieser Bewertung wird meist auf einen SPON-Artikel verwiesen. Ich möchte in diesem kurzen Artikel zeigen, dass die Datenauswertung des SPIEGEL diesen Schluss nicht hergibt.

Kritik an der Methode der Kategorisierung

Die Argumentation bei SPON lautet: 210.000 Tweets mit den Hashtags #Umweltsau oder #Nazisau seien von 44.000 Accounts gesendet worden. 23 Prozent der Accounts seien einem »eher rechten Cluster« zuzuordnen, 46 Prozent einem »eher linken Cluster« und 31 Prozent der Accounts konnten keinem der beiden Cluster zugeordnet werden.

SPON hat keinerlei Kriterien veröffentlicht, nach denen die Zuordnung zu den Kategorien »eher rechts«, »eher links« oder »nicht zuzuordnen« vorgenommen wurde. SPON hat auch nicht erhoben, welche Tendenz diese Tweets inhaltlich hatten. Es geht also um eine rein quantitative Erhebung mit nicht nachvollziehbarer Kategorisierung.

Für die Leserin oder den Leser des SPON-Artikels ist nicht nachzuvollziehen, wie die Einstufung als »eher rechts« erfolgte. Erst recht wird nicht qualitativ nachgewiesen, wie viele Accounts in diesem Cluster tatsächlich rechtsradikal organisiert sind. Das wäre aber notwendig, um die These vom Einknicken infolge eines rechtsradikalen Shitstorms zu stützen. Es gibt bekanntlich keine Prüfstelle für die politische Einstufung von Social-Media-Accounts und das ist auch gut so.

Selbst wenn man die Zuordnung zu den Kategorien für einen Augenblick ernst nimmt, bleibt ein erstes Fazit: Es sind 77 % der Accounts gar nicht dem »eher rechten Lager« zugeordnet worden. Das ist das erste Argument gegen die These, dass der WDR von einer koordinierten rechtsradikalen Aktion zum Zurückziehen des Videos gebracht worden sei.


Kritik an der Schlussfolgerung einer Konzentration

Es gibt bei SPON noch eine zweite Auswertungsmöglichkeit: Mit welcher Intensität wurde denn in diesen Gruppen getwittert? SPON behauptet im Artikel (Zitat):

Auffällig dabei: 52 Prozent der Tweets kamen aus dem grünen Cluster, nur 38 Prozent aus dem pinken. Nur 10 Prozent konnten keinem der beiden Cluster zugeordnet werden. Das bedeutet: Im grünen Cluster gab es einige sehr aktive Accounts.

Das ist ein logischer Fehlschluss: Auch wenn die Hälfte der Tweets zu diesen beiden Hashtags von einem »eher rechten Cluster« ausgegangen sein sollte (was wir aufgrund fehlender veröffentlichter Kriterien und Methoden nicht wissen), sind das ungefähr 110.000 Tweets auf 10.000 Accounts. Der Betrachtungszeitraum beträgt drei Tage. Im Schnitt elf Tweets verteilt auf drei Tage: Das erscheint mir nicht besonders dramatisch.

Ob sich aus der Menge der 10.000 angeblich rechts orientierten Accounts einige besonders hervorgetan haben, kann man aus den veröffentlichten Zahlen bisher gar nicht feststellen. Die veröffentlichte Grafik mit den »Clustern« ist dafür völlig ungeeignet. Ob diese Aktiven besonders rechtsradikale Personen waren und ob ihre Äußerungen besonders negativ, hasserfüllt oder ÖRR-feindlich waren, kann man anhand der SPON-Daten erst recht nicht feststellen.


Kritik an der Schlussfolgerung einer Kausalität aus rechtsradikaler Aktivität und Einknicken des WDR

Dazu kommt: Aus der SPON-Datenauswertung geht gar nicht hervor, wann diese Tweets publiziert wurden. Eine weitere große Schwäche der SPON-Datenauswertung ist nämlich die Zusammenfassung der Erhebung über drei Tage. Dabei geht der zeitliche Verlauf völlig verloren. SPON stellt in einem Diagramm den Zeitraum vom frühen Morgen des 27.12.2019 bis zum frühen Morgen des 30.12.2019 dar. In dieser Zeit sollen die 210.000 Tweets geschrieben worden sein.

Das Video wurde aber bereits am Nachmittag des 28.12.2019 aus dem Netz genommen [siehe Ergänzung!]. Wie viele Tweets aus dem »eher rechten Cluster« wurden denn nun vor dem Zurückziehen des Videos abgesetzt? Das müsste man wissen, um einen Druck aus der rechten Szene auf den WDR und dessen Intendanten nachweisen zu können. Die SPON-Datenauswertung gibt uns aber keinerlei Antwort darauf.

Der WDR-Intendant bat in einer WDR-Hörfunksendung ab 18.00 Uhr um Entschuldigung. In dieser Zeit gab es übrigens die meisten Tweets zu diesem Thema: Da war das Video aber schon gar nicht mehr im Netz. Wenn man sich die Kurve bei SPON anschaut, sind weit mehr als die Hälfte aller ausgewerteten Tweets nach dem Zurückziehen des Videos entstanden.

[Ergänzung am 02.01.2019 nach mehreren Hinweisen: Der WDR hat das Video sogar noch zeitiger zurückgezogen. Ein Hinweis kam via Twitter von Pippilotta und der andere von Schillipaeppa [Blog] in den Kommentaren. Wenn also das Video noch wesentlich zeitiger zurückgezogen wurde, ist die Erzählung vom Einknicken vor dem »rechtsradikalen Shitstorm« natürlich noch absurder. Hier ist nach einem Hinweis von Lucas Schoppe nun der exakte Löschzeitpunkt in einem Facebook-Post des WDR.


Kritik an der Intransparenz der Korrektur

In der heute zugänglichen Version des Artikels steht am Ende ein Korrekturhinweis:

In einer früheren Version dieses Textes hatten wir zwei Twitter-Accounts aus dem rechten Spektrum explizit genannt, die an der Verbreitung der Empörung über das Video beteiligt gewesen sein sollten. Beide waren aber in der Anfangsphase nicht ausschlaggebend für die Verbreitung; taugten also nicht als Beispiele. Die Nennung beruhte auf einem anfänglichen Auswertungsfehler, den wir nachträglich korrigiert haben.

Was aber fehlt: Wurden die restlichen Daten auch nachträglich korrigiert? Wenn man zwei offensichtlich bekannten Accounts aus dem rechten Spektrum zunächst eine so hohe Bedeutung zugemessen hat, muss sich das Herausnehmen dieser beiden Personen ja auch in den Daten (Anzahl der Tweets, Anzahl der als »rechts« eingestuften Accounts) niedergeschlagen haben.


Ergänzung: Kritik an der Überschätzung des Einflusses von Twitter

Ich wurde weiterhin darauf aufmerksam gemacht, dass Twitter keineswegs der einzige Kommunikationskanal mit dem WDR ist. Zum einen gingen die ersten Proteste auf der WDR-Facebook-Seite direkt unter dem Video ein. Das müssen schon hunderte kritische Stimmen gewesen sein.

Zum anderen ist es sehr wahrscheinlich, dass sich WDR-Hörer, Interessenvertreter gesellschaftlicher Gruppen, Landes- und Bundespolitiker auch per Telefon, Mail etc. an den WDR gewandt haben. Öffentlich geäußert haben sich Personen aus SPD und CDU, darunter der NRW-Ministerpräsident. Diese Personen haben viel mehr Gewicht als ein (fiktiver) rechtsradikaler Shitstorm im Wasserglas Twitter.


Fazit: Mit den bisherigen Kenntnissen über die Daten aus dem SPON-Artikel lässt sich die These einer Kausalität zwischen dem angeblich koordinierten rechten Shitstorm und dem Zurückziehen des Videos durch den WDR nicht belegen.


Transparenter Nachtrag (01.01.2020 um 15.40 Uhr): Die URL des SPON-Artikels „Umweltsau“-Skandalisierung Die Empörungsmaschine läuft heiß.


Hinweis: Dieser Artikel steht unter einer CC-BY-Lizenz 3.0 (Namensnennung und Verweis per URL auf das Original) und kann in jeder Form in anderen Publikationen verwendet werden, auch in kommerzieller Art und Weise.