WDR: Eine Datenanalyse in eigener Sache dient dem Framing in eigener Sache

Der WDR hat in seiner Sendung »Aktuelle Stunde« vom 04.01.2020 den Beitrag »Wie ein Shitstorm im Netz entsteht« gesendet. Darin sollen zwei Experten zeigen, wie es zur kontroversen Diskussion des #Omagate um die #Umweltsau kommen konnte.

[Videobeitrag des WDR, verfügbar bis 11.01.2020]

Dieser Beitrag ist unter zwei Aspekten zu betrachten: Wird er der Komplexität der Diskussion gerecht? Und: Anhand welcher Zahlen, Daten und Fakten wird dieser »Shitstorm« analysiert?


Der Ablauf des #Omagate wird in dem WDR-Beitrag so dargestellt, als ob es ausschließlich eine von Rechten oder Rechtsradikalen initiierte und geführte Diskussion gegeben hätte. Von »nicht-rechten« Beiträgen zur Diskussion ist im Beitrag vom 04.01.2020 (also wenige Tage nach #Omagate) keine Rede mehr. Hat es sie nie gegeben?

Der WDR hat sich dazu zwei Personen eingeladen: Einen Datenanalysten und einen Buchautor. Beide stellen die Twitter-Diskussion um #Omagate so dar, als ob sie ausschließlich von Personen aus der rechten/rechtsradikalen »Blase« initiiert worden sei.

Als Gegenbeweis könnten hier Tweets aus politisch anderen Lagern dienen: NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, SPD-Politikerin Sawsan Chebli und viele andere Beteiligte an der Debatte sind mit Sicherheit keine rechtsradikalen oder rechten Personen.

Wer die Diskussion verfolgt hat, weiß um deren Komplexität: Die Trennlinie zwischen Kritik und Zustimmung verlief nicht entlang der Grenzen des Links-Rechts-Schemas. Sie war auch nicht statisch. Sie hat sich im Verlauf der Debatte verschoben, je mehr es in eine Grundsatzdiskussion um den öffentlich-rechtlichen Sender überging.

Als der Shitstorm auf Twitter mit sehr vielen Tweets pro Stunde Fahrt aufnahm, war das Video schon zurückgezogen. Der WDR kann also gar nicht vor einem rechten oder rechtsradikalen Twitter-Shitstorm eingeknickt sein.

Es stellt sich also als erstes die Frage: Ist es jetzt die offizielle Linie des WDR, sämtliche Kritik an seinem Beitrag in die rechte Ecke zu schieben? Wenn der WDR diese Linie nicht verfolgt, dann sollte er den Beitrag zumindest ergänzen.


Und es stellt sich eine zweite Frage: Wird diese Behauptung eines rechten Shitstorms vom WDR wenigstens mit Zahlen, Daten und Fakten belegt? Die WDR-Ansage zu Beginn des Beitrags lautet ja »Philip Kreißel hat alle Tweets heruntergeladen und diesen Shitstorm ehrenamtlich ausgewertet.«

Das lässt darauf hoffen, dass wir nun endlich die lange erwartete fundierte Datenanalyse zu #Omagate bekommen werden. Diese Hoffnung wird schon nach sehr kurzer Zeit enttäuscht. Es gibt in dem WDR-Beitrag keinerlei Informationen

  1. zum Untersuchungszeitraum,
  2. zur Anzahl der untersuchten Tweets,
  3. zu den Auswahlkriterien für »rechte« Accounts,
  4. zu den Auswahlkriterien für »rechte« Tweets und
  5. zum Anteil der »rechten« und der nicht »rechten« Tweets.

Der WDR gibt folgende Behauptung wieder: »Nur etwa 500 Accounts waren laut Kreißel für die Hälfte der Interaktionen beim Twitter-Shitstorm verantwortlich.« Das lässt sich in keiner Weise prüfen, weil alle o. g. Informationen nicht offengelegt werden: Um wie viele Accounts und Tweets ging es insgesamt? Nach welchen wissenschaftlichen Kriterien und mit welcher sachlichen Berechtigung wurden diese 500 Accounts als »rechts« oder »rechtsradikal« eingestuft?

Wie ist der »Twitter-Shitstorm« zahlen- und datenmäßig erfasst worden? Welche Tweets zählten dazu? Weder der WDR noch die beiden Experten waren bis zum Morgen des 06.01.2020 auf Anfrage bereit, sich dazu zu äußern. Die einzige (und völlig unbefriedigende) Antwort des Datenanalysten finden sie hier. Zitat:

Grundsätzlich mache ich folgende Aussagen:
– Es waren zu Beginn primär rechte Accounts. Das mache ich fest daran, welche Dinge diese Accounts noch retweeten, z.b. Sellner, Arcadi, AfD etc.
– Es waren hochaktive Accounts. Dazu lasse ich mein Programm halt nachzählen.

Damit lässt sich die Behauptung nicht stützen, dass der #Omagate-Shitstorm in einer rechten Blase entstanden und geführt worden sein soll. Und eine nach wissenschaftlichen Kriterien seriöse Analyse lässt sich mit diesem Ansatz sicher nicht erarbeiten.

Während SPON in seinem Artikel wenigstens Informationen veröffentlicht hat, die man kritisch hinterfragen konnte, hat der WDR bisher nichts Verwendbares veröffentlicht. Ein Faktencheck ist anhand der Angaben nicht möglich.

Der WDR wäre als verantwortlicher Sender in der Pflicht, das Konzept und die Methoden sowie die Zahlen, Daten und Fakten bereitzustellen. Das Argument DSGVO/Datenschutz greift hier nicht: Es geht ausdrücklich nicht um die personenbezogene Daten hinter den rechten Accounts. Jeder untersuchte Tweet muss öffentlich gewesen sein, jeder untersuchte Account wendet sich an die Öffentlichkeit.


Hinweis: Dieser Artikel steht unter einer CC-BY-Lizenz 3.0 (Namensnennung und Verweis per URL auf das Original) und kann in jeder Form in anderen Publikationen verwendet werden, auch in kommerzieller Art und Weise.


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8 Responses to WDR: Eine Datenanalyse in eigener Sache dient dem Framing in eigener Sache

  1. B52 sagt:

    „Das mache ich fest daran, welche Dinge diese Accounts noch retweeten“

    Erscheint mitr sehr unqualifiziert. Unsinnige Tweets werde massenhaft von Kritikern zitiert.
    Er hat den Shitstorm nicht nur „ehrenamtlich“ ausgewertet, sondern vor allem unqualifiziert ausgewertet.

    @stefanolix: Danke für die genaue Beobachtung!

    • stefanolix sagt:

      Die Vorgänge rund um das »Folgen«, das »Weitergeben« und die Verwendung von Hashtags sind m. E. viel zu komplex, um sie mit dem Holzhammer auswerten zu können. Aber der WDR hat bekommen, was er hören wollte. Es ist ja auch interessant, dass da zwei Experten mit derselben Meinung auftreten dürfen.

      • B52 sagt:

        AM Rande: Man beachte das Framing mit dem Begriff „ehrenamtlich“:

        „ehrenamtlich“ sind im allgemeinen Tätigkeiten für gemeinnützige Vereine o.ä., die einen allgemein anerkannten sozialen Wert haben und die in der Sache daher „das Richtige“ tun, sonst wäre das kein Ehrenamt. Genau das, daß die Statistiken richtig sein müssen, wird hier unterschwellig suggeriert, und es wird davon abgelenkt, daß es sich hier i.w. um Fake-Statistiken eines politischen Aktivisten handelt.

  2. […] WDR:Eine Datenanalyse in eigener Sache dient dem Framing in eigener Sache […]

  3. […] meine ersten beiden Artikel des Jahres 2020 gelesen hat, mag sich die Frage nach der Motivation stellen. Will dieser […]

  4. […] Um das Narrativ von den bösen Rechten zu stützen, engagierte der WDR zwei Aktivisten Analysten und ließ sie zu dem gewünschten Ergebnis kommen. Bereits vorher hat der SPIEGEL etwas Ähnliches versucht und die beiden Autorinnen hatten nicht […]

  5. […] Eskalationsspirale führt dann endgültig zu einer Spaltung in Schwarz und Weiß: Der Sender WDR rahmt die Kritik an einem Video als rechtsradikale Aktion und delegitimiert damit indirekt auch jede sachliche Kritik. Die Kritiker verschärfen ihrerseits […]

  6. @BarthiLand sagt:

    Hier der Link zu Tweets, die von Philip Kreißel ausgeblendet wurden:

    hidden

    Das waren Antworten auf diesen Tweet:

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