Anfang April machte eine Pressemitteilung die Runde, in der die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) auf den Alkoholkonsum der Deutschen im vorletzten Jahr einging.
Viele Medien übernahmen diese Pressemitteilung sinngemäß, manche schmückten die Angaben noch mit einer zuspitzenden Überschrift aus. Niemand hinterfragte, wie die Zahlen zustande gekommen sind. Der Deutschlandfunk titelte und berichtete so:
»Die Deutschen konsumieren im Schnitt eine Badewanne voll Bier, Wein und Spirituosen«
Der Gesamtverbrauch an alkoholischen Getränken in Deutschland stieg im Jahr 2018 um 0,3 auf 131,3 Liter je Einwohner. Diese Menge entspreche in etwa einer Badewanne an Bier, Wein, Schaumwein und Spirituosen, heißt es. [Quelle DLF-Nachrichten und Quelle der Pressemitteilung]
Der Deutschlandfunk hält sich dabei eng an die Pressemitteilung der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Auch die zuspitzende Schlagzeile geht auf diese Pressemitteilung zurück. Eigentlich hätte die DHS die Nachricht gleich selbst schreiben können.
Öffentlich-rechtliche Medien sind aber nicht dazu da, die Pressemitteilungen von Interessenverbänden, Parteien oder Unternehmen zu verbreiten. Sie sollen Informationen prüfen und einordnen.
Die in den Schlagzeilen verbreitete Zahl ist falsch und nutzlos. Sie ist falsch, weil sie eine fatale Illusion der Präzision vermittelt – die zugrundeliegenden Daten sind bei weitem nicht so sicher. Sie ist nutzlos, weil sie dem Problem der Alkoholgefährdung nicht ansatzweise gerecht wird.
Eine falsche Bezugsgröße …
Die Urheber der Statistik rechnen mit einer sehr groben Schätzung der Alkoholmenge und beziehen sie dann auf 82 Millionen Menschen. Aber Kinder trinken gar keinen Alkohol. Ein Teil der Jugendlichen und Erwachsenen trinkt keinen oder sehr wenig Alkohol. Die Bezugsgröße 82 Millionen Menschen ist also mit Sicherheit nicht richtig. Der Alkoholkonsum verteilt sich auf einige Millionen Menschen weniger.
… und eine falsche Gesamtmenge alkoholischer Getränke …
Als nächstes soll gezeigt werden, warum auch die Menge des getrunkenen Alkohols nur sehr grob geschätzt werden kann.
Die am 08.04.2020 veröffentlichten Zahlen stammen vom Bundesverband der Deutschen Spirituosen-Industrie und -Importeure e. V. (BSI). Sie beziehen sich auf das Jahr 2018. Grundlage ist die importierte oder in Deutschland erzeugte Menge alkoholischer Getränke. Der Export wird ebenfalls berücksichtigt, so dass der BSI jeweils auf einen bestimmtem Jahresverbrauch an Bier, Spirituosen, Wein und Schaumwein kommt.
Die reine abgegebene Menge an alkoholischen Getränken ist aus den Verbandsangaben näherungsweise bekannt. Sie wird aber nicht nur von Bundesbürgern konsumiert. Sie wird auch von ausländischen Touristen und Geschäftsreisenden getrunken – ebenso trinken Bundesbürger im Ausland als Touristen und Geschäftsreisende Alkohol.
Der Verbrauch von Alkohol bei der Herstellung von Lebensmitteln in der Wirtschaft und in den Haushalten (etwa Likör zum Backen oder Wein für feine Saucen) ist ebenfalls nicht berücksichtigt.
… ergeben eine nutzlose Kennzahl!
Für Bier gibt der Verband als Gesamtangebot auf dem Markt eine Menge von umgerechnet 17.008.000.000 Flaschen zu je einem halben Liter an. Diese Gesamtmenge an Bier wird durch alle 82 Millionen Bundesbürger geteilt und man erhält rund 102 Liter Pro-Kopf-Verbrauch allein an Bier.
In ähnlicher Form wird auch der Pro-Kopf-Verbrauch für Wein, Spirituosen und Schaumwein berechnet. Die Summe dieser Pro-Kopf-Verbräuche beträgt 131,3 Liter pro Kopf – auch wenn man sich die Mischung als sehr unappetitlich und die Addition so unterschiedlicher Getränke als ziemlich nutzlos vorstellen muss.
In dem veröffentlichten Pro-Kopf-Verbrauch von 131,3 Litern stecken also zwei große Unsicherheiten: Die von Bundesbürgern getrunkene Menge an alkoholischen Getränken und die Anzahl der Alkohol trinkenden Bundesbürger. Wenn man im Zähler und im Nenner so große Unsicherheiten hat, dann ist gesamte Kennzahl grober Unfug und die Illusion der Präzision kommt noch hinzu.
Selbst wenn der Pro-Kopf-Verbrauch alkoholischer Getränke exakt zu berechnen wäre: Diese Kennzahl ist schon von Natur aus nicht hilfreich bei der Alkoholprävention. Denn die Anzahl der Menschen mit Alkoholabhängigkeit und Alkoholmissbrauch wird auf etwa 3 Millionen Menschen geschätzt. Die restlichen Bundesbürger trinken entweder gar keinen Alkohol oder sie trinken ihn nur in Maßen.
Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) ist ein Zusammenschluss der in der Suchthilfe und Suchtprävention tätigen Verbände. Sie ist also keine staatliche Einrichtung, sondern eine Interessenvertretung. Es ist aus Sicht der Interessenvertretung natürlich sehr willkommen, dass die Medien ihre Zahlen ungeprüft übernehmen und an die Medienkonsumenten weitergeben. Aufgabe der Medien wäre aber eigentlich das Einordnen und Hinterfragen der Zahlen.
Quellen:
Zahlen des Bundesverbands der Deutschen Spirituosen-Industrie und -Importeure e. V. (BSI)
Zahlen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen
Ergänzung [11.04.2020]: In ihrer Pressemitteilung gibt die DHS auch einen Verbrauch an reinem Alkohol an:
»10,5 Liter Reinalkohol trank jede/-r Bundesbürger/-in im Alter ab 15 Jahren …«
Wie kommt diese Zahl zustande? Der BSI veröffentlicht die Mengen an reinem Alkohol aufgrund einer groben Schätzung. Man nimmt einfach an, dass Spirituosen im Schnitt 33,0 %, Wein 11,0 %, Schaumwein 11,0 % und Bier 4,8 % enthalten.
Auf der Grundlage unsicherer Durchschnittswerte kommt der BSI aus den oben beschriebenen unsicheren Pro-Kopf-Verbrauchszahlen auf einen Gesamtverbrauch an reinem Alkohol pro Kopf. Dieser bezieht sich aber wieder auf alle Bundesbürger.
Die DHS hat nun offensichtlich einen Dreisatz angewendet und ausgerechnet, wie sich dieser Pro-Kopf-Verbrauch auf alle Bundesürger ab 15 Jahren verteilen würde. Hier werden also ohnehin grobe Annahmen noch einmal vergröbert.
Die 131,3 Liter sind totaler Blödsinn, da sind wir uns einig.
Der durchschnittliche Jahresverbrauch (hier 10,5 Liter) Reinalkohol ist allerdings eine übliche statistische Größe, die seit Jahrzehnten auch international verwendet wird. Dabei ist allen bewusst, dass die eine Größe durchschnittlicher Alkoholverbrauch vom Säugling bis zum Greis Fragen offen lässt. Im Hinblick auf die internationale Vergleichbarkeit gibt es noch mehr offene Fragen; es ist ja nicht überall so wie hier, wo jeder Tropfen Alkohol versteuert wird. Doch als ganz grober Vergleichswert passt das schon, was Besseres hat noch keiner gefunden.
Ich bin ja schon von dem Rechenweg bis hin zum reinen Alkohol pro Kopf (S. 10) nicht wirklich überzeugt.
Klicke, um auf BSI-Datenbroschuere_2019.pdf zuzugreifen
Und daraus wird dann quasi per Dreisatz der Verbrauch aller Jugendlichen + Erwachsenen. Da würde ich gern mal den möglichen Fehlerbereich sehen.