Meinung und Hass

12. Januar 2020

Ein geflügeltes Wort in den politischen Diskussionen unserer Zeit ist »Hass ist keine Meinung«. Es wird oft von Politikern, Journalisten, Publizisten und Aktivisten verwendet, um sich von den Aussagen rechter Parteien abzugrenzen. Die Steigerungsform lautet: »Hass ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!«. Das Motiv ist in weiteren Varianten verbreitet. So twitterte heute die Journalistin Nicole Diekmann:

Merke: Leute, die kein Interesse haben an Diskurs, nennen die Beleidigungen, die sie hier verbreiten, »Kritik«. Und Kritik daran »Zensur«. [Tweet]

Und ich konnte es nicht lassen, diese Aussage umzukehren:

Merke: Leute, die kein Interesse haben am Diskurs, nennen die Kritik, die sie empfangen, »Beleidigung«. Und Kritik daran »Hetze«.

Wer die aktuelle Diskussion um die öffentlich-rechtlichen Sender in den sozialen Netzwerken verfolgt, wird beide Seiten bestätigt finden: In den Redaktionen von ARD und ZDF fühlt man sich zu Unrecht kritisiert und empfindet Hass. An den mobilen Endgeräten vieler Beitragszahler fühlt man sich zu Unrecht als rechtsradikaler Hassverbreiter abqualifiziert.

Die nächste Drehung der Eskalationsspirale führt dann endgültig zu einer Spaltung in Schwarz und Weiß: Der Sender WDR rahmt die Kritik an einem Video als rechtsradikale Aktion und delegitimiert damit indirekt auch jede sachliche Kritik. Die Kritiker verschärfen ihrerseits den Ton und stellen die Integrität des WDR in Frage.

Rechtsradikale Demonstranten erkennen und instrumentalisieren die Situation. Sie stellen sich vor Sendeanstalten der ARD und ihre Forderung lautet übersetzt: »Was wir als ›Lügenpresse‹ etikettieren, soll nicht mehr senden dürfen.« Ein AfD-Vertreter versteigt sich vor dem SWR zu der Drohung, man werde die SWR-Mitarbeiter aus ihren Redaktionsstuben vertreiben. Ironischerweise bestärkt das nun wieder die Anwender des Spruchs »Hass ist keine Meinung« …


Eine eher seltene Antwort auf »Hass ist keine Meinung« ist die Umkehrung: »Meinung ist kein Hass«. Diese Umkehrung wird von Libertären und Liberalen verwendet. Bezogen auf die Kommunikation soll das aussagen: Was die Adressaten als Hass empfinden, kann für den Sender eine legitime Meinung sein.

Bezogen auf die Gesellschaft: Das Grundgesetz und die Verfassungen anderer freier Staaten garantieren ein Recht auf weitgehende Meinungsäußerung. Die Strafgesetze verbieten nur sehr spezielle Meinungsäußerungen, die möglicherweise durch Hass motiviert sind. Exakt müsste es also heißen »Strafbare Äußerungen sind keine Meinung.«

Die Aussage »Hass ist keine Meinung« kann dagegen in vielen Anwendungsfällen übersetzt werden in »Was ich als Hass definiere, soll nicht verbreitet werden dürfen!«. Der Absolutheitsanspruch der Aussage »Hass ist keine Meinung« und die gleichzeitige Anmaßung der Deutungshoheit über den Tatbestand »Hass« müssen notwendigerweise jede konstruktive Debatte abwürgen.

Fazit: Ich plädiere gegen die Anwendung des Spruchs »Hass ist keine Meinung«: Er ist sehr anfällig für Missbrauch, er kann Debatten abwürgen, er kann die Politik zu unangemessenen Einschränkungen der Meinungsfreiheit verleiten. Wer strafbare Äußerungen von legitimer Meinungsäußerung abgrenzen will, findet in unserer reichen Sprache bessere Ausdrucksmöglichkeiten.


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Tendenziöse Nachricht: »Harter Hund« aus Bayern soll neuer BAMF-Chef werden

18. Juni 2018

Der Montag beginnt mit den Nachrichten des Deutschlandfunks. Man verwendet dort die interessante Quellenangabe »laut übereinstimmenden Medienberichten« und führt aus:

Demnach erhält den Posten der Leiter des Fachreferats für Ausländerrecht im bayerischen Innenministerium, Sommer. Dieser werde in Fachkreisen als sogenannter »harter Hund« beschrieben, der abgelehnte Asylbewerber schneller ausweisen und Migranten stärker auf terroristische Kontakte hin überprüfen lassen wolle.

[Quelle im Original]

Jemand hat eine dezentrale Sicherungskopie in einem Webarchiv angelegt.


[Ergänzung]: Der DLF hat die Meldung am 18.06.2018 ungefähr um 07.30 Uhr intransparent geändert. Das Zitat lautet nun:

Demnach erhält der Leiter des Fachreferats für Ausländerrecht im bayerischen Innenministerium, Sommer, den Posten. Dieser sei in Fachkreisen für eine harte Linie gegenüber abgelehnten Asylbewerbern bekannt, hieß es.

Die Überschrift lautet nun: »Jurist aus Bayern soll neuer Chef werden«. Kein »harter Hund« mehr.


Meine erste Kritik an der Meldung: Aus journalistischer Sicht ist es höchst unseriös, die konkrete Quelle in den gesendeten Nachrichten nicht zu benennen. Auf Nachfrage haben Social-Media-Mitarbeiter des DLF getwittert:

Über den Wechsel hatten unter anderem die dpa, „Bild am Sonntag“ und „Focus Online“ berichtet, Quelle für das Fachkreise-Zitat ist der „Focus“.

[Quelle]

Aber es wurde so nicht gesendet.


Meine zweite Kritik an der Meldung: Selbst wenn man als Quelle die Illustrierte »Focus« nennen würde, bleibt es eine kolportierte Zuschreibung von Eigenschaften. Wer diese Information mit welchem Ziel in die Welt gesetzt hat, wurde durch den DLF nicht überprüft. Wenn das aber nicht überprüft wurde, gehört es nicht in die DLF-Nachrichten!


Meine dritte Kritik an der Meldung: Sie informiert nicht, sondern sie macht das Publikum voreingenommen. Sie spaltet und polarisiert, ohne irgendeinen Nachrichtenwert zu haben. [Ergänzung nach kritischer Nachfrage von @Sektordrei via Twitter: Die Meldung wird als tendenziös wahrgenommen.]

Die Anhänger der Politik des Innenministers Horst Seehofer werden vermutlich froh sein, dass da mal jemand so richtig durchgreift. Manche werden noch einen draufsetzen: dass der Wechsel zu spät erfolgt und die Härte bei weitem nicht ausreicht.

Die Gegner der Politik des Innenministers Horst Seehofer (etwa SPD, Linkspartei, Grüne, Linksradikale etc.) werden unterstellen, dass im BAMF ein Law-and-Order-Chef installiert werden soll, der Migranten ungerecht und hart behandeln will.

Warum lässt man den Beamten nicht erst mal seine Grundsätze vorstellen und seine Arbeit machen? Dann kann man die Ergebnisse beurteilen.


Davon abgesehen gibt es im Deutschlandfunk immer noch viele interessante und informative Sendungen. Aber ich werde in Zukunft noch genauer hinhören.



Alexander Grau »Hypermoral«: Diskussion und Lesung im Buchhaus Loschwitz (2)

25. März 2018

Im zweiten Teil der Lesung stellte Alexander Grau sein Buch »Hypermoral – Die neue Lust an der Empörung« vor und las aus einem Kapitel.


Die Notizen zum Inhalt des vorgelesenen Kapitels würden den Rahmen dieses Beitrags sprengen, deshalb folgt hier zunächst die kurze Inhaltsangabe der 128 Seiten:

Das Buch beginnt mit einem kurzen Vorwort und einer kurzen Einleitung. Darin beschreibt Alexander Grau unter anderem dieses Symptom der Gesellschaft des Hypermoralismus:

Technische, wissenschaftliche oder ökonomische Probleme werden zu moralischen Fragen umgedeutet und in einen Jargon aufgekratzter Moralität überführt. Insbesondere Möglichkeiten der technischen und wissenschaftlichen Entwicklung sind, zumal in Deutschland, kaum noch sachlich zu diskutieren: Wer, um nur ein Beispiel zu nennen, hierzulande die Chancen der Gentechnologie in der Medizin und in der Landwirtschaft diskutieren möchte, der hat von vornherein verloren, denn allein dieses Ansinnen gilt als Häresie. Hier hat man nicht nachzudenken, hier hat man sich zu bekennen.

Das Vorwort und die Einleitung können Sie als Leseprobe nachlesen.


Die Kapitel eins bis drei beschreiben die Steigerung von der Moral über den Moralismus zur Hypermoral. Im vierten Kapitel geht es um den Moralismus als Religionsersatz. Im fünften Kapitel befasst sich der Autor mit Hypermoralismus und Individualismus, im sechsten mit Hypermoralismus und Massengesellschaft und im siebten Kapitel ist der Höhepunkt erreicht: die »dauererregte Gesellschaft«. Ein Zitat aus Kapitel drei sei noch gestattet:

Eben weil der neue Moralismus sich selbst nicht als Ideologie sieht, sondern als Lehre des evident Guten, entwickelt er besonders penetrante Formen, den weltanschaulichen Gegner zu diskreditieren. Sahen traditionelle Ideologen im Abweichler entweder einen vom rechten Glauben abgefallenen Ketzer oder schlicht einen Ungläubigen und weltanschaulichen Gegner, so stempelt der Moralismus seinen Widersacher zum Opfer seiner persönlichen oder sozialen Prägung oder diskreditiert ihn schlicht als minderbemittelt, unreflektiert oder von Vorurteilen getrieben.


In der kurzen Fragerunde war die Stimmung folglich nicht eben euphorisch. Das Publikum schien sichtlich beeindruckt vom Fazit des eben gelesenen siebten Kapitels.

Dieser Zug ins Autoritäre ist individualistischen Emanzipationsgesellschaften immanent. Aus dem Streben nach Selbstverwirklichung wird das Diktat der Offenheit. Und aus der Befreiung aus tradierten Vorstellungen die Gefangenschaft im Zeitgeist.

Es ging in der Diskussion unter anderem um die Rolle der Linken, die ja in früherer Zeit in der Vertretung der Interessen des Proletariats, dessen Bildung und Emanzipation bestand. Die neue Linke im Zeitalter des Hypermoralismus, so Alexander Grau, erfinde Minderheiten und generiere Probleme.

Hypermoral und Politik: Alexander Grau verweist in der Diskussion und im Buch auf die Debatte um den ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, der am Rande einer Reise offen gesagt hatte, dass militärisches Eingreifen auch Handelswege und deutsche Interessen sichert. Köhler musste nicht zurücktreten, weil ihm eine fehlerhafte Aussage nachgewiesen worden wäre. Köhler musste zurücktreten, weil seine sachlich richtige Aussage als unmoralisch und unsagbar eingestuft wurde.

Es wurde noch einmal auf den Unterschied zwischen Moral und Hypermoralismus verwiesen: Moral sei immer einengend gewesen, während der Hypermoralismus im Mantel der Freiheit daher käme.


Am Ende der Lesung stellte eine Zuschauerin die Frage: Wie soll es denn nun weitergehen? Gibt es Auswege aus dem Hypermoralismus? Ist der Trend umkehrbar? Die Antwort fiel dem Autor und der Gastgeberin sichtlich schwer. Schließlich sagte jemand sinngemäß, es müsse wie im Märchen die Erkenntnis kommen: »Die Kaiserin ist ja nackt.«

Die bestmögliche Wirkung des Buchs wäre eine gelassene und entschiedene Trotzreaktion der Leser: So einfach nehmen wir die Hypermoral nicht mehr hin.

Dafür ist dem Buch eine weite Verbreitung zu wünschen. Es ist zum einen so gut geschrieben, dass es die richtigen Trotzreaktionen auslösen kann. Es ist zum anderen auch gut gestaltet: Der Text ist in einer sehr gut lesbaren Schrift auf kleinen Seiten gesetzt. Der Satzspiegel ist gut ausbalanciert. Ich habe einen Schreibfehler und keinen Satzfehler gefunden ;-)

Das Kulturhaus Loschwitz wollte seine Zuhörerinnen und Zuhörer nicht ohne Trost in den Abend und ins Wochenende schicken. Der vorletzte Satz des Abends war folglich das Hölderlin-Zitat »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.«

Geheimtipp: Ein erstes Gegengift hat die Buchhändlerin nebenan im Angebot – man schaue im Buchhaus dort nach, wo an der Supermarktkasse die Süßigkeiten liegen würden: Das unscheinbare Heftchen heißt »Zivilisiert streiten. Zur Ethik der politischen Gegnerschaft«, kommt vom Reclam-Verlag und kostet sechs Euro. Zur Immunisierung braucht es freilich mehr: Bücher, Gedanken, Entscheidungen und Taten.


Der allerletzte Satz des Abends war: »Bleiben Sie trotz allem empört!« – und das hatte nach dieser Lesung natürlich eine ironische Note. Denn wenn wir etwas gegen den Hypermoralismus tun wollen, müssen wir zuerst unsere eigene Empörung kontrollieren. Alexander Grau schreibt im Vorwort zum Buch, dass man sich nicht über etwaige Gutmenschen ereifern solle und fährt fort:

»Denn die dabei zum Ausdruck kommenden Ressentiments tragen wenig zur Klärung des Phänomens bei. Im Gegenteil. Sie bedienen letztlich die gleichen Emotionalisierungsmechanismen wie der Hypermoralismus selbst. Auch Empörung über Empörung ist Empörung. Das führt dazu, das Phänomen falsch einzuordnen.«

Deshalb werde ich in der kommenden Woche einen dritten Teil des Artikels schreiben, in dem ich meine eigenen Gedanken zum Leben mit der Hypermoral aufschreibe. Denn wenn es uns 1989 am Ende der DDR gelungen ist, einen diktatorisch-hypermoralischen Staat zu überwinden, dann müsste man doch heute auch etwas mehr tun können, als sich über die Hypermoral in einer ungleich freieren Gesellschaft zu empören.


Es folgen noch einige Quellen und Denkanstöße, die nicht mehr in den Text passten, aber weiterführend wichtig sein könnten. Der obligatorische Warnhinweis: Wer das liest, könnte mit der Hypermoral in Konflikt kommen.


[Exkurs 1]: Es gibt ein Interview mit Alexander Grau im Deutschlandfunk (Ende 2017). Dort spricht Grau unter anderem über seine Motivation:

Vor dem Hintergrund dieser teilweise eskalierenden Debatten in vielen politischen, aber auch ganz privaten Bereichen ist es, glaube ich, notwendig, sich die Mechanismen, die dazu geführt haben, vor Augen zu führen. Das ist ein Stück weit unvermeidbar, dieser Hypermoralismus, den ich meine zu analysieren. Aber man kann ihn vielleicht dadurch etwas entschärfen, dass man sich über das Phänomen überhaupt klar wird, und dass man versucht zu verstehen, wie es dazu in unserer Gesellschaft kommen konnte.


[Exkurs 2]: Es kommt eher selten vor, dass die Leitmedien einen Gastautor zu Wort kommen lassen, der sich gegen einen Aspekt des Hypermoralismus ausspricht. Die »Sächsische Zeitung« hat das trotz (oder sogar wegen) der Tellkamp-Debatte getan. Auch hier ein Zitat aus dem Text:

Natürlich ist es die freie Entscheidung von Tellkamp, zu schweigen und die Lesungen abzusagen. Der Mainzer Historiker Andreas Rödder charakterisiert diese „Freiheit“ als eine »technische«:

Es heißt immer, in Deutschland könne man alles sagen. Das stimmt, allerdings nur in einem technischen Sinne. Eine offene Debatte erfordert mehr als das, nämlich Respekt für die Meinung des anderen, auch und gerade, wenn sie mir nicht gefällt.

Diesen Respekt erhielt Tellkamp nicht. Darum ist der Sieg der empörten Feuilletonisten eine Niederlage der offenen Gesellschaft, weil er ihre Offenheit einschränkt.


[Exkurs 3]: Der unvergessene Blogger und emeritierte Professor Zettel schrieb in »Zettels Raum« im Sommer 2012, als hätte er unsere Zeit und Alexander Graus Buch vorhergesehen:

Hier läge ein großes Potential für eine liberale Partei; eine Partei, die beispielsweise in der Sarrazin-Debatte die Position bezogen hätte: Wir teilen nicht unbedingt die Meinung Sarrazins; aber er hat Anspruch darauf, daß man ihn fair und mit Respekt behandelt und daß seine Thesen sachlich diskutiert werden.

Diese liberale Partei fehlt bis heute: Die FDP zeigte zwar zarte Ansätze, hatte aber in den letzten fünf Jahren vor allem mit sich selbst und ihrem Wiedereinzug in den Bundestag zu tun.

Wer die Wahlentscheidung zu hundert Prozent am Eintreten für Pluralismus und Freiheit ausrichten wollte, müsste seine Stimme ungültig machen. Wählen bedeutet heute mehr denn je: »das geringere Übel ankreuzen«.


[Exkurs 4]: Der Autor dieser Zeilen positioniert sich zum Schluss als sächsischer Liberaler, der dem neuen Ministerpräsidenten Kretschmer bis zur nächsten Wahl im Frühherbst 2019 den bestmöglichen Verlauf der Regierungsgeschäfte wünscht.

Denn die linke Seite des politischen Spektrums in Sachsen kann seit 25 Jahren nicht viel mehr als »Empörung über die CDU zeigen« – das ist Hypermoral mit dem Horizont eines Suppentellers. Die sächsische AfD kann in ihrer heutigen Verfassung auch nur Empörung, aber sicher nicht Regierung.

Michael Kretschmer zieht zur Zeit durch Sachsen, hört den Menschen zu, und zwingt seine Ministerialbürokraten zum Zuhören. Es bleibt zu wünschen, dass er gut zuhört und bis zum Spätsommer 2019 noch etwas schaffen kann. Kretschmer verteufelt die AfD nicht, sondern er will ihr mit Argumenten begegnen:

Wir müssen wegkommen vom gegenseitigen Beschimpfen – und in der Sache diskutieren.

Michael Kretschmer wird auch Fehler machen und er wird die sächsische CDU sicher nicht zu einer perfekten Partei machen können. Aber vielleicht wird sie für die relative Mehrheit der Wähler doch wieder etwas Besseres als das geringste Übel. Unserem Freistaat ist es zu wünschen.



Alexander Grau »Hypermoral«: Diskussion und Lesung im Buchhaus Loschwitz (1)

25. März 2018

Der Autor Alexander Grau ist vielen Lesern aus dem Magazin »Cicero« bekannt. In seiner Kolumne »Grauzone« befasst er sich mit Pluralismus, Meinungsfreiheit und dem Niveau der aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten. Seine Aussage

»Denn Meinungsfreiheit, wirklich ernst genommen, ist nicht nur die Freiheit, eine Meinung zu haben. Meinungsfreiheit ist erst dann Meinungsfreiheit, wenn die andere, die abweichende Meinung zumindest als legitime Äußerung wahrgenommen wird. « [Quelle]

könnte als Motto über der Kolumne stehen. Alexander Grau setzt sich gegen den Ausschluss von Personen aus der Diskussion ein, ohne deren Position zu übernehmen. Nachdem der Auftritt eines AfD-Vordenkers am Hannah-Arendt-Center in New York von linken Intellektuellen ohne schlüssige inhaltliche Begründung als Fehler kritisiert wurde, schrieb Grau:

Die akademische Linke wehrt sich gegen den Verlust ihrer Diskurshoheit, die sie de facto zumindest in den Geisteswissenschaften Europas und Nordamerikas hat. Dem drohenden Verfall dieser linken Diskurshegemonie versucht man mit Ächtung und Isolierung zu begegnen. Dass man damit die Analyse der so gern Geächteten nur bestätigt, muss als Ausdruck intellektueller Agonie gedeutet werden. [Quelle]

So wundert es nicht, dass sich Alexander Grau nach den Ereignissen auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst 2017 als Teil einer Minderheit der deutschen Journalisten kritisch zu den linken Übergriffen äußerte:

So gesehen war das, was sich vergangene Woche auf der Frankfurter Buchmesse abspielte, ein Armutszeugnis des etablieren Kultur- und Literaturbetriebes, zumal sich dieser gern als wackerer Kämpfer für Pluralismus und Demokratie geriert. [Quelle]

Mit dieser Grundeinstellung passt Alexander Grau gut zu seinen Gastgebern: Susanne Dagen und Michael Bormann schaffen im Kulturhaus und in der Buchhandlung Loschwitz Räume für Kultur, Bildung und Meinungsfreiheit. Der NZZ-Autor Marc Felix Serrao ist Mitte März nach Dresden gekommen, hat sich selbst ein Bild von den Loschwitzer Verhältnissen gemacht und einen gelungenen Artikel verfasst.

Wenn an Serraos Artikel aus Sicht des Kunden ein klein wenig Kritik geübt werden muss: Es fehlt eine kurze Beschreibung der Vielfalt des Angebots. Den beschriebenen »zwanzig Zentimetern« mit Büchern rechter Verlage stehen viele Meter mit anderer Literatur gegenüber, ausdrücklich auch linksliberale und emanzipatorische Bücher. Jeder kann sich selbst davon überzeugen: Das Buchhaus Loschwitz ist keine »rechte« Buchhandlung. Nebenbei: Der typische linke Berliner Kiezbuchladen ist mit Sicherheit nicht so pluralistisch aufgestellt.

Die Liste der bisher im Buchhaus Loschwitz aufgetretenen Autorinnen und Autoren ist beeindruckend. In der aktuellen Reihe mit Lesungen aus politischen Büchern war u. a. die Politikberaterin und ehemalige Grünen-Politikerin Antje Hermenau zu hören.

Der Raum im Kulturhaus Loschwitz liegt im Dachgeschoss eines ausgebauten alten Hauses aus der Zeit, als der heutige Stadtteil Loschwitz noch ein Dorf an der Elbe war. Er fasst etwa sechzig Personen.

Die meisten Plätze waren augenscheinlich reserviert. Vor Beginn der Lesung wurde die Besetzung der Plätze optimiert – den später Angekommenen wurden noch Hocker und Treppenplätze angeboten. Als Susanne Dagen um 20.00 Uhr mit der Einleitung begann, war der Raum also bis auf den letzten Platz gefüllt.


Dem einleitenden Satz »Wir sprechen über die neue Lust an der Empörung« folgte umgehend ein Querverweis auf Stéphane Hessels französische Kampfschrift »Empört Euch«. Es sollte bei weitem nicht der einzige Verweis auf Vertreter der linken Seite des politischen Spektrums bleiben.

Tatsächlich gab es am ganzen Abend nur ein einziges Halbzitat von Rolf Peter Sieferle, den man sicher als rechten Autor einordnen kann. Auf der anderen Seite haben Gastgeberin, Gastautor und Fragesteller aus dem Publikum die linken Denker Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas und Michel Foucault insgesamt weit mehr als ein Dutzend Mal erwähnt.

Susanne Dagen ist bekanntlich seit der »Charta 2017« in der Öffentlichkeit nicht unumstritten: Sie nahm das Motto »Empört Euch« nicht in dem Sinne auf, wie es im Kulturbetrieb und in den Medien gern gesehen wird. Sie zeigte im Interview mit dem Elbhangkurier Verständnis für die erste Phase der Pegida-Bewegung:

Ich sympathisiere mit denen, die seit zwei Jahren auf die Straße gehen. Wenn die Auseinandersetzung mit diesem Phänomen und das Ringen um Verständnis Pegida-nah ist, dann bin ich es. 2011 ist »Empört euch« von Stéphane Hessel erschienen, da haben alle gejubelt: Man solle seiner Empörung Raum geben, man solle sich aufbäumen, sichtbar werden! […] Ich kann mich nicht damit abfinden, dass man Leute aufgrund ihrer Bildung, ihrer Herkunft, ihrer Ausdrucksform und ihrer Meinung stig­matisiert.

Obwohl sich Susanne Dagen nicht mit Pegida-Führer Lutz Bachmann solidarisierte, brachte ihr dieses Interview heftige und in Teilen unfaire Kritik ein. Die Mehrheit der Kulturjournalisten und der Menschen im Kulturbetrieb würde wohl bis heute eine positive Bewertung der Ereignisse im Umfeld des Hamburger G20-Gipfels wohlwollend abnicken oder zumindest großzügig nachsehen. Ein Verständnis für die Sorgen und Nöte der Pegida-Teilnehmer ist dagegen unverzeihlich.


Womit wir beim Thema des Abends angekommen sind: Alexander Grau beschreibt in seinem Buch ein Klima der Hypermoral, in dem der bisher als selbstverständlich hingenommene Pluralismus verteidigt werden muss.

In den ersten Minuten des Abends tasteten sich Susanne Dagen und Alexander Grau an die Begriffe heran: Moral, Moralismus, Hypermoral können als Steigerungsformen betrachtet werden. Ein charakteristisches Zitat aus dem Gespräch:

»Der Moralismus duldet neben sich keine Götter. Der Moralapostel weiß, was gut für ALLE ist.«

Die Hypermoral wird als Folge der Säkularisierung beschrieben: Ein großer Teil der Gesellschaft trennt sich zumindest geistig von der Religion, die Gesellschaft zerfällt in »Moralmilieus der Moderne«. [Nachgedanke: Es ist nicht nur die Säkularisierung. Auch die »wissenschaftlichen Weltanschauungen« der Linken haben keine große Bedeutung mehr].


Eine herrschende Moral gab es zu allen Zeiten: Was ist nun die neue Qualität des Hypermoralismus? – Bisher gab es über der Moral die Leitnormen der Tradition und der Religion. Heute werde, so Alexander Grau, die Moral selbst zur Herrscherin des Diskurses. Moral wende sich gegen die Tradition und begründe sich selbst.

Ein Kennzeichen des Hypermoralismus ist für Alexander Grau, dass gesellschaftlichen Streitfragen wie Gentechnologie, Atomenergie oder Energiewende moralisiert werden. Die herrschende Moral verdrängt andere Arten des Diskurses. Der Moralist steht in einer starken, ja übermächtigen Position und muss diese nicht rational begründen. Das führt zu einer »diskursiven Monokultur«. Gesellschaftliche Diskussionen werden eher emotional als rational geführt.

Konsequenterweise geht Alexander Grau schonungslos auf die Rolle der Kirchen in der Gegenwart ein. Im Zuge der Säkularisierung sei es zu einem Rückgang der traditionellen Frömmigkeit gekommen und traditionelle Glaubensformen würden in Zweifel gezogen. Die Evangelische Kirche sei politisiert worden und habe sich (zugespitzt formuliert) zu einer Moralagentur entwickelt.


Als Beispiel zur Rolle der Massenmedien wurde das Echo auf die Diskussion mit Uwe Tellkamp und Durs Grünbein am 08. März 2018 herangezogen. Etwas später am Abend kam die Rede auf die »mediale Strategie des bewussten Missverstehens von Sprechakten«, auf die »moralische Verurteilung des Wörtlich-Verstandenen« mit moralischer Ächtung und Diskursabbruch

Der Hypermoralismus sei auch ein Medienphänomen: Medien seien immer (auch) Unterhaltungsmedien, die letztlich von Skandalen und Skandalisierung immer noch am besten leben. Nach der inhärenten Logik der Medien werde der Skandal benötigt.

Manchmal muss der Blick einige Jahrzehnte in die Vergangenheit gerichtet werden: Alexander Grau wies darauf hin, dass philosophische Streitgespräche wie in den 1960er oder 1970er Jahren im heutigen Fernsehen schlicht undenkbar wären. Er verwendete dafür als Beispiel das Streitgespräch »Ist die Soziologie eine Wissenschaft vom Menschen?« zwischen Theodor W. Adorno und Arnold Gehlen.

Alexander Grau konstatierte eine »Homogenisierung der Meinung« ab den 1980/90er Jahren und blickte auf zwei gescheiterte medienpolitische Großversuche zurück: Konrad Adenauer wollte das ZDF als Gegenpol zur »linken« ARD aufbauen, Helmut Kohl das Privatfernsehen als weltanschauliches Gegengewicht zu den öffentlich rechtlichen Sendern. Grau sah allerdings im »Zwangsgebührenprinzip« keine negativen Auswirkungen auf den Pluralismus: Letztlich könne mit oder ohne Zwangsgebühren eine Monokultur der Meinungen entstehen.


Wer dem Hypermoralismus auf den Grund gehen will, muss sich die Machtfrage stellen. Früher gab es die Monarchie oder die Diktatur mit machtausübenden Gruppen bzw. Einzelpersonen. Heute gibt es kein derartiges Machtzentrum und keine Zentralisierung einer Macht hinter der Hypermoral [den ironischen Seitenhieb auf die Förderpraxis des BMFSFJ für diverse Interessengruppen konnte sich Alexander Grau allerdings nicht verkneifen]. Angelehnt an Alexis de Tocqueville sagte er zum Thema Machtausübung über Meinungen:

»Die neue Tyrannei der Meinung ist nicht: Keiner wird dir das Wort verbieten. Die neue Tyrannei ist: Keiner wird mehr mit dir reden.«


Hinweis: Dieser Artikel wird fortgesetzt. Vor dem zweiten Teil des Berichts werde ich aber das Büchlein zu Ende lesen, eine kurze Inhaltsangabe verfassen und dann am Ende noch die Diskussion beschreiben.

[Zum Teil 2 bitte hier entlang.]



Adventskalender [4]: Dimension und Ursachen der Hassrede

4. Dezember 2017

Der Adventskalender ist jetzt (mit Sprungmarken) eine eigene Seite, damit der Beitrag chronologisch gelesen werden kann.

Wenn Sie die ersten Teile schon gelesen haben, springen Sie bitte einfach an die Stelle des heutigen Beitrags.

Es geht heute vor allem um die Ursachen der Hassrede. Wenn wir nicht über die Ursachen reden, werden wir mit Hassrede nicht umgehen können.


Adventskalender [3]: Hassrede von allen Seiten

3. Dezember 2017

Die Einordnung einer Äußerung als »Hass« ist also i. d. R. subjektiv. Als »Hassrede« kann eine Äußerung definiert werden, die in der Allgemeinheit Ablehnung und Entrüstung hervorruft, weil soziale Normen verletzt wurden. Die rechtliche Bewertung einer Äußerung als legal oder illegal kann mehrere Gerichtsinstanzen beschäftigen. Das Bundesverfassungsgericht hat im August 2016 geurteilt (BVerfG 2016):

»Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit schützt nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen. Vielmehr darf Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen. Einen Sonderfall bilden herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen.

In diesen Fällen ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktritt. Diese für die Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden.«

Aus dem weiteren Text der Urteilsbegründung geht hervor, dass die Gerichte sehr sorgfältig zwischen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Meinungsfreiheit abwägen müssen, bevor sie eine Äußerung als rechtswidrige Schmähkritik einstufen. Das erscheint klug und weitsichtig:

Es wird immer polarisierende und umstrittene Äußerungen geben. Wenn Grundrechte miteinander kollidieren, hat das Bundesverfassungsgericht bisher meist im Sinne der Meinungsfreiheit geurteilt.


Adventskalender [2]: Wie es einmal war und wie es nie wieder werden wird

2. Dezember 2017

[Teil 1: Besseres Kommunizieren]

Ich hatte gestern versprochen, meine Argumentation aus dem Aptum-Artikel schrittweise vorzustellen und zu kommentieren. Der Artikel beginnt so:

Diskussionsgruppen und soziale Netzwerke bilden ein soziales Umfeld, in dem Informationen ausgetauscht werden. Zu Beginn waren die Gruppen exklusiv: Sie waren den wenigen Menschen vorbehalten, die einen Internetzugang hatten. Diese legten ihre Regeln selbst fest und setzten sie in einer Art Selbstverwaltung durch. […] Heute sind die sozialen Netzwerke nicht mehr exklusiv, sondern ein Spiegelbild (fast) der gesamten Gesellschaft. Die Regeln werden von wenigen großen Internetunternehmen vorgegeben und durchgesetzt. Der Staat strebt seit 2016/17 eine stärkere Regulierung an.

Gemeint sind damit die Newsgroups, zu denen ich kurz nach der Wende selbst gehören durfte. Zum einen waren das Gruppen für Unix und das Textsatzsystem TeX/LaTeX. Zum anderen waren es auch schon Gruppen über Religion, weil ich damals aus einer religiösen Sondergemeinschaft ausgestiegen bin und später anderen dabei geholfen habe.

In den Diskussionen im Netz hat es von Beginn an Konflikte gegeben. In diesen Konflikten wurden immer auch Äußerungen eingesetzt, die als beleidigend, provozierend und ausgrenzend aufgefasst werden können: um Macht zu demonstrieren oder Regeln durchzusetzen, aber auch um Personen zum Verstummen zu bringen oder sie sozial zu diskreditieren.

Es galt damals nicht als Grobheit, wenn man jemanden mit etwas deutlicheren Worten darauf hingewiesen hat, dass es eine FAQ gibt. Dass man bei Problemen mit LaTeX entweder ein lauffähiges Minimalbeispiel angeben oder lange auf Antworten warten muss. Dass es einen Preis für die nutzloseste Anwendung des Unix-Befehls »cat« gibt.

Diese Hinweise hatten einen technischen und ökonomischen Sinn: Arbeitszeit, Netzdurchsatz und Speicherplatz waren teuer. Deshalb wurden deutliche Worte verwendet, die vermutlich heute schon als Hassrede interpretiert werden könnten. Tatsächliche Beleidigungen waren verpönt und sie konnten zum Ausschluss aus der Gruppe führen.


Allerdings bekamen diejenigen, die sich dann doch nicht benehmen konnten, durchaus auch mal eine »Merkbefreiung« ausgestellt:

Die nachstehend eindeutig identifizierte Lebensform

Name                 : ____________________
Vorname              : ____________________
Geburtsdatum         : __________
Geburtsort           : ____________________
Personalausweisnummer: ____________________

ist hiermit für den Zeitraum von

        [_]  6 Monaten
        [_] 12 Monaten
        [_] 24 Monaten
        [_] unbefristet

davon befreit, etwas zu merken, d.h. wesentliche
Verhaltensänderungen bei der Interaktion mit denkenden Wesen zu
zeigen. 

[Quelle]


Letztlich war das aber keine Hassrede, sondern nur ein klares »Nicht weiter so!« – ich kann mich an manche Person erinnern, die vernünftiger zurück kam und dann wieder mitmachen durfte.

Wenn ich heute zurückblicke: Es war eine schöne Zeit. Die Welt im Netz war recht klein, die Welt außerhalb des Netzes hat uns weitgehend ignoriert. Weil niemand ausgeschlossen wurde und weil die Welt um uns herum kein Interesse am Netz hatte, kann man diese Gruppen im Grunde auch nicht als privilegiert bezeichnen.

Aus den Zeiten der Newsgroups stammt auch der heute antiquierte Begriff »Netiquette«. Diese Regeln wurden von Enthusiasten für Enthusiasten gemacht, von Gleichgesinnten für Gleichgesinnte, von Gleichen für Gleiche.


In meinem Artikel geht es zum Thema unerwünschte Äußerungen so weiter:

Derartige Äußerungen können je nach Perspektive unterschiedlich wahrgenommen werden: als Mittel zum Zweck, als unfaire Rhetorik, als kalkulierte Ausgrenzung oder auch als Hass.

Die Wahrnehmung einer Äußerung ist abhängig von den Werten und Normen des sozialen Umfelds sowie vom Bildungsstand, von der Qualifikation und nicht zuletzt von den persönlichen Werten und Normen der Adressaten:

Ein und dieselbe Äußerung kann als legitimer rhetorischer Kunstgriff, als beleidigend, als passend oder unpassend empfunden werden. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Einordnung auch vom persönlichen Kalkül, von politischen oder von geschäftlichen Interessen bestimmt sein kann.

… und die Fortsetzung (mit meiner Definition der Hassrede) folgt morgen.



Adventskalender [1]: Besseres Kommunizieren im Netz

1. Dezember 2017

Der Autor dieses kleinen Blogs wurde im Herbst um einen Beitrag in einer Fachzeitschrift für Sprachkritik gebeten. Im Vorwort schreibt der Gastherausgeber Prof. Joachim Scharloth (Dresden, Tokio):

»Stefanolix reflektiert in seinem Beitrag die Frage, inwiefern staatliche Maßnahmen geeignet sind, öffentliche Debatten zu regulieren. Als Blogger […] leistet er einen Beitrag zur Frage, wie die Beteiligten die Debatte um Hate Speech wahrnehmen und welche Lösungsansätze sie zur Bearbeitung von Hassrede favorisieren.«

Das Sonderheft ist inzwischen erschienen und es heißt »Hate Speech / Hassrede«. Es enthält interessante Beiträge und Denkanstöße, über die hier zu reden sein wird. Aber der Titel gefällt mir nicht mehr.


Im Advent 2017 möchte ich das Thema nicht nur positiv formulieren, sondern auch positiv bearbeiten. Deshalb heißt die Serie »Besseres Kommunizieren im Netz«: Wer die Risiken kennt und damit umzugehen versteht, wird auch in den Zeiten des Hasses einen Weg der Kommunikation finden. Die Nobelpreisträgerin Marie Curie soll gesagt haben

»Man braucht vor dem Leben keine Angst zu haben. Man muss es nur verstehen.«

Ich will in diesen 24 Tagen verstehen, was sprachlich und psychologisch hinter dem Phänomen der sogenannten Hassrede steht. Ich will versuchen, es Euch mit meinen Worten zu erklären. Ich will am Ende auch Strategien ableiten, mit denen man im Netz überleben und Mensch bleiben kann. Ich freue mich über alle positiven Hinweise.


Ein letzter Blick nach hinten: Es hat sich gezeigt, dass alle staatlichen Kampagnen gegen den »Hass im Netz« grandios gescheitert sind: Der Staat hat die falschen Anreize gesetzt. Aus politischen Gründen wurden die falschen Akteure beauftragt. Diese falschen Akteure haben dann auch noch die falschen Methoden eingesetzt.

Insgesamt wurde also weit mehr Schaden als Nutzen angerichtet. Aber auch hier will ich mich an Marie Curie halten:

»Ich beschäftige mich nicht mit dem, was getan worden ist. Mich interessiert, was getan werden muss.«

Wie würde ein vernünftiger Mensch an die Sache herangehen? Analysieren und verstehen, Ziele ableiten, Methoden auf ihren Nutzen untersuchen und am Ende vielleicht Ansätze für Erfolgsmethoden finden.


Geplant ist folgendes: Ich werde meinen eigenen Beitrag aus der Sprachzeitschrift in mehreren Abschnitten vorstellen und ergänzen. Ich werde als interessierter Quereinsteiger lesen und wiedergeben, was die Sprachwissenschaftler zu diesem Thema schreiben. Vielleicht werde ich zwei interessante Interviews führen.

Am 24.12. wird der Hass nicht aus dem Netz verschwunden sein. Aber vielleicht werden wir alle etwas mehr über die Hintergründe wissen. Und im besten Fall werden sich aus dem Verstehen Erkenntnisse für die nächsten Jahre ergeben. Mehr kann man von einem kleinen Adventskalender nicht erwarten.


[Teil 2]