Als ich zur Zeit der Wende an der Technischen Universität Dresden studierte, hatten wir einen Professor[1], der in der DDR seit den 1970er Jahren als Autor eines wichtigen Fachbuchs bekannt war. In der Wendezeit stand er kurz vor der Emeritierung.
Wer mein Fach studieren wollte, kam an dem Fachbuch des Professors nicht vorbei: Erstens war es recht gut und zweitens gab es in der DDR-Fachliteratur wegen der Ressourcenknappheit keine große Auswahl.
Wenn wir uns als Dresdner Studenten mit Studenten von außerhalb austauschten, kam oft die Rede auf Professor X: Was es denn für ein Gefühl sei, an seiner Fakultät zu studieren und an seinem Institut studentische Hilfskraft zu sein?
Es waren durchaus gemischte Gefühle: Professor X hatte in den Jahrzehnten seit dem Erscheinen seines berühmten Fachbuchs kaum noch etwas veröffentlicht. In seinen Vorlesungen und in seinem Umgang mit den Doktoranden wurde er von Jahr zu Jahr unleidlicher, beim akademischen Mittelbau war er gefürchtet, und das Personal der Universität machte meist einen weiten Bogen um ihn. Legendär war die lange Liste der Bücher, die er aus der Bibliothek ausgeliehen und nie zurückgegeben hatte.
Wenn wir als Studenten ins Erzählen kamen, fiel meist auch der Spitzname des Professors: Hinter seinem Rücken wurde er Professor Gessler genannt, weil rund um sein Büro eine ganze Batterie aus unsichtbaren Gesslerhüten gegrüßt werden musste. Man hatte auch am Ende der DDR und in der Wendezeit das Machtgefälle zwischen den Professoren und dem »Rest« zu respektieren.
Die Zeit des Professors X an unserer Universität endete an einem traurigen Novembertag Anfang der 1990er Jahre. Als er sein Büro endgültig verlassen hatte, begann das große Aufräumen. Zwei Dutzend Fachbücher aus der Bibliothek fanden wir verstaubt unter dem Sofa, auf dem er so gern Mittagsschlaf gehalten hatte …
25 Jahre später hat sich Antonia Baum gestern in der F.A.S. mit den Diskussionen rund um die Professorin Antje Lann Hornscheidt befasst, die sich nicht mehr als Professorin, sondern als Profx bezeichnen lassen will.
In ihrem Artikel zeigt Antonia Baum einige Absurditäten und Unverschämtheiten, mit denen die Diskussion vergiftet wurde. Antonia Baum nimmt die Perspektive der Berliner Professorin ein, und das ist nicht nur legitim, sondern notwendig – aber sie vergisst dabei einen ganz wesentlichen Punkt: das Machtgefälle zwischen Professoren und Studierenden.
Ich kann keinen Artikel über den Fall Hornscheidt lesen, ohne an unseren Professor X zu denken. Es gibt nämlich nicht nur sprachlich einen Unterschied zwischen den Wendungen »Achten Sie darauf, mich als Profx anzusprechen!« und »Ich wünsche mir, als Profx angesprochen zu werden.«
Wer früher als Student oder Doktorand zu Professor X ging, war sich des Machtgefälles spätestens beim Warten im Vorzimmer bewusst. Wer heute auf der offiziellen Webseite der Professorin Hornscheidt liest
Wollen Sie mit Profx. Lann Hornscheidt Kontakt aufnehmen? Achten Sie bitte darauf, Anreden wie „Sehr geehrtx Profx. Lann Hornscheidt“ zu verwenden.
und dort zu einer obligatorischen Prüfung antreten muss, wird sich wohl sehr gründlich überlegen, ob er seine Sprache verbiegt oder seine Prüfungsnote in Gefahr bringt.
Dieser »Wunsch«, wie es Antonia Baum interpretiert, ist allenfalls unter Gleichgestellten ein Wunsch. Unter Berücksichtigung des akademischen Machtgefälles ist es kein Wunsch mehr. Man stelle sich einen Augenblick vor, ein Professor mit Adelstitel würde auf seiner offiziellen Webseite betonen
Wenn Sie mit Professor von und zu X Kontakt aufnehmen möchten, achten Sie bitte darauf, die Anrede »Seine Freiherrliche Hoheit« zu verwenden.
Auch in diesem Fall würde eine Anrede konstruiert, die es gar nicht gibt. Die »Freiherrliche Hoheit von und zu …« erscheint in der aufgeklärten Gesellschaft des Jahres 2014 genauso absurd wie die »Profx Hornscheidt«. In erster Linie sind diese Wendungen aber anmaßend, denn in beiden Fällen wird von Studierenden und Mitarbeitern eine Unterwerfungsgeste verlangt.
Es gibt rein rechtlich die beiden Anreden »Sehr geehrte Frau Professor …« und »Sehr geehrter Herr Professor …«. Die sexuelle und soziale Selbsteinstufung der Lehrpersonen ist Privatsache und hat in offiziellen Beziehungen an der Universität nichts zu suchen. Der alte Gesslerhut sollte in der Mottenkiste bleiben. Er wird nicht dadurch akzeptabel, dass man ihn heute als Gesslix-Hut aufstellt.
Ergänzungen:
1. Ich bitte alle Leserinnen und Leser, Frau Prof. Hornscheidt als Mensch zu respektieren und demgemäß nicht auf der persönlichen Ebene anzugreifen.
2. Es geht mir in meinem Artikel ausschließlich um das offizielle Handeln von Frau Prof. Hornscheidt in ihrem Amt an der Uni. Jede Person kann sich privat nennen lassen, wie sie möchte – in einer öffentlich-rechtlichen Machtposition geht das aber nicht.
3. Frau Prof. Hornscheidt ist an der Humboldt-Uni in ein Amt berufen worden. Möglicherweise muss man dort nach der Berufung kaum noch Leistungsnachweise bringen. Es ist trotzdem vermessen, eine Amtsenthebung zu fordern, nur weil uns ihre Publikationen suspekt vorkommen. Rechtlich gesehen ist das nicht möglich.
4. Es ist in Ordnung, wenn Antonia Baum in der F.A.S. auch die Perspektive von Frau Prof. Hornscheidt darstellt. Das gehört zum Pluralismus. Ich finde es aber problematisch, dass sie die eine Seite positiv und die andere negativ verzerrt.
[1] In der fiktiven Figur »Professor X« sind Erinnerungen an die Eigenheiten mehrerer Personen aus meiner Zeit an der TU zusammengefasst.