Das dapd-Blog zum Qualitätsjournalismus: Beitrag 5

Der fünfte Beitrag des dapd-Blogs stammt von Paul-Josef Raue (Chefredakteur der »Thüringer Allgemeinen«) und trägt einen Titel, der auch in mein Blog passen würde:

Zeitungen müssen ein Markenartikel der Demokratie bleiben

Ein hoher Anspruch. Ein schöner Artikel. Doch davor sitzt ein zweifelnder Leser:

Die Botschaft hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.
Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
Zu jenen Sphären wag‘ ich nicht zu streben …

[Johann Wolfgang von Goethe: Faust I]


Im August und September 2012 musste ich mich mit gravierenden Recherchefehlern der »Sächsischen Zeitung« und anderer Dresdner Zeitungen beschäftigen. Ich greife die Vorgänge noch einmal kurz auf, weil ich sie an Paul-Josef Raues Maßstäben messen möchte.

Ich habe damals zwei Sachverhalte untersucht, die im Netz hohe Empörungswellen erzeugt hatten — die Empörung war aber bei nüchterner Betrachtung völlig ungerechtfertigt, weil die Zeitungsberichte falsch waren. Mein bitteres Fazit lautete:

Aber die Hauptverantwortung liegt bei der Presse: Wenn sie ohne Gegenrecherche eine Plattform für billigen Populismus bietet, wird das Vertrauen der Bürger in Rechtsstaat und Demokratie gestört.

Was die Zeitungsleser in der Hitze des Monats August auf Twitter und Facebook aus der Dresdner Presse wiedergegeben und kommentiert haben, sah in meiner Zusammenfassung etwa so aus:

Ungeschöntes Meinungsbild aus Twitter, Facebook, Blogs & Co.

Dieser Sturm der Entrüstung war ausgebrochen, nachdem ein Landtagsabgeordneter der Grünen in einer Pressemitteilung eine völlig absurde Behauptung aufgestellt hatte. Eine professionelle Aufbereitung des Falls findet man im Blog »Flurfunk«.


Die »Sächsische Zeitung« halluzinierte in einer Überschrift sogar einen »Sachsen-Trojaner« herbei. Das ist aus fachlicher Sicht völliger Blödsinn, weil ein »Trojaner« bekanntlich eine Schadsoftware ist, die auf den Rechner eines Nutzers eingeschleust wird und dessen Privatsphäre verletzt. Die Qualitätszeitung trat auf der Grundlage ihrer eigenen fehlerhaften Meldung nach:

In der SZ vom 7. August 2012 las man, die sächsische Staatsregierung plane den Ankauf einer Software für bis zu schlappen 390000 Euro, um erfahren zu wollen, worüber in sozialen Netzwerken wie Facebook diskutiert wird.
[…]
Dieser Innenminister oder wer da sonst verantwortlich ist, hat den Schuss nicht gehört; er hat auch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Verarbeitung personenbezogener Daten nicht gelesen, jedenfalls nicht verstanden.


[Hervorhebung von mir; Link zu einer Druckversion des Artikels; Abbruch vor dem Druck gegebenenfalls mit der Escape-Taste]


Und das soll ein Markenprodukt der Demokratie sein?


Es darf niemanden wundern, dass die Bürger ihrem Ärger Luft gemacht haben, nachdem sie glaubten, was da in der Zeitung stand. Ein solcher Shitstorm verschmutzt natürlich das Klima der Demokratie. Leider kam es niemals zu einem reinigenden Gewitter, weil die Zeitungen ihre Fehler nicht korrigiert haben.


Mehrere Dresdner Zeitungen haben also keinen Markenartikel der Demokratie hergestellt, sondern sie haben blanken Pfusch abgeliefert. Sie haben dabei nicht zuletzt gegen Grundregeln des journalistischen Handwerks verstoßen:

Sie haben Informationen ungeprüft übernommen. Sie haben falsch zitiert. Sie haben Zahlen aus ihrem Zusammenhang gerissen. Sie haben einen Staatsminister in völlig inakzeptabler Weise dargestellt.

In einer Demokratie soll und muss jede Kritik an der Regierung möglich sein. Dafür sind der Presse große Freiheiten garantiert. Was aber in den aufgedeckten Fällen geschah, kann man als fahrlässigen Umgang mit der Pressefreiheit ansehen. Das darf in einer »Qualitätsredaktion« niemals durchgehen.


Paul-Josef Raue schreibt große Worte:

Oft wird die journalistische Qualität allein an professionellen Kriterien gemessen. Doch guter Stil, Verständlichkeit oder saubere Recherche sind kein Selbstzweck. Wem nützt eine Überschrift, die ein neues Gesetz erläutert, wenn sie reizlos ist, wenn sie nicht einlädt zum Lesen?

Die Beherrschung des Handwerks und der klare Willen, dem Leser zu dienen, ist Voraussetzung für Qualität. Daraus wächst die Aufgabe, die Freiheit der Bürger zu sichern.


Zum Anspruch an die Beherrschung des Handwerks: Mit wenigen Klicks hätte jeder »Qualitätsjournalist« damals herausfinden müssen, wie es sich wirklich verhält. Ich würde die Fälle aus dem August und dem September 2012 übrigens in diesem Zusammenhang nicht mehr erwähnen, wenn die Fehler inzwischen transparent gemacht und berichtigt worden wären. Auch das sollte eigentlich zum Handwerk gehören. Welcher Eindruck hat sich wohl bei den Lesern festgesetzt, die es einfach ungeprüft geglaubt haben? 


Paul Josef Raue schreibt in seinem vorzüglich formulierten Gastbeitrag, der in jedem Redaktionsraum der »Sächsischen Zeitung« ausgehängt werden sollte:

Je tiefer wir kontrollieren, je genauer wir informieren, je stärker wir die Bürger mitwirken lassen, umso mündiger werden sie. Das bedeutet auch: Wenn der Journalismus dies nicht leistet, wird der Bürger entmündigt. Aus der Schwäche des Journalismus folgt die Schwäche der Demokratie. Wenn wir über den Wert des Journalismus sprechen, dann sprechen wir über den Wert unserer Gesellschaft.


Der Wert des Journalismus wird aber nur dann wieder steigen, wenn sich die Journalisten ihrer Verantwortung bewusst werden: Wer heute in einer Redaktion sitzt, hat es in der Hand, welchen Wert die Zeitung von morgen und die Demokratie von übermorgen hat.


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