Widerspruch zu Afghanistan

Margot Käßmann hat in der Dresdner Frauenkirche eine vielbeachtete Rede gehalten, aus der überall zitiert wird: »Nichts ist gut in Afghanistan«. Frau Käßmann ist nicht nur Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, sondern sie repräsentiert auch seit 2002 die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen.

Unumstritten ist sicher das Recht eines jeden Bürgers, aus Gewissensgründen den Dienst mit der Waffe zu verweigern. Dieses grundlegende Recht gab es in der DDR nicht und ich bin sehr dankbar dafür, dass meine Söhne nicht mehr zwangsweise für militärische Dienste eingezogen werden können[1].

Unumstritten ist aber auch: Deutschland muss sich verteidigen können, Deutschland muss in bestimmten Situationen für Freiheit und Menschenrechte kämpfen. Schon kurz nach dieser Rede gab es also Widerspruch von evangelischen Christen (in der Evangelischen Kirche gibt es keine einheitliche Lehrmeinung, die alle Mitglieder akzeptieren müssen). Sie kritisierten die Einseitigkeit der Rede und wiesen darauf hin, dass die Verantwortungsethik manchmal keine andere Wahl lässt als das militärische Eingreifen.

Klaus Naumann ist der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzende des NATO-Militärausschusses. Er hat in der Süddeutschen Zeitung eine lesenswerte Entgegnung veröffentlicht, die in der Sächsischen Zeitung von heute nachgedruckt wurde. Ich finde seine Entgegnung sehr überzeugend.


[1] Es gab gegen Ende der DDR-Zeit sogenannte Spatensoldaten, aber sie wurden in der Regel dazu gezwungen, entweder für die DDR-Armee zu arbeiten oder direkt an militärischen Einrichtungen mit zu bauen.


18 Responses to Widerspruch zu Afghanistan

  1. Stephan sagt:

    Das heisst also, dass Krieg als letztes Mittel um Konflikte zu lösen okay ist?

    Oder wie soll man Verteidigung sonst verstehen? Die erste Frage ist sicher provokant: Aber funktioniert „Backe hinhalten“ auf Staatenebene nicht auch? Also sich einfach einnehmen lassen und gut ist? Dann gäbe es am Ende einen neuen Großstaat mit einer neuen Bevölkerungszusammensetzung, die sich eine neue Verfassung geben kann.

    Ich stelle fest, ich hab ein Problem in meiner Argumentationskette. Der Angreifer müsste ja vorher fragen, ob die Angegriffenen ihren Staat loswerden wollen und sich dem Angreiferstaat anschliessen wollen.

    Schwieriger Fall. Warum überhaupt Staaten und nicht etwa „Kulturen“ oder „Kulturregionen“?

    • stefanolix sagt:

      Krieg ist momentan noch ein Mittel, um Massenmord zu verhindern oder zu beenden. Ich würde mir auch eine bessere Welt wünschen, in der das nicht so ist.

      Krieg löst keine Konflikte. Aber ein kriegerisches Eingreifen kann viele Leben retten. Der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien war ja schon vorhanden. Wer hätte sich denn sonst einmischen sollen, wenn nicht die NATO?

      Der Konflikt in Ruanda damals hat sich lange angedeutet. Wäre eine Eingreiftruppe nicht in der Lage gewesen, viele Morde zu verhindern? Vielleicht allein schon durch die militärische Kontrolle über die Radiosender, mit denen Hetze verbreitet wurde — und die Nutzung dieser Sender für die Deeskalation?

      Warum Staaten? Weil wir bisher noch so organisiert sind. Weil bisher nur Staaten eine Eingreiftruppe auf die Beine stellen können.

      Viele freie Regionen in Europa, keine Grenzen, wenig Staatsgewalt — wirklich ein schöner Traum! Aber leider in unserer Lebenszeit wohl nicht mehr realisierbar.

      • henteaser sagt:

        Außer mit reichlich H-Bomben.

      • Stephan sagt:

        So ich habe nun endlich auch den besagten Zeitungsartikel gelesen.

        Aber zum ehemaligen Jugoslawien: Als Alternative zur Nato hätte das serbische Volk den ganzen Scheiss beenden können. Das hätte aber ein Verständniss vom echten Souverän erfordert, also von einem Volk, was klar ansagt, dass es miteinander auf dem Balkan leben will.

        Aber ich bin schon wieder am Träumen. Vor allem weil sich hier in Deutschland das Volk nicht wirklich als Souverän begeift, zumindest ist das mein Gefühl. „Die da oben machen eh was sie wollen“ scheint eine weit verbreitete Meinung zu sein.

        Was in Ruanda schief gelaufen ist, weiss ich nicht. Ob da ehemalige Kolonien ne Rolle gespielt haben oder nicht, keine Ahnung. Wenn die Menschen dort aber so sind, wie sie sind, haben wir dann das Recht dann unsere Wertevorstellung auf sie zu projezieren? Falls da aber die Franzosen oder Belgier eine historische Schuld mit sich rumgetragen haben, hätten sie das doch in der UNO an die große Glocke hängen können und zusammen mit dem Rest der Welt lösen können. Dass Deutschland mit seiner Historie da Abstand nimmt ist verständlich.

      • Chris sagt:

        Masslos daneben.

        Beelzebub mit Satan austreiben oder was.

        Krieg und Massenmord ist die Sprache des Widersachers.

  2. carluv sagt:

    Kleine historische Anmerkung zur Fußnote: Die Baueinheiten in der DDR gab es schon seit 1964. Diejenigen, die dort „Wehrersatzdienst“ abgeleistet haben, hießen „Bausoldaten“ und hatten einen Spaten auf dem Soldatenschulterstück.
    Die Bezeichnung „Wehrersatzdienst“ war Staats- bzw. Amtssprache, obwohl die Baueinheiten Teil der NVA waren und die Bausoldaten allen militärischen Sch… ich wollte Schliff sagen… mitmachen mussten und zum größten Teil zu rein militärischen Zwecken eingesetzt wurden.
    Die Bezeichnung „Spatensoldat“ war inoffiziell. In kirchennahen Kreisen kreiste das Kurzwort „Spati“.

    • stefanolix sagt:

      Danke! Ich dachte, dass es die Spatensoldaten erst seit Anfang der 80er Jahre gegeben hätte.

      Nach meinem Kenntnisstand im Jahr 1986 (als ich für 18 Monate eingezogen werden sollte) musste man sehr gute »Beziehungen« haben, um nach dem Spatendienst noch an einer Hochschule studieren zu dürfen. Ein Mit-Abiturient hatte das z.B. über ein bischöfliches Ordinariat regeln können. Ich konnte es nicht. Ich wollte aber unbedingt studieren und habe diese 18 Monate als notwendiges Übel gesehen.

      Wie ging es aus?

      Ich war ca. 1/3 meiner Armeezeit produktiv arbeiten: zum Teil in der Braunkohle, zum Teil in Waldheim im Knast als Produktionsarbeiter. Ich habe genau eine scharfe Handgranate in die Gegend geworfen und einmal mit der Maschinenpistole auf Scheiben (daneben)geschossen. Mein ehemaliger Klassenkamerad hat vom ersten bis zum letzten Tag beim Schießplatzbau gearbeitet und definitiv den größeren militärischen Drill über sich ergehen lassen …

      • carluv sagt:

        Ich war Bausoldat und habe auch nur an Schießplätzen mitgebaut. Und dabei war ein richtiger Ausnahmewinter, mit jeder Menge Soldaten in der Braunkohle und in Schwerpunktbetrieben. Da hat man die Bausoldaten aber nicht hingelassen. Vermutlich wurden sie als nicht genügend zuverlässig eingeschätzt.

      • stefanolix sagt:

        Welcher Winter war denn das? Ich habe 1986/87 in der Braunkohle und 1987/88 vorwiegend in Waldheim gearbeitet.

        Genügend zuverlässig? Das dürfte keine Frage gewesen sein. Bestimmt hättet Ihr genauso wie wir mit Spitzhacke und Schaufel gearbeitet.

        Vermutung (1): Die NVA-Bonzen hatten Angst, dass Spatensoldaten und andere Wehrdienstleistende zu eng in Kontakt kommen. Meine Briefe an den Schulfreund haben z.B. immer sehr lange Zeit gebraucht und wir hatten den Verdacht, dass sie geöffnet würden.

        Vermutung (2): Die NVA-Bonzen wollten Euch nicht gönnen, etwas Sinnvolles zu tun. Uns haben sie damals auch äußerst ungern zum Arbeiten gehen lassen. Die (Polit)-Hardliner haben immer ganz laut bedauert, dass wir nicht in der Kaserne geblieben sind.

  3. Claudia sagt:

    Zwar glaube ich auch, daß Krieg als letztes Mittel gerechtfertigt (nicht gut!) sein kann. Hätten die Griechen sich nicht gegen die Perser wehren sollen, die Juden nicht gegen Griechen und später Römer, die Polen und Russen nicht gegen die Nazis? Das sind nur sehr wenige Beispiele, wo die kriegerische Antwort auf gewaltsame Vereinnahmung mir die einzig mögliche scheint.
    Aber im Fall von Afghanistan glaube ich nicht, daß das Eingreifen der deutschen Armee das beste Mittel ist. Hilfe vor Ort, soweit möglich, Asylrecht und Bildungschancen besonders für Frauen, vor allem aber die Beendung von Waffengeschäften, an denen Deutschland verdient – das könnte helfen. Mit einer verzogenen und hierfür völlig unzureichend ausgebildeten Armee in einem unwirtlichen und unübersichtlichen Land Ordnung schaffen wollen, ist mit Sicherheit schwieriger – und die obengenannten Maßnahmen wären schon schwierig genug.

    • stefanolix sagt:

      Aber die Hilfe vor Ort muss doch geschützt werden. Wer soll das für uns tun?

      • Claudia sagt:

        Ich bin mir nicht sicher, ob so schrecklich viel Schutz nötig wäre, wenn kein offensives Militär (denn das ist es, da dürfen wir uns nichts vormachen) ständig mit Waffen herumfuchtelte.
        Eine gute Lösung habe ich nicht parat. Aber ich glaube, daß so, wie es jetzt ist, auch andere keine gute Lösung parat haben.

      • stefanolix sagt:

        Doch. Dann würden sie unsere Entwicklungshelfer entführen und sie würden natürlich gegen alle Bemühungen für eine Verbesserung der Lage der Frauen vorgehen. Unter einer Herrschaft der militanten Taliban kann man IMHO keine Entwicklungshilfe betreiben.

    • Stephan sagt:

      Jetzt könnte ich zynisch antworten: Dann lasst die Entwicklungshilfe bleiben und löst erstmal die Probleme im eigenen Land.

      Falls wir dabei unsere Exportabhängigkeit mindern, mindern wir auch den Bedarf an entwickelten Drittweltländern.

      Das führt vielleicht dazu, dass die Entwicklungsländer ganz selbstbestimmt ihren Weg finden werden, ohne dass jemand von aussen reinredet.

      Ich glaube aber, dass diese Verfahrensweise nicht mehr funktioniert, weil in jedem dieser Länder unsere Waffen ständig Leute umbringen. Ein naiver Lösungsvorschlag: Eine lange Soldatenkette (Atlantik bis Stiller Ozean) von Südafrika bis nach Kairo über den Kontinent schicken und die Leute vor Ort fragen, wer seine Waffe abgenommen bekommen soll. Damit könnte man basisdemokratisch einen Kontinent von Waffen befreien.

      Ach…das Thema ist schwierig.

      • stefanolix sagt:

        Warum sollte ein weiterentwickeltes Afghanistan oder Ruanda nicht am internationalen [möglichst fairen] Handel teilnehmen?

  4. Claudia sagt:

    Tatsächlich wäre es weit sinnvoller, die Rüstungsexporte, von denen Deutschland lebt, zu unterbinden. Und zwar gründlich! Es ist nach deutschem Recht bei Strafe verboten, Waffen in Krisengebiete zu liefern; warum also sperrt man nicht die betreffenden Waffenexporteure ein und enteignet sie?
    Daß die Bundeswehr Raketen nach Afghanistan bringt, also Waffen, die unter allen Umständen bei ihrem Einsatz auch Zivilisten treffen, ist bestimmt kein Weg zum Frieden.

    • stefanolix sagt:

      Claudia, das mag in einigen Fällen zutreffen. Mir ist aber nicht bekannt, dass Deutschland an die drei Beispiel-Konfliktparteien aus Naumanns Brief (Serbien, Ruanda und Afghanistan) Waffen geliefert hat.

      In Ruanda wurde meist mit Macheten, Äxten und Knüppeln gemordet. In Afghanistan würden die Taliban oder andere Islamisten auch mit primitivsten Waffen ihre Unterdrückung durchsetzen. Um Menschen zu steinigen oder zu Tode zu peitschen braucht man keine deutschen Waffen.

  5. […] ihre Rede »Nichts ist gut in Afghanistan« in der Dresdner Frauenkirche. Margot Käßmanns Rede war in entscheidenden Punkten ein Irrtum – aber sie war wenigstens noch eine Wortmeldung in der politischen Diskussion und kein […]

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