Zwei Karten und eine große Fehlinterpretation

Bei Twitter ist gerade dieser Tweet mit zwei Kartenausschnitten in den Trends. Der Tweet soll zeigen, dass Deutschlands Rüstungsexporte 2014 zu den Flüchtlingsströmen 2015 geführt haben sollen.

Erster Kritikpunkt: Es gibt für beide Karten keine Quelle. Es ist ja wohl das Mindeste, dass man seine Angaben belegt. Zweiter Kritikpunkt: Es gibt keine Zahlen zur Dimension der Flüchtlingsströme und zur Dimension der Waffenexporte.


Viele Kriegsflüchtlinge kommen aus dem Irak und aus Syrien. Sie werden ganz sicher nicht mit deutschen Waffen vertrieben. Die Assad-Diktatur hat 2014 keine Rüstungsexporte aus Deutschland bekommen und der »Islamische Staat« auch nicht. Die Kurden wurden mit Verteidigungswaffen gestützt, als sie die Yesiden und die Stadt Kobane verteidigt haben. Der irakische Staat hat Rüstungsgüter bekommen, um den IS zu bekämpfen.

Im Fall Algerien wurde 2014 offiziell die Ausfuhr einer Radpanzerfabrik genehmigt [Quelle: Rüstungsexportbericht der Bundesregierung, Bericht: Merkur]. Aufgrund dieser Genehmigung war das Volumen des Rüstungsexports nach Algerien 2014 relativ hoch. Die Fabrik kann aber noch gar nicht fertig sein und sie kann noch keine Radpanzer produziert haben. Außerdem steht in der oberen Karte »algerische Route« und nicht »Flüchtlinge aus Algerien«.

Über einen legalen Waffenexport in den Sudan oder Südsudan konnte ich auch auf rüstungskritischen Seiten (wie hier bei Amnesty International) nichts finden. Illegal mögen Waffen auf nicht kontrollierbaren Wegen dorthin gelangt sein – das hat aber mit dem deutschem Rüstungsexport des Jahres 2014 nichts zu tun.

Ägypten bekam in der Vergangenheit (vor 2014) Waffen und Waffenteile, es wurden von deutschen Unternehmen auch Lizenzen zur Produktion von Waffen vergeben. Aufgrund der zeitweisen Instabilität des Landes gab es 2014 gar keine Rüstungsexporte, sondern nur Genehmigungen [Quelle: Interaktive Karte des SPIEGEL.]. Genehmigungen führen nicht zu Flucht und Vertreibung.

Zu Israel: Waffenexporte (vor allem von U-Booten) nach Israel sollen die Existenz des Landes und das Leben der israelischen Bürger sichern. Das gehört zu den Grundsätzen unserer Außenpolitik. Die U-Boote dienen der Abschreckung, sie wurden noch nie aktiv in einem Krieg eingesetzt.

Saudi-Arabien und der Jemen bekämpfen Terroristen. Der Kampf gegen den Terror führt auch zu Flucht und Vertreibung. Aber ob Saudi-Arabien deutsche Waffen für die Luftangriffe gegen die islamistischen Terroristen im Jemen einsetzt, ist nicht belegt. Bodentruppen sind nicht im Einsatz. Der Jemen bekam laut diesem SPIEGEL-Artikel nur 0.01 Millionen Euro Rüstungsgüter.


Fazit: Die beiden Karten taugen nicht als Beweis für eine Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen den deutschen Rüstungsexporten des Jahres 2014 und den Fluchtbewegungen des Jahres 2015. Sie sind ein Beispiel für schlechten Journalismus.


15 Responses to Zwei Karten und eine große Fehlinterpretation

  1. Hat dies auf Waffen – Waffenbesitzer – Waffenrecht rebloggt und kommentierte:
    Bei Twitter kursiert eine Grafik, die belegen soll, daß deutsche Waffenexporte von 2014 zu den großen Flüchtlingsströmen 2015 geführt haben sollen.

    Korrelation zweifelhaft
    Kausalität nicht bewiesen
    Rohdaten? Nicht vorhanden

    Und sich dann drüber beschweren, wenn man von Leuten, die was von Recherche und Statistik verstehen, als Lügenpresse beschimpft wird?

  2. Bisschen hart, das als Nachweis für schlechten Journalismus zu nehmen. Aber die Quelle hätte natürlich auch genannt werden müssen. Ich glaube allerdings an einen Zusammenhang zwischen Waffen, Krieg und Flüchtlingen. Reicht das nicht eigentlich aus, um eine Haltung dazu zu haben und diese auch zu äußern? Nun, vielleicht sagst du jetzt, dass nur der Glaube nicht reicht, um dich zu überzeugen. Bettina Röhl hat in ihrem Artikel bei Roland Tichy etwas richtiges zur Massenfluchtbewegung ausgeführt. Jetzt muss ich sie mal zitieren:

    Wenn es in den vergangenen Jahrzehnten keine Völkerwanderungen in Richtung Westen gab, dann lag es ausschließlich daran, dass die Menschen nicht auf den Gedanken verfallen sind, ohne Krieg und Vertreibung oder ähnliche Gründe, in großen „Flüchtlings“-Strömen nach Europa zu ziehen. Wenn dieser Gedanke, einmal entfesselt, ist, wird jeder Wirtschaftsflüchtling, der im Westen physisch angekommen ist, einen Weckruf für mehrfache Nachahmung sein. Bettina Röhl

    • stefanolix sagt:

      Dass es einen Zusammenhang zwischen Rüstungsexport und Fluchtbewegungen gibt, bezweifelt doch niemand. Aber hier ging es um Exporte unseres Landes in konkrete Staaten und die Flucht im darauf folgenden Halbjahr. Der Urheber arbeitet als Journalist und war Teil der »Krautreporter«. Wer in dieser Rolle twittert und solchen Unsinn in die Welt setzt, hat IMHO schon Kritik verdient.

  3. Ich weiß schon, um was und wen es ging. Aber hat er bisher denn keine Quelle nachgereicht? Das sollte er doch auf jeden Fall tun können. In dem Spiegelartikel war übrigens eine Quelle verlinkt. Darauf beruhten wohl deren interaktive Karten. Vielleicht hat er das aus diesem Datenmaterial?

    • stefanolix sagt:

      Eben nicht. Dann müsste er wissen, dass z. B. Algerien weder deutsche Waffen einsatzfähig hat noch Flucht oder Vertreibung verursacht. Und dass Ägypten im Jahr 2014 gar nichts geliefert bekommen hat. Die Karte mit den Empfängerländern ist schon mal absoluter Quatsch – es stehen ja nicht mal Zahlen dabei.

      • Dann hast du recht. Aber reg dich doch nicht so auf darüber.

      • stefanolix sagt:

        Ich finde es nur schlimm, dass hunderte Leute kritiklos so etwas glauben. Ähnlich wie mit der fehlinterpretierten Studie in Sachen »Der Staat Deutschland macht 100 Milliarden Euro Gewinn aus der Griechenlandkrise …«.

    • stefanolix sagt:

      PS: Man kann ja noch nicht mal sagen, dass sich Karte und SPON-Artikel widersprechen, da die Karte mit den Empfängerländern außer Farben gar keine Aussage transportiert ;-)

      • Für VWL haben nicht viele Leute ne Antenne. :-) Das Theme ist ja nicht gerade gering komplex.

      • stefanolix sagt:

        Ich bin ein Ingenieur mit DDR-Herkunft. Mir hat wirklich niemand VWL beigebracht – im Studium gab es nach der Wende pro forma eine Massenvorlesung BWL mit Testat, ohne Seminare. Alle Zusammenhänge der Wirtschaft habe ich mir selbst aus Büchern hergeleitet …

      • Werwohlf sagt:

        Ich finde, VWL ist einfach. Sie besteht aus drei Grundprinzipien:

        1) „x=y“: Kein Ertrag ohne Kosten, kein Vermögen ohne Ertrag, keine Schulden ohne Vermögen
        2) „Panta rhei“: Alles wird immer wieder neu entschieden.
        3) „It’s the incentives, stupid“: Anreize ändern Entscheidungen, Entscheidungen ändern Handlungen.

        Wer diese drei Prinzipien beherzigt, hat mehr VWL drauf als die Mehrzahl der Politiker und Journalisten, die uns mit scheinbarem Fachwissen zu beeindrucken versuchen.

      • stefanolix sagt:

        Diese nonchalante Bemerkung kannst Du Dir auch nur leisten, weil Du VWL studiert hast ;-)

      • stefanolix sagt:

        Und bei x=y wird es heutzutage schon schwierig: Was geschieht, wenn die Europäische Zentralbank direkt oder indirekt mehr Geld emittiert? Wer profitiert davon, wer verliert?

      • Werwohlf sagt:

        Diese nonchalante Bemerkung kannst Du Dir auch nur leisten, weil Du VWL studiert hast ;-)

        Na ja, eher so halb BWL, halb VWL, und durch die keynesianisch dominierten Lehrveranstaltungen bin ich ganz sicher nicht auf diese Ideen gekommen ;-)

        Und bei x=y wird es heutzutage schon schwierig: Was geschieht, wenn die Europäische Zentralbank direkt oder indirekt mehr Geld emittiert? Wer profitiert davon, wer verliert?

        Letztere Frage ist schwer zu beantworten, weil zwar nicht die VWL, aber die Volkswirtschaft an sich hinreichend komplex ist und man diverse Regelkreise betrachten müsste. Aber dass die Schulden der einen die Forderungen der anderen sind, gilt natürlich auch hier.

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