Zivilisierter Widerspruch (3)

Der heutige zivilisierte Widerspruch richtet sich gegen die »Morgenandacht« vom 02.10.2018 im Deutschlandfunk, die eigentlich von der Friedensbewegung, der Linkspartei oder den fundamentalistischen Grünen stammen könnte. Auch dieser zivilisierte Widerspruch beginnt mit einem Abschnitt der Zustimmung und dann folgen erst die Gegenargumente.


Die Zustimmung

Es ist auch im Jahr 2017 richtig und wichtig, über den Pazifismus und seine Auswirkungen nachzudenken. Der Vergleich zwischen Militärausgaben und Ausgaben für Lebensmittelhilfe kann angemessen sein.



Der Widerspruch

Aber nicht auf diese Weise. Wer in Deutschland und der EU von Pazifismus spricht, kann über die Risiken dieser Welt nicht schweigen. Wer über Pazifismus ohne rationale Argumente spricht, sollte es besser ganz lassen. Die Autorin sagt und schreibt:

2017 wurden 1739 Milliarden Dollar für Rüstung ausgegeben. Um mir diese Zahl bildlich vorzustellen, stelle ich mir diese Summe als einen Stapel Dollarscheine vor: 1000 übereinander ergeben einen Zentimeter, eine Milliarde 10 Kilometer. Der weltweite Ausgabenturm für Bomben, Drohnen, Schnellfeuergewehre, Panzer usw. ist 17.390 Kilometer hoch.

Das ist ein Vergleich für Naive und die Zahlen sind allesamt Quatsch: Ein aktueller Dollarschein ist 0,11 Millimeter stark, demzufolge ergeben 1.000 Dollarscheine nicht einen Zentimeter, sondern 11 Zentimeter Höhe. Eine Milliarde Dollarscheine ist (gestapelt) 110 Kilometer hoch.

Selbst wenn die Autorin richtig gerechnet hätte, wären ihre absoluten Zahlen ohne eine Einordnung nutzlos: Absolute Zahlen müssen ins Verhältnis zu anderen relevanten Zahlen gesetzt werden, um sie vergleichen zu können. Rüstungsausgaben setzt man normalerweise ins Verhältnis zum Bruttosozialprodukt oder zum Gesamthaushalt eines Staates. Darüber hinaus gibt es folgende sachliche Einwände gegen den Vergleich von Rüstungsausgaben in Form absoluter Zahlen:

  1. Die genannten Zahlen sind offizielle Haushaltszahlen. In Russland (und auch in China) gibt es aber Schattenhaushalte für die Rüstungsausgaben. Das ist in der Bundesrepublik gar nicht möglich, in anderen NATO-Staaten wohl auch eher unwahrscheinlich.
  2. Russland hat eine Wehrpflichtarmee – Deutschland, die USA und andere NATO-Staaten nicht. Die Pro-Kopf-Aufwendungen der russischen Armee für Kasernen, Sozialleistungen, Sold und Pensionen dürften im Vergleich mit der Bundeswehr oder der US-Streitkräfte zu vernachlässigen sein. Das trifft sinngemäß auch auf Wartungskosten und Unterbringungskosten zu.
  3. Die Kaufkraft hinter den Militärausgaben ist in Russland viel höher als in der Bundesrepublik oder in den USA. Waffensysteme werden in Russland kostengünstiger entwickelt und produziert sowie aus anderen Quellen quersubventioniert. Im Westen ist jede Art von Arbeit ungleich teurer.

Faustregel: Wann immer Ihnen eine Person in den Medien oder von der Kanzel herab absolute Zahlen vorgibt, um damit einen komplexen Zusammenhang zu erklären, dann werden Sie bitte skeptisch. Entweder macht die Person Propaganda, oder sie will Sie über den Tisch ziehen, oder sie weiß es nicht besser. Keine der Alternativen klingt besonders beruhigend.


Der eigentlich sinnvolle Vergleich zwischen Militärausgaben und Ausgaben für Lebensmittelhilfe hat trotzdem einen großen Haken: Ohne Militäreinsatz kann die Lebensmittelhilfe in vielen Konfliktfällen gar nicht abgesichert werden.

Militäreinsätze sind aber ohne Soldaten, Rüstungshaushalt und Waffen nicht möglich. Wenn etwa die Bundeswehr einen humanitären Einsatz absichert, dann ist der Einsatz der Soldaten immer ungleich teurer als die eigentliche Lebensmittellieferung.

Fazit: Eine Morgenandacht der Evangelischen Kirche, in der Jesus und Christentum nur noch ganz am Rande vorkommen, kann man sich sparen. Der Text dieser Morgenandacht könnte auch in der taz oder in Pressemitteilungen der Linken stehen. Er hat mit Religion im Grunde nichts zu tun.

Wenn ich den Text aber politisch betrachte, dann stört mich die Vereinfachung: Der gesamte Sachverhalt ist hochkomplex und die Vereinfachungen sind der Komplexität nicht angemessen. Die Autorin ist nicht bereit, sich den eigentlichen Konflikten dieser Welt zu stellen, die Zahlen richtig einzuordnen, oder auch nur richtig zu rechnen.

Der Text erfüllt also weder die Anforderungen an eine Morgenandacht noch die Anforderungen an einen politischen Kommentar. Als emotionale Meinungsäußerung mag er durchgehen, für den rational denkenden Christenmenschen ist er offenbar nicht gedacht.



Ergänzung: Zusammenhänge zwischen Militäreinsätzen, Flucht und Lebensmittelhilfe findet man in diesem Interview der FAZ. Es ist auch unter dem Text der Morgenandacht verlinkt – um so erstaunlicher, dass die Autorin nichts daraus entnommen zu haben scheint.


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4 Responses to Zivilisierter Widerspruch (3)

  1. Beobachter sagt:

    Es ist extrem schwierig bis unmöglich, die Kampfkraft realistisch einzuschätzen.
    Wenn es nur die Menge von Waffen und Soldaten wäre, es gäbe kein Deutschland.
    Die Preußen waren den Gegnern regelmäßig hoffnungslos unterlegen – und sind trotzdem gewachsen. Es hätte keinen zweiten Weltkrieg gegeben, weil die Wehrmacht im Frankreich-Feldzug eingegangen wäre.

    Im Yom-Kippur-Krieg hatten die Araber alle Vorteile auf Ihrer Seite, das Überraschungsmoment und eine deutliche Übermacht an Soldaten und Waffen.
    Die Juden katten keine Chance – und haben sie genutzt.

    Im Westen sind die Streitkräfte in erster Linie ein Vehikel, um Steuergelder auf private Konten umzuleiten, über Beraterverträge, Genderprogramme, maßlos überzogene Preise.
    Im Osten siehts genauso aus.

    Wie groß ist der Teil der Rüstungsausgaben, der tatsächlich für die Erhöhung der Kampfkraft eingesetzt wird?
    Ich weiß es nicht. Niemand weiß das.

    _____________________________________________

    “Eine Morgenandacht der Evangelischen Kirche, in der Jesus und Christentum nur noch ganz am Rande vorkommen, …

  2. Antifa sagt:

    Der eigentlich sinnvolle Vergleich zwischen Militärausgaben und Ausgaben für Lebensmittelhilfe hat trotzdem einen großen Haken: Ohne Militäreinsatz kann die Lebensmittelhilfe in vielen Konfliktfällen gar nicht abgesichert werden.

    Zunächst würde ich zwischen staatlicher (NATO etc.) und suprastaatlicher (UNO) Intervention unterscheiden. Ich würde auch behaupten, dass (Lebensmittel)Hilfe nicht notwendigerweise an Einsätze zumeist externer Militärs gekoppelt ist, besonders gut lässt sich das bei der (kurzfristigen) Hilfe im Fall von Naturkatastrophen sehen.

    Militäreinsätze sind aber ohne Soldaten, Rüstungshaushalt und Waffen nicht möglich. Wenn etwa die Bundeswehr einen humanitären Einsatz absichert, dann ist der Einsatz der Soldaten immer ungleich teurer als die eigentliche Lebensmittellieferung.

    Welchen (erfolgreichen) humanitären Einsatz der Bundeswehr denn?

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